Was Wert ist

Notizen zu Michael Heinrichs „Untergang des Kapitalismus?“ Antikritik und Konkretisierung. Inklusive insistierender Marx-Exegese. Exklusive Gebrauchswert

Streifzüge 2/1999

von Franz Schandl

Michael Heinrichs Ausführungen in der letzten Ausgabe der Streifzüge (1/1999) geben mehr Rätsel auf als sie lösen. In der Folge will ich dies nur anhand eines Kriteriums, der Bestimmung des Werts und ihren Implikationen zu konkretisieren versuchen. Was jetzt kommt, soll nicht als Spitzfindigkeit oder gar unnötige Fleißaufgabe abgetan werden. Aus der unterschiedlichen Position folgt nämlich durchaus eine unterschiedliche Positionierung der Gesellschaftskritik.

Zum Zusammenbruch, der „Perle des Arbeiterbewegungsmarxismus“ (S. 2), wie Heinrich sie nennt, oder zur Diskussion über produktive und unproduktive Arbeit, wird in dieser Zeitung und andernorts ebenfalls noch einiges gesagt werden. Vor allem sollte die Debatte aber relativ unaufgeregt geführt werden, sodaß man nicht nur die vermeintlichen Schwächen der anderen, sondern auch die eigenen erkennen und gegebenenfalls korrigieren kann.

1.

Michael Heinrich meint, „erst im Nachhinein, auf dem Markt zeigt sich, inwieweit die Privatprodukte als Produkte gesellschaftlicher Arbeit anerkannt werden“ (S.4). Diese Anerkennung setzt jedoch eine Erkennung als Ware voraus. Der Wert muß ihr nicht vom Markt oktroyiert werden, sondern wohnt ihr inne. Der Tausch setzt nicht den Wert, er verhilft ihm bloß zu seinen abschließenden Kriterien, Geld und Preis. Das sogenannte Privatwirtschaftliche ist schlichtweg eine gesellschaftliche Funktion, nichts anderes als die präformierte Option der Warenbesitzer.

Wir vermögen daher Heinrich auch absolut nicht zu folgen, wenn er in seinem Buch „Die Wissenschaft vom Wert“ schreibt: „Erst innerhalb des Austausches verwandelt sich die Privatarbeit wirklich in gesellschaftliche Arbeit, wird sie zu wertbildender Arbeit. Dann folgt aber auch, wovon bereits oben die Rede war, daß den Waren erst innerhalb des Austauschs Wert und Wertgröße zukomme.“ 1 D.h. nicht Waren würden auf dem Markt auftreten, sondern Produkte. Zu Waren würden sie nur werden im unmittelbaren Akt des Tausches. Waren würden laut dieser Sichtweise wohl nur noch zirkuliert, nicht mehr produziert. Der Begriff Warenproduktion wäre unsinnig.

Produktion und Zirkulation bilden eine Einheit, sodaß ein Produkt, das aus der Produktion nicht herauskann, nie zum Tauschwert wird, und somit auch schlußendlich keinen Wert mehr hat, obwohl es einen gehabt haben mag. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß der Wert sich nun erst am Markt konstituiert, er wird bloß manifestiert und fixiert; was ihn ausmacht, ist schon in ihm gewesen. Es gibt selbstverständlich keine kapitalistische Produktion ohne einer kapitalistischen Zirkulation. Umgekehrt gilt es aber ebenso. Was betont werden muß, ist die Einheit, nicht die Zweiheit von Produktion und Zirkulation.

Heinrich zerreißt diesen kapitalistischen Gesamtprozeß. Was er unterstellt, ist ihm selber zu unterstellen, die Trennung von Produktions- und Zirkulationsverhältnissen, wobei in seiner Logik nur letztere den Wert setzen sollen. Permanent unterläuft Heinrich der Fehler, daß er Schaffung und Realisierung des Werts nicht unterscheiden will, in seiner Produktion geistern wirklich unschuldige Produkte durch die Gegend. Die jungfräuliche Geburt der Ware in der Zirkulation ist schon ein wundersames Rätsel.

2.

