Modell der Leuchttürme

Schwarz und Grün erproben in Österreich einen neuen Prototypen

von Franz Schandl

Fand da wirklich zusammen, was nicht zusammen passt? „Mit dieser ÖVP will ich mir nicht einmal was vorstellen“, sagte Werner Kogler im Sommer 2019. „Mit der türkisen Schnöseltruppe geht es sicher nicht,“ meinte der Chef der Grünen. „Im Kern ist Kurz ein Strache“, stand auf den Wahlplakaten der Grünen aus dem letzten Nationalratswahlkampf. Doch aufgepasst, wer solche Aussagen jemandem hinterher vorhält, hat das politische Spiel missverstanden. Das war Wahlkampfgetöse und sollte auch als solches wahrgenommen werden. Die Differenzen wurden stets übertrieben. Unterschiede sind eher der affektiven Haltung und der mentalen Distanz geschuldet.

Bereits einige Monate später gab es für die Grünen keine Gründe mehr, nicht mit der Volkspartei zu paktieren. In den Koalitionsgesprächen lösten sich sämtliche Vorbehalte schnell auf. Das ist kein Zufall und auch kein Verrat. In den zentralen gesellschaftlichen Prämissen (Arbeit, Leistung, Effizienz, Markt, Konkurrenz, Standort, EU-Euphorie, Werte) ist man sich weitgehend einig. Grün und Türkis sind kompatibel. Im Kern ist Kogler ein Kurz.

Das Beste aus beiden Welten

Zweifellos, der kleinste gemeinsame Nenner taugt nichts mehr. Mehr als sich gegenseitig zu blockieren, ist damit nicht zu bewerkstelligen. Insofern war die Abkehr von alten Rollen nicht nur naheliegend sondern fast zwingend, wollte man nicht wie SPÖ und ÖVP gleich wieder im Stau stecken. So gesehen ist diese Regierung ein Versuch die Zusammenarbeit anders zu gestalten. Das „Modell der Leuchttürme“ soll demnach so funktionieren: Beide Partner erhalten in auserwählten Gebieten jeweils freie Hand, dort ihre Politik zu bestimmen. Puncto Transparenz sei man nun europaweit führend, behauptet Vizekanzler Kogler. „Aus Vorbildgründen für Europa“ sei diese Diskussion wichtig. So meinen die Grünen sich in den Punkten Umweltschutz und Transparenz durchgesetzt zu haben, dafür sind sie auch bereit, originäre ÖVP-Positionen in relevanten Bereichen nicht bloß zu tolerieren, sondern auch mitzutragen. Der fixierte koalitionsfreie Raum nützt übrigens in dieser Konstellation nur der ÖVP. Die Grünen haben gar keine Möglichkeit eine andere Mehrheit im Parlament zustandezubringen (sieht man von dem grotesken Dreierbündnis der Ökopartei mit SPÖ und FPÖ ab).

„Das Beste aus beiden Welten“ soll diese Koalition vereinen, das betonen vor allem Sebastian Kurz und die Seinen unablässig. Die Botschaften der Volkspartei sind bis auf die Wortwahl gleichgeschaltet. Die Message Control lässt alle die selben Stehsätze aufsagen. Doch das Publikum scheint daran einen Narren gefressen zu haben, sieht man sich Wahlergebnisse und Umfragewerte an. Das Beste aus beiden Welten, das Kurz da zusammenführen will, bedeutet, dass die ÖVP ungeniert und ungebremst ihre Politik fortsetzen kann, während die Grünen zwar ihre Vorstellungen platzieren dürfen, allerdings eine Umsetzung nur möglich ist, wenn die ÖVP sie (finanziell) zulässt. Anstatt sich gegenseitig zu fesseln, betreibt die Volkspartei nun eine einseitige Knebelungsstrategie. Gefesselt die Grünen, entfesselt die ÖVP.

Das Beste beider Welten bedeutet konkret etwa Folgendes: Kopftuchverbot in den Schulen bis 14, Sicherungshaft für potenzielle Gefährder, eine schikanöse Sanktionspolitik gegenüber Arbeitslosen, vor allem aber die Fortsetzung der restriktiven und menschenverachtenden Migrationspolitik. Da steckt viel FPÖ im türkis-grünen Bündnis. Auch die Ausreisezentren (altdeutsch: Abschiebelager) werden ganz im rigiden Sinne der ÖVP geführt. Kommentatoren sehen Kurz so mächtig wie noch nie und die Grünen als Beiwagerl. „Für Sebastian Kurz ist Türkis-Grün ein Sieg auf (fast) allen Linien“, schreibt das Boulevardblatt Österreich zur Jahreswende.

