Obskuranten und Querulanten

Das österreichische Parteienspektrum gebärdet sich immer schräger und schriller

von Franz Schandl

Zwei Landtagswahlen sind bereits gelaufen, zwei weitere werden in den nächsten Tagen folgen, und Ende September stehen Nationalratswahlen an. Die bisherigen Ergebnisse lassen auf keinen eindeutigen Trend schließen. Die ÖVP hat ihre absolute Mehrheit in Niederösterreich gehalten und sich bei der Volksabsbefragung puncto Beibehaltung der Wehrpflicht durchgesetzt. Die SPÖ hat zwar in Niederösterreich verloren, dafür aber in Kärnten den Landeshauptmann zurückerobert. Haiders Nachfolger wurden dort regelrecht hinweggefegt. Dessen letztes Projekt, die Orangenpartei BZÖ, wird bald Geschichte sein.

Nach dem Finanzaffäre in Salzburg, wo man öffentliche Gelder am Aktienmarkt verzockte, werden sowohl die lokale SPÖ als auch ihr Regierungspartner ÖVP ein deutliches Minus zu verzeichnen haben. Spannend wird sein, wer am 5. Mai als erster durchs Ziel geht. Möglicherweise schießt die sozialdemokratische Landeshauptfrau Gabi Burgstaller tatsächlich mit der ansonsten verfemten FPÖ ein Bündnis. Auf jeden Fall ist das Klima zwischen SPÖ und ÖVP völlig vergiftet, während Burgstaller immer wieder die konstruktive Politik der Salzburger FPÖ unterstreicht. Es wäre freilich das erste Mal, dass die SPÖ auf Landesebene einen offenen Pakt mit den Freiheitlichen eingeht.

Der große Aufsteiger der Saison ist der austrokanadische Multimillionär Frank Stronach, der sowohl in Kärnten als auch Niederösterreich gleich mal 10 Prozent der Stimmen abstaubte. Der Achtzigjährige führt das nach ihm benannte Team wie eine Firma. Warum sollte hier nicht erfolgreich sein, was dort klappte. Mandate und Posten werden gehandelt wie auf dem Bazar. Wer gekauft wird, wer was werden wird und wem was zugesteckt wird, das entscheidet letztlich der Meister selbst.

Wer nicht spurt, muss gehen. So sagt etwa ein Funktionär über den anderen, was der andere wohl auch über diesen sagt: „Laki denkt nur an sich und will abkassieren. Ich werde das dem Frank auch sagen.“ (Kurier, 24. März 2013, S. 2) Einig sind sie sich alle Kontrahenten aber in Folgendem: „Was der Frank sagt gilt. Da gibt es gar keine Diskussion“. Er könne gar nicht überstimmt werden, stellte Stronach erst unlängst ganz lapidar in den ORF-Abendnachrichten fest. Wahrlich, so hat man sich die Reifung der Demokratie vorgestellt, als die völlige Entmündigung der Unmündigen.

Endlich haben wir, was wir brauchen, eine ordinäre Führerpartei. Eine, die sich ohne Umschweife dazu bekennt. Was sich hier anschickt, ist eine Formation zutiefst autoritärer Charaktere, deren Personal mehrheitlich aus Obskuranten und Querulanten, auf jeden Fall aber aus Karrieristen und Glücksrittern besteht. Wie aufgezogene Spielzeuguhren sagen sie auch brav Stronachs Werte auf, die da lauten: Wahrheit, Transparenz, Fairness.

Manchmal ist es wie in einem schlechten Film. In Tirol wollten gleich drei Listen im Namen Stronachs einreichen. Von der Wahlbehörde akzeptiert wurde ausgerechnet eine, die von Stronach nicht autorisiert worden ist. Deren Listenersten hatte er erst aus der Landespartei eliminieren lassen. Aber um überhaupt kandidieren zu können, hat der Milliardär jene Abtrünnigen jetzt trotzdem anerkannt, was wiederum zur Folge hatte, dass die bis dato favorisierten Jünger nun beleidigt sind und das Weite suchen. Nach den Zerwürfnissen haben sich die Kontrahenten sogar geprügelt. Die Polizei musste einschreiten, um die Parteifreunde zu trennen. Wenn es ums Geld geht, hört die Freundschaft schlagartig auf. Ist Frank nicht zu Hause, und das ist oft der Fall, üben sich die überforderten Befehlsempfänger in Messerstechereien. Erkennbar ist nur, dass viele etwas werden wollen und zweifellos sind so ein Posten und so ein Mandat finanziell lukrativ.

Das eben präsentierte Parteiprogramm wiederum ist ein jämmerliches Dokument der Worthülsen und Beteuerungen. Was zählt sind die marktgängigen Assoziationen, einfache und eingängige Slogans, Volksvorurteile des gemeinen Menschenverstands, die sich in seinem Plakatspruch zusammenfassen lassen: „Weil er die Wirtschaft am besten versteht“. Und das führt zu allgemeinem Kopfnicken anstatt zu Kopfschütteln, denn, offen gefragt, was muss das für eine Wirtschaft sein, die gerade von solchen Leuten am besten verstanden wird? Aber die volle Börse ersetzt jedes Argument. Der ökonomische Erfolg ist an und für sich der bestechendste. Im tiefsten Sinne des Wortes.

Nicht inhaltlich wäre die Programmatik zu diskutieren, sondern warum sie in ihrer Grobschlächtigkeit beim Publikum verfängt. Was vorliegt ist ein Verdichtung der obligaten populistischen Anmache, daher steht das „Team Stronach“ auch in direkter Konkurrenz zu Straches FPÖ, die wohl darunter am meisten zu leiden hat, ist doch ihr Monopol für das Zu-kurz-Gedachte dahin. Der fast doppelt so alte Stronach wirkt abgebrühter und gerissener als Heinz-Christian Strache. Der hat überhaupt das Problem, weil er nun nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, was ihn auch sichtlich nervös macht.

