Die Arbeit hoch? — Vorwort zur zweiten Auflage

von Erich Ribolits

Inhaltsverzeichnis des Buches

Seit dem ersten Erscheinen dieses Buches sind knapp mehr als zwei Jahre vergangen. Die Entwicklungen in dieser Zeit haben die dem Buch zugrundeliegende Annahme einer gegenwärtigen, existentiellen „Krise der Arbeitsgesellschaft“ leider vollinhaltlich bestätigt. Viele der in diesem Zusammenhang angesprochenen Trends sind in der Zwischenzeit sogar erst zur vollen Deutlichkeit gelangt. Kaum mehr angezweifelt kann heute werden, daß der Arbeitsgesellschaft zunehmend ihr namensgebendes Gut – die Lohnarbeit in ihrer „klassischen“ Ausprägungsform – ausgeht. An ökonomische Verwertbarkeit geknüpfte Arbeit wird unübersehbar auch in den Industrieländern zu einem „Luxusartikel“, der für immer weniger Menschen zur Verfügung steht.

Zugleich – und im engsten Zusammenhang damit – findet gegenwärtig auch eine deutliche Machtverschiebung im gesellschaftlichen Kräftespiel von „Kapital“ und „Arbeit“ statt. Die in Europa allerorts hohen und noch weiter steigenden Arbeitslosenzahlen, der anwachsende Zwang für viele Amerikaner, sogenannte „Mc-Jobs“ anzunehmen – Tätigkeiten gegen eine Entlohnung mit der sich nicht einmal die grundsätzlichen Lebenshaltungskosten abdecken lassen – und der sinkende Anteil der Löhne und Gehälter am Gesamteinkommen bei steigenden Kapitalgewinnen sind insgesamt unübersehbare Indikatoren einer massiven „Entwertung“ des Faktors Arbeit. Durch die Globalisierung der Wirtschaft, die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Möglichkeiten neuer Technologien hat sich das Kräfteverhältnis von „Kapital und Arbeit“ in den letzten Jahren massiv zugunsten der Kapitalbesitzer verschoben.

Die Folgen sind zum einen ein weltweiter Rückgang des Anteils den die Lohnbezieher vom gesellschaftlichen Reichtum für sich verbuchen können und ein rapides Weniger-werden des Beitrags, den die Vermögensbesitzer zur Finanzierung der staatlicher Ausgaben leisten, was die bekannten Budgetprobleme in faktisch allen Industriestaaten mitverursacht. Zum anderen bewirkt die Machtverschiebung zwischen Kapital und Arbeit, daß Arbeitnehmer an der technologisch bedingten erhöhten Produktivität in Form von Arbeitszeitverkürzungen nicht bloß nicht partizipieren können, sondern sogar gezwungen sind, Arbeit immer häufiger auch unter Bedingungen anzunehmen, die weit unter den Standards der letzten Jahre und Jahrzehnte liegen. Die Zahl der Menschen, die anwachsende Phasen ihres Lebens ohne Lohnarbeit auskommen müssen, wird zunehmend größer und zugleich ist die kollektive Macht der verbleibenden „Träger der Ware Arbeitskraft“ einer massiven Erosion ausgesetzt.

Diese Entwicklung macht die im vorliegenden Buch aufgestellte These von der drängenden Notwendigkeit, für das Leben einen anderen Sinn zu finden als die Vernutzung in Arbeit und Konsum, nur umso bedeutsamer. Denn bevor das unserer Gesellschaft immanente Arbeitsethos nicht grundsätzlich relativiert wird, besteht überhaupt keine Chance, die Situation des Weniger-werdens der Lohnarbeit dafür zu nützen, um gesellschaftspolitische Alternativen jenseits der Lohnarbeit zu entwickeln. Das verinnerlichte Arbeitsethos kettet die Bewohner der industrialisierten Welt an die mit Ausbeutung, Zerstörung und Ungleichheit verbundene Arbeitsgesellschaft und macht sie zu „Mittätern“. Solange Arbeit zum Definitionsmerkmal der menschlichen Existenz hochstilisiert und in der durch äußere Zwänge vorgegebenen Arbeit das wesentliche Strukturmerkmal humanen Lebens gesehen wird, gibt es kein Entrinnen aus der Arbeitsideologie. Das krampfhafte Festhalten am Arbeitsfetisch ist es, wodurch verhindert wird, daß die Spaltung der Gesellschaft in Menschen, die sich um Arbeitsplätze immer heftiger konkurrieren müssen, und in solche, deren Profite genau dadurch anwachsen, nicht als „politisch-ökonomischer Skandal“ wahrgenommen und entsprechend bekämpft werden kann. In diesem Sinn werden heute zwar von allen Seiten „neue Arbeitsplätze“ gefordert aber kaum je eine gerechtere Aufteilung des gesellschaftlichen Reichtums.

Das gegenwärtige Offensichtlich-werden der Tatsache, daß jene „Voll-beschäftigung“, wie wir sie hierzulande einige Jahrzehnte gekannt haben, nicht wiederherzustellen ist, birgt in sich aber auch die Chance eines grundsätzlichen Infragestellens des allgemein anerkannten Arbeitsethos. In jüngster Zeit lassen sich in verschiedenen Publikationen und Veranstaltungen tatsächlich erste Ansätze einer diesbezüglichen Diskussion erkennen. Das vorliegende Buch konnte – wie sich in einer Reihe von Veranstaltungen, zu denen der Verfasser in den letzten beiden Jahren eingeladen war, gezeigt hat – ein klein wenig zur beginnenden Suche nach Lösungen jenseits der ideologischen Vernebelung durch den Arbeitsfetisch beitragen. Die Hoffnung, die diesbezügliche Diskussion noch weiter zu treiben, motivierte zur nunmehr vorliegenden zweiten Auflage. Denn worum es heute geht, ist nicht das Schaffen neuer Arbeit, sondern das Herstellen von gesellschaftlichen Bedingungen, die allen Menschen maximale kulturelle Teilhabe bei einem Minimum an geforderter Arbeit ermöglichen. Unter emanzipatorischen Gesichtspunkten kann – wie ein Rezensent treffend formuliert hat – das Ziel nicht sein, daß die Menschen voll beschäftigt sind, sondern daß sie weniger beschäftigt werden, damit sie sich beschäftigen können, womit sie sich beschäftigen wollen.

Wien, Februar 1997

Erich Ribolits

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