Jobs, Jobs, Jobs

Die belanglosen Slogans der Parteien ­offenbaren vor allem eins: grenzenlosen Konformismus

von Roger Behrens

Es steht seit einer Woche direkt vor unserem Haus und verstellt die Aussicht aus dem Küchenfenster: Das Wahlplakat von Bündnis 90/Die Grünen. »Jobs, Jobs, Jobs« ist darauf zu lesen. Das ist allemal keine Forderung, sondern eine Drohung. Sie ist ernst gemeint, aber freundlich: darauf verweisen die fröhlichen Icons, durch die bei den drei »Jobs« jeweils das »O« ersetzt wurde: eine gelbe Sonne, ein roter Bauschutzhelm, ein kleines blaues Windkraftwerk. Beige Schrift auf hell- bis dunkelgrünem Hintergrund. So sieht es also aus, wenn die Grünen von Kapitalismus reden.

Auf den ersten Blick bleibt der Themenwechsel von der Ökologie zur Ökonomie politisch völlig unauffällig, denn vielmehr überrascht die grafische Einfallslosigkeit, mit der hier billige Durchhalteparolen propagiert werden. Hier gibt es kein Dahinter, keine versteckte Botschaft, kein ideologisch überhöhtes Versprechen, das als Lüge enttarnt werden könnte. Politische Inhalte werden hier nicht, wie es eigentlich die Psychologie der Public Relations seit Edward Bernays lehrt, in klug-ästhetische, einfühlsam-manipulative Formen verpackt, sondern formlos-unmittelbar präsentiert. Die Kampagne der Grünen ist keine Ausnahme, ganz im Gegenteil: Die Plakate der anderen deutschen Volksparteien operieren nicht anders, unterscheiden sich nur in den parteitypischen Farbhintergründen, auf denen Slogans in Großbuchstaben gedruckt sind, die sich in ihrer Sinnlosigkeit von den Sprüchen der Titanic-Partei oder der Horst-Schlämmer-Partei kaum unterscheiden. Besonders schön, nicht nur für den philosophisch interessierten Demokraten: »Wirtschaft mit Vernunft« von der CDU.

Trotz ihrer Dämlichkeit und Belanglosigkeit erfährt man durch solche Kampagnen etwas über den Stand des kollektiven Bewusstseins, über den konformistischen Charakter und seine bedingungslose Bereitschaft mitzumachen. Von daher ist bemerkenswert, dass die Grünen sich »Jobs, Jobs, Jobs« zur Parole haben machen lassen: Das ursprüngliche Umweltprogramm ist längst nicht mehr an gesellschaftliche Alternativen geknüpft und wird von jeder anderen Partei ebenso vertreten. Mit dem Elan, mit dem sich die Grünen hier auf das realpolitische Feld »Wirtschaft« stürzen, ist jede Forderung nach Verbesserung der Lebensqualität verschwunden. Früher wollten die Grünen die Wähler dort abholen, wo es Widerspruch gab, Unzufriedenheit, Bereitschaft zur Veränderung. Heute werden die Wähler dort abgeholt, wo sie sich selbst am wohlsten fühlen: in der beharrlichen Fiktion der deutschen Normalgesellschaft, die vor noch nicht langer Zeit als »Neue Mitte« deklariert wurde.

War der einst von der SPD ausgegebene Befehl »Arbeit, Arbeit, Arbeit« noch Schlachtruf im Kommando-Ton gegen Faulheit und Schlendrian, Sozialschmarotzer und Eigensinn, so wirkt dagegen »Jobs, Jobs, Jobs« sanfter, unverbindlicher: Heute betreibt man Gelegenheitspolitik und wirbt mit Gelegenheitsarbeit. Viel zu tun gibt es nicht, aber jeder und jede soll beschäftigt sein – oder zumindest so tun, als ob. Auch dazu passen Sonne, Bauhelm und Windrad: Kapitalismus auf Playmobil-Niveau. Im Prinzip könnte da auch stehen: »Spielen, Spielen, Spielen«.

»Arbeit, Arbeit, Arbeit« war noch eingerahmt in die sozialdemokratische Liebeserklärung an den autoritären Staat: »Law and Order is a Labour Issue« hieß es damals. »Jobs, Jobs, Jobs« ist hingegen für Menschen, die glauben, Gesellschaft und Staat längst hinter sich gelassen zu haben, weil sie sich restlos mit Gesellschaft und Staat identifizieren; für Wähler, die Politik irgendwie albern finden, aber sich immer noch für kritisch halten – und die deshalb auch am ehesten eine Partei wählen würden, die aus Nein-Sagern besteht, die immer nur »Ja« sagen. Insofern ist »Jobs, Jobs, Jobs« nicht nur die postfordistische Antwort auf das fordistische »Arbeit, Arbeit, Arbeit«, sondern auch die postmoderne Verballhornung des libertären Rechts auf Faulheit. Anders gesagt: Das Gegenteil von Arbeit ist Nichtstun – das Gegenteil von Job ist ein anderer Job.

