Feindbild Postmoderne

Zur diskursiven Konstruktion eines Popanzes

von Stefan Broniowski

"Der Begriff der Postmoderne ist einer der heikelsten, den es gibt: nicht nur weil verschiedene Autoren ihn auf verschiedene Weise verwenden, sondern auch, weil viele, die als postmodern definiert werden, darüber gekränkt sind (nicht alle, einige freut es auch). Wenn wir dann andere Reaktionen interpretieren, möchten wir sagen, daß die vielen Menschen, die über die Postmoderne — ein Phänomen, das offenkundig nicht existiert — reden, allein deshalb ein unangenehmes Beispiel für die Postmoderne sind. " (Eco 1999)

Eines gleich vorweg: Es gibt sie nicht, die sogenannte Postmoderne. Jedenfalls nicht so, wie ihre Gegnerinnen und Gegner sie gerne hätten, nämlich als mehr oder minder einheitliches Phänomen.

Daß die Gesamtheit gegenwärtiger ästhetischer, ökonomischer, sozialer, politischer, kulturwissenschaftlicher und philosophischer Zustände sinnvollerweise als "Postmoderne" zu beschreiben ist, kann doppelt bezweifelt werden: Zum einen tut die Ausrufung einer "Signatur des Zeitgeistes" der Vielfalt und Widersprüchlichkeit dessen, was vorgefunden werden kann Gewalt an, weshalb jede Gegenwartsdeutung, die sich nicht als selbstironisch, provisorisch, fragmentarisch versteht, in Gefahr gerät, zum ideologischen Rückzugsgefecht zu werden. Zum anderen ist völlig unbewiesen, daß, wenn man schon unbedingt ein Etikett benötigt, ausgerechnet "Postmoderne" das richtige sei.

Die AntipostmodernistInnen unterstellen dem Objekt ihrer Verächtlichmachung aber nicht nur, daß es existiere und eine von ihnen durchschaute Kohärenz besitze, sie behaupten auch noch, es gebe Vertreterinnen und Vertreter dessen, was als unvertretbar sie im Gegenzug erweisen wollen. Nun ist es zwar in Wahrheit gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der oder die sich selbst oder das eigene Werk als "postmodern" bezeichnet, doch das stört die AntipostmodernistInnen wenig.

Es ficht sie auch nicht an, daß einerseits die philosophische Debatte um die "Postmoderne" — ausgelöst unter anderem 1979 von Lyotards Schrift "La condition postmoderne" ("Das postmoderne Wissen", Wien 1982) — eine Angelegenheit der achtziger Jahre war, die ihren Höhepunkt Anfang der neunziger längst überschritten hatte (vgl. Welsch), während andererseits die literaturwissenschaftliche und architekturtheoretische Begriffsverwendung bereits auf die fünfziger und sechziger Jahre zurückgeht — beides Gründe, die es wenig glaubwürdig machen, den vermeintlichen "Postmodernismus" als gegenwärtig grassierende Mode zu deuten, der es beherzt entgegenzutreten gilt.

Wenn es aber gar keine "Postmoderne" gibt, weil dem vermeintlichen Phänomen sowohl die Einheitlichkeit und Kohärenz als auch das Personal und sogar die Relevanz der Aktualität abgehen, warum ist es dann so beliebt, auf "Postmoderne" zu schimpfen, warum erscheinen immer wieder Bücher und Zeitungsartikel gegen sie, warum gehört es in gewissen Kreisen zum guten Ton, alles, was man verächtlich findet, nebenhin als "postmodern" abzuqualifizieren? Die Frage stellt sich um so nachdrücklicher, weil der leichte Sieg, der über eine inexistente Gegnerin errungen werden kann, manche AntipostmodernistInnen dazu verführt, ihre jeweils eigene diskursive Position für gerechtfertigt zu halten.

Es wird im folgenden ausdrücklich nicht darum gehen, die "Postmoderne" zu verteidigen — eben weil nicht klar ist, was da verteidigt werden sollte. Vielmehr soll zunächst den Strategien nachgeforscht werden, mit denen in der antipostmodernen Polemik der Popanz "Postmoderne" überhaupt erst konstruiert wird, um im Anschluß daran darüber zu spekulieren, welche Interessen sich mit dieser geisterhaften Polemik überhaupt verbinden. Wie es sich trifft, hören die Strategien zur Erzeugung eines Diskursgegenstandes "Postmoderne" auf dieselben Namen wie die gegen dieses Phantom gerichteten Hauptvorwürfe: Beliebigkeit, Geschichtsvergessenheit, Unpolitischsein.

Per aspera ad absurdum

Manch einer hört "Post" und versteht nur Bahnhof. Das hat nun einerseits damit zu tun, daß es so schrecklich viele Post-Wörter gibt (Postmoderne, Poststrukturalismus, Postfeminismus, Posthistoire, postindustriell usf. ), die zu verwechseln diejenigen, die es gern vermeiden, die einschlägige Literatur zu lesen, sich angelegen sein lassen. (Vgl. dagegen Welsch 1997. )

Andererseits gibt es eben geradezu eine Strategie der Beliebigkeit, die von denen, die so gerne Postmodernes "kritisieren" möchten, mit Vorliebe angewandt wird und darin besteht, alles und jedes als "postmodern" zu bezeichnen. Eine entsprechende Blütenlese könnte Band um Band füllen, hier aus Platzmangel nur einige wenige Beispiele:

Der eine nimmt Österreichs Rechtspopulisten als "Ausdruck postmoderner Zersetzung der marktwirtschaftlichen Demokratie" (Schandl) und will gar eine "spezifisch postmoderne Inszenierung Haiderscher Politik" (ebd. ) wahrgenommen haben. Ein anderer wittert hinter "Sarkasmus und Distanz" mancher Kulturschaffender einen "postmodernen Überlegenheitshabitus" (Mende). Die eine will im "Lumibären" (einer Art Lampe) unbedingt die "postmoderne Plastikversion des guten alten Plüschteddys" (Schmidt 1998) wiedererkennen. Eine andere ringt mit dem "Problem des postmodernen Parasitentums" (Killert), wenn ein Romanautor ihr zuwenig "erzählt". Der eine beobachtet am unlängst überarbeiteten Logo des Österreichischen Gewerkschaftsbundes: "die Ö-Punkte ersetzt ein postmoderner Schwung" (Bachner). Ein anderer beklagt die "postmoderne Lust an der Unklarheit", das "Einerlei postmoderner Desinteressiertheit" und die "postmoderne Irrationalität" (Mahnkopf). Der eine weiß über den Hollywood-Schinken "Titanic": "Er ist der Erfolgsfilm in der Periode der Postmoderne. " (Rother) Ein anderer merkt zur Zeichentrick-Fernsehserie "Die Simpsons" an, es handle sich dabei um "das kompletteste postmoderne Kunstwerk", nämlich das "einzige, das formulierte, was die Postmoderne für alle bedeutete und noch bedeutet" (Diedrichsen). Der eine erklärt kurz und bündig: "Blair ist ein sehr postmodernes Phänomen: ohne Erinnerung, ohne Geschichtsbewußtsein, pragmatisch bis zum Opportunismus. " (Eagleton 1998). Ein anderer gibt sich kryptisch: "In der Postmoderne ist die Liebe zu Gott der Vorwand für die Anbetung des Teufels. " (Bond)

Ob also nun Haider, Blair oder der Lumibär, ob ÖGB-Logo, Titanic oder die Simpsons, ob Überlegenheitshabitus oder Parasitentum, ob Unklarheit, Desinteressiertheit, Irrationalität oder Teufelsanbetung — all das und noch viel mehr ist, wenn man nur will, postmodern.

Gegen diese totale Beliebigkeit, mit der nicht nur verschiedene Autorinnen und Autoren, sondern, wie gezeigt werden könnte, oft auch ein und derselbe "Kritiker" ein und dasselbe Etikett für Dinge, Ereignisse, Situationen und Personen vorsieht, deren Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit schlicht ignoriert wird, gibt es keine Gegenwehr: So verwendet, führt sich der Begriff "Postmoderne" ohnehin selbst ad absurdum.

Beliebte Beliebigkeit

Die Strategie der Beliebigkeit kann übrigens auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, daß man vorgibt, das zu begreifende Phänomen sei eben selbst widersprüchlich und heterogen. Ein Begriff erfordert traditionell eine klare und deutliche Definition. Ansonsten arbeitet man eben bloß mit einem Bild, das dann mehr oder weniger treffend, mehr oder weniger einsichtig sein kann: "Postmoderne bedeutet für viele Leute verschiedene Dinge. (…) Postmoderne bedeutet ein Leben, das verdächtig nach einer Fernsehserie aussieht, und ein Dokumentar-Drama, das sich nicht bemüht, das Ausgedachte von dem zu trennen, was ‚wirklich geschah‘. Postmoderne ist ein Freibrief zu tun, wozu man Lust hat, und eine Empfehlung, nichts von dem, was man selbst tut oder was andere tun, allzu ernst zu nehmen. (…) Sie ist die Aufmerksamkeit, die gleichzeitig in alle Richtungen gelenkt wird (…). Sie ist ein Einkaufszentrum, vollgestopft mit Waren, (…) und eine Existenz, die einer lebenslangen Gefangenschaft im Einkaufszentrum gleicht. Postmoderne ist die erregende Freiheit, jedes beliebige Ziel zu verfolgen und die verwirrende Unsicherheit darüber, welche Ziele es wert sind, verfolgt zu werden und in wessen Namen man sie verfolgen sollte. " (Bauman, S. 5) — Man ahnt, was Bauman meint, aber der Soziologe wird wohl nicht für sich beanspruchen, die eben zitierten Bilder seien eine wissenschaftliche Begriffsbestimmung.

Um sich gegen jede Kritik an der begrifflichen Unzulänglichkeit des Ausdrucks "Postmoderne" zu immunisieren, nehmen die Strategen der Beliebigkeit auch gern Zuflucht bei der (dialektischen) Einheit in der Vielfalt: "Mein Problem ist (…) in der Differenz die übergreifende Identität darzustellen (…). " (Kurz, S. 8) Ein echtes Problem: "Natürlich ist mir klar, daß zum Beispiel postmoderne Erkenntniskritik und Theorien der Popkultur oder ein technologischer Medienoptimismus nicht unmittelbar identisch sind. Jean Baudrillard ist nicht Jacques Derrida, Norbert Bolz ist nicht Diedrich Diedrichsen, Richard Herzinger ist nicht Ulrich Beck und Die Beute ist nicht einmal Spex. Trotzdem gibt es den postmodernen Gesamtkomplex als distinktes Phänomen. " (ebd. ). Wie der trotzige letzte Satz verrät, besteht die Problemlösung im Voluntarismus, im bloßen Ausstreuen von unüberprüfbaren Behauptungen: "Zwar ist der Begriff der Postmoderne ein schillernder, oberflächlicher und bloß modischer; aber gleichzeitig handelt es sich auch um einen wirklichen Epochenbegriff. (…) Von der Philosophie und Erkenntniskritik über die Medientheorie bis zur Architektur, Pop- und Alltagskultur reicht das Spektrum der postmodernen Ausdrucksformen, die allesamt vor dem ökonomischen Hintergrund des globalen Kasinokapitalismus erscheinen, wie er aus der strukturellen Überakkumulation des Kapitals herausgewachsen ist. " (Kurz S. 13)

Vermutlich gebildete Meinungen

Weil Postmodernes immer das ist, was man davon behauptet, ist es auch relativ gleichgültig, wo man es zu fassen bekommt. Ob man ökonomische Veränderungen, eine besondere historische Situation, ein bestimmtes Lebensgefühl oder bestimmte Formen zeitgenössischer Theoriebildung in den Blick nimmt — irgendwie hängt halt alles zusammen, nicht wahr? —, was auch immer man herausgefunden zu haben meint, es stellt sich wundersamerweise ohnehin heraus, daß es als "postmodern" angemessen benannt ist.