Die Zirkulation ist die letzte Bedingung des Werts, aber die Produktion ist seine elementare Voraussetzung, auch wenn im Resultat der Ware dies als ausgelöscht in Erscheinung tritt. Sie ist nicht mehr da, obwohl vorhanden, da aus lebendiger Arbeit tote geworden ist. Der Wert ist seinem Wesen nach unabhängig vom Tausch, nicht aber in seiner erscheinenden Wertform. Nur, woraus resultiert denn ihre Zueinanderbeziehung im Tausch. Was ist die materielle Grundlage dieser? Wie gelangt der Wert urplötzlich am Markt zu seiner Existenz? Was messen die Individuen, wenn sie Produkte vergleichen und danach fragen, ob die Ware K den Wert v entspricht? Auch wenn sie es nicht wissen, halluzinieren sie das Produkt als Arbeitsprodukt. Daß der Mähdrescher mehr kosten darf als eine Kaffeemaschine, ist ihnen eine Selbstverständlichkeit. Woraus mögen sie diese nur ableiten?

Der Wert kommt dem einzelnen Produkt schon durch die Arbeit zu, aber er kommt ohne Zirkulation nicht aus ihm, weder aus dem einzelnen noch aus den vielen, heraus. Er äußert sich nur, wenn es ihm gelingt, in letzter Instanz auch im Tausch nach außen zu treten, sich zu entäußern, indem er sich auf etwas anderes, das doch seinesgleichen ist, bezieht. Dazu bedarf es des Marktes, der aber auch in seiner Komplexität mehr ist als die Summe der vollzogenen Geschäfte (Kauf resp. Verkauf). Bereits vor dem Kauf findet eine Bewertung des Produkts im Kopf statt. Wessen Wert hat es?, fragt der potentielle Kunde, der deshalb noch lange nicht Käufer sein oder werden muß.2 Zweifellos, am Markt realisiert sich der Wert im Tauschwert, objektiv, indem sich Marktwert und Marktpreis bilden, subjektiv, indem Käufer und Verkäufer diese in Preiskämpfen destillieren. Heinrich spricht also hier Richtiges an, nur verabsolutiert er einen Aspekt der Warenmetamorphose.

Karl Marx schreibt: „Der Austauschprozeß gibt der Ware, die er in Geld verwandelt, nicht ihren Wert, sondern ihre spezifische Wertform.“3 Der Markt ist also die Instanz der Realisierung des Werts, nicht die seiner Setzung. Heinrich hingegen behauptet: „Gebrauchswerte werden erst innerhalb und durch den Austausch zu Waren.“4 „Zeitlich existiert Ware (und daher auch als Wertgröße) immer nur im Austausch, vor dem Austausch existieren nur Gebrauchswerte.“5 Aus dem Hegelschen Grundsatz „Das Wesen muß erscheinen“6, schließt Heinrich, daß, wo es nicht erscheint, nichts verloren hat.

Laut solcher Annahmen gäbe es dann auch keine Warenproduktion mehr, sondern nur noch eine Warenzirkulation. Auch der Arbeiter hätte somit bloß als Arbeitskraft auf den Arbeitsmarkt seinen Wert, in der folgenden Produktion würde aber seine Arbeit keinen Wert bilden, denn erst am Markt könne dieser sich durch den Vergleich gebären. Die Produktion ist Heinrich dann tatsächlich ein wertfreies Gebiet, erst der Markt macht das Kapital. Da die Arbeit als Wertbildnerin ausscheidet, müßte auch die Arbeitskraft ihre verwertende Funktion im Produktionsprozeß verloren haben. Hat der Wert in der Produktion keinen Sinn, dann gilt das auch für den Mehrwert, und ebenso für das Kapital als sich verwertender Wert.

Das hieße freilich weiters, daß auch die Kategorie des Warenbesitzer hinfällig, ja unsinnig geworden ist, denn erst im Akt der Veräußerung würde er zu einem solchen aufsteigen, um sogleich seinen Status aber im Tauschakt wieder zu verlieren. Kapitalismus wird so mit Marktwirtschaft identisch gesetzt, die Zirkulation müßte nunmehr zum eigentlichen Gegenstand der Kapitalismuskritik werden. Denkt man Heinrich zu Ende, dann rührt das am essentiellen Kern Marxscher Theorie. Das ist durchaus legitim, nur sollte es auch ausgesprochen werden.

Natürlich kann Heinrich sich auch auf Marx berufen, wenngleich der Gehalt seiner Berufung uns äußerst fragwürdig erscheint. Und zwar deshalb, weil wir glauben – und daher auch unsere Exegese -, daß es sich dabei um eine äußerst selektive Sichtung handelt, die die Substanz ausblenden muß, auch wenn sie auf korrekte Bezugsstellen rekurrieren kann. Was noch nicht sagt, daß Heinrich unrecht hat, wohl aber meint, daß er sich eine falsche Referenz ausstellt.