Innerhalb der letzten vier Jahre hat die ÖVP nun schon den dritten Koalitionspartner. So billig war freilich noch keiner. Einerseits werden die Grünen zwar jetzt auch am Patronagewesen beteiligt, andererseits hat man aber der türkisen Partei ermöglicht, noch umfassender Staatsapparate in Besitz zu nehmen. Gegengewichte fehlen. Früher beklagte man den Proporz, nun muss man sagen, dass es nicht einmal mehr einen Proporz gibt. Türkis ist das schwärzeste Schwarz, das wir je hatten. Und Grün ist das hellste Türkis, zumindest in der austriakischen Farbenlehre.

Symbol als Kompetenz

Symbolpolitik wird neuerdings noch größer geschrieben. Erstmals gehören mehr Frauen einer Bundesregierung an als Männer. Dafür wurde das Frauenministerium de facto eliminiert. Form wurde gegen Substanz getauscht. So gibt es nun ein gemeinsames Ministerium für Integration und Frauen und ebenso eines für Arbeit und Familie. Inhaltlich lässt sich das kaum begründen, aber machtstrategisch folgt das der schwarzen Logik der Türkisen. Die wollen alles.

Die grünen Ressorts wurden allesamt beschnitten. Das Sozialministerium verlor seine Zuständigkeit für den Arbeitsmarkt, das Kulturministerium wurde zu einem Staatssekretariat degradiert, dem Justizministerium wurden die Verfassungsagenden entzogen. An der grünen Justizministerin wurde gleich in den Anfangswochen demonstriert, dass sie dem Oberwachtmeister Sebastian Kurz direkt unterstellt ist. Seltsames geschah auch vorab im zum Superministerium aufgewerteten Umweltressort. Das wurde zwar kompetenzmäßig erweitert, potenzmäßig aber abgerüstet. Das Ministerium wurde größer, aber sein Budget wurde kleiner. Profitiert von dieser finanziellen Umschichtung hat das Landwirtschaftsministerium, das seit 1986 fest in Händen der ÖVP ist. Damit ja nichts schief geht, hat man im Umweltministerium noch einen konservativen Aufpasser in Form eines Staatssekretärs installiert.

Auffällig ist, dass die finanzielle Zuständigkeit ganz eindeutig im ÖVP-Finanzministerium liegt, d.h. die Volkspartei entscheidet letztlich, wo wer Geld ausgeben darf. Da wird es sich noch einige Male spießen. Diese Beschneidung wird sich für die Grünen bitter rächen. Das Wort Klima erscheint eher als grüne Droge denn als reale Frage. Da wird ein Hype geritten. Aktuell ist die Klimakatastrophe sowieso dem Corona-Virus zum Opfer gefallen. Da hat die österreichische Bundesregierung zumindest in den Anfangstagen (trotz des Desasters von Ischgl), vieles richtig gemacht. Zumindest brauchen die Ergebnisse den Vergleich nicht zu scheuen. Freilich ist hier das Gesundheitssystem noch nicht in ähnlichem Ausmaße demontiert worden wie anderswo, und allerdings dürfte das Virus erst spät (verglichen etwa mit Italien) aufgetreten sein. Die Voraussetzungen waren also günstig. Doch schon in Kürze entpuppte sich der autoritäre Kern der Maßnahmen. Insbesondere Kurz selbst dramatisierte die Lage ungemein. Bald werde „jeder von uns jemanden kennen, der an Corona verstorben ist“, sagt der Kanzler Ende März. Man probte, was ging, und zweifellos ging einiges.

Industrie und Wirtschaft zeigen sich jedenfalls zufrieden, das Regierungsprogramm kommt weitgehend ihren Wünschen entgegen, auch wenn unmittelbar der Wirtschaftsliberalismus coronabedingt schwierige Tage hat. Standort fördern, Steuern senken, so lauten die adäquaten Vorhaben. Natürlich wird man bei Gelegenheit auf die Konzerne, insbesondere die Internetgiganten schimpfen. Das ist Bashing für das Publikum. Ein Ritual ohne Folgen. Börsen und Rating-Agenturen haben anlässlich des grünen Regierungseintritts nicht einmal einen Minikracher gezündet.