Während also der eine Antipostmodernist vorsichtshalber jede "Kritik der postmodernen Philosophien" (Kurz, S. 7) ausklammert, will ein anderer gerade diese in Angriff nehmen — und entdeckt erst recht, "daß die Postmoderne ein so offener Begriff ist, daß sich jede Aussage über einen ihrer Aspekte fast zwangsläufig als unzutreffend in bezug auf einen anderen Aspekt erweist. Aus diesem Grund mögen einige der Ansichten, die ich der Theorie der Postmoderne zuschreibe, im Werk eines bestimmten Theoretikers modifiziert oder verworfen werden; dennoch stellen sie eine Art Allgemeingut dar (…). " (Eagleton 1997, S. IX) Erstaunlicherweise spricht es also für einen überzeugten Antipostmodernisten nicht gegen seine eigene Kritik, daß sie "unzutreffend" ist.

Mag derartiges Herumgetrickse noch als "Dialektik" gedacht sein, völlig unglaubwürdig macht sich der "Kritiker", wenn er sich weigert, die "Kritisierten" beim Namen zu nennen: "Ebenso werden einzelne Theoretiker nicht eingehend diskutiert, was manche verwundern mag. Aber mein Hauptinteresse gilt weniger den ‚gelehrten‘ Formulierungen postmoderner Philosophie als der Kultur, dem Milieu oder gar dem Gefühl für die Postmoderne als Ganzem. Ich denke weniger an die hochtheoretischen Aspekte dieses Themas als an die Meinungen, die sich viele vermutlich bilden, die sich heutzutage mit diesem Thema befassen (…). " (Eagleton 1997, S. VIII)

Vermutete Meinungen anstelle zitierbarer Quellen, ignorierte Einwände anstelle erklärter Widersprüche und willkürliche Bebilderung anstelle begrifflicher Arbeit: Mittels dieser Strategie der Beliebigkeit kann alles und jedes "bewiesen" werden, also auch die Existenz, Kohärenz und Verwerflichkeit der Postmoderne.

Geschichte? Vergessen!

Ein Charakteristikum, das kein Antipostmodernist bei der diskursiven Konstruktion seiner Lieblingsfeindin unerwähnt lassen darf, ist deren bedenkliches Verhältnis zur Geschichte: Die Postmoderne ist bestenfalls geschichtsvergessen, wahrscheinlich aber sogar antihistorisch.

Zum Teil stützt sich diese Ansicht selbstverständlich auf die Verwechslung von "Postmoderne" und "Posthistoire" (vgl. Conrad/Kessel, insbes. die Einleitung "Geschichte ohne Zentrum", S. 9 ff. ). Aber nur wer beide nicht gelesen hat, wird beispielsweise Francis Fukuyama und Michel Foucault in einen Topf werfen.

Im übrigen ist die Annahme, die "Postmoderne" verkünde das "Ende der Geschichte", dann völlig korrekt, wenn man beides, Postmoderne und Geschichte, jeweils so interpretiert, wie es einem gerade in den Kram paßt. So kann ein und derselbe Autor in ein und demselben Buch an einer Stelle nach dem üblichen Muster klagen, der üble Zustand der Welt sei "der postmodernen Geschichtsvergessenheit geschuldet" (Eagleton 1997, S. 30), um zehn Seiten später zu verkünden: "Was das postmoderne Denken ablehnt, ist nicht die Geschichte, sondern die eine Geschichte, die Vorstellung nämlich, daß es ein Wesen namens Geschichte gibt, das einen immanenten Sinn und Zweck hat, der sich insgeheim um uns herum (…) entfaltet. " (ebd. , S. 40)

Selbst dem bekennenden Gegner scheint also zwischenzeitlich aufgegangen zu sein, daß die sogenannte Postmoderne nicht das Ende der Geschichte, sondern — eigentlich recht aufklärerisch — einen Verlust an Glaubwürdigkeit der "großen Erzählungen" (Lyotard) behauptet: "Eine Richtung postmodernen Denkens betrachtet Geschichte als eine ständiger Veränderung unterworfene Angelegenheit, von aufregender Vielfalt und mit offenem Ende, als Komplex von Verbindungen und Diskontinuitäten, die nur gewaltsam in die Einheit einer einzigen Erzählung gezwungen werden könnten. " (ebd. , S. 61)

Wenn das richtig ist, dann kann "Postmoderne" gerade nicht "geschichtsvergessen", sondern sie müßte geradezu "geschichtsversessen" sein. Wieso nämlich ausgerechnet das Historisieren des Historischen, die Frage nach der Geschichtlichkeit der Weisen, Geschichte zu verstehen (und zu "schreiben") eine "Ablehnung der Geschichte" (Schmidt 1986, S. 19) darstellen soll, bleibt wohl auf ewig ein Geheimnis der Antipostmodernisten.

