Erewhon oder: Der Spiegel aus dem Nirgendwo

von Emmerich Nyikos

1.

Utopien sind Phantasiegebilde – daher heißen sie auch so, weil die Schauplätze ou-topoi = „Nicht-Orte“ sind –, deren eigentlicher Sinn darin besteht, eine fundamentale Kritik an der aktuellen Gesellschaft des Autors zu üben: indem man zeigt, wie es anders sein könnte. Dadurch, dass man Zustände anderswo porträtiert oder so tut, als ob man porträtierte – vornehmlich auf einer fiktiven Insel, wie das bei Thomas Morus’ „Utopia“, Tommaso Campanellas „Civitas solis“, Francis Bacons „Nova Atlantis“ und auch noch bei Étienne Cabets „Icarie“ der Fall ist, Zustände, die das glatte Gegenteil dessen sind, was kritisiert werden soll –, wird versucht, eben an dem, was der Autor als bedenklich begreift, Zweifel zu säen und ihm die Selbstverständlichkeit, die es scheinbar besitzt, zu entziehen.

Dystopien (griech. dys = „nicht der Norm entsprechend“ oder „von der Norm in krankhafter Weise divergierend“) üben demgegenüber Kritik, indem sie aktuelle (wirkliche oder vorgestellte) Tendenzen dieser Gesellschaft in das Bild eines extrem unerwünschten Zustandes extrapolieren – es sei denn, es handelt sich dabei überhaupt nur um bloße Zerstreuung, um entertainment in einem schlechten Sinn.

Samuel Butlers Roman „Erewhon“ (was natürlich die Verkehrung von nowhere ist) dürfte in diesem Genre womöglich ein Unikum sein: eine Utopie, weil sie woanders (und nicht später im historischen Zeitablauf) spielt (und natürlich auch als ironische Kritik an den Verhältnissen des viktorianischen England gelesen werden kann), zugleich aber auch dystopisch, denn die Zustände, die dort beschrieben werden, sind nicht sehr schmeichelhaft. Was dieses Werk jedoch von allen sonstigen dystopischen Romanen unterscheiden dürfte, ist, dass, mutatis mutandis, die Zustände, die beschrieben werden, schon eingetreten sind: de nobis fabula narratur.

Wenn, wie es gelegentlich heißt, Geschichtsschreiber rückwärtsgewandte Propheten sind, dann könnte man sagen, dass Samuel Butler ein vorwärtsgewandter Geschichtsschreiber ist. Denn das Buch „Erewhon“ liest sich streckenweise wie eine Historiographie aktueller Zustände, unter dem Vorbehalt freilich, dass Historiker (weil sie so wie Propheten zwangsweise im Dunkeln tappen müssen) nie ganz (oder überhaupt nur ansatzweise) in der Lage sind, die Geschichte in allen ihren Details in den Griff zu bekommen (was freilich nicht heißt, dass sie nicht in den Begriff zu bekommen wäre): „wie es wirklich gewesen“, wird man nie wissen können. Und das gilt natürlich dann auch für die prospektive Historie.

2.

Samuel Butler wurde 1835 in Langar, Nottinghamshire, geboren und ist 1902 in London gestorben. Er war Schafzüchter, Maler, Komponist, Literaturtheoretiker, d.h. Homer- und Shakespeare-Forscher, Bewunderer und Gegner Darwins (mit lamarckistisch-epigenetischen Tendenzen) und schließlich auch Literat, ein Schriftsteller, von dem allerdings nur zwei Romane publiziert worden sind: das posthume Werk „The Way of All Flesh“ (1903), eine schonungslose Obduktion der viktorianischen Gesellschaft, und eben „Erewhon or Over the Range“ (1872), der romaneske Bericht über ein Land, das auf den ersten Blick dem „zivilisierten“ England des Autors durchaus ähnlich erscheint (mit Universitäten, Gerichten, König und Banken und all den anderen Institutionen, die man sich in einem „zivilisierten“ Land üblicherweise erwartet), obwohl es am anderen Ende der Welt gelegen und, wie uns der fiktive Erzähler versichert, seit undenklichen Zeiten vom Rest der Menschheit getrennt ist, das aber auf den zweiten Blick sich als Inkarnation der Verschrobenheit entpuppt, an die trotz allen Bemühens die Welt des Autors, das viktorianische England, durchaus nicht heranreichen konnte.

