Wo blieb der Aufschrei?

Warum Kritik an den Pandemiemaßnahmen auch links sein kann

von Brigitte Kratzwald

Im Zusammenhang mit der Pandemiepolitik wurde in Wissenschaft, Medien und Literatur häufig und mit Recht auf den von Michel Foucault geprägten Begriff der Biopolitik zurückgegriffen. Foucaults Diskurstheorie jedoch wurde in diesem Zusammenhang kaum beachtet. Seine Beschreibung der Materialität der Diskurse, die keineswegs nur im virtuellen Raum existieren, sondern sich zu Praktiken, Gesetzen, Institutionen verdichten und sich in Form von Machtdispositiven in die Gesellschaft und die Subjekte selbst einschreiben, war in den vergangenen Jahren nahezu idealtypisch zu beobachten. Während solche Prozesse normalerweise über Jahrzehnte andauern, zumindest jedoch einen Generationenwechsel erfordern, verliefen sie in diesem Fall in atemberaubender Geschwindigkeit. Möglich war dies durch die schon zuvor bestehende Macht- und Medienkonzentration in der aktuellen Ausprägung des Kapitalismus und weil auch jene Medien und große Teile des zivilgesellschaftlichen Segments, die sich üblicherweise als macht- und kapitalismuskritisch verstehen, die Diskurse mitgetragen haben.

Ein Pandemiedispositiv

Bereits das Wort „Pandemie“ hat alles verändert: Die Sicht der Menschen aufeinander, grundlegende gesellschaftliche Alltagspraktiken, die Rolle von Politik und Wissenschaft. In der ersten Zeit tauchte gar die Hoffnung auf, es könne ein Umdenken in der Produktionsweise selbst Platz greifen, soziale Aspekte plötzlich wichtiger werden als des Florieren der „Wirtschaft“. Diese Hoffnung hat sich jedoch bald zerschlagen. Die Wirtschaft und deren Wachstum stehen nach wie vor an erster Stelle, andere Phänomene haben sich jedoch verstetigt.

Es folgten Begriffe wie „social distancing“ – viel zu spät und nur sporadisch in „physical distancing“ geändert – „Virenschleuder“, „Gefährder“, eine Unmenge an Verordnungen, die an den demokratischen Organisationen vorbei das Verhalten der Menschen reglementierten, Gesetze, neue Institutionen wie Testzentren und Dashbords, Testzertifikate und der „Grüne Pass“, der regelte, wer am gesellschaftlichen Leben teilnehmen darf und wer davon ausgeschlossen ist. All das und noch vieles mehr formte ein Dispositiv, das auch nach dem offiziell verkündeten Ende der Pandemie die Gesellschaften prägt. Wenn eine Frau in den sozialen Medien im März 2023 schreibt, sie sei nicht zu einer Veranstaltung gefahren, weil sie nicht mit möglichen Virenträger*innen gemeinsam im Zug sitzen wollte, bezeichnet das eine grundlegende Veränderung der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Das Empfinden der eigenen Verletzlichkeit und die Sicht auf andere vorwiegend als Bedrohung hätte in Vorpandemiezeiten als psychisch oder sozial auffällig gegolten, heute erntet die Dame Verständnis, ihre Sicht wird von vielen geteilt.

Nach Foucault bestimmen Dispositive, was in der jeweiligen Gesellschaft überhaupt denk- und sagbar ist und was in einen Raum des Unsagbaren und Undenkbaren verschoben wird. Nun konnte in einer derart kurzen Zeitspanne das Unsagbare nicht ganz verdrängt werden. Es meldete sich immer wieder zu Wort, wurde aber mit Vehemenz diffamiert (Verschwörungstheorie, Fake News) und dem rechten bis rechtsextremen Segment der Gesellschaft zugeordnet. Begriffe wie „Coronaleugner“ und „Coronaverharmloser“ wiesen den Kritiker*innen der Maßnahmen eine klare Position zu. Sie wurden zumindest mit Leugner*innen des Klimawandels gleichgesetzt, unterschwellig jedoch durchaus auch mit Menschen, die den Holocaust leugnen oder verharmlosen, also als antisemitisch eingestuft – eine derzeit besonders beliebte Kategorie, um kritische Fragen zu delegitimieren. Diese Zuordnung von Kritiker*innen der Pandemiepolitik ins rechtsextreme Milieu gilt noch immer. So war sich die taz nicht zu gut, um in einem Artikel vom 7.12.2022 über die Razzia bei den Reichsbürgern, darauf hinzuweisen, dass sich mehrere der Betroffenen im „Coronaverharmlosermilieu“ bewegten (https://taz.de/Razzia-bei-Reichsbuergern/!5901865/). Eine Vergewisserung, wohin die Kritiker*innen der Coronapolitik gehören, kann offenbar nie schaden, um die eigene Rolle in der Pandemie zu legitimieren.