Wenn Heinrich auf Marx verweist, dann gilt es sich selbstverständlich Marx anzuschauen. Dieser schreibt: „Da die Produzenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb des Austauschs. Oder die Privatarbeiten betätigen sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Produzenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse von Personen in ihrer Arbeit selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse von Sachen. Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte eine von ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte, gesellschaftliche Wertgegenständlichkeit.“ (MEW, Bd. 23, S. 87)

Die Hervorhebungen sind von uns, nicht von Marx, und sie zeigen deutlich, daß hier anderes gemeint ist als Heinrich folgert. Erscheinen, betätigen, erhalten – all diese Termini dokumentieren, daß hier eine zusammengehörige Totalität auseinandergelegt wird. Der Wert ist kein spezifisch lokales Problem der kapitalistischen Ökonomie, sondern ihr allgemeines Betriebssystem. Dies ist übrigens auch durchaus als Selbstkritik zu unseren allerersten Ausführungen in dieser Zeitschrift zu verstehen, wo salopp behauptet wurde: „Wert ist eine Kategorie der Produktion.“7

3.

Betrachten wir die Kritik der politischen Ökonomie, so gilt es trotz mißverständlicher und sich widersprechender Formulierungen festzuhalten: Das gesamte Marxsche Werk unterscheidet zwischen Schaffung und Realisierung des Werts, sowie zwischen Wert und Wertform. Daß Heinrich dies vernachlässigt, ist das größte Manko seiner Ausführungen. Im dritten Kapitel des dritten Bandes heißt es: „Der Prozeß, der diese Wertsumme erzeugt, ist die kapitalistische Produktion; der Prozeß, der sie realisiert, ist die Zirkulation des Kapitals.“8 In der Zirkulation geht es nicht darum, den Waren etwas zuzusetzen, sondern diese abzusetzen. Der realisierte Profit hat bereits vorher existiert. Er ist kein Zauberkunststück des Marktes. Er ist in der Zirkulation nur zu sich gekommen. In ihr wird tatsächlich, was wirklich schon ist.

Auch Wert und Tauschwert werden begrifflich nicht auseinandergehalten, sondern immerzu gleichsetzt. Wertform und Wert sind Heinrich anscheinend eins. Wobei dieser Mangel an Differenz nicht nur ihm anzulasten ist, er hat auch durchaus im Marxschen Werk Eingang gefunden,9 wenngleich Marx an verschiedenen Stellen die Differenz ausdrücklich betont: „Der Wert einer Ware ist selbständig ausgedrückt durch seine Darstellung als „Tauschwert“. Wenn es im Eingang des Kapitels in der gang und gäbe Manier hieß: Die Ware ist Gebrauchswert und Tauschwert, so war dies, genau gesprochen, falsch. Die Ware ist Gebrauchswert oder Gebrauchsgegenstand und „Wert“. Sie stellt sich dar als dies Doppelte, was sie ist, sobald ihr Wert eine eigne von ihrer Naturalform verschiedne Erscheinungsform besitzt, die des Tauschwerts, und sie besitzt diese Form niemals isoliert betrachtet, sondern stets nur im Wert- und Austauschverhältnis zu einer zweiten, verschiedenartigen Ware.“10

Der erste Teil des Zitats ist kein Widerspruch zum zweiten. Wertform, d.h Tauschwert kann die Ware nur in einer (expliziten und impliziten) Zirkulation annehmen, der Wert jedoch umfaßt den gesamten Werdungs- und Vergehungsprozeß. Die Form realisiert aber nur das Vorhandene, setzt dieser nichts zu. Schon vor der Gleichsetzung der Waren müssen diese Wert beinhalten. Er kann ihnen nicht erst am Markt zufliegen. Entäußern kann sich durch die Ware nur, was an Wert in ihr drinnen ist. Um aber als Tauschwert zu erscheinen, müssen die Waren zueinander ein Wertverhältnis eingehen, ansonsten transformiert sich der Wert nicht zum Tauschwert. Das der Ware innewohnende, der Wert, reflektiert sich in seiner äußerlichen Beziehung am Markt, dem Tauschwert. „Die abstrakte Wertgegenständlichkeit der Waren wird also in der Tauschrelation bereits vorausgesetzt und kann nicht erst innerhalb dieser Relation oder im ‚Tauschakt‘ entstehen.“11