Denn Erewhon, in das der Protagonist des Romans, von Beruf Schafzüchter in einer nicht namentlich genannten Kolonie des Vereinigten Königreichs, die durch einige unzugängliche Bergketten von dieser fiktiven Örtlichkeit getrennt ist, zufällig auf der Suche nach neuen Weidegründen gelangt, ist ein Staat, in dem alles auf den Kopf gestellt ist: ein Schilda in der Dimension eines Reiches.

3.

Wir wollen hier nicht eine detaillierte Inhaltsübersicht des Buches liefern – es ist lesenswert und man sollte es daher auch unbedingt lesen, sodass die Notwendigkeit eines solchen Überblicks eigentlich entfällt –, sondern beschränken uns auf einige Aspekte, die, wie wir meinen, unsere gegenwärtige Lage, das „Corona-Regime“, wie man es nennen muss, auf verblüffende Weise antizipieren. Greifen wir also dieses oder jenes willkürlich heraus.

4.

Die Staatsdoktrin von Erewhon, die der Hauptfigur des Romans gleich zu Beginn ihres Aufenthalts dort drastisch vor Augen geführt wird, lässt sich in dem Satz resümieren: Krankheit ist ein Verbrechen. In der Tat wird in diesem Land Kranksein wie ein Verbrechen gehandhabt, das bestraft werden muss (bis hin zur Todesstrafe, wenn es sich denn um „ernste Erkrankungen“ handelt), während demgegenüber das Verbrechen als eine Krankheit gilt, die man wie eine solche „behandelt“. Man nimmt also an, dass der Verbrecher „geheilt“ werden kann. Der Kranke dagegen, der sich durch seine Krankheit außerhalb der Gesellschaft gestellt hat, bekommt die ganze Härte des Gesetzes zu spüren. Das Verbrechen gilt dort als „lässliche Sünde“, verzeihbar, die Krankheit dagegen als Affront der Gesellschaft gegenüber, der unverzeihlich ist.

Der Protagonist des Romans sagt dazu: „Ich brachte folgendes in Erfahrung: Wenn in diesem Land jemand von einer Krankheit oder einem Gebrechen befallen wird oder sein körperliches Befinden sonstwie zu wünschen übrigläßt, bevor er siebzig Jahre alt ist, kommt er vor ein Geschworenengericht, und falls schuldig befunden, gilt er als verfemt und wird verurteilt, je nach Schwere des Falles. … Wenn einer aber einen Scheck fälscht oder sein Haus in Brand steckt oder einen Raubüberfall begeht oder sich sonst etwas zuschulden kommen läßt, was bei uns als strafbar gilt, dann wird er entweder in ein Spital überwiesen und auf Staatskosten gewissenhaft gepflegt oder dann, falls er es sich leisten kann, setzt er alle seine Freunde davon in Kenntnis, daß er sich eine schwere sittliche Störung zugezogen hat, genau wie wir es halten, wenn wir krank sind, und dann kommen sie und erkundigen sich angelegentlich, wie das alles gekommen sei, was für Anzeichen sich zuerst bemerkbar machten und so weiter – Fragen, die er jeweils mit der größten Offenheit beantwortet; eine Übeltat gilt zwar als ebenso bedauernswert wie bei uns eine Krankheit und als ein Hinweis darauf, daß mit dem Betreffenden irgend etwas nicht stimmt, doch wird sie allgemein als das Ergebnis ungünstiger Verhältnisse angesehen, wobei diese vor oder nach der Geburt liegen können.“ (S. 107f.)

Sehen wir einmal davon ab, dass man das Verbrechen bei uns (noch) nicht so nachsichtig behandelt, obwohl die wirklich großen Verbrecher, die, welche nicht als „Dilettanten“ agieren, sondern als „wahre Profis“ Bankhäuser gründen, wie das Brecht auf den Punkt gebracht hat, durchaus mit der Milde des Gesetzes rechnen dürfen, so bleibt doch festzuhalten, dass wir nicht weniger als die Bewohner Erewhons vom Wahn, krank zu sein oder zu werden, beherrscht sind. Die „Krankheit“ ist das alles dominierende Thema, das, wie es scheint, das Strukturmoment ist, das dem gesamten Denken und Handeln seinen Stempel aufdrücken kann und, so absurd es auch sein mag, dann auch wirklich aufdrückt.

