Responsive image

Behrens, Roger

Roger Behrens, geb. 1967, lebt in Hamburg, Weimar und Belo Horizonte. Studium der Philosophie und Sozialwissenschaften. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität Weimar, Lehrbeauftragter an der Universität Lünebrug und Universität Hamburg. Mitherausgeber des Magazins testcard. beiträge zur popgeschichte und Redaktuer der Zeitschrift für kritische Theorie. Autor zahlreicher Bücher über kritische Theorie und Massenkultur; zuletzt: „Verstummen. Über Adorno“, Hannover/Laatzen 2004.

Verfasste Beiträge

Chronologisch sortiert

    Einhundertfünfzig Jahre Das Kapital, erster Band, Karl Marx: „Der Rock ist ein Gebrauchswert, der ein bestimmtes Bedürfnis befriedigt.“ (MEW 23, 56) Eine Rückkopplung: in den Streifzügen Nr. 34 vom Juli 2005 war dieses Zitat schon einmal Einstieg für die Kolumne: in Erinnerung an Helmut Salzinger, der Marx’ Satz assoziativ gedeutet auf die Rockmusik anwendete; wie ein Refrain ist er mehrmals zu lesen in seiner Textcollage „Rock Power oder Wie musikalisch ist die Revolution?“, 1972 zuerst erschienen und 1982, zehn Jahre später, noch einmal.

    Pop, sollte man meinen, ist doch je schon und von Anfang an, seit den fünfziger Jahren, populistisch: Wie „Pop“ einst, sei der Populismus heute auch und vor allem: Kampfbegriff – wenn auch jener offensiv und affirmativ, dieser hingegen negativ, als Vorwurf; sowieso stecke etymologisch, zumindest wenn „Pop“ als Abkürzung für das Populäre verstanden wird, in beiden Wörtern das lateinische „populus“ = Volk.

    Kolumne Rückkopplungen

    Die Moderne will auf Dauer eingestellt sein, proklamiert die Ewigkeit, die keinen Anfang und kein Ende kennt, verteidigt die Beständigkeit ihrer Werte. Widerlegt wird das, wie in jeder Zeit, von der Vergänglichkeit; das Dauernde, ja Überdauernde realisiert die Moderne nicht als „Ewiges Immer“ (das kabbalistische „En Sof“),

    Unser Alltag gehört zur Moderne. Nicht dass Menschen in vormodernen Zeiten nicht auch schon ihren Alltag gehabt hätten: nur war das Alltägliche weitgehend religiös gestaltet, mit reichlich Phantasie durchsetzt, die gerade half, von dem abzusehen, was heute eher als das Alltägliche erscheint – die Wiederkehr des Trotts

    Die besten Hits des 21. Jahrhunderts kommen musikalisch aus dem 20. Jahrhundert. Auf ihrem vierten Studioalbum ,Random Access Memories‘ fordern Daft Punk ihre Fans auf: ,Get Lucky‘! Nile Rodgers – Musiker der legendären Chic (deren Hits u. a. ,Le Freak‘ und ,Good Times‘ heißen) – spielt Gitarre, Pharrell Williams reist nach Paris, um mit dem eigentlich Zwei-Personen-Projekt Daft Punk (Guy-Manuel de Homem-Christo, Thomas Bangalter) noch Text und Melodie für ,Get Lucky‘ zu basteln. In achtzehn Monaten produziert, wird der schließlich im April 2013 veröffentlichte, mitunter als „elegant“ gelobte Song zum Number-One-Hit, gilt vielen als der beste Song des Jahres

    In der Gesellschaft des Spektakels hat die Philosophie längst ihre Brisanz verloren. Jacques Derridas als brisant aufgebrezelte Auseinandersetzung mit der Phänomenologie Husserls, die ihn zur Dekonstruktion führte, ist insofern philosophisch banal

    Hamburg – das ist die neben London wichtigste europäische Musikmetropole, jedenfalls sagte man das so, etwa 1978, als hier zum ersten Mal Liza Minelli und Sammy Davis jr. gemeinsam auf der Bühne standen, …

    Jeans als Stoff wird zur Textur des Pop; mehr noch: die Jeanshosen sind nicht länger Attribut des Pop, sondern sie sind Pop – als symbolische Substanz bzw. substanzielles Symbol.

    Kolumne Rückkopplungen

    Hi, ich bin 24, weiß, männlich, untere Mittelschicht, geboren ein Stück landeinwärts von der Küste des Staates Washington. Meine Eltern besaßen eine Stereo-Kompaktanlage in gemasertem Plastikfurnier, das wie Holz aussehen sollte, und ein Box-Set mit lauter aktuellen Mainstream-Radio-Hits der Siebziger, ,Good Vibrations‘ auf Ronco.

