Falsche Fronten

Streifzüge 36/2006

KOLUMNE Unumgänglich

von Franz Schandl

Je mehr man über die Lage der Welt nachdenkt, desto verzweifelter müsste man eigentlich werden. Vor allem die Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten lassen Schlimmstes befürchten. Man darf die Augen nicht verschließen. Was droht, ist eine Welt, wo Bombardements und Strafaktionen sich mit Terroranschlägen ablösen, wo ökologische Katastrophen und sozialer Kahlschlag obligat werden, wo rassistische und antisemitische Übergriffe an Bedeutung gewinnen. Auch der Wiederaufstieg des Religiösen, mag er sich nun islamisch oder christlich munitionieren, passt in dieses abgedrehte Realszenario. Da werden stolz Haltegriffe halluziniert, wo doch die Welt der Werte an allen Ecken und Enden auseinander bricht.

Huntingtons „Clash of civilizations“ scheint bereits Realität zu sein, man denke nur an den Karikaturenstreit und seine Folgen. Auf den Schlachtruf „Culture is to die for“, können sich gar viele einigen. Weltweit. Wird die Austragung der Konflikte jedoch als Kulturkampf akzeptiert, hat die Emanzipation schon verloren. Perspektiven gibt es nur jenseits dieser falschen Front, nicht in ihr.

Die radikale Linke ist in diesem Spiel allerdings kein Faktor. Hängen sich die einen an die Rockschöße des Abendlands, insbesondere der USA, so spulen die anderen ihren Traditionalismus unbeeindruckt weiter ab, machen auf Klassenkampf und/oder antiimperialistische Befreiung. Bush wird schön- und Ahmadinejad kleingeredet. Die Maßstäbe verrutschen ins Irre. Da gratulieren die Krieger der Wiener „Antiimperialistischen Koordination“ der antisemitischen Hamas zum Wahlsieg oder eine Pumpgun der Guten lässt Folgendes verlauten: „Die Europäer seien von Wohlstand korrumpiert, weil sie schon lange keinen echten Krieg mehr erlebt hätten, sagte Broder, ihnen sei deshalb die Fähigkeit abhanden gekommen, auf existentielle Probleme angemessen zu reagieren.“ (FAZ vom 6. Februar 2006)

Sich entweder mit den westlichen Machthabern und der Wertegemeinschaft zu verbünden oder jeder obskuren Regung in der Dritten Welt Positives abzugewinnen, darf doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Deeskalation kann nur damit beginnen, dass man sich gegen den Gesamtirrsinn selbst wendet, sich nicht einrühren lässt in diese durchgeknallten Allianzen der Destruktion.

Die bisherigen Politiken und Denkmuster haben sich allesamt unfähig erwiesen, sie sind nichts anderes als Bestandteile einer scheinbar unaufhaltsamen Konfrontation. Die Wahrscheinlichkeit, dass die USA einen Atomüberfall des Iran auf Israel verhindern, ist geringer als dass sie selbst atomares Arsenal im Mittleren Osten einsetzen. Es sind die Vereinigten Staaten von Amerika, die offen mit dem atomaren Erstschlag drohen. Und Frankreich denkt bereits in eine ähnliche Richtung. Im Prinzip müssen die Atomwaffen überhaupt weg, nicht nur dort, aber insbesondere dort. Todessüchtig sind nicht bloß die Islamisten. Wer seine Interventionen „Enduring freedom“ oder „Infinite justice“ nennt, demonstriert, wie er tickt. Angesagt wäre vielmehr Abrüsten.

Wie sich jemand einbilden kann, dass gerade die USA, nachdem sie Jahrzehnte maßgeblich zur Misere beigetragen haben und soeben im Irak kläglich scheitern, etwas gutmachen können, ist ein Rätsel. Eine Intervention im Iran würde die Lage nur immens verschärfen. Vergessen werden darf auch nicht, dass es die islamische Bombe schon gibt; Pakistan hat sie, und was im Falle einer weiteren Zuspitzung dort passiert, weiß keine Weltmacht vorauszuplanen. Aber noch ist der einstige Ziehvater der Taliban, Musharraf, ein Guter, wie auch dessen Erzfeind Indien plötzlich einer werden hat dürfen. Obwohl sich beide Länder Jahrzehnte über den Atomsperrvertrag hinweggesetzt haben, werden sie hofiert. Das Ganze nennt sich Weltpolitik und ist doch ein gefährliches Gemisch aus Intrige, Manöver und Kalkül.

Unser Programm ist weder der antiimperialistische Kampf noch die Wertegemeinschaft. Indes, der Identitätswahn steht in voller Blüte. In der großen Welt wie auch im linken Minimundus. Kritik daran ist unumgänglich. Aber sie reicht nicht. Das Fatale ist, dass Kritik sich erschöpft, wenn sie keine Perspektive bieten kann. Da kann jene noch so richtig sein, wenn kein „Gegenland“ (Ernst Bloch) in Sicht gerät, werden sich die Leute mit den herrschenden Angeboten nicht nur abfinden, sondern in ihrer Verlorenheit diese aggressiv vertreten. Kritik und Perspektive müssen zusammenfinden, als isolierte Größen können sie nur verkümmern.

Derzeit stehen wir mit unseren Positionen ziemlich alleine da. Da gibt es schon Anflüge von Einsamkeit, die einem nicht unbedingt warm ums Herz werden lassen. Es ist auch keineswegs ausgeschlossen, dass der identitätsbesessene Druck so stark wird, dass sich ihm nicht mehr verweigert werden kann. Das wäre ein klares Zeichen einer wohl langfristigen Niederlage jeder emanzipatorischen Regung. „Rette sich, wer kann“, ist gleichbedeutend mit dem Untergang vieler.

Uns freilich muss es erst gelingen, den scheinbaren Makel loszuwerden, von den restlinken Kontrahenten als jeweils gemäßigte Ausgabe des anderen Extrems charakterisiert zu werden. Genau das passiert andauernd und dagegen anzukommen ist gar nicht so leicht. Dass man radikal ist, ohne einem rabiaten Gestus der bedingungslosen Identifikation zu huldigen, scheint nicht allzu vielen klar zu sein. Auch hier gibt es falsche Fronten, deren Überwindung ebenfalls ansteht. Gerade auch deswegen bitten wir um Hilfe und Unterstützung!

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