Die zur Konstruktion des Phantoms "Postmoderne" eingesetzte Strategie der Geschichtsvergessenheit funktioniert eben nur, indem sie ihre eigene Geschichte vergißt. Dazu gehört, daß man immer wieder von neuem ignoriert, daß mittlerweile die "Postmoderne-Debatte" selbst historisch geworden ist, daß also bereits Argumente und Gegenargumente gewechselt wurden und sich so das eine oder andere Gerede erübrigen sollte. Man könnte in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, daß schon vor mehr als drei Jahrzehnten Sartre an Foucault eine "Ablehnung der Geschichte" diagnostizieren zu müssen meinte: "Hinter der Geschichte wird natürlich der Marxismus ins Visier genommen. Es geht darum, eine neue Ideologie zu schaffen, den letzten Damm, den die Bourgeoisie noch gegen Marx errichten kann. " Und man könnte weiters an Foucaults Bemerkung erinnern: "Arme Bourgeoisie, wenn sie nur mich als Damm hätte, hätte sie ihre Macht längst verloren. "

Politisches Analphabetentum

Eng mit der Strategie der Geschichtsvergessenheit verbunden ist jene Strategie, die darin besteht, gegen die sogenannte Postmoderne den Vorwurf zu erheben, sie sei unpolitisch. Und unpolitisch ist dabei nur ein anderes Wort für reaktionär: "Das politische Analphabetentum und die historische Vergeßlichkeit im Gefolge der Postmoderne sind mit ihrem Kult der auffälligen theoretischen Moden und ihrem unmittelbaren intellektuellen Gebrauchswert sicherlich ein Grund zur Freude im Weißen Haus (…). " (Eagleton 1997, S. 32)

Belegt zu werden braucht das selbstverständlich genauso wenig wie jeder andere Vorwurf gegen die "Postmoderne". Man weiß das einfach. Wer Sätze wie "Es gibt Geschäftsleute, die genauestens über Dekonstruktion informiert sind" (Eagleton, S. 176) nicht als Glaubensartikel hinnimmt, der ist wohl auch nicht würdig, sie erklärt zu bekommen. Denn wenn auch nicht alle Antipostmodernisten es so offen einbekennen würden, insgeheim halten sie ihre Gegnerschaft zum Postmodernismus für eine Berufung: "Diese Kritik verlangt selbstverständlich ein entsprechendes höheres Bewußtsein (…). " (Kurz, S. 12)

Dagegen gibt es kein Argument. Aber die Kritik der Postmoderne-"Kritik" kann sich das Vergnügen bereiten, wiederum gerade denselben Autor, der der sogenannten Postmoderne und ihren angeblichen VertreterInnen "politisches Analphabetentum" anzudichten versuchte und die Ansicht zum besten gab, die ach so unpolitische "Postmoderne" sei "die passende Theorie für diejenigen, die zu jung waren, um sich an eine radikale massenorientierte Politik zu erinnern, und die statt dessen die niederdrückende Erfahrung repressiver Mehrheiten machen mußten (…)" (Eagleton 1997, S, 4), mit einer ausführlichen Gegendarstellung zu zitieren:

"[Die Postmoderne] repräsentiert (…) nicht nur Fragen von welthistorischer Bedeutung, sondern hat auch bewirkt, daß Millionen von Menschen, die sowohl von der traditionellen Linken als auch vom System selbst aufgegeben und abgeschoben wurden, nun ins Zentrum des theoretischen Interesses rücken. Die Ansprüche dieser Männer und Frauen stellen nicht nur einen neuen Komplex politischer Forderungen dar, sondern auch eine einfallsreiche Veränderung des Konzepts von Politik an sich. Wenn die Entrechteten wirklich an die Macht gekommen sind, werden wir das daran erkennen, daß das Wort ‚Macht‘ nicht mehr das bedeutet, was es bisher bedeutete. Der Paradigmenwechsel, der sich dementsprechend vollzogen hat — eine handfeste Revolution in unserer Auffassung der Beziehungen zwischen Macht, Begehren, Identität und politischer Praxis —, bedeutet eine unermeßliche Intensivierung der dürftigen, anämischen und verkniffenen Politik einer früheren Ära. Ein Sozialismus, der sich angesichts dieser reichen, ausdrucksstarken Kultur nicht verändert, wird sicherlich von vornherein chancenlos sein. Alle seine gehegten und gehüteten Konzepte — Klasse, Ideologie, Geschichte, Totalität oder materielle Produktion — müssen wieder gründlich durchdacht werden, ebenso wie die philosophische Anthropologie, auf der sie beruhen. Daß das klassische linke Denken mit einigen der dominanten Kategorien, die es bekämpft, übereinstimmt, ist leider allzu klar geworden. Die postmoderne Theorie in ihrer militantesten Erscheinungsform hat sich dagegen für die Erniedrigten und Ausgestoßenen eingesetzt und auf diese Weise die selbstherrliche Identität des Systems bis auf die Grundfesten erschüttert. " (Eagleton 1997, S. 32 f. )

Wenn das unpolitisch ist, was ist dann noch politisch?

Ein Unbehagen namens "Postmoderne"

Das bisher Gesagte lief darauf hinaus, den Anspruch der Gegner der sogenannten Postmoderne in Frage zu stellen, diese würden ihre Polemiken gegen ein tatsächlich existierendes, kohärentes und relevantes Phänomen richten. Gerade aber, wenn es die "Postmoderne" nicht gibt, stellt sich um so drängender die Frage, was es ist, das ihre Widersacher zu immer neuen Denunziationen antreibt.

Selbstverständlich kann hier keine umfassende, abschließende und allgemeingültige Antwort gegeben werden. Nur für jeden einzelnen Antipostmodernisten und seine Texte ließe sich gegebenenfalls nachweisen, wozu er sich einen Popanz bastelt, um hernach nach Herzenslust auf ihn einzuprügeln. Dennoch lassen sich hier in aller gebotenen Verkürzung und Vereinfachung eine Reihe von Motiven benennen, die in der Polemik immer wieder durchscheinen und die die Gegnerschaft zur frei erfundenen Postmoderne nicht als bloß private Macke erscheinen lassen, sondern als Engagement in einer theoretischen Auseinandersetzung, in der es um die praktische Durchsetzung von Interessen geht.

