Kaufen

Aus den Skizzen zum sozialen und mentalen Universum der Ware

Henry Ford hat kürzlich hundert Millionen Dollar für die Errichtung einer Schule gestiftet, die er die Schule der Zukunft nennt. ‚Ich habe so lange Autos fabriziert‘ erklärte er, ‚bis ich den Wunsch bekam, nunmehr Menschen zu fabrizieren. Die Losung der Zeit ist Standardisierung.‘ – – Die erste Musterschule Fords, die ihre Tätigkeit bereits begonnen hat, nimmt nur Knaben im Alter von 12 bis 17 Jahren auf. Verpönt sind Sprachen, Literatur, Kunst, Musik und Geschichte. – – Die Lebenskunst müssen die Schüler lernen, sie müssen verstehen, zu kaufen und zu verkaufen – – “ (Karl Kraus)

von Franz Schandl

Nicht alles, was wir können, kennen wir auch. Das uns so bekannte und geläufige Kaufen und Verkaufen, das beherrschen wir zwar, aber es ist uns nicht bewusst, was wir da tun. Gerade weil es selbstverständlich ist, ist es alles andere als verständlich. Erkennen wir es oder bekennen wir es einfach durch unser Handeln? Man hat oft das Gefühl, dass wir es gar nicht wissen wollen, zumindest nicht so genau. Diese Zeilen wollen dieser ignoranten Stimmung entgegentreten.

Was passiert beim Kauf? Wessen Gestalt ist er? Was geht in uns vor? Was machen wir da? Was stellen wir an und wie und warum immer und warum immer mehr? – Kaufen ist obligat. Beim Erwerb und der Entäußerung von Waren sind Einkauf und Verkauf die absolute Norm. Um an Lebensmittel zu gelangen, sind wir heute fast ausnahmslos auf den Markt verwiesen, denn dort werden die nunmehr Waren genannten Lebensmittel gehandelt. Kaufen erscheint den Bürgern moderner Gesellschaften als unhintergehbare Konvention des Stoffwechsels. Niemand kann sich diesen Anforderungen entziehen. Kaufen gehört wie Essen, Trinken, Schlafen, Bewegen, Sprechen zum Vademecum des Alltags. Es ist selbstverständlich, wenn auch erst selbstverständlich geworden. Es ist keine Voraussetzung des Seins, sondern eine Bedingung des Daseins.

Das Historische, das Gesellschaftliche, das Soziale, das Mentale erscheint als organisch. Gemeinhin erscheint der Tausch als die reine Unmittelbarkeit, als die logische, ja ontologische Form von Geben und Nehmen. Als ausdifferenziertes Tauschen wäre das Kaufen (und Verkaufen) dann nichts anderes als eine höhere oder feinere Ausprägung dieser Unmittelbarkeit. Einkaufen ist Tauschen gegen Geld (G–W). Es tritt der Markt (als Gesamtheit vernetzter Märkte) dazwischen und mit ihm das Geld, mit dem man auf die Waren zugreift. Aus Ware–Ware (W–W) wird Ware–Geld–Ware (W–G–W). Als Transaktion beschreibt Einkaufen G–W und Verkaufen W–G. „Die Momente der Warenmetamorphose sind zugleich Händel des Warenbesitzers – Verkauf, Austausch der Ware mit Geld; Kauf, Austausch des Gelds mit Ware, und Einheit beider Akte: verkaufen, um kaufen zu können“, schreibt Karl Marx (MEW 23, 120).

Kaufen können heißt, über Mittel zu verfügen, um sich die Arbeit anderer aneignen zu dürfen. Kaufen ist keine Tätigkeit unter anderen, sondern die zentrale Aktion des gesellschaftlichen Stoffwechsels, der wir als Akteure zur Verfügung stehen. Permanent. Schon das Kleinkind übersetzt: „Das will ich haben!“ in „Das will ich kaufen!“ Was wir kaufen, können wir uns vielleicht aussuchen, dass wir kaufen jedoch nicht. Die Frage nach dem Warum wirkt fast abwegig – und zweifelsfrei verrückt sie auch die ganze Sichtweise, muss dem Alltagsverstand geradewegs als verrückt erscheinen. Unsere Aufgabe besteht darin, etwas als etwas anderes zu deuten und in einem Dritten zu erkennen, indem man es in einen Maßstab presst, der scheinbar reine Quantität hat. „Im Geld ist alle Verschiedenheit der Waren aufgelöst, weil es eben die ihnen gemeinsame Äquivalentform ist.“ (MEW 24, 50) Geld ist der Äquivalentmacher der Waren. Nicht bloß durch es, sondern als es.

Die Gewalt liegt in der Struktur des Zirkulationsverhältnisses, nicht in den Gegenständen, die dort transportiert werden. Die sind, wird erstere akzeptiert, tatsächlich frei. Was meint, dass im Regelfall niemandem die Abnahme von Waren aufgezwungen wird, bzw. diese einem vorenthalten werden können. Es ist lediglich eine Frage des Geldes. Wer zahlen kann, kann alles haben, was käuflich ist. Was Geld von allen anderen Waren unterscheidet, ist, dass es sich durch Entäußerung verwirklicht. Es wird konsumiert durch Weggabe. Die realisierte Kraft des Geldes drückt sich aus in seiner absoluten Flexibilität. Es kann nicht für sich selbst stehen, sondern letztlich nur für anderes. Es beherrscht alles, auch wenn es selbst zu nichts taugt. Ein Rock bleibt ein Rock auch ohne Geld, während Geld ohne Rock und alle seine nahen und fernen Verwandten gar nicht erst existieren könnte. Die objektive Aufgabe des Geldes besteht also nicht in der Schatzbildung, sondern in der realisierten Verwertung, im Kauf.

