Türkis-Grün als Auslaufmodell

Auch wenn es noch nicht vorüber ist, es ist schon vorbei. Türkis-Grün ist Geschichte.

von Franz Schandl

Die Frage lautet nur: Dauert es noch bis in den Herbst oder ist bereits im Sommer Schluss, sollten die Nationalratswahlen doch noch vorgezogen werden. Rein rechnerisch gibt es keine Chance auf eine Neuauflage. Der Zuspruch für Konservative und Grüne, der 2019 noch bei über 50 Prozent gelegen ist, dürfte sich fast halbieren, zusammengezählt werden sie keine 30 Prozent mehr erreichen. Die ÖVP fürchtet im September ein wahres Debakel. Das könnte auch der Grund für die Vorverlegung sein. Zur Zeit herrscht nervöses Taktieren. Besser als 15 Prozent einzubüßen ist es allemal bloß 10 Punkte Minus einzufahren. Letzteres würde die Konservativen mittlerweile als Erfolg werten. Die Volkspartei hat Angst in einen regelrechten Abwärtsstrudel zu geraten, daher wäre es – so sehen es dort nicht wenige – für sie vernünftiger, schon früher ramponiert auszusteigen als später völlig destruiert zu werden.

Die Partei ist seit 1986 in der Regierung, und sie kann sich etwas anderes gar nicht mehr vorstellen. ÖVP wie Grüne werden einen beträchtlichen Teil der in der Alpenrepublik üppigen Parteienförderung und somit ihrer Einnahmen verlustig gehen. Ein Aderlass sondergleichen, der bei den Hinterbliebenen ein heftiges Hauen und Stechen prognostizieren lässt. Hinter den Kulissen rangeln sie schon heftig um die verbleibenden Mandate. Der aktuelle Zusammenhalt von Türkis-Grün hat keine programmatischen Gründe mehr, sondern gedeiht auf der puren Logik selbstreferenzieller Parteiapparate.

Im freien Fall befinden sich auch die Grünen. Kein Vizekanzler wird sich mehr ausgehen. Egal welche Konstellation sich durchsetzt, die Ökopartei müsste von Glück reden, in einer Dreierkoalition mitgenommen zu werden. Auch die liberalen Neos werden kaum zulegen können. Die Koalitionsbildung wird schwierig, da doch drei Partner benötigt werden. Wie die Nationalratswahlen im Detail ausfallen, das hängt auch sehr davon ab, welche Dynamik die Wahlgänge im Superwahljahr lostreten. Gewählt wird in Salzburg-Stadt, zum Europäischen Parlament, zum Nationalrat, und dann noch der Landtag in Vorarlberg und in der Steiermark.

Bereits Anfang März stehen Wahlen für den Salzburger Gemeinderat an. Dort wird ausgerechnet die KPÖ ein beachtliches Ergebnis erzielen. Schon bei der Landtagswahl im Vorjahr konnte Kay-Michael Dankl reüssieren, in der Landeshauptstadt werden seine Zugewinne bei dieser wichtigen Kommunalwahl noch deutlicher ausfallen. Nicht einmal die Überraschung, dass die Kommunisten wie in Graz die ÖVP überholen und Erster werden, ist ausgeschlossen, ebensowenig dass Dankl Bürgermeister wird. Insofern könnte Salzburg zu einem Schlüsselereignis werden, das den Wiedereinzug der KPÖ (erstmals seit 1959) in den Nationalrat einleitet. Die Kommunisten wirken wie eine seriöse und solide ökosozialdemokratische Gerechtigkeitspartei und setzen dabei auf den Schwerpunkt Wohnen. Die Bluttransfusion durch die von ihrer ehemaligen Mutterpartei rausgeworfenen Jungen Grünen 2017 hat den Kommunisten gut getan. Wenn Dankl im bürgerlich-konservativen Salzburg ein Viertel der Stimmen holt, warum sollte dann die KPÖ an der Vier-Prozent-Hürde scheitern?

Normalos gegen…….

Exponenten der Volkspartei berufen sich des Öfteren auf den gesunden Menschenverstand, der gegenwärtig eine ähnliche Karriere hinlegt wie die anzubetenden Werte. Stets beschworen werden daher die Normalos, im Jargon der ÖVP sind das Menschen, die zeitig aufstehen und einer geregelten Arbeit nachgehen. Sie gilt es zu entlasten, was meint: Abschaffung der Kapitalertragssteuern am Sparbuch, ausgeglichenes Budget, Senkung der Lohnnebenkosten. „Mehr Privat, weniger Staat“ war auch wieder zu hören, sogar von „Leitkultur“ ist zusehends die Rede. Abgesehen von der Karenz für Großeltern, die ihre Enkel betreuen, sind der Kiste des am letzten Freitag vorgestellten „Österreich-Plans“ nichts Neues zu entnehmen als die altbekannten Everblacks. Die eigenen Klientel mag sich freuen, aber sonst? Arbeitslose, Migranten und sonstige „Minderleister“ sollen sich schon mal fürchten.

