Disinfos

von Franz Schandl

Es ist wie es zu sein hat. Da kämpft die Freiheit gegen die Unfreiheit, die Wahrheit gegen die Unwahrheit, das Licht gegen die Finsternis. So sehen es zumindest die Europäische Union und ihre medialen Dienstboten, etwa der in Folge zitierte ORF (orf.at), wenn sie meinen, dass die russischen Staatsmedien Fake-News verbreiten: „Russische Medien machen in der Coronavirus-Krise nach Einschätzung der EU weiter mit Desinformation Stimmung gegen die Staatengemeinschaft. Allein in der vergangenen Woche seien 45 Fälle kremlfreundlicher Falschnachrichten hinzugekommen, 30 von ihnen in Verbindung mit dem Coronavirus, teilte die EU-Kampagne ‚EU vs. Disinfo‘ heute (3.4.2020, Anm. F.S.) mit. (…) Am erfolgreichsten war den Angaben zufolge ein Artikel der arabischen Ausgabe des russischen Staatsfernsehsenders Russia Today (RT), der fälschlicherweise behaupte, die EU habe ihren Partnern im Kampf gegen das Coronavirus nicht geholfen und stattdessen seien China und Russland zu Hilfe geeilt. (…) Die EU beklagt seit Beginn der Krise ein hohes Aufkommen an Falschnachrichten. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell spricht von einem ‚globalen Kampf der Narrative‘.“

Na sowas. Diese Russen, die faken uns aber ordentlich. Zweifellos. Vice versa. Der Russen-Putin geht mit der EU so um wie sie mit ihm. Das ist nicht freundlich und es ist durchaus anzunehmen, dass seine Narrative mit Wahrheiten und Lügen komponieren. Medial ist derlei völlig normal. Russia Today ist inzwischen ziemlich professionell geworden. Da steht nun Kampagne gegen Kampagne und die Zuschauer können sicher sein, dass beide Seiten ihnen das Fell gerben wollen. Wie das Wort Narrativ schon sagt, handelt es sich dabei um einen Kampf zwischen Narren, um andere Narren zur Akklamation zu verführen.

Was hierzulande ärgert, ist, dass diese Russenpartie (anders als der dröge Breshnew) mittlerweile ungefähr auf demselben kulturindustriellen Level spielt wie die westliche Wahrheitsgang. Und auch die Chinesen lernen fleißig dazu. Derlei freilich können die Vorbilder an den Abziehbildern gar nicht leiden. So schreien sie neuerdings lauthals „Fake!“, „Fake!“, „Fake!“. Doch selbst wenn sie in diesem oder jenem Fall wahrheiten, sagt das wenig aus. Die Lüge ist ein probater Scheinwerfer jeder Politik, da wie dort, gleichermaßen geschätzt von Demokraten wie Autokraten. Disinfos gehören dazu. That’s infotainment.

Des Öfteren stehen die Fake!-Rufe allerdings auf dünnen Beinen. Selbst in der ultraliberalen Neuen Zürcher Zeitung (um eine unverdächtige Quelle zu nennen) vom 22. März 2020 lesen wir unter dem Titel „Russland, China und Kuba helfen Italien im grossen Stil – die Europäer sind zurückhaltender“: „Der italienische Aussenminister Luigi Di Maio lobte die chinesische Solidarität.“ Oder: „Mehrheitlich durch Abwesenheit glänzen derweil die europäischen Länder. (…) Doch namentlich Russland tut weit mehr“. Tja, so durcheinander können Fakes und Fakten geraten. Oder gar identisch werden. Der Unterschied zwischen Fakes und Fakts ist gradueller als man dichtotomisiert.

Wo es primär um Schuldzuweisungen geht, sind immer die anderen schuld. Wer sonst?, wenn man über das Was? nicht diskutieren möchte. Selbst Nina Chruschtschowa, engagierte und eifrige Schreibkraft aus dem liberalen Syndicate-Stall, muss da schon bremsen: „Hinter allem das böse Wirken des Kremls zu vermuten, ist absurd“, schreibt sie in einem Gastkommentar in Die Presse vom 14. Juni. Verschwörungstheoretiker sind nicht immer die andern.

Und vergessen wir auch eines nicht: Wenn EU-Politiker in Rente geschickt werden, rentieren sie sich nicht selten für die falsche Seite. Wladimir Putin, der vom politischen Geschäft was versteht (was nicht als Kompliment zu lesen ist), lässt die abgelegten aber gut vernetzten Promis fortan ganz gazpromig oder gazpromartig lobbyieren: Schröder, Schüssel, Schelling. Und Christian Kern ist, da das russische Rubelboot schon voll ist, nun bei den chinesischen Medienkavallerie gelandet. Wir gratulieren. Nur wo Gusenbauer gerade fouragiert, wissen wir mangels Recherche nicht.

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