Tote Pferde kann man nicht reiten

Die Universitäten als Zentren der Kritik sind tot

von Nikolaus Dimmel

Ausgangspunkt: ein universitäres Budgetloch in der Periode 2022–24 in Höhe von 1,2 Mrd. Euro. Markierungspunkte der medialen Erregung: geschlossene Unis, abgeschaltete Heizungen, Personalstopps. Akt der Befreiung: der Finanzminister gewährt 2025–27 ein Budget von insgesamt 16 Mrd. Euro. Es folgt: staatstragende Zustimmung der Universitätenkonferenz. Tenor: Die allseits beschworene Krise der Universitäten ist abgewendet. Echt jetzt?

Ist doch der Krisenbefund ein wesentlich komplexerer, fehlt nicht bloß das Geld, an dem es den Universitäten mangelt. Es fehlt vielmehr die „universitas“, die selbst-verwaltete Gemeinschaft der Forschenden, Lehrenden und Lernenden. Längst schon gehen zwei Reden ineinander über: nämlich jene der unternehmerischen Universität und jene des Todes der Universität. Ersteres hat Terry Eagleton damit umschrieben, dass die Academia zur Propagandamaschine des Marktfundamentalismus sowie zum Diener des Status quo geworden ist. Letzteres wird darin deutlich, dass die Logiken und Regularien des Marktes direkt in eine zugleich managerielle und politisch funktionalisierte Universität eingebrochen sind:

Zum Ersten werden Geistes- und Sozialwissenschaften in den Hintergrund gedrängt. Zugleich beanspruchen die Grundlagenwissenschaften des 6. Kondratieff-Zyklus, nämlich die Verschmelzung von „Digital Sciences“ (etwa: künstlicher Intelligenz) und „Bio Sciences“ (etwa: synthetische Biologie), den Großteil der zum Marktplatz gewordenen Wissenschaftsförderung für sich. Wissenschaft wird Markt, Wissenschaftsarbeit prekarisiert. Die Durchkapitalisierung der Universität als ausgelagerter Wissensmanufaktur der Industrie (Pharma, Werkstofftechnik, Energiewende) geht ungebremst vonstatten.

Zum Zweiten werden in jenen ohnehin marginalisierten Wissenschaftssegmenten vor allem solche Vorhaben gefördert, welche die Codes eines abstrakten Globalismus und paralysierenden „Differentialismus“ bedienen:

Ersteres mündet darin, dass sich „gute Wissenschaft“ durch eine Konzentration auf Methoden und abstrakte Systemvergleiche auszeichnet, während konkrete gesellschaftliche Verhältnisse und Konfliktlinien in den sozialen Kämpfen des vorfindlichen gesellschaftlichen Umfeldes ignoriert werden. Entsprechend wird wissenschaftliche Reputation hierzulande eher durch den Vergleich von Beschäftigungsbedingungen von immigrierenden Au-Pairs in Malaysia und Peru als durch die Analyse der Arbeitsbedingungen von Matrazen-Näherinnen in Tumeltsham erwirtschaftet.

Letzteres wird an der Logorrhö jenes sozial- und geisteswissenschaftlichen Indifferenzgeredes deutlich, in dem jede klare Aussage sofort mit dem Hinweis auf die Subkomplexität der Aussage oder die unzureichende Differenziertheit der Befundaufnahme konterkariert wird. Wer sich aus dieser Welt der Gödel’schen Schleifen aus ineinander verschränkten Relationen (Botschaft: Klasseninteressen sind Fiktionen) verabschiedet, gilt denn eher als Propagandist denn als Wissenschafter.

Hinzu kommt, dass das ohrenbetäubende neoliberale Innovationsmantra dazu führt, dass eigentlich in die Jahre gekommene Befunde wie jener der multidimensionalen sozialen Ungleichheit fortwährend durch neues „Begriffsblech“ aufgemotzt werden müssen, hier etwa die „Intersektionalität“ der Diskriminierung. An die Stelle vertikaler sozialer Ungleichheiten und Ressourcenkämpfe sind horizontale Ungleichheiten sowie Wettbewerbe um das jeweils „beste Opfer“ getreten. Wer den woken „Ich bin diskriminiert“-Wettbewerb gewinnt, darf erfolgreich Regelexemtionen und „Grants“ für sich in Anspruch nehmen.

In eben jenem Maße, in dem die politischen „Rackets“ eine marktkonforme Demokratie eingefordert haben, hat die Universität marktkonforme Ausbildung (nicht: Bildung) und auf (Finanz-)Märkten verwertbare, profitable Forschungsergebnisse geliefert. Anschaulicher kann man nicht machen, was mit dem Begriff „Gouvernementalität“ gemeint ist, nämlich die Selbstführung der Universitäten als Unternehmen zur Erzeugung von sozialer Konformität mit der Durchkapitalisierung aller gesellschaftlichen Interaktionsformen. Nach der formellen folgt damit die reelle Subsumtion der Wissenschaften unter das Kapital.