Man bekommt nicht, man nimmt nicht. Der Stoffwechsel bedarf eines bestimmten Rituals, es geht nicht schlicht und schlicht nicht um die Befriedigung von Bedürfnissen, es geht stets um monetäre Möglichkeiten. Nicht Güter sind an Produktionsstätten abzuholen oder einfach an Verteilungsstellen zu entnehmen, sondern Waren am Markt zu erwerben. Wenn wir etwas brauchen oder wollen, müssen wir es kaufen. Mittel der Aneignung ist das Geld. Kaufen meint Geld gegen Ware einzutauschen. Der Käufer muss daher über entsprechende Mittel verfügen, um sich als solcher am Markt zu behaupten. Aus der Herausforderung folgt ja noch nicht die Verwirklichung. Nicht alles, was verkäuflich ist, ist verkaufbar. Käufer sein ist jedenfalls keine in der Natur angelegte Eigenschaft, sondern eine kulturelle Formatierung, die zu einem Anspruch an alle geworden ist. So ewig alles an ihm erscheint, so ewig an ihm ist doch nichts.

Ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit

„Die wirkliche Zirkulation stellt sich zunächst dar als eine Masse zufällig nebeneinander laufender Käufe und Verkäufe. Im Kauf wie im Verkauf stehen sich Ware und Geld stets in derselben Beziehung gegenüber, der Verkäufer auf Seite der Ware, der Käufer auf Seite des Geldes.“ (MEW 13, 79) „Zur Zirkulation gehört wesentlich, dass der Austausch als ein Prozess, ein flüssiges Ganzes von Käufern und Verkäufern erscheint.“ (MEW 42, 126) Die Frage, ob jemand flüssig ist, macht durchaus Sinn. Der Markt ist der Strom volatilen Treibens. Durch das Kaufen erschafft sich die Warengesellschaft immer wieder aufs Neue. Es regelt, ja ist der Zu- und Abfluss alltäglicher Reproduktion. So „erscheint die Zirkulation als ein schlicht unendlicher Prozess. Die Ware wird gegen Geld ausgetauscht; das Geld wird gegen die Ware ausgetauscht und dies wiederholt sich bis ins Unendliche. … So wird Ware gegen Ware ausgetauscht, nur dass dieser Austausch ein vermittelter ist. Der Käufer wird wieder Verkäufer, und der Verkäufer wird wieder Käufer.“ (MEW 42, 127) Gibt es keinen Käufer, gibt es auch keinen Verkäufer. Gibt es keinen Verkäufer, dann gibt es keinen Käufer. Sie bedingen einander unbedingt. Käufer und Verkäufer können stets nur gemeinsam auftreten, keiner kann ohne den anderen sein. Jeder realisiert sich in seinem Gegenüber. Käufer und Verkäufer bilden die Einheit der Tauscher.

Die Welt des Geschäfts verbindet jeden mit jeder und alle mit allen, aber anonym. Es ist eine ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit, die uns das Kapital aufherrscht. Ob ein Cent aus einem Waffendeal oder dem Verkauf eines Gartenschlauches stammt, das weiß letztlich niemand. Und wenn die Kette an einem ihrer Glieder reißt, ist das gemeinhin kein Grund zur Freude, denn damit bricht nicht bloß der Markt ein, nein es stockt auch der Stoffwechsel. Läuft etwas schief, sind viele negativ betroffen. So wollen auch alle, dass nichts schief läuft. Selbst die, die den Markt nicht wollen, tun alles, um sich in ihm und daher ihn zu ermöglichen. Praktisch sind alle dafür. Sie pflegen ihre Arbeitskraft, hegen ihre Waren und zahlen entsprechende Preise. Sich marktkonform zu verhalten, ist keine Frage des freien Willens, sondern umgekehrt: Der freie Wille folgt der Konformierung durch den Markt.

Charakteristisch für den Kapitalismus ist die Trennung von den Lebensmitteln, sie sind nicht unmittelbar zugängig, sondern nur mittelbar zugegen. Sie kommen den Leuten nicht direkt und fürsorglich zu, keineswegs sind sie einfach zu entnehmen, sie haben sie via Geld am entsprechenden Markt zu handeln. Die produzierte Ware befriedigt den Inhaber nur dann, wenn ein anderer sie kaufen mag. Seine Ware befriedigt das Bedürfnis des Verkäufers nur, wenn er sie veräußern kann. Das Bedürfnis des Käufers an der Ware ist kein materielles, sondern ein monetäres. Jeder soll etwas haben, das er nicht braucht, und gegen etwas tauschen, was er wiederum benötigt.

Mit der Ware macht der Warenbesitzer als Verkäufer den Warennehmer als Käufer gefügig. Mit der Zahlung gilt das Geschäft als abgeschlossen, sieht man von allfälligen Reklamationen und Gewährleistungen ab. Die Ware hat den Besitzer gewechselt. Aber wird überhaupt beim Verkauf die Ware verkauft oder nicht nur deren Gebrauchswert? Der Tauschwert verbleibt ja dem Verkäufer. Den Gebrauchswert gibt er nur raus, wenn ihm der Wert abgegolten wird. Was vorher Ware gewesen ist, wird in der Zirkulation aufgespalten, ist sodann Gebrauchswert für den Konsumenten, sofern es nicht um einen Zwischenhandel geht. Der Wert der Ware bleibt hingegen dem Verkäufer. Die Geschichte der jeweiligen Ware findet ihr Ende schon im Tauschakt, wenn durch ihn Tauschwert und Gebrauchswert getrennt werden, sodann nicht mehr aneinandergekettet sind. Das gespenstische Moment lässt sich so beschreiben: Die Ware löst im Verkauf ihren Charakter ein, aber die Ware löst im Kauf auch ihren Charakter auf.

