YES

von Roger Behrens

Vor vierzig Jahren, am 25. Juli 1969, erschien das erste Album der ein Jahr zuvor gegründeten Band Yes. Zusammen mit dem im Oktober desselben Jahres veröffentlichten Album „In the Court of the Crimson King“ von King Crimson gilt es als genre- und stilprägend für Progressiven Rock, also Musik, die – in welcher Weise auch immer – Fortschritt behauptete. Gleichwohl bewegte sich Yes mit dem Debüt noch in einer merkwürdigen Zwischenklangwelt aus Coverversionen, Beat-Elementen, „Klassik“-Adaptionen und ornamentalen Spielereien: Der Rock-Ästhetizismus, für den Yes dann mit Alben wie „Fragile“ (1971), „Close to the Edge“ (1972) oder „Tales from Topographic Oceans“ (1973) bekannt wurde, war noch weitgehend ungestaltet, offen und provisorisch; gemessen an den nachfolgenden Veröffentlichungen sind die Arrangements auf dem Debütalbum relativ bescheiden, aber auch suchend – und damit im Übrigen durchaus auch experimenteller als spätere Arrangements. Gleichwohl haben Yes schon auf diesem Album den für sie typischen Klangraum eröffnet, der bereits auf den epischen, mythisch anmutenden Illusionismus der kommenden Alben verweist. Genau dieser Illusionismus ist es aber, der schließlich jeden Anspruch auf Progressivität und Kunst konterkariert, für den die Band rockgeschichtlich kanonisiert wurde: Im Illusionismus kristallisieren sich die Paradoxien des Fortschritts und seiner Ideologie. Was hier nämlich überhaupt Fortschritt heißen könnte, hat keine Richtung, keine Linie, keine geschichtliche Bewegung und auch kein Subjekt.
Die Idee war, den Rock ’n’ Roll, der Mitte der fünfziger Jahre seinen profitablen Siegeszug begonnen hatte, gegen sich selbst zu verteidigen: Das 1956 von Chuck Berry skandierte „Roll over Beethoven“ wurde revidiert, indem man die bürgerliche Kunstmusik, in deren Zentrum selbstverständlich noch immer Beethoven zu hören ist, auf die neue Popmusik applizierte: Mit Beethoven und „Klassik“ sollte bewiesen werden, dass die Popmusik eben keine Popmusik ist – sondern ernst zu nehmende, künstlerisch wert- und ästhetisch gehaltvolle Musik. „Klassik“ als Maßstab indes ist nun alles andere als „fortschrittlich“, sondern Leitbild eines Kulturkonservatismus, den der Progressive Rock übernahm. Das Progressive wurde derart zunächst negativ bestimmt: Rock sollte fortschrittlich sein, weil Pop es eben nicht sei.
Ohnehin hatte sich der Fortschritt in der Geschichte der Moderne mehr als blamiert: Nach fünfundvierzig von Fortschritt zu sprechen, behält einen zynischen Beiklang, auch und gerade dort, wo man sich auf die enormen Entwicklungen der Technik beruft. Fortschritt meint seither nicht die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft, sondern die technologische Revolution, die im besten Fall stabilisierend auf die tendenziell regressive Gesellschaft zurückwirkt. Fortschritt heißt im zwanzigsten Jahrhundert Optimierung der Integration, Anpassung, Einfügung in den Lauf der Dinge. Am meisten Fortschritt gibt es dort, wo die Gesellschaft stehen bleibt und alles so aufrechterhalten werden kann, wie es nun einmal ist. Die Kulturindustrie hat das immer mit einem gewissen Ernst vertreten und politisch als Demokratisierung, ökonomisch als Konsumvielfalt verteidigt: Das Angebot „Jeder darf mitmachen“ wurde zum Befehl „Jeder muss mitmachen“. Die Popkultur hat das Prinzip – wahrscheinlich sogar unbeabsichtigt, ohne ökonomisches Kalkül – radikalisiert: Wenn man schon mitmachen muss, dann wenigstens laut, wild und lustvoll; dann wenigstens in einer Haltung, die suggeriert, dass man eigentlich gar nicht mitmachen muss, dass man es zumindest nicht will. Im Progressive Rock opponiert man dem Profitmotiv technisch und virtuos in einer Trotzhaltung, als wollte man durch die versierte Musik gleichsam belegen, dass der wirtschaftliche Erfolg ästhetisch-künstlerisch begründet sei (während die übliche Popmusik genau umgekehrt operiert: „50,000,000 Elvis Fans Can’t Be Wrong“).
Revolution, Avantgarde, Fortschritt – Konzepte, die in der Ära der Kulturindustrie der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts noch auf die Geschichte verwiesen waren, konnten in der Popkultur als Mode im Sinne der ewigen Wiederkehr des Neuen realisiert werden. Geht es um Mode, ist es für die Behauptung, fortschrittlich zu sein, gleichgültig, in welche geschichtliche Richtung dieser Fortschritt weist: Es gibt in der Mode kein Telos. Das bestätigt auch die letzte Textzeile auf dem Debütalbum von Yes: „And we’re all going somewhere“. Der Fortschritt blieb hier gleichsam auf der Oberfläche: Die Covergestaltung hatte Alan Fletcher übernommen, einer der versiertesten Grafikdesigner seiner Zeit. Er hatte durch eine einfache, „Yes“ sagende Comic-Sprechblase die junge Band im aktuellen Umfeld der Pop-Art situiert: Das passte ins Swinging London. Und vielleicht war das sogar ein Versuch, die Musik der britischen Mod-Bewegung (Mod als Abkürzung für Modernists, die Modernen) schmackhaft zu machen; auf dem amerikanischen Markt erschien das Album nämlich mit einem ganz anderen Cover, auf dem ein Foto die Band als Hippies zeigte.
Dass Yes tatsächlich mit ihrer Idee des Fortschritts in die Vergangenheit wollten, wurde schließlich seit dem Album „Fragile“ durch die Covergestaltungen von Roger Dean klar: Dessen Pseudosurrealismus verwunschener Landschaften und fliegender Inseln verweist in eine Vergangenheit, die sich als emotionale Urzeit des spätbürgerlichen Subjekts entpuppt, und geht so mit der Musik endlich konform: Das Authentische meinte hier immer „Je weiter von der Gesellschaft weg, desto echter und wahrhaftiger“. Thematisch sind die Songs irgendwo zwischen christlichen und fernöstlichen Mythen angesiedelt. Es ist übrigens durchaus bemerkenswert, dass es bei Yes – vom Achtziger-Jahre-Erfolg „Owner of a lonely Heart“ abgesehen – keine Liebeserzählungen gibt, die in irgendeiner Weise Alltagserfahrungen dokumentieren; alles ist in einem Traumreich situiert, in einer Utopie, die kaum ins Diesseits verweist. Schon das erste Stück auf dem Debütalbum heißt „Beyond and Before“, der Text ist romantisch-kitschige Naturlyrik.
Keine zehn Jahre später hatte sich der Illusionismus von Yes erschöpft: „Tormato“ von 1978 zeigt auf dem Cover einen Wünschelrutengänger; auf dem Foto kleben vermatschte Tomaten, als sei das Album mit ihnen beworfen worden; wie wenig Yes’ Idee des Progressiven in die Popwelt passte, zeigte sich eben daran, dass die Band auf alles, was in den Siebzigern fortschrittlich war, eben Punk, Disco und New Wave, nicht wirklich zu reagieren vermochte…

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