Darein fügt sich, dass die Universitäten – angetrieben von einer an Zielvereinbarungen orientierten Budgetierung – sowohl die Zwangsvorstellung permanenter Selbst-Quantifizierung als auch eine kollektive Drittmittel-Neurose kultiviert haben. Sie verstehen sich als Produzenten auf Bildungsmärkten. Als solche führen sie „Wissensbilanzen“ wie Trophäen vor und optimieren ihren Output, nämlich Absolventenzahlen. Ihre Wissenschaftlichkeit lassen sie sich von Algorithmen bestätigen, die für englischsprachige „Rated Journals“ Impactpunkte vergeben.

Dass die Universitäten von einem allgemeinen Steuerzahler aus Lohnsteuer, Mehrwertsteuer und Mineralölabgaben finanziert werden, um konkrete gesellschaftliche Problemstellungen zu verhandeln (sinnstiftend Arbeiten, menschenwürdig Wohnen, Sicherstellung der sozialen Reproduktion, soziale Absicherung, Nachhaltigkeit des Konsums, Reparatur zerstörter Biosphären) ficht sie nicht an. Sie haben am Ende dieses Gangs weitreichend an gesellschaftlicher Relevanz verloren, aber an ökonomischer gewonnen. Mehr konnte sich das politische „Racket“ der Charaktermasken der Kapitalverwertung gar nicht erwarten.

Terry Eagleton hat die daraus resultierenden Konsequenzen nachgezeichnet. Geschichte, Soziologie oder Philosophie treten nicht bloß je vereinzelt in den Hintergrund, sondern werden überhaupt abgewertet. Allein die Politikwissenschaften reüssieren in den „Humanities“ als Schmierölwissenschaft des „Politics“-Business. Echte Arbeitskraftunternehmer:innen studieren nun nicht mehr nur BWL und Jus, sondern auch lernende Systeme und die Erzeugung artifizieller Umwelten, also die zweite Natur des Kapitalismus. Die erste ist schon verbraucht. Eagleton zufolge sind in dieser Umwelt „ideas and values [] for sissies“. Die Universitäten als Zentren der Kritik dagegen tot. (Terry Eagleton: The death of universities; in: The Guardian, 17. Dez. 2010)

Freilich funktioniert die Umwandlung von Universitäten in Unternehmen nur mit erheblichen Reibungsverlusten. Wie damit umgegangen wird, hat der Salzburger Landeshauptmann Haslauer kürzlich uncharmant vor Augen geführt. Der Zweier-Vorschlag des Senats zu Nachbesetzung des aufgrund seines Führungsstils umstrittenen Rektors der Universität (ohne eben diesen Rektor auf den Vorschlag zu nehmen) wurde nicht nur von der unterlegenen Minderheit im Senat beim Wissenschaftsministerium angefochten, sondern vom Landeshauptmann unmittelbar sanktioniert. Haslauer stellte in seinem Hofblatt, den Salzburger Nachrichten, aufgrund der „Unruhen“ an der Universität (gleichzusetzen mit demokratischen Willensbildungsprozessen im Senat), derselben in der Rektors-Causa ein Ultimatum und drohte mit einem Finanzierungsstopp. Die kaum noch verklausulierte Botschaft lautet: Entweder ihr wählt einen der ÖVP genehmen Rektor oder die Landeszuschüsse werden gestrichen. Von 2016 bis 2022 flossen rund 30 Mio. Euro. In die gleiche Kerbe schlug das Wissenschaftsministerium unter Leitung von ÖVP-Minister Polaschek, der selbst zuvor auf Grundlage eines Einer-Vorschlags zum Rektor der Universität Graz gewählt worden war. Es erachtete nämlich den Zweier-Vorschlag des Senats, der den bis Ende September amtierenden Rektor für nicht geeignet hielt, kurzerhand als rechtswidrig, weil er nicht drei Kandidat:innen umfasste. Der Universitätsrat kann somit weiterhin keine Rektorenwahl vornehmen, während gegen den Bescheid des Ministeriums Beschwerde erhoben wurde. Dies macht deutlich, wie weit sich die politische Dienstklasse bereits aus ihrer Bindung an das Kapital gelöst und eigenständige, refeudalisierte Herrschaftspraktiken hervorgebracht hat.

Damit zeichnet sich ein Frondienst im Auftrag zweier Herren ab: Einerseits sollen die Universitäten nach ihrer gesellschafts-, wissenschafts- und arbeitspolitisch destruktiven Änderungskündigung als Dienstmagd des Kapitals den liberalisierten Marktwettbewerb sowohl propagieren als auch an sich selbst exekutieren. Andererseits sollen sie dies unter dem Stiefel politischer Rackets tun, welche sich anschicken, die Autonomie der Universitäten zu eliminieren und direkt in den ideologischen Staatsapparaten zu regieren.

P.S. Von unserem Autor ist bei Bahoe-Books gerade ein neues Buch erschienen:

Nikolaus Dimmel/Alfred J. Noll, Recht. Kaputt. Eine Ruinenbesichtigung, Wien 2023, 784 Seiten, 38 Euro.

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