Der Verkäufer hat also eine Ware, von der er nichts hat, solange er sie nicht loshat. Die blasphemische Frage müsste sofort lauten: Warum hat er nur etwas, wovon er nichts hat? Warum gebietet er darüber? Nun, er hat sie deswegen, weil er jene am Markt in Geld verwandeln, somit einen Tauschwert realisieren kann. Darin liegt der einzige Sinn dieser Habe. Solche Ware ist nie Schatz, sondern etwas, das man in der Regel nicht horten, sondern so schnell wie möglich verkaufen möchte. Je länger die Umlaufszeit ist, desto größer werden die Kosten des Verkäufers. Abgesehen davon hat jede Ware eine begrenzte Lebensdauer.

Der Verkäufer ist indifferent gegenüber den Käufern, verkauft wird an jedermann, der Geld hat. Kriterium ist nicht, ob Menschen etwas brauchen oder wollen, sondern ob die Ware am Markt Absatz findet. Der Markt ist die große Synthese der kapitalistischen Produktionsweise. Dort wird alles hineingeworfen, um aufgrund monetärer Potenzen wieder verteilt zu werden. Nicht Welt und Bedürftigkeit sind das Kriterium, sondern der Markt und seine Kapazität. Das Schicksal der Menschen mag den Menschen nicht egal sein, als Verkäufer ist es ihnen gleichgültig. Insofern sie anderen Überlegungen folgen, z.B. spenden, beschneiden sie, falls es sich nicht um verdeckte Werbekosten handelt, ihren ökonomischen Handlungsradius. Die Maxime des Marktes sagt: So wie dir nichts geschenkt wird, hast auch du nichts herzuschenken.

Kaufkraft als Vermögen

Was brauche ich? oder Was will ich? kann nicht das uns leitende Kriterium sein, sondern: Was kann ich mir leisten? Die Grundfrage des bürgerlichen Subjekts lautet: Wie komme ich zu Geld? Jeder und jede von uns stellt sich zwangsweise die Frage, wo es denn solches zu holen gibt. Andauernd geht es darum, Geld aufzustellen. Gleich einem Süchtigen ist das Subjekt auf der Jagd nach dem Stoff. Zu Geld kommen kann es nur, wenn es etwas zu verkaufen hat oder von anderen Verkäufern bzw. von der bürgerlichen Allgemeinheit vulgo Staat alimentiert wird. Das Güterzukommen, also die Habe, ist im Kapitalismus keine Frage einfachen, freien oder gar bewussten Begehrens, sondern eine Scheidungsfrage entlang des monetären Vermögens.

Die Dinge des Lebens müssen durch das Nadelöhr des Geldes. Zur Befriedigung dient nicht das, was da ist oder aufgebracht werden könnte, sondern lediglich das, was im Wert ideell gedoppelt und durch einen Preis reell abgelöst werden kann. Gegenstände werden nicht in erster Linie dafür hergestellt, damit sie Bedürfnissen dienen, sondern weil mit ihnen Geld gemacht werden kann. Kaufen befriedigt die Verwertung, die Versorgung der Menschen ist nachrangig. Nicht die Konsumtion regelt Distribution und Produktion, nein, die Warenzirkulation als ganz spezifische Form der Distribution reguliert Produktion und Konsumtion. Produziert wird, was verkäuflich ist; und konsumiert wird, was gekauft worden ist.

Jeder will es erwerben, er will es vermehren, er will es ausgeben, er will es verzinsen, er will es arbeiten lassen, will damit kaufen, er will es vererben, er hat Angst um es, er könnte betrogen werden um es, es könnte entwendet werden, es könnte verfallen u.v.m. Es hält ihn auf Trab, denn es könnte auch weglaufen. Geld verlangt nach Anlage und Auslage. Wie ein Stachel sitzt das Geld im Subjekt. Die Verfügung folgt dem Gefüge, und sie ist umso erfolgreicher, je entschiedener eins sich zu fügen versteht. Es ist die absolute Unterwerfung, die oftmals das Vorwärtskommen bedingt. Manche nennen das Karriere. Ohnedies stellt sich die logische wie ketzerische Frage, wer eigentlich wem gehört: Dem Besitzer das Geld oder dem Geld der Besitzer? Jeder Geldbesitzer ist auch ein von Geld Besessener, also ein Geldbesessener, seine Gedanken kreisen fortwährend um es. Geld verdienen heißt, dem Geld zu dienen, um mit Geld dienen zu können.

Zahlreiche Studien gibt es über das Einkaufsverhalten bzw. die Einkaufsmotivation nach Geschlechtern, Berufen, Klassen, Einkommen, Status, Alter. Uns interessieren hier freilich weniger die Unterschiede als das, was sie alle gemeinsam prägt. Das vorausgesetzt Identische, nicht das positionell Differente. In einer Konzentration auf die Unterschiede geht meist die Sichtung des Allgemeinen verloren, sodass das, was alle auszeichnet, nicht mehr gesehen wird, sondern zur Position verengt wird. Das Wesentliche erscheint nicht. Diese Stellung mag so das Spiel prägen, die Regeln setzt sie nicht.

