Freiheit statt Uni – Keimformen befreiten Lebens

von Andreas Exner

“…entspricht das Studium also keiner Forderung der Gesellschaft, so muss es den Forderungen derjenigen entsprechen, die diese Gesellschaft zerstören und diese Arbeitsteilung aufheben wollen. Nun kann aber die Universität ihrem Wesen nach dieser Forderung gar nicht entsprechen: weder ist sie funktional hinsichtlich der Forderung der kapitalistischen Wirtschaft noch hinsichtlich der Forderungen jener, die den Kapitalismus stürzen wollen; sie vermittelt weder eine „nützliche Kultur“ noch eine „rebellische Kultur“ (die sich per definitionem nicht vermitteln lässt); sie vermittelt eine „universitäre Kultur“, das heißt eine von jeder produktiven oder politisch aktiven Praxis entfernte Kultur; kurz, es ist ein Ort, wo man seine Zeit weder auf nützliche noch auf interessante Weise verbringen kann. Und keine Reform kann diese Situation ändern. Es kann also nicht darum gehen, dass man die Universität reformiert, man muss sie vielmehr zerstören, um damit gleichzeitig die vom Volk losgelöste Kultur, deren Ausdruck sie ist, (die Kultur der Mandarine) und die gesellschaftliche Schichtenbildung, deren Instrument sie noch immer ist, zu zerstören.”

– schreibt André Gorz 1970 in “Zerschlagt die Universitätt”.

Was hat sich daran geändert?

Nichts.

Was sollte sich daran ändern?

Alles.

Wie kann das gehen?

– Das ist die Frage, die uns umtreiben sollte.

Die Universität ist als Ort der Emanzipation unbrauchbar. Diesen Ort, im ideellen Sinn, muss die Emanzipation unbrauchbar machen. Die Einbildung, dem sei nicht so, gefolgt von der Illusion, man könne aus der Universität noch etwas Gutes machen, von der Ansicht begleitet, sie sei selbst eine Art Hort der Kritik oder Bastion der Intelligenz, ist der schludrigen Selbstgefälligkeit der postmodernen Akademia zu verdanken, die sich damit zufrieden gibt, zu sein, was sie ist; ja, schlimmer noch, die nichts anderes kennt als sich selbst und das wahrlich weltbewegende Problem, einem Professor oder einer Professorin zu gefallen und auszumachen, welche der wenigen Sprossen, die viele erklimmen zu können glauben, am meisten Halt bietet für den nächsten Tritt der kleinen Karriere.

Es ist richtig, dass Emanzipation heute überall stattfinden kann und muss. Es ist aber ebenso richtig, dass die Leute im Urwald von Chiapas mehr dafür getan haben als unsere Kommilitoninnen und Kommilitonen in den letzten Jahren; ebenso ist freilich richtig, dass diese Proteste jetzt zu unterstützen sind.

Jedoch nicht rückhaltlos.

Eine Bewegung, die unterstützt werden muss, weil sie das Potenzial der Befreiung hat, hat ihren Rückhalt in der Kritik des Bestehenden und dem Blick auf das Nicht-Bestehende. Kritisieren die Studierenden das bestehende System der Verwertung und ihrer eigenen Instrumentalisierung? Wenn ja, wie weit gehen sie dabei? Schrecken sie vor der letzten Konsequenz zurück? Oder öffnen sie sich dem Wagnis der Kritik? Und entwickeln sie ein Gefühl für das, was sein kann? Für das, was ihrem Leben Sinn geben könnte? Oder machen sie einen Schlussstrich, wenn in ihnen die Ahnung aufsteigt, dass ihr bisherigen Pläne null und nichtig sein könnten, sie über den Haufen geworfen werden müssen, so wie die Funktionsweise der Gesellschaft über den Haufen geworfen werden muss, damit Platz ist für etwas Neues?

Was ist die Universität anderes als ein Ausbildungsinstitut? Eine Anstalt der detaillierten, selbstgewählten Zurichtung auf Zustände hin, die man nicht selbst gewählt hat, und der Existenz darin, im Unterschied zum Leben? Wäre sie noch eine Universität, würde sie der lustvollen Kreativität, dem zwanglosen Reflektieren, der Einbindung der Massen und der Kultur des Experiments dienen? – Anstatt der Heranzüchtung der kapitalen Produktivkraft Wissenschaft und der Heerschar prekarisierter Wissensarbeiterinnen und -arbeiter? Wäre sie noch eine Universität, widmete sie sich den brennenden Fragen der Selbstbefreiung der Gesellschaft angesichts der tiefen Krise, in der wir uns befinden – der ökonomischen, ökologischen, sozialen und auch politischen Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Zustände?

