Bodenlos

von Petra Ziegler


Der Blick aus meinem Fenster ins Grüne ist nur noch Erinnerung, der sichtbare Horizont wird mehr und mehr eingeschränkt. Die spärlichen Freiflächen zwischen den neuen Wohnbauten gegenüber sind ein schlechter Witz, verglichen etwa mit den großzügig bemessenen Innenhöfen der vor rund einhundert Jahren entstandenen Gemeindebauten. In Wien wird gebaut. Wie wild, und das seit Jahren. Kaum eine Ecke in der Stadt, die sich nicht eingerüstet präsentiert, kaum ein Straßenzug, der nicht aufgerissen oder von Baugeräten gesäumt ist.

2021 gab es hierzulande laut Statistik Austria die höchste Wohnbautätigkeit seit Beginn der 1980er-Jahre. Mit über 24.000 neuen Gebäuden wurden Flächen im Ausmaß von 834 Fußballfeldern überbaut. Etwa je ein Viertel davon wurde in Ober- und Niederösterreich verbraucht. Rund 45 Prozent aller insgesamt neu ausgewiesenen Gebäudegrundflächen gehen auf das Konto von Ein- und Zweifamilienhäusern. Was die Zersiedelung mit allen bekannten unschönen Folgen vorantreibt.

Egal – die Bevölkerung wächst, da braucht es neue Wohnfläche, das leuchtet ein. Wobei, so ganz will es wieder nicht einleuchten, stehen doch allein in Wien über 100.000 Wohnungen leer, in ganz Österreich sind es über 650.000 Leerstände, bei einem Gesamtbestand von knapp fünf Millionen.

Und nur nebenbei: Rund ein Drittel aller Neuerrichtungen entfällt auf Nicht-Wohnbauten, davon etwa ein Zehntel auf Industrie- und Lagergebäude. Dazu kommen: Einkaufszentren und diverse Großmärkte. Dabei herrscht daran nun wirklich kein Mangel. Laut WWF stehen in Österreich „pro Kopf 1,5 Quadratmeter Einkaufsfläche zur Verfügung. Ein Spitzenwert, Österreich liegt damit europaweit auf Platz 3 hinter Belgien und den Niederlanden.“ Auch OBI & Co. beanspruchen Platz: „Die Anzahl der Fachmarktzentren hat sich seit 2000 mehr als verdoppelt.“ Nicht zu vergessen: unser extrem dichtes Straßennetz. Im Flächenfraß sind wir Europameister. „Seit dem Jahr 2000 ist der Bodenverbrauch drei Mal so schnell gewachsen wie die Bevölkerung“, resümiert der WWF für unser Land. Die mit der exzessiven Verbauung einhergehende Versiegelung hat Auswirkungen auf Lebensqualität (Stichwort „Hitzesommer“), Ernährungssicherheit, Artenvielfalt, Versickerung.

Bei all dem jammert die Baubranche. Auf die jahrelangen Höhenflüge folgte 2022 tatsächlich ein Rückgang der Nachfrage. Die Baubranche stöhnt lauter. Die Regierung beeilt sich zuzusichern, dass man die „Delle in der Baukonjunktur zielsicher bekämpfen will“, es gehe mithin darum, „Arbeitsplätze in der Baubranche zu halten“, so Vizekanzler Werner Kogler. Wir danken. Immerhin wissen wir jetzt, worum es tatsächlich geht.

Betonieren, asphaltieren, zementieren. Immer mehr und immer schneller werden verwilderte Flecken, Wiesen, Wälder und Felder in Bau-, Betriebs- und Verkehrsflächen umgewandelt. Vielfältiger Lebensraum verwandelt sich in monotone Betonwüste. „Der Beton ist die vollkommene Materialisierung der Wertlogik“, konstatiert Anselm Jappe (Beton. Massenkonstruktionswaffe des Kapitalismus, Mandelbaum-Verlag 2023). „Er ist seine Hypostase, seine Leibhaftigkeit. Er verkörpert par excellence die konkrete Seite der Warenabstraktion. ‚The concrete‘, also der Beton ist die sichtbare Seite der Abstraktion. (…) Er hat keine eigene Form, aber er kann alle annehmen. Er existiert in keinem Naturzustand, aber er ist allgegenwärtig. Das Gleiche gilt für den Wert: Er kann die Form wechseln, Geld sein, Ware werden, wieder Geld sein (…). Der kapitalistische Wert hat alle lokalen Besonderheiten und alle Traditionen abgeschafft und sich als das einzige Gesetz bis in die entferntesten Winkel des Planeten durchgesetzt (…). Genauso hat der Beton sein eintöniges Regime über die ganze Welt erstreckt und durch seine Gegenwart alle Orte einander angeglichen.“

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