Beim Einkaufen geht es darum, dass ein Geldhaber sich in einen Geldausgeber transformiert. Es handelt sich dabei jeweils um die gleiche Person in einem anderen Aggregatzustand. Geldausgeber kann einer nur sein, der Geldhaber ist. Er ist dazu solange imstande, solange er über Geld verfügt oder ihm dieses vorgeschossen wird. Ein Kredit behauptet in diesem Realszenario nichts anderes, als dass der Kreditgeber vom Kreditnehmer meint, dass dieser das Darlehen einmal wird zurückzahlen können. Mit Geld macht der Geldgeber als Käufer den Geldnehmer als Verkäufer gefügig. Geld ist der rationelle Grund, eine Ware preiszugeben. Wohlgemerkt: es kann viele Gründe geben, dieses oder jenes zu wollen oder dieses oder jenes unbedingt zu benötigen. Aber was schließlich beim Kauf zählt, weil zahlt, ist das Geld. Der Austausch wird so zu einer unpersönlichen Kommunikation, wo im Regelfall allein die verdinglichte und nicht bedingte Beziehung über Geben und Nehmen entscheidet. Die substanzielle Kraft des bürgerlichen Subjekts liegt in seiner Kaufkraft. Sie entscheidet über die Teilhabe an Produkten und Dienstleistungen. Sie erscheint als das Vermögen schlechthin.

Um kaufen zu können, muss man Eigentümer von Geld sein oder von etwas, das sich in Geld verwandeln lässt (Grundbesitz, Arbeitskraft, Kapital, Anspruch auf Sozialleistungen). Bürgerliche Freiheit hat ihren Ausgangspunkt in den Rechten und Pflichten der Käufer resp. Verkäufer, freilich versetzt diese Freiheit nicht alle in die Befähigung, dem Status auch zu entsprechen. Dann treten Geldmonaden ohne Geld auf den Plan. Zu den schlimmsten Dingen gehört es, nicht (mehr) markttauglich zu sein. Nicht kaufen zu können, heißt, nicht gesellschaftsfähig zu sein. Man wird zum so genannten Sozialfall. Entwertet und verachtet, im besten Falle bemitleidet und alimentiert. Der Kapitalismus garantiert den Leuten, dass sie etwas kaufen können, sofern sie bezahlen können, er garantiert nicht,dass sie leben können.

Wo die Abhängigkeit vom Geld oberstes Gesetz ist, ist auch die Autonomie jedes Subjekts wiederum nur über Geld zu bewerkstelligen. Wenn jemand von sich stolz verkündet: „Ich bin unabhängig“, meint diese Person auch: „Ich habe genug Geld.“ Freisein heißt sich freikaufen zu können. Oder präziser noch: Freisein heißt sich freikaufen zu können, weil frei kaufen zu können. Ibsens Nora sagt im gleichnamigen Stück, und zwar im Ersten Akt, wo sie noch an das gemeinsame Glück mit ihrem Advokaten glaubt: „Ja, es ist doch wunderschön, tüchtig viel Geld und keine Sorgen zu haben. Nicht wahr?“ Unabhängigkeit ergibt sich, indem man Abhängigkeit ganz entschieden für sich zu nutzen versteht. Das verstehen alle und wiederum auch nicht. Sie agieren, weil es so ist, aber sie kapieren nicht, warum es so ist, geschweige denn zu sein hat.

Die große Retorte

Marktwirtschaft ist furchtbar kompliziert: Verkauft werden Waren. Und wiederum auch nicht. Denn die Bestimmungen orientieren sich je nachdem am Gebrauchswert oder am Tauschwert derselben. Die Ware ist zwar für den Markt bestimmt, doch der Markt zerreißt aufgrund der unterschiedlichen Interessen von Käufer und Verkäufer deren Einheit. „Und wenn der Gebrauchswert der Ware dem Käufer nützlicher als dem Verkäufer, ist ihre Geldform dem Verkäufer nützlicher als dem Käufer“ (MEW 23, 174), schreibt Marx. Obwohl Geld ohne Ware keinen Wert hat, erscheint das in der bürgerlichen Gesellschaft nicht nur umgekehrt, sondern wird auch so gehandhabt. Die Verdoppelung des Materiellen (Stoff) im Formellen (Geld) ist grundlegend für die bürgerliche Ökonomie. Der Gebrauchswert ist nur über den Tauschwert vermittelbar, ohne Tauschwert kann kein Gebrauchswert am Markt auftreten. Sie sind in der Ware verschmolzen: „Die Waren müssen sich daher als Werte realisieren, bevor sie sich als Gebrauchswerte realisieren können.“ (MEW 23, 100) Bei W–G–W ist der Gebrauchswert das treibende Moment, bei G–W–G der Tauschwert, G–W–G wiederum macht nur Sinn als G–W–G’. Einmal geht es um die qualitative Verschiedenheit von Waren, das andere Mal um die quantitative Differenz von Geld.