So als hätte er Heinrich und andere schon geahnt schreibt Marx: „Unsere Analyse bewies, daß die Wertform oder der Wertausdruck der Ware aus der Natur des Warenwerts entspringt, nicht umgekehrt Wert und Wertgröße aus ihrer Ausdrucksweise als Tauschwert.“12 „Es ist offenbar, daß nicht der Austausch die Wertgröße der Ware, sondern umgekehrt die Wertgröße der Ware ihre Austauschverhältnisse bestimmt.“13 Auch wenn Marx Bailey meint, könnte er Heinrich gemeint haben: „Es entspringt seinem allgemeinen Mißverständnis, wonach Tauschwert=Wert, die Form des Werts der Wert selbst ist; Warenwerte nicht mehr vergleichbar sind, sobald sie nicht aktiv als Tauschwerte fungieren, also nicht realiter gegeneinander ausgetauscht werden können.“14 „‚Ware‚ ist einerseits Gebrauchswert und andrerseits ‚Wert‘, nicht Tauschwert, da die bloße Erscheinungsform nicht ihr eigener Inhalt ist.“15

Zusammenfassend zum besseren Verständnis noch einmal Marx. In seinem Anhang zur Wertform schreibt er in der ersten Ausgabe des ersten Bands des Kapitals von 1867: „Die Basis des Ausdrucks: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock ist in der That: Leinwand = Rock, was in Worten ausgedrückt nur heißt: die Waarenart Rock ist gleicher Natur, gleicher Substanz mit der von ihr verschiedenen Waarenart Leinwand. Man übersieht das meist, weil die Aufmerksamkeit durch das quantitative Verhältniß absorbirt wird, d.h. durch die bestimmte Proportion, worin die eine Waarenart der anderen gleichgesetzt ist. Man vergißt, daß die Größen verschiedner Dinge erst quantitativ vergleichbar sind nach ihrer Reduktion auf dieselbe Einheit. Nur als Ausdrücke derselben Einheit sind sie gleichnamige, daher kommensurable Größen. In obigem Ausdruck verhält sich also die Leinwand zum Rock als Ihresgleichen, oder der Rock wird auf die Leinwand bezogen als Ding von derselben Substanz, Wesensgleiches. Er wird ihr also qualitativ gleichgesetzt.“16

Weiters heißt es: „Der Rock ist nur dasselbe wie die Leinwand, soweit beide Werthe sind. Daß also die Leinwand sich zum Rock als ihresgleichen verhält, oder daß der Rock als Ding von derselben Substanz der Leinwand gleichgesetzt wird, drückt aus, daß der Rock in diesem Verhältniß als Werth gilt. Er wird der Leinwand gleichgesetzt, sofern sie ebenfalls Werth ist. Das Gleichheitsverhältniß ist also Wertverhältniß, das Werthverhältniß aber vor allem Ausdruck des Werths oder des Werthseins der Waare, welche ihren Werth ausdrückt.“17 Und er schlußfolgert: „Werth ist der Rock nur, so weit er dinglicher Ausdruck der in seiner Produktion verausgabten menschlichen Arbeitskraft ist, also Gallerte abstrakter menschlicher Arbeit – abstrakter Arbeit, weil von dem bestimmten, nützlichen Charakter der in ihm enthaltenen Arbeit abstrahirt wird, menschliche Arbeit, weil die Arbeit hier nur als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft überhaupt zählt.“18

4.

Heinrich schreibt: „Der Wert entsteht daher nicht irgendwo und ist dann „da“, der Wert ist vielmehr die gegenständliche Reflexion eines bestimmten gesellschaftlichen Verhältnisses.“ (S. 2.) Aber dieses gesellschaftliche Verhältnis, eben das Kapitalverhältnis ist ein Verhältnis von (abstrakten) Arbeiten. c steht für tote Arbeit, v steht für lebendige bezahlte Arbeit und m für lebendige nichtbezahlte Arbeit. Was also reflektiert wird, ist das Arbeitsverhältnis, reflektiert wird die dem Gegenstand gesellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeit. Der Wert ist höchstens deswegen nirgendwo, weil er irgends ist, d.h. überall gegenwärtig, der Modus kapitalistischen Daseins.

Wert ist für Marx „Gallerte von Arbeit“.19 Abstrakte Arbeit schafft Wert. Der Tauschwert ist die Form, in der sich der Wert realisiert. Wert ist Setzung von Arbeit im Produkt, Tauschwert ist die Beziehung der zugesetzten Arbeiten verschiedener Produkte zueinander. Wertkritik ist Arbeitskritik, nicht bloß Tauschkritik. Der Tausch steckt schon in den privaten Tätigkeiten, sie werden auf den Markt hin gedacht und es wird für den Markt produziert, es sind also nicht zufällige Überschüsse, die man gegen andere vertauscht. Diese Privatarbeiten wollen sich als unbestimmte allgemeine Arbeiten, also abstraktifizierte Größen, über den Wert aufeinander beziehen, ja sie müssen dies tun. Nicht nur Produkte werden hergestellt, sondern tatsächlich Waren.