Wo blieb die linke Kritik?

Als eine, die sich Zeit ihres Lebens politisch links verortet und ihre Lektionen gelernt hat, beobachtete ich diesen Prozess mit zunehmender Ratlosigkeit und Verstörung. Es geht mir mit diesem Text nicht darum, richtig oder falsch zu benennen. Am Beginn der Pandemie war das kaum abzuschätzen. Spätestens ab Sommer 2020 hätte es aber genügend Wissen gegeben, Risiken und Nutzen verschiedener Maßnahmen abzuwägen und vom Verordnungsweg zu demokratischen Prinzipien zurückzukehren. Das ist jedoch nicht geschehen. Die Frage, die mich umtreibt, ist, warum das von Links nicht vehement eingefordert wurde, warum das von der Regierung vorgegebene Narrativ von vielen Linken so kritiklos übernommen und teilweise – vor allem in den (un)sozialen Medien – noch mit zur Schau gestellter Selbstgerechtigkeit und moralischem Zeigefinger verstärkt wurde.

Eine zentrale Rolle in der diskursiven Auseinandersetzung spielten die Begriffe Solidarität und Freiheit, wobei sich ein Großteil der Linken hinter dem Begriff Solidarität versammelte. Das war einerseits verständlich, weil einzelne Personen des rechtsextremen Spektrums, die Gunst der Stunde nutzend und die Unzufriedenheit großer Gruppen der Bevölkerung aufgreifend, die Kritik an der Pandemiepolitik an sich rissen – zynischerweise unter dem Begriff „Freiheit“ – während die Regierungen – ebenso zynisch – mit dem Begriff „Solidarität“ an die Akzeptanz der Einschränkungen appellierten. Andererseits müsste aber eine Aufforderung zur Solidarität von Seiten der Herrschenden ebenso auf Skepsis bei den Linken stoßen. Kommt die Aufforderung zur Solidarität von den oberen Klassen, so fußt sie meist auf der Behauptung „wir sitzen alle im gleichen Boot“. In Bezug auf den Klimawandel wurde diese Behauptung längst enttarnt und führte zum Begriff der Klimagerechtigkeit. Eine Vorstellung von Pandemiegerechtigkeit hätte eine linke Politik in dieser Situation leiten können.

Eine fundierte linke Analyse wäre es gewesen, die missbräuchliche Verwendung beider Begriffe zu entlarven. In der Tradition der Werte der französischen Revolution wäre es darum gegangen, beide Aspekte zusammen zu denken – auch und gerade in einer Situation der Pandemie. Ein linker Freiheitsbegriff wendet sich nicht an ein autonomes Individuum, das allein seinen Interessen folgt. Vielmehr bezeichnet er eine Handlungsmächtigkeit, die sich durch soziale Beziehungen der Solidarität erst herausbildet und vervielfältigt. Freiheit ist also nicht ohne Solidarität zu haben, umgekehrt braucht aber Solidarität die freie Entscheidung nach einer Abwägung, warum ich mit wem solidarisch sein soll. Solidarität kann nicht verordnet werden. Statt einer solchen Analyse hat sich ein Großteil der Linken auf die Seite der Regierenden geschlagen. Warum?