Die „große gesellschaftliche Retorte“ (MEW 23, 145), die Zirkulation, darf nicht beschrieben werden als die Summe der erledigten Geschäfte, sie ist vielmehr das Getriebe der Akkumulation schlechthin. Die Zirkulation entscheidet über Gelingen und Misslingen der Verwertung. Marx kritisiert etwa James Mill, weil dieser den Zirkulationsprozess mit den Tauschhandlungen verwechsle: „Das metaphysische Gleichgewicht der Käufe und Verkäufe beschränkt sich darauf, dass jeder Kauf ein Verkauf und jeder Verkauf ein Kauf ist, was kein sonderlicher Trost ist für die Warenhüter, die es nicht zum Verkauf, also auch nicht zum Kauf bringen.“ (MEW 13, 78)

Markt meint nicht nur den geglückten Tausch, sondern ist auch der Raum aller verunglückten Versuche, den Wert zu realisieren. Vollzugsakte sind gegenüber Fehlschlägen in der Minderheit. Und die Fehlschläge nehmen nominell und prozentuell sogar zu, wo sich Geschäfte und Waren mehr und mehr ausweiten. Am Markt herrscht der Drang, möglichst viel zu kaufen, aber auch die Einsicht, vieles weder kaufen zu wollen noch kaufen zu können. Die Zirkulation führt den Käufern vor Augen, dass es da etwas gibt, das sie haben können, aber ebenso, dass es etwas gibt, was sie nicht haben können. Die Differenz von kaufbar und leistbar ist jedem Marktteilnehmer bewusst. Dieser Zwiespalt zwischen ideeller Begierde und reeller Enthaltsamkeit prägt das Subjekt. Vor allem soll es auch seinen Eifer anspornen.

Verderben und Verlust sind immanente Größen. Warenberge können Leichenberge werden. Man denke nur an die Müllhalden. Wenn Verkäufer nicht mehr verkaufen können, ist meist Vernichtung der Ware angesagt. Entweder tut sie es selbst, indem sie verdirbt, oder sie wird bewusst zerstört. Auch die Moden leisten hier ihren Beitrag. Was unverkäuflich ist, gilt als tot. Diese unschöne Seite der Lebensmittelverschwendung ist Kapitalismus pur. Von Gleichgewichten kann nur sprechen, wer sich auf das Gelingen der Geschäfte kapriziert und das Misslingen ausblendet. Am Markt treten Inklusion und Exklusion als identische Differenz auf. Er ist der große Ort des Scheiterns und des Untergangs. Mehr als der Erfolg ist der Misserfolg konstitutiv und zwar konstitutiv destruktiv. Ein Kollaps folgt dem nächsten. Zirkulation ist immer auch Stockung. Die Gefahr des Umschlags eines Vorrats in einen Stau ist stets gegeben. Das Lager ist zwar notwendig, aber man kann auf ihm auch sitzen bleiben, sowohl als Produzent als auch als Händler als auch als Konsument.

Tun als Handeln

Die Ware, die kein krudes Ding ist, sondern ein vertracktes soziales Verhältnis, kann ihren gesellschaftlichen Auftrag nur adäquat erfüllen, wenn sie nicht bloß käuflich ist, sondern wenn sie auch verkauft wird. Sie muss alles daran setzen, dass dieser Fall eintritt. Dass das Mögliche sich auch realisiert. Das vermag sie allerdings nicht alleine zu bewerkstelligen, sondern bedarf ihres Personals der Warenhüter, all der gesellschaftlichen Käufer und Verkäufer, somit aller. Diese stehen nicht nur in einem Dienstverhältnis zur Ware, sondern Kauf und Verkauf sind ihre Lebenswelt, in der sie sich bewegen. Sie bewegen sie und werden durch sie bewegt. Sie sind immer im Dienst und stets zu Diensten. Es ist einfach nicht so, dass ein Produkt zum Menschen will oder dass der Mensch ein Produkt möchte, sondern dass verdinglichte Warenbeziehungen fortwährend kommunizieren um abgesetzt zu werden. Man ist in einem Kreislauf gefangen, und auch das Denken oder besser vielleicht: das Registrieren ist befangen in dieser mächtigen Form „ewigen“ Handelns, das nichts anderes als ein Handeln zu sein hat. Schon die sprachliche Doppelung des Begriffs für Unterschiedliches demonstriert die eminente Bedeutung dieses Terminus: Tun hat Handeln zu werden.Immer mehr!Unablässig!

Der Markt ist nicht der Ort gemeinsamer, also kommunistischer Erfüllung, sondern der Raum gegenseitiger Abgleichung, ein Platz, wo der kommerzielle Wettbewerb absolut gesetzt wird. Da treten Konkurrenten an, nicht Freunde auf. Die schmerzhafte Trennung der Konsumenten von den Produkten wird dort nicht aufgehoben, sondern Produkte werden als Waren freigekauft. Das uns entgegenkommende Produkt wird nicht als Gut geschätzt, sondern als Ware aufgefasst. Selbst wo es nicht positiv angenommen wird „Wie kann ich es kaufen?“, sondern bloß negativ „Was kann ich mir ersparen?“ Geld und Wert sind schon im Kopf der Leute, die am Markt als Käufer und Verkäufer und eben nicht ganz profan als Bedürftige auftreten. Der Mensch wird nicht erst im Kaufakt zum Käufer, sondern er erfüllt in diesem Moment nur seine gesellschaftliche Funktion, ja Pflicht, die er immer hat, auch dann, wenn er sie gerade nicht ausübt. Er ist als Käufer formiert, selbst dort, wo nicht unmittelbar der Markt regiert. Das kommerzielle Wesen betrachtet die Welt durch das Auge von Kauf und Verkauf. World and Business werden ihm eins. Seine Aufgabe als Kunde besteht darin, kundig zu sein, sich in der Warenwelt auszukennen.