Die Hierarchie der ungleichen Partner ist klar zu erkennen. Und die neuen Herren in Türkis zelebrieren das auch genüßlich, manchmal tun sie sich gar schwer, nicht penetrant darauf zu verweisen oder das Grinsen zu unterdrücken. Den grünen Kollegen wird immer jemanden zur Seite gestellt, auf dass sie sich so wenig als möglich profilieren können. So darf der in seiner Art sehr unaufgeregte aber verbindliche grüne Gesundheitsminister Anschober nicht mehr ohne den schwarzen Innenminister Nehammer auftreten. Das hat Methode, auch der stets musternder Seitenblick des Kanzlers auf die Partner bei sämtlichen Pressekonferenzen. Die Grünen stehen unter Beobachtung, ja unter Kuratell. Kurz ist ein Kontrollfreak. Es geht darum, Oberaufsicht durchzusetzen und Oberhand zu behalten.

Europäischer Wegweiser?

Politik wirkt eigentümlich profillos, aber sie ist unheimlich wendig geworden, wenn es ans Vermarkten geht. Im Mittelpunkt stehen sekkante Phrasen und Bilder, wie wir sie aus der Werbung kennen. Die sogenannten sozialen Medien verstärken noch diese seriellen Eindrücke. Der ehemalige ÖVP-Parteivorsitzende und Vizekanzler Erhard Busek sagt über seinen Nachfolger: „Er weiß nicht, was sein Inhalt ist.“ Diese Leere lässt sich gut ausfüllen und wohl auch anfühlen, denn sie ermöglicht beliebige Projektionen. Die organisatorischen Kapazitäten sind gleichwohl um ein Vielfaches größer als die intellektuellen. Aber das ist völlig egal, tangiert kaum. Sebastian Kurz weiß was er will, und der Erfolg beschert ihm ein gerüttelt Übermaß an Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit. Wenn die Leute dafür stimmen, kann es doch nicht so falsch sein. „Der aktuelle Vertrauensindex erbringt die höchsten Vertrauenswerte, die jemals gemessen wurden“, sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts OGM, Wolfgang Bachmayer.

Bei Wahlen treten heute nicht mehr Parteien gegeneinander an, sondern Werbekampagnen. Sie versuchen die potenziellen Wähler in entsprechende Stimmung zu versetzen. Strategie ist eine Unterabteilung der PR geworden. So ist es einer sterbenden Partei wie der ÖVP gelungen binnen Monaten die Stimmung völlig zu drehen, dem Krankenbett zu entsteigen und als dynamische, moderne und junge Bewegung zu erscheinen. Das mag alles nicht stimmen, aber es wird als Tatsache suggeriert wie akzeptiert und so zu einer schrägen, aber wirkmächtigen Wahrheit. Diese Entwicklung hätte vor fünf Jahren kaum jemand für möglich gehalten. War die alte ÖVP ein zerstrittener Haufen, ist die neue Volkspartei eine gleichgeschaltete Truppe.

Straigth sind sie schon. Und auch gerissen. Das Grobe wirkt nicht grob, das Derbe nicht derb, vor allem aber das Ignorante so wenig ignorant wie das Arrogante arrogant. Der Kanzler ist ein Meister des dosierten Untergriffs. Das ist zweifellos eine Kunst. Es herrscht ein smarter Populismus, einer der weniger aufhetzt und zuspitzt, dafür aber sein Konzept der Macht entschlossen durchzieht. Erst in den letzten Tagen wirkte dieses Image angekratzt, wenn auch nicht wirklich beschädigt. Bei der Befragung vor dem parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss, gelang es ihm nicht zu demonstrieren, dass er über den Dingen steht, eher erschien er als Teil des Sumpfes. Trotzdem sind die U-Ausschüsse für die ÖVP mehr lästig als gefährlich. Das steckt man weg, wenngleich der Unwille groß ist, stundenlang Rede und Antwort zu stehen. „Gleich platzt mir wirklich der Kragen“, entfuhr es vergangener Woche dem ansonsten so fitten Kanzler.

Für die Konservativen sind die Grünen jedoch nicht die, sondern bloß eine Option. Möglicherweise ist die Rede vom Modell übertrieben, besser wäre es vielleicht von einer zusätzlichen Variante schwarzer Bündnispolitik zu sprechen. In Deutschland etwa fasziniert weniger das Modell als die Matrize des Sebastian Kurz. Solo hat man ihn am liebsten. Erscheint die CDU wie eine Partei ohne Kompass, so die ÖVP wie eine, die den europäischen Wegweiser in den Händen hält. Wie sagt doch der gutachsige Norbert Bolz trocken: „In Österreich gibt es einen vernünftigen Kanzler und in der Schweiz eine vernünftige Zeitung.“ Oder noch plastischer die Bild: „So einen brauchen wir auch“.

Leicht gekürzt in Freitag 27, 2. Juli 2020

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