Anstatt die Freiheit als inhaltsleeres Abstraktum den Rechten zu überlassen, hätte es auch aus linker Sicht einiges an Freiheit zu verteidigen gegeben. Grundrechte, Meinungs- und Pressefreiheit und die Freiheit der Wissenschaft sollten gerade in Krisensituationen nicht leichtfertig aufgegeben werden. Es gab allerdings auch andere Gründe für eine Kritik der Pandemiemaßnahmen als die Sorge um die Freiheit, zum Beispiel Empathie oder eben – Solidarität. Es hätte während der Pandemie genügend Möglichkeiten gegeben, Solidarität jenseits der von der Politik verordneten zu üben, aber auch aufzuzeigen, was sicher nicht solidarisch ist. Einige Beispiele dafür schlage ich im Folgenden vor.

Lockdown für die Laptop-Klasse?

Es war von Anfang an klar, dass nie alle Menschen gleich von der Pandemie und den Maßnahmen dagegen betroffen waren. Es erkrankten und starben viel mehr arme als reiche Menschen, sowohl innerhalb von Österreich als auch aus globaler Perspektive. Häufig wurde ihnen das individuell angekreidet; sie würden die Maßnahmen nicht einhalten. Während aber diejenigen, die sich ins Homeoffice zurückziehen konnten, die Zeit häufig nicht in der Stadt verbrachten und wenn, dann dort zumindest eine ausreichend große Wohnung, vielleicht noch mit Balkon oder Terrasse zur Verfügung hatten, mussten sich diejenigen, deren Arbeit plötzlich „systemrelevant“ war (auch so ein Begriff des Pandemiedispositivs) jeden Tag der Ansteckungsgefahr aussetzen, in der Fabrik oft ohne Schutzmaßnahmen arbeiten, während sie nicht wussten, wie sie mit den Kindern im Homeschooling umgehen sollten. Gerade diese Menschen sind es auch häufig, die auf beengtem Raum wohnen. Kein Wunder, dass sich ob dieser ungleichen Verteilung von Risiken einerseits und Bewältigungsmöglichkeiten andererseits Unmut breit machte – ein explizit linkes Thema, das anzusprechen die Linke stärken hätte können. Stattdessen war von dieser Seite nur ein – arrogant anmutendes – „stay at home“ zu hören. Warum?

Aber auch viele alte Menschen, zu deren Schutz das alles angeblich gedacht war, konnten nichts von der Solidarität erfahren. Es ist nicht solidarisch, alte Menschen über Wochen zu isolieren, wissend, dass das ihren Gesundheitszustand massiv verschlechtern kann und sie erst recht anfällig für Infektionen macht. Es ist auch nicht solidarisch, sie alleine sterben zu lassen, Angehörigen zu verwehren, sich von ihnen zu verabschieden. Es ist nicht solidarisch, Familien mit mehreren Kindern in Substandardwohnungen einzusperren, Parks und Spielplätze zu schließen, zuzulassen, dass Kinder aus dem Unterrichtszusammenhang herausfallen, der Schule „verlorengehen“, wie man es bereits nach dem ersten Lockdown wusste.

Wenn man die Lockdowns für notwendig hielt – darüber will ich hier kein Urteil fällen – dann wäre es solidarisch gewesen, sofort mit Schulen und Pflegeheimen gemeinsam Konzepte zu entwickeln, wie alte Menschen geschützt werden können, ohne sie zu isolieren, was es braucht, damit Kinder, die zuhause nicht die Möglichkeit haben, dem Unterricht zu folgen, nicht verloren gehen. Das Motto hieß „koste es was es wolle“, damit wäre vermutlich viel möglich gewesen, wenn es jemand eingefordert hätte. Stattdessen wurden Menschen, die auf diese Probleme hingewiesen hatten, bezichtigt unsolidarisch zu sein und den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen. Warum?