Sicher ist, dass man zahlen muss, unsicher ist, ob man zahlen kann. Das macht das bürgerliche Leben unlustig, weil eins permanent nach Geld gieren muss. Unser Glück liegt nicht in der substanziellen Erfüllung, sondern in der substituierten Realisierung durch Geld. Im Kauf geht es zuvorderst ums Können, erst dann kann das Wollen sich realisieren. Das Wollen alleine ist nicht mehr als eine Absicht ohne Mittel. Der Wunsch, das Verlangen, die Begierde mögen Anlass und Motivation sein, aber Geld ist die rationelle Bedingung der Transaktion. Motiv und Bedingung korrespondieren also nicht a priori, sie müssen zusammengeführt werden, will die Transaktion gelingen.

Ist das Vermögen auf Seite des potenziellen Käufers vorhanden, ist es die Aufgabe des Verkäufers dieses Vermögen des Kunden in ein Kaufvorhaben zu transformieren. Das Sollen hat also zu seinem konkreten Wollen zu werden. Da hat der Verkäufer nachzuhelfen, irgendwie muss er es bewerkstelligen. Darüber entscheidet die Geschicklichkeit des Verkäufers von seinem Auftreten über seine Agitationskünste bis hin zur professionellen Bewerbung der Produkte. Der Verkäufer muss den Käufer von dessen eigenem Wollen überzeugen, gegebenenfalls es sogar kreieren. Der Verkäufer hat am meisten dort zu gewinnen, wo er das Wollen in ein unbedingtes, also in ein Müssen zu transformieren versteht. Er darf dem potenziellen Käufer keine Fluchtmöglichkeit lassen. Die Ware loszuwerden ist dabei immer dringlicher als das Geld loszuwerden. Erstes daher auch ein unbedingtes Ziel, zweites eine bloße Notwendigkeit zum Vollzug. Der Wert der Ware realisiert sich eben nur durch den Tausch im Kauf.

Der Einkauf ist durch die Menge des Salärs begrenzt, über das man verfügen kann, resp. angenommen wird, dass man darüber verfügen könnte. Ohne Verfügung mit Geld, keine Fügung zum Kaufakt. Der Kauf relativiert die Bedürfnisse an der Liquidität. Nicht Bedürfnisse an sich bestimmen das ökonomische Feld, ausschlaggebend ist die Zahlungsfähigkeit. Ohne sie keine Transaktion. In letzter Instanz nimmt der Käufer als Käufer nicht sinnliche Möglichkeiten wahr, sondern monetäre Gelegenheiten. Wir sind weitgehend unfähig, etwas aufzufassen, ohne die Kosten zu denken. Unser Denken ist ein Denken in Preisen, ein primitives Reflektieren in und von Werten. Was das kosten wird? Was das wohl gekostet haben mag? Oder: Wie komme ich selbst auf meine Kosten? Permanent umschwirren solch ungemütliche Gedanken unseren Geist und verwandeln ihn in eine Rechenmaschine, wo die Kosten stets wichtiger sind als die Folgen der Handlungen.

Es ist keineswegs so, dass am Anfang ein Begehren sich ungebrochen äußert und erst dann seine Beschneidung durch die Geldmenge greift. Das hieße doch, dass Menschen den Gegenstand des Verlangens in Etappen, zuerst als Gut und dann erst als Ware auffassen. Dem ist nicht so! Die selbstverständliche Pflicht liegt darin, jedes Produkt und jeden Dienst in den Dimensionen des Preises (und des Preisvergleichs) zu beurteilen und diese mit den eigenen finanziellen Potenzen zu konfrontieren. Wenn wir Waren betrachten, denken wir den Tauschwert nicht bloß mit, wir begreifen und betätigen, ja empfinden ihn. So sind wir programmiert. Es ist ein synthetischer Vorgang. Und dieser gleicht nicht nur einem sozialen, sondern einem organischen Reflex, der den Instinkten nahekommt, und daher sich auch als solcher betätigt. Die Kalkulation in den Geschäften folgt dem Gespür alltäglichen Handelns, den vielfachen Erfahrungen, die jedermann in der Warenwelt so hat.

Können alleine kann gar nichts. Die Eignung der Menschen zum Konsum und die Eignung der Produkte zum Gebraucht-Werden, verbunden mit einer vernünftigen Zuteilung, das alles ist heute weder ausreichend noch ausschlaggebend. Die Eignung muss einer besonderen Aneignung unterworfen werden. Die Eignung, ja die Notwendigkeit zur Nahrungsaufnahme reicht keineswegs aus, essen zu dürfen. Um Brot zu essen oder auch Traktor zu fahren, muss es einen Eigentümer geben, der das tut oder es anderen gestattet. Annahme, Betätigung, selbst Sättigung verlangt einen Rechtstitel. Bedürftigkeit oder Begehren sind dies im Normalfall nicht.

Gegeneinander zueinander

Was will der Zirkulant? Als Käufer will er so billig wie möglich einkaufen, als Verkäufer will er so teuer wie möglich verkaufen. Seiniges wie sich. Was er als Verkäufer will, will er als Käufer nicht. Dieser Widerspruch muss aber im Tauschakt aufgehoben werden. Handeln meint, dass der Verkäufer die Ware anpreist und der Käufer sie abpreist, um sich idealtypisch doch auf ihren Wert zu einigen. Von Steuern und sonstigen Abgaben abgesehen, kann der Käufer nicht mehr bzw. weniger zahlen als der Verkäufer erhält. Sie müssen gegeneinander sein, aber zueinander finden, soll das Geschäft sich realisieren. Auf den Preis müssen sie sich einigen. Vergesellschaftung durch den Kauf funktioniert so, dass Käufer und Verkäufer etwas Gemeinsames vollziehen, aber nicht miteinander, sondern gegeneinander. Konfrontation ist unausweichlich. Ihr Aufeinandertreffen gleicht einem Kampf.

