Ressentiment fressen Seele auf

von Lothar Galow-Bergemann

Okay, okay. Tief durchgeatmet und ein verständnisvolles Lächeln aufgesetzt. Denn vielleicht hilft ja einfühlsame Pädagogik. Ein offener Brief an einen aufrechten Antiimperialisten

Mein Guter – bitte wundere Dich nicht über diese Anrede, aber ich kenne Dich schon lange und weiß deswegen, dass Du ja eigentlich nur das Gute willst. Außerdem mache ich mir ernste Sorgen um Dich, denn Du hast es im Moment wirklich nicht leicht. Fast könntest Du mir sogar leidtun.

Denn das mit dem Iran ist aber auch so was von bescheuert. Wie konnte das nur passieren? Jetzt revoltieren die Menschen in der bedeutendsten Bastion des weltweiten Widerstandes gegen Imperialismus und Zionismus! Ausgerechnet dort! Welch diebische Freude haben Dir die Jungs in Teheran doch immer bereitet, wenn sie den Imperialismus mal wieder an der Nase herumgeführt haben. Ihre etwas andere kulturelle Prägung, etwa ihr vielleicht gewöhnungsbedürftiges Verständnis von der Rolle der Frau, hat Dich nie gestört, schließlich bist Du kein Rassist. Und erst die schönen Reden von Ahmadinejad, die man immer so ausführlich auf den Seiten des Friedensratschlags nachlesen kann – bei ihnen sind Dir doch die warmen Schauer nur so den Rücken heruntergelaufen, wenn er es dem Imperialistenpack mal wieder so richtig gegeben hat. Die hinterhältigen Zionisten, die ihn voller Heimtücke permanent falsch übersetzen und ihm absurderweise unterschieben, er wolle ihr verdammtes Gebilde ausradieren, konnten Dich selbstverständlich nie vom Glauben an seine Friedensbereitschaft abbringen. Denn Du, das bist Du Dir schließlich schuldig, gehörst doch nicht zu denen, die auf die manipulierten Medien hereinfallen. Natürlich hast Du auch nie vom Zionistengebilde ge­redet. Du weißt schließlich, wie man das formulieren muss. Hierzulande, wo man ja aus bekannten Gründen aufpassen muss, was man sagt. Und der ganze aufgebauschte Käse mit den Atomwaffen, was soll’s, genau besehen ist es doch gar nicht so schlecht, hast Du immer bei Dir gedacht, hoffentlich ist Chávez auch bald so weit, das wäre eine schöne Schlappe für den Imperialismus.

Und dann aus heiterem Himmel plötzlich das! Seit Jahr und Tag träumst Du von einer revolutionären Situation. Du weißt natürlich, dass dann die da unten nicht mehr so weitermachen wollen und die da oben nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Schließlich hast Du Deinen Lenin gelesen. Ich verschone Dich jetzt mal für einen Moment mit meiner Nörgelei an Deinen heiß geliebten Völkern und lass mich ganz auf das Gute ein, das in Deiner Seele waltet. Du siehst doch, wie das Volk im Iran gegen seine Unterdrücker aufsteht, Du hörst doch, wie es nach Freiheit ruft. Drängt da nicht irgendwas in Dir mit Macht an seine Seite? Mal ehrlich und unter uns: Spräche nicht alles dafür, dass Du Dich endlich mal wieder so richtig der revolutionären Begeisterung hingibst?
Doch es ist wie verhext. Sie will sich partout nicht einstellen. Warum nur? Es gibt nur eine Erklärung dafür: dieses unangenehme Gefühl in Deiner Magengrube, das Dir immer wieder zuraunt: »Achtung. Dies ist das falsche Volk. Schließlich rebelliert es doch gegen die Richtigen.« Denn dass die Regierung in Teheran irgendwie ziemlich richtig liegt, das war Dir doch immer klar. Du denkst geopolitisch. Deswegen rechnest Du nach, um wie viel größer die Einflusssphäre der Yankees und Zionisten wohl wäre, wären da nicht die widerständigen Iraner. Denn diese beiden, also bitte, das ist ja nun wirklich das kleine Einmaleins eines jeden aufrechten Friedensfreundes und Revolutionärs, diese beiden sind ja wohl unbestreitbar der Gipfel des Übels auf der Welt, die wahre Achse des Bösen, wenn man so will. Die Jungs in Teheran sprechen ja nicht ganz zu Unrecht vom großen und vom kleinen Satan.

Mein Guter, vielleicht überrascht es Dich, aber ich unterstelle Dir jetzt einfach mal, dass Du einer von der feinfühligeren Sorte bist und Dich, wenn Du an die iranischen Regimegegner denkst, nicht so recht dafür begeistern kannst, »dass Ahmadinejads Leute den einen oder andern in einen Darkroom befördert haben«. Tja, denkst Du Dir, das mit den Foltergefängnissen und dem Abknallen von Demonstranten ist halt doch nicht ganz das Wahre. Aber sofort meldet sich Deine Magengrube: Was weiß man denn überhaupt wirklich darüber? Wie viel hat denn da die CIA bloß wieder erfunden? Und überhaupt: Muss man das nicht im Interesse der Sache in Kauf nehmen? Könntest Du das Siegesgeheul der Imperialisten ertragen, wenn die Konterrevolutionäre gewönnen? Nicht auszudenken!