Das Maß abstrakter Arbeit sind abstraktifizierte Arbeitseinheiten, die jedoch ewig im Fluß sind, Gallerten, die aufgrund der Konkurrenz, stets davonzuglitschen drohen. Sie sind nicht berechenbar, obwohl andauernd mit ihnen spekuliert werden muß. Der Wert ist keine konsistente Größe, ganz anders als das Wort unterstellt, er hält nicht! Die sog. „Entnaturalisierung des Werts“, wie Heinrich sie versteht, trennt den Tauschwert schließlich völlig von der abstrakten Arbeit ab. Wobei abstrakte Arbeit ja nicht als natürliche Verausgabung von Muskel, Nerv und Hirn aufzufassen ist, sondern als auf den Markt bezogenen Tätigkeit zum Zwecke der Realisierung des Werts. Abstrakte Arbeit ist schon eine Abstraktion zweiter Ordnung, die Abstraktion erste Ordnung ist der gemeinverständliche Oberbegriff der (konkreten) Arbeit schlechthin, die ja selbst verschiedene Tätigkeiten unter eine Kategorie subsumiert. Insgesamt freilich ist jede Terminologie problematisch, in der der Arbeitsbegriff ins Anthropologische gerät.

Marx wirft zweifellos im Kapital unterschiedlichste Arbeitsbegriffe wild durcheinander. Was die Frühschriften oder auch die Grundrisse noch ausgezeichnet hat, nämlich Arbeit zu differenzieren und auch zu kritisieren, das geht im Kapital wahrlich unter. In der englischen Fassung wird das noch deutlicher, wo Marx nicht work, sondern gar labour zur Bedingung menschlicher Existenz macht.

5.

Wertkritik, die sich auf Wertformkritik, d.h. Kritik des Tauschwerts und des Markts reduzieren läßt, beschneidet ihren Aktionsradius. Kritik der politischen Ökonomie ist Kritik des Werts auf allen Ebenen. Es gilt daran festzuhalten, daß Produktion, Zirkulation und Konsumtion allesamt formbestimmt durch den Wert sind, dieser nicht als ausschließliches Kriterium der Zirkulation konstruiert werden darf. Aus der gesellschaftlichen Retorte der Zirkulation ist nicht auf den zentralen Ort der Gesellschaft zu schließen.

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1 Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, Hamburg 1991, S. 187.
2 Vgl. dazu auch unsere Ausführungen im zweiten Kapitel „Sequenzen einer Kategorie“ in: Franz Schandl, Entwurf einer Metakritik des Tauschs, Streifzüge 1/1999, S. 18-19.
3 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, MEW, Bd. 23, S. 105.
4 Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, S. 187.
5 Ebenda, S. 195.
6 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik II., Werke 6, Frankfurt am Main 1986, S. 126.
7 Franz Schandl, Der Wert. Smith, Ricardo, Marx, Streifzüge 2/1996, S. 3. Vgl. dazu auch die diesbezüglichen Ausführungen in: Franz Schandl, Vom Fortschritt in der Geschichte über den Wert zum Gut, Weg und Ziel, Nr. 1/1997, S. 60-63.
8 Karl Marx, Das Kapital, Dritter Band (1894), MEW, Bd. 25, S. 51; vgl. weiters S. 254, 290f., 835f.
9 Vgl. dazu insbesondere Robert Kurz, Abstrakte Arbeit und Sozialismus. Zur Marxschen Werttheorie und ihrer Geschichte, Marxistische Kritik 4 (1987), S. 57-108, vor allem S. 62ff.
10 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band (1867), MEW, Bd. 23, S. 75.
11 Robert Kurz, Abstrakte Arbeit und Sozialismus, S. 63.
12 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, S. 75.
13 Ebenda, S. 78.
14 Karl Marx, Das Kapital. Zweiter Band (1885), MEW, Bd. 24, S. 110.
15 Karl Marx, [Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie“] (1879/80), MEW, Bd. 19, S. 369.
16 Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, Hamburg 1867; in: MEGA II/5, Berlin (Ost) 1983, S. 629.
17 Ebenda.
18 Ebenda, S. 630.
19 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, S. 72.

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