Ja noch mehr: Es ist zwar nicht so, dass die Krankheit bei uns als solche bestraft wird, es wird aber jeder und jede schon alleine deshalb bestraft, weil man, ohne es zu wissen oder auch nur zu ahnen, „Virenträger“ sein kann: Man steht generell unter Verdacht, „Wirt“ des Virus zu sein, d.h. infiziert, also krank ob „symptomatisch“ oder „asymptomatisch“, spielt da gar keine Rolle. Und das genügt für die Bestrafung mit Lockdown (was ja „Einsperren“ heißt), Hausarrest, Maskenpflicht, Isolation („social distancing“), Entzug der Freizügigkeit oder damit, sich testen und impfen lassen zu müssen, ob man will oder nicht. Niemand ist, so heißt es, davor gefeit, „Gefährder“ zu sein. Jeder und jede kann sich als „Virenschleuder“ entpuppen. Das Potentielle genügt also schon, damit man „die Härte der Verordnung“ zu spüren bekommt. Bestraft wird man auch so, ohne dass man wirklich morbide sein müsste. – Wenn wir oben bemerkten, dass die Geschichtswissenschaft es nie ganz wissen wird können, „wie es wirklich gewesen“, so ist es nur billig, dem Verfasser nachzusehen, dass er sich hier doch ein klein wenig geirrt hat: Bei uns ist es in gewisser Hinsicht sogar noch um einiges schlimmer, als es in Erewhon war.

5.

Damit die erewhonische Gesellschaft zu funktionieren vermag, bei all den Spleens, die sie hochhält und die wir hier nicht alle aufzählen können, bedarf es, wie man leicht einsehen wird, einer adäquaten Ausbildung der nachwachsenden Generationen. Dafür gibt es die „Colleges of Unreason“, die Schulen der Unvernunft. Hier werden die Fähigkeiten gefördert, „die im Alltagsleben gebraucht werden – daher die Lehrstühle für Unfolgerichtigkeit und Flausenmacherei“ (S. 248).

Das wichtigste Ausbildungsziel nun dieser Schulen ist, Konformisten heranzuziehen, die zu allem Ja und Amen sagen: „Pflicht und Schuldigkeit eines Menschen sei es, so zu denken wie seine Mitmenschen; denn Gnade ihm Gott, wenn er für gut erachtet, was sie schlecht finden!“ (S. 252) Der fiktive Erzähler zitiert hierzu einen „ehrwürdigen Professor der Lebensklugheit“, der in dem Ruf stand, „mehr zur Unterdrückung jeglicher Originalität getan zu haben als irgendeiner unter den Lebenden“. „Es ist nicht unsere Sache“, sagt der Herr Professor mit entwaffnender Offenheit, „die Studenten zu eigenem Denken anzuregen. Das ist doch ungefähr das letzte, was einer, der es gut mit ihnen meint, ihnen empfehlen sollte. Unsere Pflicht ist es vielmehr, dafür zu sorgen, daß sie denken wie wir oder wenigstens das, was wir zu sagen für gut befinden.“ (S. 252)

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Chef des Robert-Koch-Instituts, der Veterinärmediziner Dr. Lothar Wieler, Absolvent einer solchen Schule gewesen sein muss (und in Erewhon durchaus Karriere als Dozent der Unvernunft, der Flausenmacherei und der Unfolgerichtigkeit gemacht haben könnte), wenn er lauthals verkündet: „Diese Regeln dürfen niemals hinterfragt werden.“ Und auch Dr. Angela Merkel hat ihre Lektion offenbar gelernt, wenn sie droht: „Glauben Sie nur den offiziellen Mitteilungen!“ – Nun ja, man befindet sich im „Krieg gegen das Virus“, da gehört das Abhören von „Feindsendern“ wirklich nicht zum guten Ton.

6.