Manches antipostmoderne Mißverständnis ist gewiß gewollt. Manches aber auch einfach dem Unvermögen geschuldet, sich selbst in Frage zu stellen. Und manches zeugt von dem Willen, sich einfach nicht in Frage stellen zu lassen.

Die simpelste Motivation dafür, sich eine "Postmoderne" zu basteln, die man dann verabscheuen kann, ist die des persönlichen Unbehagens. Auch ohne vulgärpsychologischen Erklärungsansatz wird man wohl sagen können, daß die Tiraden, die in der "Postmoderne" vor allem einen beklagenswerten Lebensstil — Stichwort: Hedonismus, Konsum, schrankenloser Individualismus — erkennen wollen, Neid eine Rolle spielt: "Die dem Jugendlichkeitswahn verfallenen Postmodernen repräsentieren so den sozialen Übergang innerhalb des postindustriellen Dienstleistungskapitalismus von der keynesianischen Produktionspädagogik und ihren diversen Toskana- und Aussteiger Dissidenzen zur neoliberalen ‚lebensästhetischen‘ Medienwelt. " (Kurz, S. 77) Wer, weil er als überlegener Theoretiker und geschichtsbewußter Politmensch die "gemeinsame negative Erfahrung der Leiden, Brüche, Krisen" (Kurz, S. 137) teilt, vermutlich ein freudlos-graues Leben führt, muß die eigene Verkniffenheit an den anderen als "sozial ignorante(n) und deshalb bürgerlich beschränkte(n)" Hedonismus (Kurz, S. 119) abarbeiten.

Und schwuppdiwupp fällt die "linke Kritik" mit dem konservativen Kulturlamento zusammen, das angesichts einer Jugend, die sich auf nichts mehr konzentriert, die dauernd fernsieht oder einkauft oder viel zu laute Musik hört, die immer nur Spaß und Sex und Drogen haben will, daß also angesichts postmodernen "anything goes" der Untergang des Abendlands (oder eben die finale Krise des Kapitalismus) bevorsteht. Des einen Freud, des andern Leid.

Selbstverständlich ist es nicht unzulässig, Lebensweisen zu kritisieren, aber dazu muß man sie erstens kennen und zweitens über sinnvolle Kriterien verfügen. Einfach alles, was man nicht versteht, was einem unbehaglich ist und was gerade stattfindet, als "postmodern" zu deklarieren genügt sicher nicht. Sonst gilt für den Antipostmodernismus, was er eigentlich seiner Lieblingsfeindin vorwerfen wollte. "Was sich da breit macht, ist ein theoretisierender Snobismus, der mit Begriffen der Kritik nur noch äußerlich kokettiert. " (Kurz, S. 15)

Randgruppenthemen und das wirkliche Leben

Wenn der Satz, was für eine Philosophie man wähle, hänge davon ab, was für ein Mensch man sei, je Gültigkeit besaß, dann gilt wohl auch umgekehrt, daß die jeweilige Theoriepraxis eine Lebensweise ist. Und während also die einen Antipostmodernisten noch vollends damit beschäftigt sind, den Niedergang der Menschheit an Loveparade und Internet abzulesen, schreiben die anderen das eigentliche Versagen der "Postmoderne" der Niedertracht der einschlägigen Theoretikerinnen und Theoretiker zu. Ja, ob zeitgenössisches Denken oder bloß Lebensweisen der Zeitgenossen, alles ein Brei, und "deshalb gehen postmoderne Philosopheme und technokratische Medienkompetenzlerei oder Design-Klempnerei so gut zusammen. " (Kurz, S. 84)

Man darf also kurzschließen was man gerade zur Hand hat. "Der Hintergrund dieser intellektuellen Entwicklung [im gegenwärtigen Kapitalismus, Anm. ] ist die Postmoderne. Die Postmoderne negiert die Vorstellung eines einheitlichen menschlichen ‚Ichs‘, sie lehnt lineare Zeitvorstellungen ab, sie ‚dekonstruiert‘, was ihr in die Finger gerät. Die Theoretiker der Postmoderne singen das Hohelied des Fragments — auf Kosten des Ganzen. Seit zwanzig Jahren beeinflußt dieses Denken nun schon das Lehrangebot an den Hochschulen: Die Studenten ergehen sich in endlosem Gerede von grenzüberschreitenden Diskursen, sie interessieren sich für jede Form von Randständigkeit, für jeden Nebenkriegsschauplatz, aber das wirkliche Leben gerät ihnen aus dem Blick. Ich halte die Postmoderne für eine ausgesprochen elitäre Veranstaltung. " (Sennett) Der Herr Professor, der hier phantasiert, verfährt ganz nach dem Motto: Elitär ist, was mich im Zweifelsfall kritisieren könnte. Und weil man von "Haupt- und Nebenwiderspruch nicht mehr reden mag, faselt man von "Randständigkeit" und "Nebenkriegsschauplatz", wo vom "wirklichen Leben" nichts mehr gewußt wird.

"Der moderne Kapitalismus kann jedenfalls hervorragend mit den Individualisierungstendenzen der sechziger Jahre und mit der kleinteiligen Ideologie der Postmoderne leben: Beide konzentrieren sich schließlich nicht darauf, ihn zu kritisieren, sondern auf eine mehr oder weniger diffuse ‚Revolutionierung‘ dessen, was man wohl als ‚Lifestyle‘ bezeichnet. " (Sennett) Na wunderbar, jetzt ist’s durchschaut. Nicht nur "anything goes", auch "small is beautiful" (wohl samt der Varianten "black is beautiful" und "pride to be gay") ist kapitalistische Ideologie. Wer würde es wagen, daran zu zweifeln, daß die Managementphilosophie "lean production" und Deleuzens/Guattaris Plädoyer für eine Kleine Literatur auf dasselbe hinauslaufen?

