Wachstum auf Auslandskosten

Das merkantilistische Geschäftsmodell der deutschen Exportwirtschaft beruht auf den Schulden der anderen Eurostaaten

von Tomasz Konicz

Wir sind mal wieder wer – und zwar Exportüberschussweltmeister. Seit einigen Jahren schon hat es sich in der Wirtschaftspresse eingebürgert, die alljährlichen Handelsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik überschwänglich zu feiern. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kletterte der deutsche Exportüberschuss im vergangenen Jahr auf den Rekordwert von 198,9 Milliarden Euro. Damit wurde die weltgrößte Handelsnation, die Volksrepublik China, eindeutig auf die Plätze verweisen, deren Überschuss sich auf 195 Milliarden US-Dollar summierte.

Während die EU-Kommission diesen extremen Überschuss einer eingehenden Prüfung unterzieht und insbesondere die US-Administration ihre andauernde Kritik an der deutschen Exportfixierung bestätigt sehen dürfte, weisen deutsche Wirtschaftsvertreter jedwede Kritik zurück. Volker Treier, Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, behauptete kürzlich, dass die Exportüberschüsse nicht »politisch angeordnet« seien, sondern einen »Ausweis der Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft« darstellten: »Weder manipulieren wir den Wechselkurs, noch subventionieren wir unsere Exporteure, damit sie ihre Waren anderswo billiger anbieten können.«

Selbst deutschen Wirtschaftsvertretern gelingt es selten, die ökonomische Realität so dermaßen auf den Kopf zu stellen. Die politischen Programme, die diese extreme Exportausrichtung der Bundesrepublik forcierten, wurden unter den Namen Agenda 2010 und Hartz IV bekannt, die Subventionierung der deutschen Exporte erfolgte durch den hieraus resultierenden Lohnkahlschlag und die Etablierung des europaweit größten prekären Niedriglohnsektors. Und es ist kein Zufall, dass diese innerdeutsche Verelendungsstrategie zeitgleich mit der Einführung des – in Relation zur deutschen Wirtschaftsleistung gnadenlos unterbewerteten – Euro eingeleitet wurde.

Die Gemeinschaftswährung nahm allen anderen Eurostaaten die Möglichkeit, mit Währungsabwertungen auf diese »innere Abwertung« in der Bundesrepublik zu reagieren. Deswegen erwirtschaftete die deutsche Exportindustrie im Zeitraum zwischen Euro-Einführung und dem Ausbruch der Euro-Krise ihre seit 2003 förmlich explodierenden Handelsüberschüsse nahezu ausschließlich gegenüber den Eurostaaten. Da die Eurozone als gesamter Währungsraum bis vor wenigen Jahren keine nennenswerten Leistungsbilanzüberschüsse erzielte, mussten die innereuropäischen Überschüsse Deutschlands – inzwischen dürften sie sich auf 800 Milliarden Euro belaufen – mit Defiziten der heutigen Krisenstaaten erkauft werden.

Bei der Eurozone handelte es sich jahrelang um eine »Transferunion« – und zwar zugunsten der deutschen Exportindustrie, deren Erfolge nicht nur auf dem innerdeutschen Lohnkahlschlag, sondern ebenfalls auf der Verschuldungsdynamik an Europas Peripherie beruhten. Die Überschüsse der deutschen Wirtschaft, die laut Treier die Bundesrepublik in die Lage versetzten, während der Euro-Krise als »Garantiegeber« aufzutreten, beruhen gerade auf den Defiziten des Südens, die erst die Eurokrise auslösten.

Doch inzwischen stößt dieser Neomerkantilismus, der Wirtschaftswachstum im Endeffekt durch einen »Verschuldungsexport« generiert, trotz einer partiellen Neuausrichtung auf das außereuropäische Ausland (Fernost und USA) an seine Grenzen. Die innere Erschöpfung des Modells Deutschland kommt in der langfristig sinkenden Investitionstätigkeit zum Ausdruck, die sich seit Anfang der 1990er Jahre auf inzwischen nur noch sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes halbierte. Die systemischen Grenzen manifestieren sich in der erlahmende Wachstumsdynamik, die – nach 0,7 Prozent 2012 – auf nur noch 0,4 Prozent absackte. Die Überproduktionskrise des spätkapitalistischen Weltsystems wird somit auch den Exportüberschussweltmeister Deutschland einholen, der bisher die Krisenfolgen vermittels seiner Überschüsse und des europaweiten Spardiktats auf das Ausland abwälzen konnte.

aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2014

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