Sieht man sich in der realen Welt von heute um, so gewinnt man den Eindruck, dass die Intellektuellen hier eine glatte Kopie der Intellektuellen in Erewhon sind. So bemerkt der Protagonist des Romans, dass er während seines Aufenthalts dort nicht wenige Gelehrte kennenlernen durfte, „die sich darauf versteiften, jeder Meinung aus dem Wege zu gehen, mit der sie nicht längst vertraut waren, und ihren Kopf als eine Art Refugium betrachteten, das heißt, wenn eine Meinung einmal darin Zuflucht gesucht hatte, durfte sie von niemand mehr angegriffen werden.“ (S. 259) Er fährt dann in seiner Schilderung dieser Denker folgendermaßen fort: „Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich allerdings beifügen, daß ich kaum je sicher war, was die Gelehrten, mit denen ich sprach, wirklich meinten; es war nämlich gar nichts aus ihnen herauszuholen, sobald sie im geringsten Gefahr witterten, sie könnten ‚sich festlegen‘. Da es kaum einen Gegenstand gibt, bei dem diese Gefahr nicht besteht, war es schwierig, herauszufinden, welche Stellung sie einnahmen, außer bei Dingen wie dem Wetter, Essen und Trinken, Ferienausflügen und Geschicklichkeitsspielen.“ (S. 259f.)

Hier erübrigt sich jegliche Bemerkung. Die Parallelen sind verblüffend. Wir fügen lediglich hinzu: Die „Feigheit im Corona-Regime“ könnte sprichwörtlich werden, auch wenn man dazusagen muss, dass die Sanktionen für „abweichendes Denken“ (Diffamierung, Verfemung, Boykott, Entlassung, Versetzung) dieses Verhalten durchaus erklärbar und bis zu einem gewissen Punkt dann auch entschuldbar machen.

7.

Die Leitwissenschaft in Erewhon ist – wie könnte es auch anders sein, bei all dem, was wir schon wissen – das, was man dort als „Hypothetik“ bezeichnet. Diese besteht im Wesentlichen darin, alle Eventualitäten, die es irgendwie geben kann, zu erkunden, denn das Weltall könne „alles mögliche in sich schließen …, das sich jetzt noch nicht vorfindet“ (S. 246). Sinn und Zweck dieser Disziplin sei es, „auf alle denkbaren Fälle, die auftauchen könnten, gebührend vorzubereiten“ (S. 246).

Diese Wissenschaft, die Hypothetik, ist offenbar auch bei uns zur Leitwissenschaft, unter dem Namen „Modellierung“, geworden. Nicht das, was ist, zählt, sondern das, was sein könnte, wie unwahrscheinlich es immer auch sein mag. So sagte Professor Niall Ferguson vom Imperial College mit viel Phantasie in einer „Modell-Rechnung“ 550.000 „Corona-Tote“ in Großbritannien und 2,2 Millionen in den USA voraus. Und alle haben es anstandslos und ehrfurchtsvoll geglaubt, ja die Shutdowns beruhten vornehmlich auf dieser „weisen Voraussicht“. Hypothetik pur mithin, obwohl, mit ein bisschen gutem Willen, wenn man nämlich alle Toten, woran immer sie auch gestorben sein mögen, auf SARS-CoV2 testet (spezifische Symptome dürfen da keine Rolle spielen) – vertrauend darauf, dass der Test unfehlbar „falsch Positive“ produziert (zur Sicherheit könnte man den ct-Wert dann auch per Dekret auf über 30 fixieren) –, man irgendwann diese Zahlen dann doch erreichen kann.

Wie es scheint, orientiert man sich auch bei uns mehr und mehr, so wie in Erewhon, vorzüglich am sogenannten worst case, von dem man dann post factum sagen kann, dass er, wenn er schließlich nicht eintrifft, gerade wegen der „Maßnahmen“, die man auf Basis des „Modells“, das ihn vorausgesagt hatte, ergriffen hat, nicht eingetreten sei. Dass er auch sonst nicht eingetreten wäre (weil er unwahrscheinlich, völlig hypothetisch ist), das ist dann nicht mehr nachzuweisen – man hat ja die „Maßnahmen“ ergriffen.