Kurzum: "Ich fürchte, die Postmoderne mit ihren Debatten über Randgruppen und -themen hat uns eine ganze Generation junger Kritiker gekostet. " (Sennett) Denn wer sich nicht mit dem beschäftigt, was der weiße, heterosexuelle, männliche Universitätslehrer für wichtig befindet, und wer es nicht auf eine Weise tut, die dessen Vorherrschaft bekräftigt, ist klarerweise zu vernünftiger Kritik gar nicht fähig.

Eine Weltverschwörung

Die "Postmoderne" im Namen der Hegemonie der weißen, heterosexuellen, wohlhabenden Männer anzugreifen, ist nun originellerweise nicht diesen Männern vorbehalten. Eine gewisse Mariam Lau, dem Vornamen zufolge vermutlich weiblichen Geschlechts, kann das auch. Zunächst verkündet sie: "Die Gender Studies sind wahrscheinlich das erfolgreichste Projekt der Postmoderne. " (Mariam Lau, S. 919) Sodann beklagt sie die "spröde Umständlichkeit der kanonischen Texte" (S. 919), die dort verhandelt würden, und "deren Studium den Leser mit einem Gefühl von Hoffnungslosigkeit, diffuser Bedrohung und etwas wie Reue nach empfundener Strafe zurückläßt" (S. 919). Kein Wunder also, daß "miese Stimmung in den Gender Studies" (S. 922) herrscht.

Woher Frau Lau — der ein paar Seiten weiter ein Herr Lau mit Erkenntnissen vom Schlage "Es ist nämlich offensichtlich, daß vor allem intellektuell ehrgeizige Frauen diesem pseudodialektischen Kitsch der Negativität anhängen (…)" (Jörg Lau, S. 949) assistiert — ihr Wissen über die Gender Studies bezieht, bleibt etwas rätselhaft. Vielleicht ist sie mal an einem Hörsaal vorbei gekommen. Hätte sie nämlich auch etwas gelesen, wäre ihr folgendes nicht passiert: "Mit seiner Darstellung der Körper und der Sexualität, die von den Diskursen hervorgebracht und zugerichtet werden, hat Foucault nebenbei sein Schweigen über die eigene Homosexualität geadelt. Unter der Hand wird der Homosexualität auch der Nimbus der Subversion zuteil, weil sie sich dem Wahn der zwanghaften Arterhaltung entgegenstemmt. " (Mariam Lau, S. 921) Richtig ist an diesen beiden Sätzen nichts. Bemerkenswert sind sie nur wegen der offen bekundeten Unkenntnis von Foucaults zahlreichen öffentlichen Äußerungen zur "eigenen" Homosexualität und wegen der unübersehbaren Homophobie, die sich in dem bekannten, hier bloß "geadelt" formulierten, Vorurteil ausdrückt, die Schwulen wollten immer etwas Besonderes sein.

Es kommt noch besser. "Wenn also das Verhältnis der Geschlechter durch die Gender Studies weder klarer noch irgendwie einfacher geworden ist, sondern im Gegenteil gänzlich obskur bis unheimlich, gräßlich geradezu! , und wenn auch der Literaturtheorie durch die Gender Studies höchstens ein paar gothic thrills und eine Menge ungenießbaren Quarks zuteil geworden sind, und wenn schließlich alle auch nur noch mehr oder weniger lustlos vor sich hin dekonstruieren — was sollte es dann? " (S. 926) Man sieht richtig vor sich, wie sich bei der Zumutung, etwas Neues über Geschlechterverhältnisse zu lernen, vor lauter Ekel bei der Autorin alles geradezu verkrampft. Und während sie noch krampft, durchzuckt sie schlagartig die Antwort auf die Was-sollte-es-dann-Frage, und sie erzählt eine Anekdote aus Berlin:

"Angekündigt war Judith Butler, Rhetorikprofessorin aus Berkley, bekennende Lesbe und Popstar-Säulenheilige der Gender Studies, und gekommen waren Hunderte meist junger Frauen, die um das Rednerpult kauerten, als seien sie in Lourdes und erwarteten nun, aus der Jungfrau milchige Tränen strömen zu sehen. Es gibt sogar ein Fanzine namens Judy! und ein Internetcafé, in dem man Butler über sexuelle Identität reden hören kann. (…) Endlich kam Butler zu dem Punkt, auf den die ganze Versammlung hingefiebert hatte: ‚Ich stelle diese Fragen in einer Zeit, in der die Familie in nahezu nostalgischer Weise verklärt wird, in der der Vatikan nicht nur gegen Homosexualität als einen Angriff nicht nur auf die Familie wettert, sondern auch als einem [sic! ] Angriff auf die Vorstellungen vom Menschen schlechthin, die nur in der Familie verwirklicht werden können. ‘ Es war, als hätte sie der Gemeinde in diesen sperrigen Worten die Sakramente erteilt. Plötzlich fiel es einem wie Schuppen von den Augen: Die Gender Studies sind die Philosophie einer sexuellen Präferenz. Sie sollen zeigen, daß es nicht nur okay ist, lesbisch zu sein, sondern geradezu ein Gebot der Aufrichtigkeit und des Antimilitarismus! " (S. 926)