    Lady Gaga – schon der Name gilt als Programm: Eine verrückte, durchgeknallte, tolle, irre, wilde Frau, die sich trotzdem als ehrbare, vornehme Dame anreden lässt. Charakterisieren soll das die Doppelfigur von vermeintlich reflexiver Selbstironie und ironischer Selbstreflexion, nach der die Maske des Stars geformt ist

    Die Popmusik in ihren profitablen Segmenten der Kulturindustrie: in den Vereinigten Staaten waren das Soul und Rock’n’Roll, in Großbritannien der Beat und in Deutschland der Schlager. Wie das englische „Beat“ oder „Hit“ verweist das Wort Schlager auf die Konvergenz von musikalischer Eingängigkeit und kommerziellem Erfolg: Die künstlerischen Merkmale des Schlagers – die eingängige Melodie oder die gefälligen melodischen Floskeln („Hit“) und der durchgehend „schlagende“ Rhythmus im treibenden Takt („Beat“) – sind mit den ökonomischen Eigenschaften solcher Musikproduktionen weitgehend gleichbedeutend: Was beliebt ist, wird verkauft; was verkauft wird, ist beliebt.

    Tocotronic gründeten sich 1993, zwei Jahre später erscheint ihre erste Platte „Digital ist besser“. Zwanzig Jahre später nun, zum Bandjubiläum, das zehnte Studioalbum mit nachgerade programmatischem Titel: „Wie wir leben wollen“. Siebzehn Songs sind darauf versammelt, jeder für sich ein Statement zum Thema, musikalische Erläuterungen eines Quasimanifestes.

    Wo die Kultur vollends zur Ware und die Ware selbst wieder zur Kultur geworden ist, sind die Castingshows die letzten, neuesten „Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware“ (Benjamin, GS Bd. V·1, S. 50), das Fernsehen die Kirche dieser Religion.

    Haare. – Der Protest gegen das Establishment muss sich gegen dieses als Ganzes richten. Das ist auch schon in den Sechzigern keine leichte Aufgabe. Der korporative Kapitalismus ist bis in die äußersten Innervationen der menschlichen Lebenszusammenhänge eingedrungen. Widerstand braucht deshalb, so Herbert Marcuse 1969 in seinem „Essay on Liberation“, eine biologische Grundlage; er nennt sie „Neue Sensibilität“.

    Dieser Versuch umkreist die These, dass die heute selbstverständlich erscheinende Verbindung von Lust und Liebe sich historisch entwickelt hat; ferner: dass sich mit der lustvollen Liebe die Vorstellungen von der Liebe selbst verändert haben, insbesondere in der Ausformung des romantischen Liebesideals.

    Kolumne Rückkopplungen

    Pop ist ein System ideologischer Rückkopplung: Aufklärung wird zu einem Verblendungszusammenhang übersteuert. Es ist die bewusste Verstärkung des Fetischcharakters der Ware (den Marx im „Kapital“ bereits physikalisch mit dem „Lichteindruck eines Dings auf den Sehnerv“ analogisierte).

    Eine neue testcard ist erschienen. Die Nummer 20 – ein mögliches Jubiläum, kein wirkliches. Thema: „Access denied“. Eröffnet wird die testcard mit zwei kurzen Texten, die jeweils eine Seite füllen – es sind Nachrufe, einer von Johannes Ullmaier, einer von Jonas Engelmann. Martin Büsser ist tot. Er ist im letzten Jahr, am 23. September 2010, gestorben. Ullmaier: „Und was immer das Falsche, in dem es ein Richtiges nicht geben soll, dagegen auffährt: Dieses Nicht-Egal-Sein macht am Ende doch den Unterschied ums Ganze.“ Engelmann: „Das Weitermachen war unser Versprechen an Martin, ein Versprechen, bei dem wir nicht wussten, ob wir es würden einhalten können.“ Und: „Das Weitermachen der testcard hält Martins Kritik am Leben.“

    Die Sympathie mit der Spontaneität der Proteste in Spanien und Griechenland ist gerechtfertigt. Doch die Forderung nach »realer Demokratie« weist nicht über die bestehenden Verhältnisse hinaus. von Roger Behrens Nun gibt es auch aus Griechenland und Spanien Fernsehbilder, wie man sie seit Monaten schon aus Ägypten, Tunesien und Libyen kennt. Der Kreis der Revolte schließt sich also mittlerweile...

    Das Kino vermag das Unwirkliche als Wirklichkeit, das Unmögliche als Möglichkeit darzustellen. Indem das Kino die Bilder in einer ihm eigenen Logik in Bewegung setzt, ist es ein dialektischer Apparat, der Ideologie produziert und reproduziert, aber zugleich auch Ideologie als solche destruiert – beziehungsweise aufklärt.

    Streifzüge 50/2010 Kolumne Rückkopplungen von Roger Behrens Schon einmal war ich da, das war vor einigen Jahren im Frühjahr. Die Bäume waren noch nicht sehr grün, weshalb man von hier aus am gegenüberliegenden Ufer das Autobahnviadukt sehen konnte. Der Verkehr war als das Rauschen von Motoren zu hören und mischte sich mit dem Zwitschern der Vögel. Wie damals ein kleiner Spaziergang von Klagenfu...