Das traditionelle Angebot sieht gegen den Alten alt aus. Es gerät mehr und mehr aus den Fugen. Und dabei handelt es sich nicht bloß um eine politische Erosion, sondern um eine Erosion des Politischen. Die Parteienlandschaft zerbröselt. Besonders deutlich in Tirol, wo ganze elf Listen um den Einzug rittern und die Mehrheit davon auch Chancen hat. Die Tiroler ÖVP ist schon seit über 20 Jahren ein Intrigantenstadel sondergleichen. Diesmal treten gleich drei aus der ÖVP kommende Listen zur Landtagswahl an. Landeshauptmann Platter steht schon jetzt als der große Wahlverlierer fest.

Das Politische selbst überzeugt immer weniger, und zwar in all seinen Varianten und Aspekten. Verdrossenheit und Wahlenthaltung nehmen kontinuierlich zu, Stammwählerschaften sind im Verschwinden begriffen. Die Wähler flanieren wie in einer Einkaufspassage. Die Konkurrenz der Eindrücke dominiert über die Konkurrenz der Interessen. Stimmabgaben werden zusehends zu einer taktischen, ja zufälligen Entscheidung, die oft noch dazu erst im letzten Moment erfolgen. Auffällig ist weiters , dass die Partei- und Listengründungen systematisch zunehmen. Ein richtiger Zwergenaufmarsch hat sich hier in Bewegung gesetzt.

Stronach ist so etwas wie das letzte Sonderangebot, der Ausverkauf, den die Politik zu bieten hat. Aber derlei goutiert ein breites Segment der politischen Kundschaft. Ohne Rücksicht auf Verluste greift sie zum billigsten Sortiment. Die Leichtgläubigkeit ist frappierend. Geradezu versessen lässt man sich für dumm verkaufen zu lassen. Es blüht der Masochismus.

Man mag dem Personal der etablierten Parteien ja zurecht kritisch gegenüberstehen, aber was Stronach anbietet, das ist die Selektion des oder der Allerletzten. Kompetenz ist eine antiquierte Tugend. Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit hinterlassen indes keinen langfristigen Schaden. Gegen Stronach sind die existierende Parlamentsparteien ein Hort der Seriosität. Gegen die Primitivität des „Team Stronach“ sind alle Altparteien differenzierte, ja hochsensible Aggregate. Der frische Wind ist der einer geöffneten Jauchengrube. Das Aroma ist geradezu penetrant. Stronach ist nicht anders, sondern ärger.

Der Mann toppt noch einmal alles: Postenschacher, Protektion, Steuerschonung. Letzteres ist möglicherweise auch ein Grund, dass Sronach selbst gar kein Mandat annimmt. Denn wird er Abgeordneter zum Parlament, wird er wohl auch hierzulande steuerpflichtig. Ankündigen wird er das freilich jetzt noch nicht, aber einmal mehr wird der gute Frank sich und seine Steuern schonen. Das hat er stets so gehalten. Ohne diese Haltung hätte er nie so groß werden können.

Stronach ist aber alles andere als eine Posse. Sein Auftreten ist nicht zufällig, sondern symptomatisch. Das politische System ist „reif“ für solche Figuren. In naher Zukunft wird er gut abschneiden, wenn auch nicht in der Höhe, von denen er phantasiert. Zweifellos ist es zwar nur eine Frage der Zeit bis dieses Projekt verpufft oder kollabiert, aber ähnliche werden folgen. Stronach ist keinesfalls Ausdruck von alpenländischer Zurückgebliebenheit, sondern Avantgarde eines sukzessiven Zerfalls der Politik. Nur Italien ist hier noch weiter, aber Österreich ist schon flott unterwegs. Es ist die Stunde der politischen Marodeure.

Auch die Suche nach attraktiven Wahlthemen ist in die Krise geraten. Nicht einmal die Ausländerfeindlichkeit oder die EU-Gegnerschaft können mobilisieren. Die Koalitionsparteien versuchten es kürzlich mit „Wohnen“, doch so recht zünden wollen all die Vorschläge nicht. Den Medien ist das zu langweilig und das Publikum wirkt desinteressiert und indifferent, selbst jene, die es hart trifft.

Und die Prognose? Beide Koalitionsparteien werden verlieren, aber die SPÖ wird vor der ÖVP bleiben. Zulegen, wenn auch nicht so viel wie ursprünglich erwartet, wird trotz allem die FPÖ. Die Grünen werden stärker, vor allem weil sie in all die Affären nicht verwickelt sind und solide Aufklärungsarbeit leisten. Die Piraten als ein weiteres linksliberales, aber deutlich obskurantistisch angehauchtes Projekt, werden draußen bleiben. Detto die liberalen Neos und einmal mehr die KPÖ, die lediglich ein lokales steirisches Phänomen darstellt. Es ist jedenfalls nicht einmal ausgeschlossen, dass sich zur Nationalratswahl keine Mehrheit mehr für eine große Koalition ausgeht und daher ein Dreierbündnis gesucht werden muss oder (was interessanter wäre) eine Minderheitenregierung riskiert wird. Tatsächlich wird Politik, wie wir sie bisher kannten, immer mühsamer. Denn die Obskuranz haben nicht nur die neuen Formationen gepachtet, sondern auch das obligate Parteigezänk wird schräger und schriller. Politik ist abschreckend geworden.

Kurzfassungen in: Die Presse, 24. 4. 2013 und Der Freitag, Nr. 17, 25.4.2013

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