Während des ersten Lockdowns, als die Bedeutung von Pflegearbeit und ihre bisherige Vernachlässigung überdeutlich wurden, fanden Kollektivvertragsverhandlungen für Pflegepersonal statt. Der Abschluss kann vor diesem Hintergrund nur als zynisch bezeichnet werden. Wieder wurde das Argument bemüht, mitten in dieser existenziellen Krise müssten alle an einem Strang ziehen. Wäre es nicht eine linke Forderung gewesen, gerade in dieser existenziellen Krise die Bedeutung des Pflegepersonals entsprechend zu würdigen und auch die vernachlässigten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen schnell anzugehen? Heute, drei Jahre später, gibt es noch immer keine adäquaten Arbeitsbedingungen und die Situation in der Pflege ist prekärer denn je. Solidarität mit den Beschäftigten in den Krankenhäusern hat sich in der Pandemie auch von Links meist auf Klatschen beschränkt. Warum?

Systemrelevantes Wissen

Ein anderer Aspekt, der sich für eine linke Analyse angeboten hätte, war die Rolle der Wissenschaft. Bereits bei der Verordnung des ersten Lockdowns war jenen, die sich mit gesellschaftlichen Phänomenen beschäftigen, klar, dass verschiedene soziale Gruppen sehr unterschiedlich von den Maßnahmen betroffen waren. Zudem waren alle damals gesetzten Maßnahmen per se ebenfalls gesundheitsschädlich. In den letzten Jahrzehnten gab es in der Wissenschaft bahnbrechende Erkenntnisse, die klar zeigen, dass Gesundheit und Krankheit keine rein biologischen Phänomene sind, und schon gar nicht, dass die Abwesenheit eines Virus Gesundheit sicherstellen kann. Der Einfluss psychischer und sozialer Faktoren auf das Immunsystem ist längst nachgewiesen. Bei alten Menschen, vor allem bei solchen mit beginnender Demenz, bewirkt eine Isolation von nur wenigen Tagen eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes, der zu erhöhter Anfälligkeit für Infektionen führt, die ihrerseits wieder bei mehrfach erkrankten alten Menschen dann die auslösende Todesursache sind. Vielfach wurde vor der Pandemie auf den Bewegungsmangel von Kindern und Jugendlichen hingewiesen und die überbordende Nutzung digitaler Medien kritisiert. Viele Kinderärzt*innen bezeichneten den körperlichen und psychischen Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen bereits vor der Pandemie als besorgniserregend. Es war leicht abzusehen, dass die Lockdowns, die Schließung von Schulen ebenso wie die Isolation der alten Menschen in den Heimen eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes herbeiführen würden. Viele anerkannte Wissenschaftler*innen haben darauf hingewiesen und nicht mehr und nicht weniger eingefordert, als dass auch dieses nicht virologische Wissen als „systemrelevant“ in die Pandemiepolitik Eingang finden sollte. Vormals angesehene Wissenschaftler*innen wurden darauf hin als unseriös oder gar als Coronaverharmloser oder -leugner diffamiert. Es wurde ihnen unterstellt, Menschen zu gefährden. Für manche bedeutet das den Verlust der Arbeitsstelle oder Berufsverbot – nur weil sie das vertreten haben, was ihr ureigenstes Fachgebiet war. Hier wäre es tatsächlich sinnvoll gewesen, die Freiheit der Wissenschaft einzufordern und sich dem eindimensionalen Blick entgegenzustellen.

Schließlich gibt es unter Linken einen seit Jahrzehnten etablierten kritischen Blick auf die Wissenschaft unter der Perspektive, wessen Agenda sie verfolgt. Es gibt – oder es gab zumindest vor Corona – ein Bewusstsein dafür, dass Wissenschaft keine absoluten Wahrheiten verkünden kann, dass Erkenntnisse immer vom Untersuchungskontext abhängen und Wissenschaftler*innen nur eine Perspektive einnehmen können, während sie blinde Flecken in Bezug auf andere Perspektiven haben. Darum wäre es doch gerade in einer solchen Situation angebracht gewesen, all diese Perspektiven anzuhören, um Nutzen und Schaden von Maßnahmen abzuwägen. Auch aus sachlich kompetenten Kritiker*innen der wissenschaftlichen Engführung wurden im Diskurs schnell „Wissenschaftsskeptiker*innen“. Es wurde ihnen unterstellt, wissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich zu misstrauen. Solche gibt es sicher, vor dem Hintergrund des Missbrauchs „der Wissenschaft“ durch die Regierungen ist es aber nicht verwunderlich, dass die Zahl der Menschen, die dieser Absolutstellung einer Wissenschaft nicht folgen wollten, zunahm. Auch das ein explizit linkes Diskursgebiet, das kampflos aufgegeben wurde. Warum?