Hurra, das ist die Lösung! Die Gender Studies — und also die ganze "Postmoderne" — ist nichts als eine große Selbstbefriedigungsaktion der Lesben (und Schwulen: Foucault)! Eine gigantische homosexuelle Verschwörung gegen die Heterosexuellen, wobei die "grauenhafte Vorstellung von der Politisierung des Privaten" geradewegs "bis zum Exzeß eines modellhaften Lebens getrieben" wird, "in dem noch Bettgeflüster zum Manifest wird" (S. 927). Wer tiefer blickt, erkennt, daß also nicht nur Gender Studies und "Postmoderne", sondern auch der Feminismus, ja alles Emanzipationsgeschwätz überhaupt ein Aufstand der Perversen gegen die Normalen ist. Der Abgrund einer posthegemonialen Utopie tut sich auf: "Eine stratifizierte, freudlos ineinander verkeilte Gesellschaft, in der diejenigen, die historisch einen Opferstatus für sich geltend machen können, denen gegenüberstehen, die das nicht können, weil sie weiß, heterosexuell, männlich und nicht ‚körperlich herausgefordert‘ sind. " (S. 928) — Nein, diese armen Weißen, Heteros und Männer, was wollen ihre "historischen" Opfer ihnen da nur antun!

Marxismus statt Spaßismus

Wer aber meint, das so eben ob seiner Skurrilität ausführlich dargestellte Beispiel des Postmoderne-Bashings sei der Gipfel der Verblödung, irrt. Zwar kann der Gehalt an Ressentiment — in diesem Fall homophober Natur — nicht überboten werden, doch immerhin hat die "freie Journalistin" (Klappentext) Lau noch etwas Richtiges beobachtet: Lesben und Schwule nützen "postmoderne" Theoriebildung für ihre Zwecke. Andere verzichten gleich auf jede Beobachtung, um darum nur um so hanebüchener zu "argumentieren". Sie mögen zwar das eine oder andere Schlagwort gehört haben, doch vom Aufschnappen zum Überschnappen ist es bei ihnen oft nur ein Schritt. Man möge auch nicht meinen, die Lausche Denunziation sei deswegen, weil sie, vorgebracht im Namen der Normalität und Hegemonie, als von rechts kommend bezeichnet werden kann, besonders dümmlich. Linke "Kritiker" der "Postmoderne" stehen nicht an, in dieselbe Kerbe zu hauen.

Nun ist ja grundsätzlich nichts so blöd, daß es nicht irgend jemand für marxistisch hält. Ein gewisser Ernst Richter beispielsweise verkündet zunächst: "Die Postmoderne reitet seit Jahren wüste Attacken gegen die Ideen des Fortschritts, der Erkenntnis und der Wahrheit — und damit insbesondere gegen den Marxismus. " (Richter) Woher er das weiß, verrät er, man kennt das inzwischen, nicht. Sodann beklagt Richter "haarsträubende Entstellungen" des wahren Glaubens durch die Postmoderne und macht sich lustig über die von dieser angeblich "aufgeregt vorgetragenen These, daß alle Erkenntnis irgendwie auch Konstruktion sei" — was natürlich ein alter Hut ist, steht ja schon (ganz unaufgeregt) bei Hegel, Marx, Engels und Lenin.

Somit geht, wie der Hobby-Denker Richter durchschaut, das Herumkritisieren der "Postmoderne an der Erkennbarkeit der Welt ins Leere". Läppisch auch, wie die "Postmodernen" völlig undialektisch das Besondere gegen das Allgemeine ausspielen. "Dabei bildet bereits dieses Ausgangsaxiom der Postmoderne, daß begrifflich-logische Verallgemeinerungen unzulässig seien, selbst eine ebensolche logisch verallgemeinernde Operation, womit sich die Basisannahme der Postmoderne selbst widerlegt. (…) Und selbst noch die allerorts hoch im Kurs stehende ‚Dekonstruktion‘ setzt ja bestimmte allgemeine methodologische Prinzipien voraus, soll sie nicht im ‚Spaßismus‘ enden. "

Daß solche grenzgenialen Widerlegungen in einer studentischen Zeitschrift abgedruckt werden, ist entweder völliger philosophischer Unbedarftheit der Redaktion zuzuschreiben — oder ihrem politischen Bewußtsein. Denn der eigentliche Knackpunkt, warum es mit der Postmoderne nichts sein kann ist doch der: "Die Leugnung gesellschaftlicher Gesetzmäßigkeiten bzw. deren rationale Erkennbarkeit bedeutet allerdings nichts anderes als die Zurücknahme jeglicher Gesellschaftswissenschaft, und damit jeder begründeten Alternative zum kapitalistischen System. "

Bravo, sehr gut argumentiert, Stalinpreis Erster Klasse. Wer nicht denkt wie wir — und wir sind schließlich Marxisten —, ist ein Agent des Klassenfeinds. Klare Sache. Damit ist "die postmoderne Diffamierung aller emanzipatorischen Konzepte und Bewegungen, denen es um das Ganze der Gesellschaft geht" endlich angefertigt.

Kontinuierliche Unterminierungen

Zugegebenermaßen sind die zuletzt gebrachten Beispiele delirierenden Antipostmodernismus (Lau, Richter) nicht die seriösesten. Doch was sie ob ihrer offenkundigen geistigen Schlichtheit ganz unverklausuliert ausplaudern, findet sich auch bei anderen. Da kommt es schon mal vor, daß einer sich Sorgen wegen der "Tatsache" macht, "daß der Westen von brillanten jungen männlichen Zombies überquillt, die alles über Foucault und wenig über Gefühl wissen" (Eagleton 1997, S. 31), ohne daß er bemerkt, daß er sich Schwulenfeindliches von der Seele schreibt — denn wer sonst sind die jungen Foucault-Kenner, denen er ganz klassisch Gefühlsarmut zuordnet, wenn nicht Studenten und Dozenten der Gay Studies?