Was die ÖVP verschärft, ist der Ton, man will mit der FPÖ um das rechtskonservative Potential buhlen. Die Volkspartei hat sich entschlossen, das gleiche Segment zu bedienen. Dessen ungeachtet versucht der Kanzler krampfhaft dem Wahlpublikum die Frage „Nehammer oder Kickl?“ aufzudrängen. Doch das wird nicht aufgehen, zu nahe stehen sich ÖVP und FPÖ in vielen Punkten. In drei Bundesländern koalieren sie bereits miteinander. Niemand sage, das passt nicht. Das Inhaltliche trennt sie nicht, das war schon 2017 kein Problem, als Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache (FPÖ) ein Regierungsbündnis schlossen. Zu Recht betont selbst der Chefredakteur der Kronen Zeitung, dass Nehammers Ansatz „ohnehin kräftig blau schimmert“. So scharf die Abgrenzung auch sein mag, in Zielen und Vorhaben herrscht weitgehend Identität.

…96 Prozent?

Sich als Alternative zu Herbert Kickl zu positionieren, das wirkt bei Andreas Babler, dem Obmann und Spitzenkandidaten der SPÖ, doch um vieles überzeugender als bei Karl Nehammer. Eine entscheidende Frage ist, ob Babler die emotionale Mobilisierung der Partei zu einer Wahlbewegung hinkriegt. Ob also die Funktionäre bereit sind mehr als Dienst nach Vorschrift zu leisten und ob die neuen Mitglieder, die im Zuge seiner Kampagne um den Vorsitz der SPÖ so zahlreich beigetreten sind, auch aktiv werden. Das unabgesprochene, aber anvisierte Bündnis vom Bobo bis zum Pensionistenheim könnte unter Umständen aufgehen. Babler wirkt seriös und sympathisch, absolut nicht abgehoben, anders als seine Vorgänger Kern oder Gusenbauer, der als Benkös Kompagnon keine geringe Hypothek für seine Partei darstellt. Von diesem Typus dürften aber rechte wie linke, alte wie neue Sozialdemokraten vorerst genug haben. Die Stimmung an der sozialdemokratischen Basis war jedenfalls schon schlechter. Im Zuge einer Zuspitzung zwischen Babler oder Kickl könnten dann selbst die KPÖ und die Bierpartei wiederum unter die Räder kommen.

Babler will vor allem Politik „für die 96 Prozent“ machen. Die Superreichen sind da immer im Visier. Wenn er auch aufgrund seiner sich stets beschleunigenden Schachtelsätze, nicht der beste Redner sein mag, den die Sozialdemokratie je hatte, der beste Schreier ist er auf jeden Fall. Der häufige Einsatz des Dialekts soll die Verbundenheit des Traiskirchner Bürgermeisters mit den einfachen Leuten unterstreichen. Wenig anecken, aber den Mund voll nehmen, das versteht er. Der Basis gefällt es wie Babler in Saft geht. Die direkte Kommunikation liegt ihm auch besser als der mediale Auftritt. Dort ist er in seinem Metier. Der Mann ist ein Aufwärmer, auch in anderer Hinsicht. „Gut hat er geredet“ wird wichtiger als „Was hat er gesagt?“. Die linksradikalen Ausritte von früher, Stamokap und Palituch, das war einmal. Selbst wenn jene im Wahlkampf aufpoppen, wird das kaum tangieren.

Schwer abzuschätzen ist das Antreten der angesprochenen Bierpartei von Marko Pogo, mit bürgerlichem Namen Dominik Wlazny. Ursprünglich als Juxliste gegründet, hat Wlazny schnell Gefallen am politischen Zuspruch gefunden. Bei der Bundespräsidentschaftswahl waren es immerhin über 8 Prozent, die für ihn votierten. Bekommt er die Hälfte dieser Stimmen, ist er im Parlament. Inhaltlich ist da nichts Neues oder Originelles im Köcher. Aber jenseits der politischen Konvention wirkt er frisch, frech und fröhlich. So einen hatten wir noch nicht. Pogo ist zweifellos ein PR-Talent, sein Kunstprojekt ist eine Symbiose aus Pop und Politik, aus Performance und Business. Das neue Album seiner Band Turbobier ist soeben erschienen, in der anstehenden Präsentation werden Tournee und Tour eins werden, und auch der gleichnamigen Biersorte, vertrieben von einer Supermarktkette, wird das nicht schaden. Kabarett macht er auch. Die Bierpartei ist also breit aufgestellt. Das ganz auf Pogo ausgerichtete Geflecht aus Familie und Firma, Band und Partei birgt einiges an Synergie, es könnte Wlazny, dessen Liste in erster Linie er selbst ist und sonst bisher nur Statisten kannte, aber auch bald auf den Kopf fallen.

Die FPÖ braucht nicht viel zu tun, aktuell dreht sich alles um sie. „Wie verhindern wir Kickl?“, ist die zentrale Frage, der sich sämtliche anderen politischen Kräfte verschrieben haben. Der geht inzwischen Bergsteigen und lässt die anderen die Arbeit für sich erledigen. Die Kontingente der Aufmerksamkeit, sie werden ihm freiwillig zugeschanzt, noch dazu hat man ihm ganze Themenfelder wie die Verteidigung der Neutralität, die Kritik der Covid-Maßnahmen und der Ukraine-Politik, überlassen. Fast konkurrenzlos agiert die FPÖ nun auf diesem Terrain. Probieren die Freiheitlichen aber die Straße für sich zu mobilisieren, geht das meistens daneben. Als sie die deutschen Bauernproteste in Österreich kopieren wollten, erwies sich der Aufmarsch als absoluter Flop. Ihre Kraft schöpfen sie nicht aus sich selbst.

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