Der nächste Krisenschub

USA: Der Markt für Gewerbeimmobilien wird durch sinkende Kaufkraft und faule Hypotheken erschüttert. Shopping-Malls besonders betroffen

von Tomasz Konicz

Die schwere Wirtschaftskrise in den USA versetzt auch den Kathedralen der dortigen Konsum»kultur« den Todesstoß. Einer Schätzung des Wall Street Journal zufolge sollen sich im vergangenen Jahr über 100 der sogenannten Shopping-Malls aufgrund der Rezession in »Geisterstädte« verwandelt haben. Hierbei handelt es sich um riesige Einkaufszentren, die tatsächlich teilweise wie überdachte Kleinstädte anmuten und neben Hunderten von Geschäften, Bars und Restarants auch kostenpflichtige Freizeitangebote beherbergen und längst die Funktion öffentlicher Treffpunkte eingenommen haben. Generationen US-amerikanischer Mittelklasse-Kids beispielsweise verbrachten wie selbstverständlich ihre Freizeit mit Konsum in diesen synthetischen Stätten, die Sicherheit durch strikte Kontrolle und Überwachung boten.

Damit scheint es nun vorbei zu sein, da der Einbruch kaufkräftiger Nachfrage die Leerstände in den Konsumtempeln anschwellen und deren Umsätze sinken läßt. Der schleichende Verfall vieler amerikanischer Malls läßt sich auch auf der Internetseite deadmalls.com verfolgen, der ein gewisser morbider Charme nicht abzusprechen ist.

Die untergehenden Konsumstädte bilden dabei nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs an unrentablen Gewerbeimmobilien. Sie stellen eine neuerliche Bedrohung des ohnehin fragilen Finanzsystems der USA dar und könnten einen weiteren globalen Krisenschub auslösen. Ähnlich den Preisen für Wohnungen und Einfamilienhäuser sind auch die gewerblichen Immobilienpreise in den USA im Zuge der Krise stark eingebrochen. Die Ratingagentur Moodys veröffentlichte kürzlich ihrem aktuellen »Commercial Property Price Index« (CPPI) für US-Gewerbeimmobilien, der einen drastischen Absturz bis zum November 2009 nachzeichnet. Nach dem Allzeithoch von 191,87 Punkten im Oktober 2007 stürzte der CPPI auf 107,9 Punkte im Oktober 2009, um im November erstmals seit 13 Monaten um ein Prozent auf 109,1 Punkte zuzulegen. Damit sind die Preise seit Oktober 2007 laut CPPI um 43,2 Prozent gefallen! Auch das Verkaufsvolumen sank in diesem Sektor dramatisch. Im November 2009 wurden gewerbliche Immobilien für 4,1 Milliarden US-Dollar verkauft. Im Februar 2007 betrug das Transaktionsvolumen noch 68 Milliarden US-Dollar.

Der Blog Wirtschaftsquerschüsse machte auf die verheerenden Konsequenzen dieses massiven Preiseinbruchs aufmerksam: Satte 53 Prozent aller mit Hypotheken belasteten gewerblichen Immobilien in den USA stünden »unter Wasser«. Dies bedeutet, daß mehr als die Hälfte unter den Wert ihrer Hypotheken gefallen ist. Für die Hypothekennehmer ist es schlicht unrentabel, eine Hypothek weiter zu bedienen, wenn das entsprechende Objekt immer weiter unter den Wert seiner Schuldenlast fällt – vor allem, wenn die Kunden fernbleiben oder die Leerstände zunehmen.

Der Markt für kommerzielle Hypotheken in den USA ist enorm: Im dritten Quartal betrug das gesamte ausstehende Volumen an Krediten für gewerbliche Immobilien mehr als 2,5 Billionen US-Dollar. Von dieser astronomischen Summe werden laut den Wirtschaftsquerschüssen in den nächsten fünf Jahren 1,4 Billionen US-Dollar entweder fällig, oder sie müssen »refinanziert« werden. Die Deutsche Bank geht davon aus, daß 65 Prozent dieser Anschlußfinanzierungen problematisch seien, »bis hin zur Insolvenz«. Doch bereits jetzt sind die Verzögerungen und Ausfälle beträchtlich. So befanden sich im dritten Quartal 2009 gut 8,7 Prozent aller kommer­ziellen Hypothekennehmer bei US-Geschäftsbanken laut der Notenbank in einem Zahlungsverzug von mehr als 30 Tagen. Mehr als 2,5 Prozent aller Immobilienkredite wurden inzwischen komplett abgeschrieben.

Neben den Malls sind auch Hotels, Mietshäuser und Bürotürme vom Leerstand oder Kundenschwund betroffen. Die Leerstandquoten erreichten in diesen Segmenten bereits ein ähnlich hohes Niveau wie Anfang der 90er Jahre, als die seinerzeitige Krise den Gewerbeimmobilienmarkt erschütterte und viele Banken in Bedrängnis brachte. Bereits jetzt drohen den Banken in diesem Sektor Verluste von nahezu 300 Milliarden US-Dollar, so das Fazit eines Sonderausschusses des Kongresses.

Selbstverständlich wurden auch die US-amerikanischen Gewerbeimmobilien in entsprechenden Finanzinstrumenten zusammengepackt, die auf den weltweiten Finanzmärkten gehandelt wurden. In diesem Falle waren es die »Commercial Mortgage Backed Securities« (CMBS), in denen die Hypotheken von Dutzenden Mietshäusern, Einkaufszentren, Hotels und Bürohäusern gebündelt wurden, um sie dann global Banken und sonstigen Investoren feilzubieten. Die Auswahlquoten bei CMBS belasten inzwischen mit immer neuen Höchstständen die Bilanzen der Banken, die sich – dank der erneut entfachten Spekulation auf den Finanzmärkten – gerade zu erholen begannen. Die Kreditratingagentur Realpoint kam bei einer Bewertung von CMBS im Nennwert von 806,11 Milliarden US-Dollar im November zur Einschätzung, daß 4,7 Prozent dieser Papiere Hypotheken beinhalten, die nicht mehr vertragsgemäß bedient werden. Im Vorjahr betrug der entprechende Anteil nur 0,83 Prozent. Natürlich sind auch diese Ausfälle »versichert« und zwar durch »Credit Defaults Swaps« (CDS). Diese Wetten auf das Platzen von Krediten machen einen relevanten Teil jener »toxischen Papiere« aus, die den Finanzmarkt weitgehend kollabieren ließen. Eine Wiederholung dieses Prozesses liegt zumindest im Bereich des Möglichen.

aus: Junge Welt, 18. Februar 2010

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