Derselbe renommierte Hochschulprofessor und bekennende Sozialist verwirft auch die Kritik am Essentialismus: "Genau in dem Moment, da Frauen autonome Subjekte geworden sind (…) schickt sich die postmoderne Theorie an, die gesamte Kategorie zu dekonstruieren. " (Ders. , S. 57) Und ohne Konstruktivismus ist dann auch der Rassismus nur noch etwas, was die Nichtweißen betrifft, denn "niemand hat eine bestimmte Art der Hautpigmentierung, weil jemand anders eine andere hat, oder ist männlich, weil jemand anders weiblich ist, so wie einige Menschen lediglich deshalb arbeitslose Arbeiter sind, weil andere Grundbesitzer sind". (Ders. , S. 78) Überhaupt sind, man merkt es schon, Rassismus und Sexismus nur Ablenkungsmanöver. Es gilt zurückzukehren zu den harten Tatsachen des Lebens: "Klasse ist (…) eine durch und durch soziale Kategorie, was für die Existenz als Frau oder für eine Gruppe mit einer bestimmten Hautpigmentierung nicht zutrifft. Es geht also nicht darum, feminin oder Schwarzamerikaner zu sein; es ist eine Frage des Körpers und nicht so sehr der Kultur, der man angehört. Wer sich der traurigen Situation bewußt ist, in die uns der ‚Kulturalismus‘ gebracht hat, wird sicherlich so etwas offenbar Selbstverständliches sofort bestätigen. " (S. 77)

Daß die Offenbarkeit dieser angeblichen Selbstverständlichkeit damit zu tun haben könnte, daß er ein weißer Mann ist, kommt dem Autor nicht in den Sinn. So ist denn die wahrhaft "traurige Situation" die, daß er offensichtlich alles ignoriert, was von den "Postmodernen" je zu diesen Themen geschrieben wurde. Allerdings muß man zugute halten, daß er in lichten Momenten die Gründe seiner Abwehr selbst zu formulieren versteht:

"Themen wie ‚Geschlecht‘ und ‚Ethnizität‘ haben die Stellung des weißen, männlichen, westlichen Linken (…) kontinuierlich unterminiert (…)". (Ders. , S. 34) "[Die Postmoderne] hat eine Reihe unumstößlicher Sicherheiten ins Wanken gebracht, einige paranoide Totalitäten aufgesprengt, eifersüchtig gehütete Heiligtümer verunreinigt, repressive Normen gebeugt und einige ohnehin hinfällige Fundamente erschüttert. Folglich hat sie all diejenigen gründlich desorientiert, die sich ihrer Identität nur allzu bewußt waren (…). " (S. 36)

Auch wenn nicht behauptet werden soll, daß das, was diese Sätze skizzieren, die Postmoderne "ist", so kann doch immerhin aus gutem Grunde vermutet werden, daß damit angesprochen ist, wovor diejenigen, die sich eine "Postmoderne" erfinden, Angst haben: In Frage gestellt zu werden, die eigenen Positionen, die eigene Lebensweise radikal überdenken und daraufhin vielleicht sogar ändern zu müssen.

Es ist ein altes und weitverbreitetes Ritual, sich eine Puppe zu basteln, die alles, was einem unangenehm ist, verkörpert und an der man seine Aggressionen auslebt, um sie dann dem Feuer, also der Vernichtung, zu überantworten. Sollte es so einfach sein, ist die von den Antipostmodernisten konstruierte "Postmoderne" nichts anderes als solch eine Puppe? Ich meine: ja.

    Stefan Broniowski schreibt.

Literatur

    Bachner, M. : Postmoderner Schwung, in: „Kurier“, 4. Januar 1999.

    Bauman, Zygmunt: Ansichten der Postmoderne, Hamburg 1995 (engl. London 1992).

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    Bond, Edward: Notizen zur Postmoderne, in: Jacketts/September. Zwei Stücke, Frankfurt a. M. 1996 (urspr. 1994).

    Conrad, Christoph / Kessel, Martina (Hg. ): Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994.

    Diedrichsen, Diedrich: Die Simpsons der Gesellschaft, in: „Spex“ Nr. 1/99, S. 40 ff.

    Eagleton, Terry: Die Illusionen der Postmoderne. Ein Essay, Stuttgart 1997 (engl. Oxford 1996).

    Ders. : Wo leben diese Leute eigentlich. Terry Eagleton über die Illusionen der Postmoderne und den Wunsch nach Orientierung in unübersichtlichen Zeiten, in: „Die Zeit“ Nr. 37 (13. August 1998), S. 37.

    Eco, Umberto: Was heißt eigentlich postmodern? , in: „Format“ 19/99 (10. Mai 1999).

    Engelmann, Peter (Hg. ): Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart, Stuttgart 1990.

    Huyssen, Andreas / Scherpe, Klaus R. (Hg. ): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek b. H. 1986.

    Kemper, Peter (Hg. ): ‚Postmoderne‘ oder Der Kampf um die Zukunft. Die Kontroverse in Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1988.

    Killert, Gabriele: Der Müde Mann vom Bosporus. Der vielgelobte junge türkische Autor Orhan Pamuk und seine Romanfabrik, in: „Die Zeit“ Nr. 2 (7. Januar 1999), S. 38.

    Kurz, Robert: Die Welt als Wille und Design. Postmoderne, Lifestyle-Linke und die Ästhetisierung der Krise, Berlin 1999.

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    Lau, Mariam: Das Unbehagen im Postfeminismus, in: Bohrer/Scheel, a. a. O. , S. 919 ff.

    Lützeler, Paul Michael (Hg. ): Spätmoderne und Postmoderne. Beiträge zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Frankfurt a. M. 1991.

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    Ders. : Unsere postmoderne Moderne, Berlin 51997.

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