Weißt Du eigentlich, dass Deine iranischen Genossen vor 30 Jahren genauso gedacht haben, damals, als sie geholfen haben, Khomeini an die Macht zu bringen? Und dass sie dafür nach wenigen Monaten mit dem Leben bezahlt haben? Oder willst Du es bloß nicht wissen? Spürst Du immer noch so viel Nähe zu den Teheraner Kämpfern gegen Imperialismus und Zionismus, dass Du noch nicht einmal das an Dich heranlassen kannst? Ist Dein antiamerikanisches und antizionistisches Ressentiment so groß, dass du nicht merkst, wie Du auch noch das letzte Quäntchen Freiheitsanspruch aufgibst, wenn Du Dich mit denen weiter einlässt? Pass auf, mein Lieber, Ressentiment fressen Seele auf.

Da ist er wieder, dieser verdammte Magenkrampf, der sich in letzter Zeit immer öfter bei Dir meldet. Also erst mal schnell die Droge einwerfen: »Alles nur ein schmutziges Machwerk des Imperialismus und seiner durchtriebenen Strippenzieher und Ränkeschmiede!« Ah, spürst du schon, wie es nachlässt, wie sich alles wieder entkrampft? Diese wohltuende Wirkung. Jetzt kannst Du Dich wieder zurücklehnen, Dein Weltbild ist wieder im Lot.

Für den Moment jedenfalls. Denn gleich darauf trifft Dich der Schlag: Jetzt geht der Zirkus doch wahrhaftig sogar schon in der Jungen Welt los. Da streiten sie sich auch schon über diese Sache im Iran. Sollte denn der Mossad seine Leute sogar in Deinem Leib- und Magenblatt platzieren? Andererseits, gib’s zu: In irgendeiner abgeschirmten Ecke Deines Herzens hattest Du schon immer ein blödes Gefühl, wenn der geniale Führer der Sozialistischen Einheitspartei in Caracas mal wieder so schamlos dem Holocaust-Leugner von Teheran in den Armen lag. Könnten die das nicht ein wenig unauffälliger machen?

Na, merkst Du schon, wie der imperialistische Agent in Dir zu rumoren beginnt? Verdammt, die CIA ist wirklich überall. Dabei war Dir doch bis jetzt alles so klar in Deiner Welt. Betrüger, Strippenzieher, Heuschrecken und Kriegstreiber beherrschten sie und Dich. Ob sie die Völker knechteten – ganz besonders das palästinensische natürlich – oder ob sie Dir die Arbeit wegnahmen und die Sozialhilfe kürzten, allein ihre Profitgier war an allem schuld. Und wie gut Deine Welt doch erst eingerichtet gewesen wäre, hätten deinesgleichen nur endlich ans Ruder gedurft.

Ich fürchte, mein Guter, Du wirst Dich irgendwann auch noch mit Kapitalismus befassen müssen. Das ist die Produktionsweise, die zwar Riesenprobleme schafft, aber wenigstens keine personale Herrschaft mehr braucht, keinen Wächterrat und keine Sittenpolizei, die aufpasst, dass der Schleier richtig sitzt, keinen lebenslänglichen Caudillo oder ähnliches. Aber dazu will ich Dir ein andermal schreiben. Für heute will ich Dir nur noch das sagen: Die gute Linke, die automatisch auf der richtigen Seite steht, weil sie schließlich allen andern haushoch moralisch überlegen ist – die gibt es nicht. Was sich seit geraumer Zeit herausbildet, riecht nach etwas anderem. Nach einer kackbraun-blutrot-giftgrünen Einheitsfront aus Nazis, Antiimps und Islamisten nämlich, die ihr kollektivistisches Ressentiment unter der Fahne des Kampfes gegen Spekulanten, USA und Israel ausagiert. Möchtest Du dazugehören? Einige deiner Freunde wollen das.

Kann man denen natürlich nachmachen. Muss man aber nicht. Denn da gibt es erfreulicherweise noch etwas anderes. Eine emanzipatorische Strömung nämlich, deren Markenzeichen die Kritik an fetischistischer Vergesellschaftung ist (das sind Zustände, ihn denen sich die Menschen von ihren eigenen Hirngespinsten beherrschen lassen, verstehst Du?). Sie hat keine Fahne, aber wenn sie eine hätte, wäre es die der freien As­soziation der Individuen. Auch entsteht sie auf verschlungenen Pfaden und unter Geburtswehen, bringt mitunter – wie jede Befreiungsbewegung – sogar Karikaturen ihrer selbst hervor und ist sich über ihre Konturen oft selbst noch nicht im Klaren. Aber schau, Du singst doch ab und zu das hier (oder brummst es wenigstens mit): »Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern, er will unter sich keinen Sklaven sehn und über sich keinen Herrn.« Glaub mir, wenn Du es damit wirklich ernst meinst, wirst Du Dich früher oder später dieser Strömung zurechnen. Tja, mein lieber Noch-Antiimp, auch Du wirst Dich entscheiden müssen. Wie sagte doch einst Dein Lenin: »Ein Mittelding gibt es hier nicht.«

Jungle World Nr. 37, 10. September 2009

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