Preiskampf nennt sich das dann etwa, zunehmend ist daher auch in der Werbung von Kampfpreisen die Rede. Zu Recht. Werbeschlacht und Absatzkrieg sind obligate Folgen. Die Sprachen der Wirtschaft und des Krieges sind meist synchron. Wer auf seinem Sortiment sitzen bleibt, hat das Nachsehen. Am Markt stehen sich die Teilnehmer als Gegner, ja Feinde gegenüber. Im Preis finden sie einen Vergleich ihrer Wünsche und Möglichkeiten. Das Geschäft ist die Exekution des entsprechenden (Aus-)Handelns. Das Sich-Vertragen ist alles andere als selbstverständlich, es bedarf vielmehr eines gesonderten Vertrags, eines Kaufvertrags. Vertrauen kann unter solchen Bedingungen kaum gedeihen. Zuschlag geht vor Handschlag. Man muss verteufelt aufpassen, Gelegenheiten erkennen, einen Riecher entwickeln, kaltblütig Chancen realisieren, Lobbying betreiben oder auch Mobbing, das ja nur aus anderer Perspektive Ähnliches beschreibt. Tät ich’s nicht, ein anderer tät’s. Zweifellos.

Billig kaufen, teuer verkaufen! Dieses sich widersprechende Prinzip ist eine Zumutung sondergleichen. Jeder schaut in den Konfliktsituationen auf sich, nimmt Einbußen des anderen nicht nur in Kauf, sondern strebt sie direkt an. Rücksichtnahme verursacht Kosten. Doch nicht nur Käufer und Verkäufer treten gegeneinander an, auch Verkäufer gegen Verkäufer, und ebenso Käufer gegen Käufer, etwa auf der Jagd nach billigen Produkten, Leistungen und Arbeitskräften. Der Gier nach Schnäppchen entsprechen die Sonderangebote, die feilgeboten werden. Sie befriedigen sie, weil sie sie hervorrufen. Schnäppchenjagd gleicht einem Basistraining für Käufer.

Ewige Rechnung

Was einen auf jeden Fall präsentiert wird, ist die Rechnung. Die Rechnung ist nicht bloß eine Bestätigung, sondern auch ein Zeugnis, das dem Käufer Rechenschaft über seinen Einkauf gibt, damit er die finanzielle Zweckmäßigkeit seines Tauschhandels überprüfen kann. Links steht der Gebrauchswert (Menge, Titel, Marke), rechts der Tauschwert, charakterisiert durch eine Zahl mit Komma, die den genauen Preis ausweist. Rechts unten sind die einzelnen Posten dann zusammengezählt. Die Rede ist vom Kassenbon. Eine entsprechende Summe ist zu entäußern, um in den Besitz der Lebensmittel zu gelangen.

Rechnung sagt uns, dass das Äquivalenzprinzip für Gerechtigkeit sorgt, dass Gleiches mit Gleichem vergolten werden muss. Am Markt kann man nichts handeln, ohne eine Rechnung zu präsentieren und präsentiert zu bekommen. Das gemeine Wort Abrechnung spricht klar und deutlich aus, was da ökonomisch läuft. Max Weber hält fest: „Die Kapitalrechnung in ihrer formal rationalsten Gestalt setzt daher den Kampf des Menschen mit dem Menschen voraus.“ (Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriss der verstehenden Soziologie, Neu Isenburg 2005, S. 66) Die offene Rechnung firmiert in der Alltagssprache daher auch als gemeingefährliche Drohung. Ökonomisch ist sie eine Bedrohung für den Käufer, der das Geld nicht hat, aber auch für den Verkäufer, der das Geld nicht bekommt. Käufe wurden sodann zwar getätigt, aber nicht finalisiert. Dieses Risiko muss aber ob der Flüssigkeit des Waren- und Geldverkehrs eingegangen werden. Gefeit davor, aufgrund unbezahlter Rechnungen zu bankrottieren, ist niemand. Oft sind es sodann Ausfälle und Zufälle, die derlei bewirken. In der Wirtschaft greift daher folgendes Phänomen um sich: das der unbezahlbaren Rechnungen aufgrund unbezahlter Rechnungen.

Wir sind unseren Verdinglichungen ausgeliefert.Unsere Geschäfte fressen unser Leben. Unsere Chancen werden nicht größer, auch wenn oder gerade weil es derer zunehmend mehr gibt. Doch jene besetzen die Felder des Lebens, nehmen Raum und Zeit ein, die sie den Menschen abgenommen haben. Die Frage, wer wen disponiert, ist bereits entschieden. Je mehr man sich aussuchen kann, desto mehr wird man suchen müssen, will man den Angeboten gerecht werden. Solche Berechnungen finden wiederum in die Ökonomie kaum Eingang, denn diese Mühen belasten nicht sie, sondern ausschließlich die Konsumenten. Es wäre interessant zu wissen, wie viel Lebenszeit Menschen durchschnittlich zur Erledigung ihrer Geschäfte aufwenden müssen und wie viel Lebensraum sie dafür verbrauchen. Ziel der Ware ist die Überwindung von sittlichen und traditionellen Hindernissen, ja aller räumlichen und zeitlichen Schranken. Es geht heute nicht mehr nur um das klassische Ausweiten der Märkte, sondern um die Multiplizierung der Verkaufsmöglichkeiten, reell und insbesondere virtuell. Die Waren müssen nicht dort sein, wo sie angeboten werden. Vor allem via Internet lassen sich diverse Geschäfte von jedem Ort aus und zu jeder Zeit erledigen. Käufer und Verkäufer müssen sich weder kennen noch treffen.

