Auf Neutralität tun, auf NATO setzen

In der neuen Sicherheitsstrategie Österreichs wird Russland vom Partner zur Bedrohung

von Franz Schandl

Während die Bevölkerung mehrheitlich eher zu verhalteneren und vorsichtigeren Maßnahmen am internationalen Parkett neigt, will die türkis-grüne Regierung vor allem eines: aufrüsten und dabei sein im Kampf gegen das Böse auf der Welt. Geradezu kryptisch spricht man in der neuen Sicherheitsstrategie davon, „das Ambitionsniveau der EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung weiterentwickelt“ zu haben. Die Weltlage kommt diesen Plänen gerade recht. Auf jeden Fall hat Putin beflügelt, wovon Aufrüstungsbefürworter bisher nur träumten. Endlich wieder ein Kalter Krieg und vielleicht sogar ein heißer…

So wird es für das Militär in Zukunft zweifellos einiges mehr an Geld geben, bei Pflege oder Gesundheit wird man hingegen weiter knausrig sein; denn Sicherheit geht vor und schließlich sind wir bedroht. Natürlich ist es Wladimir Putin, der uns überfallen möchte: „Auch ein militärischer Angriff auf die EU bzw. einen ihrer Mitgliedstaaten ist wahrscheinlicher geworden“, heißt es in dem beschlossenen Papier. Ob das ein ernsthafter Befund ist oder nicht doch eher eine zweckdienliche Befindlichkeitsanalyse, sei dahingestellt, Aber so ist das mit den Narrativen. Auf jeden Fall ist an diese Doktrin zu glauben. Wer nicht folgt, ist ein Putinversteher und Autokratenfreund.

Im Prinzip geht es darum, die doch über Jahrzehnte soliden bis freundschaftlichen Beziehungen zu Russland zu kippen und sich dem westlichen Militärbündnis als treuer Vasall anzudienen. Russland ist kein „wesentlicher Partner“ mehr, das Land gilt fortan als stereotypes Feindbild. Alle offiziellen Kanäle sind auf diese Botschaft gedrillt. „Russland führt längst Krieg gegen Europa, gegen den Westen und damit auch gegen Österreich“, heißt es ganz apodiktisch in der liberalen Tageszeitung Der Standard. So einfach kann man die Welt deuten. Man zimmert ein plumpes Bedrohungsszenario, behauptet die Gefahr eines russischen Überfalls und findet trotz Neutralität seinen Weg, in die NATO ohne sie beizutreten. So ist man auch bisher schon am besten gefahren: auf Neutralität tun und auf NATO setzen. Mögen andere beitreten, wir sind sowieso mit von der Partie.

Im Papier heißt es: „Hybride Bedrohungen und Beeinflussung werden von autokratischen Staaten, deren Nachrichtendiensten, aber auch von nichtstaatlichen Akteuren genutzt, um die EU, ihre Mitgliedstaaten und Österreich zu destabilisieren. Als Instrumente hybrider Bedrohungen werden unter anderem Cyberangriffe, Desinformationskampagnen, wirtschaftlicher Druck oder Extremismus genutzt. Ein Augenmerk muss auf die zukünftigen Entwicklungen im Bereich der Desinformation und (Daten-)Manipulation gelegt werden. Die zunehmende Anwendung von KI in diesem Kontext wird eine entscheidende Herausforderung darstellen.“ Nun sollte man zwar Russlands Treiben in Europa und anderswo gar nicht bagatellisieren, man sollte vor allem aber auch nicht so tun, als seien die liberalen Demokratein des Westens selbst völlig unbefleckte und lautere Wesen am Parkett der internationalen Politik. Destabilisierung ist keine Einbahnstraße.

Die neue Sicherheitsdoktrin ist schlichtweg ein Antirussenpapier. Das Parlament wurde nur pro forma, aber nicht effektiv miteinbezogen, was von den Oppositionsparteien auch beklagt wurde. Immer flotter macht Österreich den Schritt von der „Insel der Seligen“ (Papst Paul VI.) zu einer Halbinsel der Unseligen. Sky Shield war nur eine Etappe. Die Neutralität ist zu einem Phantom geworden. Wie will man weiterhin Vermittler in internationalen Konflikten sein, wenn man sich bedingungslos auf eine Seite stellt? Das kann man schon wollen, bloß Neutralität ist das nicht. Aber deren kaltschnäuziges Sistieren durch faktische Außerkraftsetzung stört die herrschende Politik wenig. Auch die Grünen nicht, die zur linientreuesten Formation geworden sind. Schon interessant, welchen Formeln man inzwischen noch bereit ist zuzustimmen. Kritisiert wird in dem Papier unter anderem auch „die zunehmende Infragestellung europäischer Werte und des europäischen Lebensmodells“, als seien diese nicht gerade die reelle wie ideelle Grundlage der ökologischen Verheerungen. Oder haben uns das die Terroristen, Extremisten, Schlepper und insbesondere die Russen eingebrockt?

Zu welchen schrägen Passagen sich das Papier versteigt, zeigt auch folgende Passage, die ganz in neokolonialer Manier gehalten wird: „So behindern Narrative wie jenes vom Konflikt zwischen dem Globalen Süden und dem Westen Möglichkeiten konstruktiver Zusammenarbeit.“ Die bilden sich das dort nur ein. Solche Erzählungen sollte man den Bloßfüßigen und Schmalköpfigen wohl schleunigst abgewöhnen. Schuld sind auch da die Russen: „In vielen Ländern des Globalen Südens wirkt sich der russische Angriffskrieg in Form zunehmender Armut und steigender Lebensmittelknappheit und dadurch ausgelöster Abwanderung aus, was die wirtschaftliche Lage in den Krisenregionen noch weiter verschlechtert. Dadurch werden staatliche Zerfallsprozesse und eine tendenziell antiwestliche Stimmung befeuert, was von illiberalen Akteuren ausgenutzt wird.“ Dass die das vielleicht anders sehen, kann nur darauf zurückzuführen sein, dass eine abgefeimte russische Propaganda sie mit Desinformationen füttert. Aber Verschwörungstheoretiker sind in diesem „Kampf der Narrative“ nur die andern. Wahrlich, das Ambitionsniveau kennt gleich dem Argumentationsniveau keine Grenzen.

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