Die Macht der Pharmakonzerne

Schließlich wurde auch die Machtfrage während der Pandemie kaum gestellt. Dabei gehört es zum linken Grundverständnis, dass die Mächtigen immer von Krisen profitieren, während die unten die Zeche bezahlen. Da ist einerseits die Politik mit der Angst, die es möglich macht, Kontrollmaßnahmen und Repressionen umzusetzen, die sonst keine Mehrheit fänden. Fragen, die sonst bei allen Krisen sofort gestellt wurden, wie „Wem nützt die Krisenpolitik?“, „Wer profitiert davon?“ und „Wer hat die Diskurshoheit?“, blieben aus.

Auch wenn dieser Virus neu war und offenbar mit einer höheren Sterblichkeit einher ging, wie andere, bisher bei uns bekannte Atemwegserkrankungen, so konnte man doch auf eine breite wissenschaftliche Expertise im Umgang mit Viren und Pandemien zurückgreifen. Dass am Beginn die Politik unter Handlungsdruck stand und man keine Fehler machen wollte, ist anzuerkennen. Trotzdem war es nicht nachvollziehbar, wieso alles andere Wissen dabei über Bord geworfen wurde. Wem außer der Pharmaindustrie und manchen mit autoritären Methoden liebäugelnden Politiker*innen hat das genützt?

Durch die Umstrukturierung der Universitäten haben Konzerne in den letzten Jahren großen Einfluss gewonnen. Über Drittmittel, die heute jede Universität aufstellen muss, bestimmen sie immer häufiger, was geforscht wird und was mit den Ergebnissen passiert. Es gibt heute kaum eine medizinische Universität oder außeruniversitäre Forschungseinrichtung, die nicht von Geld von Pharmaunternehmen abhängig ist. Dieser Einfluss von Konzernen auf Wissenschaft und Forschung wurde von Links in den letzten Jahren immer wieder kritisiert, ebenso wie die Gefahren, die davon ausgehen, dass Pharmaunternehmen sich in Krankenhäuser und Pflegeheime eingekauft haben. Nun, wo diese Gefahren deutlich zu Tage traten, war das plötzlich kein Thema mehr? Die Pharmaindustrie und die damit eng verbundene Bill und Melinda Gates-Stiftung (einer der wichtigsten Geldgeber der WHO, auch das ein vor der Pandemie häufig kritisierter Umstand) haben von Anfang an die Diskursführerschaft in der Pandemie übernommen. Warum haben da nicht alle linken Alarmglocken geschrillt?

Mit Recht wird kritisiert, dass Ölkonzerne Forschung finanzieren, die den Klimawandel kleinreden will. Wenn eine Studie behauptet, Zucker sei gesund, dann schaut man sofort, ob sie nicht von der Zuckerindustrie gesponsert ist. Dass Pharmakonzerne die Zulassungsstudien für Medikamente selbst machen, es keine externe Evaluation gibt, ist schlimm genug. Dass dann die Herausgabe der Daten auf 70 Jahre gesperrt werden sollte, ist ein Skandal – der allerdings von den sonst üblichen „Aufdeckern“ nicht angesprochen wurde. Nahezu alle Studien zu Wirkungen und Nebenwirkungen der Impfstoffe waren von Pharmaunternehmen mitfinanziert. Wo blieb der Aufschrei?