Doch der Unterschied zwischen »Jobs, Jobs, Jobs« und »Arbeit, Arbeit, Arbeit« ist ein ideologisch leicht durchschaubarer und deshalb eigentlich keiner. Damit scheint man auch bei dieser Kampagne zu rechnen, denn längst haben die adressierten Jobber mit großer Furore postuliert: »Wir nennen es Arbeit«. Und tatsächlich bedeutet das Wort »Job« ja erst einmal nichts anderes als Gelegenheitsarbeit; genauer, etymologisch, stammt der »job« vom »job of work«, also von »ein Stück Arbeit«, wobei sich »job« vom französischen »gobet« (Bissen) herleitet.

Das Wort »job« taucht im neunzehnten Jahrhundert auf und ist mit der Entwicklung des modernen Kapitalismus eng verbunden. Doch bemerkenswert ist, dass sich das Wort nicht über die Industriearbeit etabliert, in der ja für das Proletariat zunächst jedes Lohnverhältnis Gelegenheitsarbeit ist, sondern über das Börsenwesen. Umgangssprachlich ist ein »Jobber« anfangs ein Spekulant, jemand, der skrupellose Geschäfte macht. Die etwas differenziertere Definition findet sich in den großen Konversationslexika Ende des neunzehnten Jahrhunderts: »Auf der Londoner Effektenbörse nennt man Jobber die Personen, welche für eigene Rechnung kaufen und verkaufen, im Gegensatz zu den Brokers, die für ihren Auftraggeber Geschäfte machen«, heißt es im Brockhaus von 1894. Und im Meyers von 1885 lässt sich zusätzlich zur obigen Definition nachlesen: »In Deutschland wird der Ausdruck Jobber nur im schlechten, verächtlichen Sinn zur Bezeichnung eines waghalsigen Börsenspielers im Gegensatz zum soliden Geschäftsmann gebraucht.« Bei Engels findet sich noch die Variante »Jobbery«, mit der er »die Benutzung eines öffentlichen Amts zu Privatvorteilen für den Beamten oder seine Familie« meint.

In die eigene Tasche zu wirtschaften, wird aber spätestens mit Entfaltung der kapitalistischen Leistungsgesellschaft zum allgemeinen Charakter des homo oeconomicus und fällt zusammen mit der Ideologie, dass Konkurrenz ein »fair play« zu sein habe. Es dürfte demnach nicht von ungefähr kommen, dass das Wort »job« in den Vereinigten Staaten des New Deal sich endgültig mit positiver Konnotation etabliert. Die Verwandlung von Lohn­arbeit in Jobs gehört zur sukzessiven Ausweitung der Produktionsverhältnisse in das allgemeine gesellschaftliche Leben. Wesentlich ist dabei die Entqualifizierung der Arbeit; für den »good job« braucht man keine Ausbildung, sondern höchstens »skills«.

Bei der Arbeit im emphatischen Sinne ging es noch um den vermeintlichen Wert des Produkts, um Handwerk und Sorgfalt. Der Job hingegen ist das Bekenntnis zur Tätigkeit als bloßes Geldverdienen. Der von Max Weber beschriebene »Berufsmensch« wird im zwanzigsten Jahrhundert zum »Jobmenschen«. Der Jobber ist dem Glauben verfallen, den Kapitalismus für eigene Interessen nutzen zu können; hier realisiert sich die Irrationalität der ökonomischen Vernunft, im egoistischen Handeln der Gesellschaft dienen zu wollen. Genau darin begründet sich aber auch die Illusion der Unabhängigkeit, die bis in die Alternativökonomie und Kreativwirtschaft dem Ideal des Jobbens anhängt und im Postfordismus nachgerade zum Programm der individuellen Selbstverwirklichung wird.

Dass Die Grünen »Jobs, Jobs, Jobs« im Rahmen ihres Hauptslogans »Aus der Krise hilft nur Grün« propagieren, ist insofern zynisch: Dass beim gegenwärtigen Stand der Krise nur noch Jobs übrig bleiben, bezeichnet nicht die Lösung des Problems, sondern fordert die Bereitschaft, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse einfach mit einer anderen Einstellung zu ihnen auszuhalten, sozusagen der Krise eine andere Farbe zu geben. Und dieser neue Anstrich des Kapitalismus wäre dann – der neue Job.

aus: Jungle World 37, 10. September 2009

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