Einlauf 75: Antipolitik


von Franz Schandl

Die Oberhand soll sie haben, die Politik. Unbedingt. Robert Habeck sagt: „Politik lebt vom Glauben, dass Veränderung möglich ist. Gibt man den auf, erodiert das Vertrauen in Demokratie.“ Indes, was ist, wenn das Credo nicht stimmt? Oder muss es stimmen, weil sonst der Glauben verloren geht? Ist Politik demnach der Glaube an sie, und Politikverdrossenheit eine Häresie und schon deshalb abzulehnen?

Aber Habeck hat auch recht: Ohne das Halluzinieren einer kompetenten Politik, würde wahrlich der öffentliche Bereich zusammensacken. So herrscht die Gebetsmühle. Da bekreuzigen sich Neugrüne und Altrote mit Schwarzen, Türkisen, Blauen, Pinken, Orangen und Braunen. Allen gemeinsam ist ihnen der selige Befund: Geht schon! Auch radikale Linke verlangen meist nichts anderes als eine andere Politik. Sie sind Kinder der Gegenwart, nicht Vorhut der Zukunft.

„Politik ist das, was man macht, um nicht zu zeigen, was man ist, ohne es zu wissen“, schrieb Karl Kraus. Politik, das ist der selige Glaube an die Souveränität, den freien Willen, die freien Wahlen, die freie Presse, die mündigen Bürger und den ganzen demokratiepolitischen Werteschmonzes. Die Staatsbürgerkunde rinnt unentwegt aus allen Kanälen, ist Ausdruck einer tief verunsicherten Selbstversicherung, die aber alles überschwemmen will. Kein Geist entgeht dieser Brühe. Wenn wir nur alle daran glauben, dann muss es schon stimmen. Dieser Bezug ist suggestiv und religiös. Demgegenüber hielt schon der junge Marx fest: „Der politische Verstand ist eben politischer Verstand, weil er innerhalb der Schranken der Politik denkt.“

Diese Schranken wollen wir (nicht nur) in dieser Ausgabe aufbrechen. Wir wünschen eine abträgliche Lektüre. Das, was nicht mehr tragbar ist, soll abgetragen werden.

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