Die Ungeimpften als Sündenböcke

Der Höhepunkt der Entsolidarisierung geschah dann bei der Diskriminierung der „Ungeimpften“. Es war lange erkennbar, dass hier von der Regierung (in Deutschland wie in Österreich) eine Gruppe zu Sündenböcken aufgebaut wurde. Allein die Verwendung des Begriffs, der Menschen allein nach einem Merkmal kategorisiert, hätte von jenen, die ansonsten sensibel auf Diskriminierungen reagieren, kritisiert werden müssen. Menschen hatten verschiedene Gründe, sich nicht impfen zu lassen. Die Skepsis gegenüber einem neuartigen Impfstoff, der in einem verkürzten Verfahren zugelassen wurde, ist nicht von der Hand zu weisen. Dazu kommt, dass Politiker*innen voll Enthusiasmus erklärten, der Impfstoff sei sicher (was man eben auf Grund des verkürzten Zulassungsprozesses seriöserweise mit dieser Bestimmtheit nicht sagen konnte) und schütze auch davor, andere anzustecken (was gar nicht untersucht worden war). Diese unqualifizierten Aussagen, die leicht als Propaganda zu entlarven waren, waren nicht dazu angetan, das Vertrauen in die Impfstoffe zu stärken. Viele Menschen, die der Impfung nicht trauten, waren durchaus bereit, sich regelmäßig zu testen und auch Masken zu tragen, verhielten sich also durchaus solidarisch. Auch als schon lange klar war, dass auch geimpfte Personen andere anstecken können, was selbst das verzerrte Solidaritätsargument obsolet machte, wurde an den „Ungeimpften“ als Sündenböcken fest gehalten, immer wieder Maßnahmen damit begründet und schließlich, durch 2G und den Lockdown für Ungeimpfte ohne jede wissenschaftliche Grundlage, Menschen, die sich aus welchen Gründen immer, nicht impfen lassen wollten, von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen. Auch hier waren es wieder Menschen aus den Pflegeberufen, die besondere Solidarität verdient hätten, die besonders unter Druck gesetzt wurden. Das alles unter Beifall und mit Unterstützung vieler Linker. Warum?

Ins Gespräch kommen

Bundeskanzler Nehammer hat eine Aufarbeitung der Krise angekündigt, um in der gesellschaftlichen Spaltung zu vermitteln. Das ist ein erster wichtiger Schritt von Seiten der Politik. Inwieweit die eingesetzte Kommission das leisten kann, ist offen. Derzeit und vor allem nach den Ereignissen in Niederösterreich überwiegt der Eindruck, dass auch diese Aufarbeitung wieder politisch instrumentalisiert werden wird. Eine Entschuldigung, wie in anderen Ländern bereits passiert, steht in Österreich noch aus. Es wird im öffentlichen Diskurs weitgehend an dem Narrativ festgehalten, dass die Lockdowns unvermeidlich waren und die deutlich sichtbaren und unleugbaren Auswirkungen der Pandemie zugeschrieben werden – und nicht den Maßnahmen dagegen. Nach wie vor wird auch medial versucht, Kritik an den Coronamaßnahmen „rechts“ zu verorten. Inzwischen gibt es jedoch eine Petition von Seiten der Zivilgesellschaft in Bezug auf Zusammensetzung und Arbeitsweise der Kommission.

Menschen, die ihren macht- und gesellschaftskritschen Blick auch in der Pandemie nicht abgelegt haben, empfanden das absolute Fehlen einer linken Kritik und die Unterstützung und Verstärkung autoritärer Diskurse von linker Seite als Verlust der politischen Heimat. Diese Kritikschwäche der Linken ist meiner Meinung nach mit verantwortlich dafür, dass die Rechte während der Pandemie an Stärke massiv zulegen konnte. Eine Aufarbeitung dieser Frage innerhalb der Linken ist daher aus meiner Sicht ebenso wichtig, wie die Aufarbeitung auf der politischen Ebene. Die Verstörung und auch die Verletzungen, die passiert sind, machen es unmöglich, einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Es wäre wichtig, miteinander ins Gespräch zu kommen und als ersten Schritt die jeweils anderen Positionen zu hören, ohne sie abzuwerten. Dabei ist aber auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es zu Diffamierungen und Beschimpfungen hauptsächlich von Seite der strikten Maßnahmenbefürworter*innen kam, der Begriff „Covidioten“ wurde erschreckenderweise von links geprägt. Warum?

Und wie machen wir jetzt weiter? Schwamm drüber ist jedenfalls keine Lösung.

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