Bewegungsmelder

von Lukas Hengl

Ich lebe in einem Wohnhaus in einer ruhigen Gasse Wiens. Am unteren Ende des Stiegenhauses ist ein Bewegungsmelder angebracht. Rot blinkend gibt er sich durch die verglaste Eingangstüre schon von weitem zu erkennen. Dort wacht er über das Haus. Ein Schritt zu nahe, es macht Klack, die zuvor rot blinkende Diode leuchtet kurz grün auf, und Sekundenbruchteile später schaltet sich eine Lampe über der Türe, die einer Notausgangsleuchte gleicht, ein.

Immer wieder erforsche ich jenen Millimeter zuviel, jenen „point of no return“, bei dem der Bewegungsmelder mich messerscharf und unbestechlich genau registriert. All meine Studien haben gezeigt, dass der Melder vollkommen fehlerlos arbeitet. Folglich gibt es für mich keine Möglichkeit, das Haus in Dunkelheit zu betreten oder zu verlassen, außer ich würde auf den Bewegungsmelder von weitem schießen.

Der kleine grün blinkende Kasten, der sich mittlerweile über mir befindet und kurz zuvor das Hof- und Ganglicht entfachte, ist das einzige, was mich je vollständig registriert hat: Ohne jegliche Selbstbefangenheit vermag dieses kleine feine Gerät mich vollkommen, zur Gänze zu erfassen. Unfehlbar erkennt es bewegte Materie und schaltet, über jeden Zweifel erhaben, das Licht an.

Seit geraumer Zeit stehe ich nun im mittlerweile wieder pechschwarzen Flur und starre auf die rot blinkende Diode. Der Wiener Gangmief aus Schweinsbratensaft, Staub und kalten Wänden steigt mir in die Nase, meine Stirne ist schweißnass. Die kleinste Regung würde mich und das gesamte Stiegenhaus wieder in grelles Licht tauchen – ich widerstehe ihr. Angstvoll höre ich in den Hof hinein, selbst eine vorbeihuschende Katze könnte mich aus diesem sonderbaren Zustand, in den ich unversehens geraten bin, stoßen. Doch unter keinen Umständen möchte ich daraus befreit werden. Der Bewegungsmelder beobachtet mich indes mit dem eisernen Blick eines Zen-Meisters, sein Stock ist das Licht.

In mir beginnt sich etwas zu regen, eine Bewegung, die über den Kasten droben erhaben ist, die aber seine Präsenz provoziert. Schlagartig wird mir bewusst, dass all mein bisheriges, nach außen gerichtetes Streben nach Glück oder dem Fehlen von Unwohlsein, diese Innenschau verhindern sollte. Ich fühle mich verlassen, einsam, klein und nutzlos; das Schwert der Erkenntnis schneidet durch meinen Verstand, die große Blase der Vernunft zerspringt und lässt ein keuchendes, schweißgebadetes Tier zurück. Es macht Klack: eine alte Frau keucht gebückt und in sich vergraben, kurz nur aufblickend, in den Lift. Ich versuche diese Prüfung zu bestehen und verharre bewegungslos, bis es wieder dunkel wird. Zurück in der Schwärze fixiere ich erneut den rot blinkenden Blick des Meisters. Mittlerweile schaffe ich es nicht einmal mehr zu blinzeln, denn selbst das könnte der überaus akkurate Apparat erfassen. Wieder überkommt mich meine Einsamkeit und Irrelevanz.

Erst gefühlte Stunden später erkenne ich, dass die Konfrontation mit Problemen Lösungen aus ihnen macht, und beginne, mich in der Dunkelheit zu bewegen. Von nun an werde ich wieder selbst das Licht andrehen müssen.

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