Natürlich kann es immer so sein, dass das eintrifft, was völlig unwahrscheinlich ist (unwahrscheinlich deshalb, weil die Grundannahmen, die Parameter, einfach nicht stimmen oder Phantasiegebilde sind), genauso wie auch der Fall eintreten kann, dass man im Lotto den Haupttreffer macht. Es wäre aber doch eher töricht, sein persönliches Leben an dieser Eventualität ausrichten zu wollen.

8.

Die Gesellschaft in Erewhon gibt viel auf Experten. So wurden sämtliche Maschinen, die es gab und deren Komplexität über das Maß einer Schaufel oder dergleichen hinausging, zerstört und das technologische Niveau auf einem Stand von vor fünfhundert Jahren festgeschrieben (selbst Uhren wurden verboten und ins Museum verbannt) – und dies, weil ein Experte vorausgesagt hatte, dass die Maschinen irgendwann im Zeitablauf Bewusstsein gewinnen und, als Bewusstseinsbegabte, die Macht an sich reißen würden. (Hier handelt es sich offenbar um einen Vorläufer von Stanislaw Lem und seiner Golem-Phantasie.) Das hatte genügt, um einen Maschinensturm und einen Bürgerkrieg auszulösen, „dem die Hälfte der Bevölkerung zum Opfer gefallen sein soll“ (S. 262). „… wenn ein großer Denker unter ihnen entsteht“, sagt der Chronist der erewhonischen Gesellschaft, „der sie mit sich reißt, weil ihm besondere Gelehrsamkeit nachgerühmt wird“, dann sind die Erewhonier bereit, „den gesunden Menschenverstand auf dem Altar der Logik zum Opfer zu bringen“ (S. 311).

Ja, von uns ist hier wieder einmal die Rede. „Handverlesene Experten“ haben uns überzeugt, dass SARS-CoV2 ein Killer-Virus sei, das es auszurotten gelte – „koste es, was es wolle“ –, und wir verfallen in Ehrfurcht und lassen uns, so wie die Erewhonier, an der Nase herumführen, bereitwillig wie ein Rind. Die „Kollateralschäden“ nehmen wir, offenbar ohne zu murren, in Kauf, selbst wenn sie kolossal sind, nicht nur „materiell“, sondern vor allem auch mit Bezug auf die Gesundheit (Schwächung des Immunsystems, aberwitzige Medikation und Behandlungsmethoden, Vernachlässigung aller anderen Krankheiten wie Krebs, Schlaganfall und Herzinfarkt, Isolation und Betreuungsmangel in Altenheimen usw.) und mit Bezug auf die Kinder. Von den Millionen Hungertoten, die der Corona-Wahn an der Peripherie des Kapitalsystems zu verantworten hat (und die man achselzuckend statistisch verbucht), ganz zu schweigen.

9.

Wie es scheint, haben nicht Aldous Huxley („Brave New World“) oder George Orwell („1984“) den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn es um die Prophezeiung der künftigen Zustände der bürgerlichen Gesellschaft zu tun ist, sondern offenbar Samuel Butler. Huxley und Orwell imaginierten sich eine Welt, die von oben im Sinne einer Clique (Alpha-Plus-Kaste oder Ingsoc, also die „Kommunistische Partei“) manipuliert wird, sei es mit Drogen, sei es „totalitär“. Indessen sind das schöne Phantasie-Spielereien, die mit der Realität einer vom Kapital kontrollierten Gesellschaft, eines „automatischen Subjekts“, nichts zu tun haben können. Überhaupt müsste man da zu viele „Ressourcen“ in die „Behübschung“ oder „Überwachung“ pumpen, die, weil es viel einfacher geht, man sich ersparen kann. Viel einfacher ist es, das Kapitalsystem die Arbeit machen zu lassen, denn dieses System produziert automatisch die Dummheit, auf deren alleiniger Basis es funktionieren kann. Und wenn alle, oben wie unten, so wie in Erewhon, ganz verblödet sind, dann läuft alles ganz von alleine – im Sinne des Kapitals allerdings, wie absurd und selbstmörderisch das immer auch sein mag.

Samuel Butler, Erewhon oder Jenseits der Berge, Eichborn-Verlag (1994)

image_print