Ehernes Kalkül

Wenn der Käufer die Ware ansieht, was sieht er? Er sieht auf jeden Fall mehr, als er sieht, ohne sich freilich selbst zu sehen. Er begreift sich durchaus als Individuum, nicht als serieller Träger einer Rolle. So souverän er sich auch gibt, so sieht er sich akkurat nicht in seinem Sein. Sind Sachlichkeit, Rationalität, Konstruktivität vielleicht gar Zwangsvorstellungen, Halluzinationen? Beim Kauf geht es ganz wild zu in den Ganglien: Nicht „Was ist zu haben?“ ist die Frage, sondern „Was kann ich mir leisten?“ Der Gebrauchswert der Ware muss mit dem ähnlicher Waren verglichen werden. Die Ware ist bezüglich der eigenen Kaufkraft zu veranschlagen. Sie muss aber auch zum Warensortiment in Bezug gesetzt werden, das der Warenkäufer erwerben will. Was braucht man notwendiger? Was ist unverzichtbar? Was ist leistbar? Daraus folgen Reihungen und Entscheidungen. Weiters: Welches Produkt ist billiger? Welches Produkt lebt länger? Was sagen die Erfahrungen? Welches gefällt resp. schmeckt besser? Die Ware muss schließlich zur gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit in Beziehung gesetzt werden. Entspricht der Preis dem Wert, kurzum: ist der Artikel preiswert? Diese und viele andere Fragen stellt der Warenkäufer andauernd. Sie stellen sich ihm auch ganz einfach in den Weg und müssen beantwortet werden. Er braucht sie gar nicht auszuformulieren. Sie behaupten sich sowieso. Er hat sie intus. Ständig gilt es, Preise zu vergleichen, Listen zu studieren, Sonderangebote zu suchen oder durch Seiten zu surfen. Obgleich jene Gebote einem ja entgegenfliegen, öffnet man die Wohnungstür, das Postfach, den Browser. Billig davonkommen, (sich) teuer verkaufen, ist die Devise aller Warensubjekte. Dies ist ihre konstitutionelle Natur, sie ist gesellschaftlich vorgegeben, unhintergehbar.

Die Waren- und Geldmonade ist darauf abgerichtet, permanent zu kalkulieren. Das funktioniert quasi automatisch. Wir handeln wie im Affekt, weil Handeln zu einem Affekt geworden ist. Jeder Käufer wird so zu seinem Geldbörsenspekulanten. Einkaufen ist eine ungemein komplexe Angelegenheit, es erscheint nur nicht als solche, sintemal es kaum eine andere Gewohnheit gibt, die so vertraut ist. Die Allmacht der Konvention deckt das zu. Mit Geld umgehen zu können, gehört zu den ausgeprägtesten Kulturtechniken. Unzählige Spezialberufe haben sich da im Lauf der Zeit herausgebildet: Börsenspekulanten, Steuerberater, Versicherungsmakler, Bankangestellte, Kassiererinnen, Mahnabteilungen, Finanzbehörden etc. Es wäre interessant zu erheben, wie hoch der Prozentsatz an menschlicher Gesamttätigkeit dafür ist. Wir würden vermuten, es ist der Großteil. Der direkte Dienst am Geld als Gelddienst ist zum vorherrschenden Beruf geworden. Die Gesellschaft mag sich säkularisiert haben, doch noch nie gab es so viele Priester und Orden, siehe oben. Derlei quantitative Forschung findet sich freilich kaum. Cui bono?

Im Kaufen offenbart sich tagtäglich die fetischistische Bezüglichkeit der Menschen zu ihren Leistungen und Produkten. Sie nehmen diese nicht direkt wahr und an, sondern indirekt. Aus der fetischistischen Bezüglichkeit wird eine eherne Beziehung, deren Problem mitunter gerade darin besteht, gar nicht als besondere Form geschweige denn als Problem erkannt zu werden. Der Zugang erfolgt über ideelle und reelle Umwege: „Wenn die Tauschwerte in den Preisen ideell in Geld verwandelt werden, werden sie im Tausch, im Kauf und Verkauf, reell in Geld verwandelt, gegen Geld umgetauscht, um sich als Geld dann wieder gegen Ware umzutauschen.“ (MEW 42, 124) Das bürgerliche Sakrament will es so. Käufer und Verkäufer bestimmen Kosten und Preise, auf einer quantitativen Skala, die von all den nützlichen Dingen abstrahiert, aber sie doch als konkrete Summe auszuweisen versteht. Erst dann erfolgt eine Aneignung über den Markt mittels eines Rechtsgeschäftes.

Die prägende Sonderstellung des Werts offenbart sich darin, dass der Waren- und Geldfetisch mit geradezu drückender Vehemenz auf den gesellschaftlichen Gliedern, egal ob Exponenten oder Exponaten lastet. Waren nicht zu kaufen und mit Geld nicht zu hantieren, das kann sich niemand erlauben. Auch wenn dies gar nicht verboten ist, dort hört die Freiheit auf. Ins Gotteshaus und in Wettbüros wird man allemal gelockt, aber hineingezwungen wird niemand; ins Kaufhaus und in die Bank jedoch schon. Ob reell oder virtuell, ist da ganz egal. Dazu bedarf es weder eines Befehls noch einer Aufforderung, ja nicht einmal eines Hinweises. So wenig wir davon auch wissen, wir wissen alle, was zu tun ist und dass es genau so zu sein hat. – Oder?

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