Nein, sie wäre keine Universität. Nein, sie wäre nicht.

Was sie an positiven Ressourcen, Kompetenzen, Infrastrukturen birgt, würde sich in die gesellschaftliche Bewegung der Selbsterforschung und der kollektiven vielfältigen Suchbewegung nach einem neuen Leben auflösen. Der Rest ist für den Abfall.

Der Gebrauchswert eines Studiums besteht darin, für einen Job vorzubereiten. Sein Gebrauchswert ist nichts anderes als der künftige Tauschwert der Ware Arbeitskraft, die der Anstalt Universität in ein paar Jahren entsteigen soll. Besser früher als später. Die Studierenden stoßen sich der Mehrzahl nach an dem Fakt, dass sie als das gelten, was sie sind: Kostenfaktoren des Kapitals. Sie üben sich darin, zu zeigen, dass sie wichtig sind für den Forschungsstandort, für die Zukunft dieser Wirtschaftsweise; einer Wirtschaftsweise, die sie aber just zu Instrumenten degradiert, die sie nicht sein wollen. Oder nicht gänzlich sein wollen.

So treiben sie zwischen dem Willen zur Anpassung (und verweisen auf ihren künftigen Tauschwert als Produktivkraft des Kapitals) einerseits und dem rebellischen Widerspruch, in ihre eigenen Rechte als Menschen eingesetzt zu sein, sich selbst entfalten zu können in eine Richtung, die sie selbst bestimmen, und den Gebrauchswert von Diskussion, Kritik, Belebung im Geist und am Körper zu erfahren, andererseits.

Wer die Universität ändern will, muss sie zerschlagen, als Institution, nicht als Tisch und Sessel. Oder, wem das lieber ist: muss sie überwinden, auflösen, integrieren mit der Gesellschaft. Nicht als “university goes public”, sondern als ein Zusammenhang von Beziehungen, der sich seines Elitismus und der Selektion für “Höheres” an den Kommandospitzen von Forschungsstandort, Staat und Kapital entledigen muss.

Das kann nur gelingen, wenn Studierende und Nicht-Studierende eine gemeinsame Perspektive eines anderen Lebens, einer Produktionsweise, die nicht kapitalistisch ist, entwickeln.

Es gibt dafür viele Beispiele. Schaut Euch um!

In Brasilien etwa entstanden in den letzten Jahren an vielen Universitäten die Incubadores der Solidarischen Ökonomie – kleine, widerständige Gruppen von Studierenden und ProfessorInnen, die sich den Problemen widmen, die entstehen, wenn Menschen der Verelendung entkommen und der Kapitalisierung ihres Tuns entgehen wollen. Wie übernimmt man eine Fabrik? Wie betreibt man biologische Landwirtschaft, ohne für “Ja, Billa” und “Ursprung Hofer” sich einen abzurackern? Wie schrumpfen wir die Wirtschaft ein, ohne dass Herrschaftsverhältnisse noch drückender, das soziale Leiden noch unerträglicher wird? Wie entwickeln wir egalitäre Selbstorganisation ohne staatliche Förderung? Wie werden wir subversiv, dort, wo wir gerade sind? Wie finden wir in unserer Dissidenz zu einer Konsonanz gegen das Bestehende?

Kann die Universität uns darauf Antworten geben?

– Na eben.

Deshalb: Selbstorganisation von Studierenden muss einher damit gehen, Nicht- und Nicht-mehr-Studierende anzusprechen, sie mit den Fragen dieser Zeit zu bedrängen, ihnen klar zu machen, dass es so nicht weitergeht. Wie trivial und wahr zugleich. Es wird keinen neuen langen Aufschwung mehr geben; es wird keine Vollbeschäftigung mehr geben; die Einkommen werden nicht mehr in Summe wachsen; das Kapital wird keine Perspektiven mehr bieten; die Folgen des Klimawandels werden immer drückender werden; die fossile Basisenergie dieser gewohnten Form von “Leben” wird immer knapper werden; die lucky few werden immer fewer und immer weniger lucky sein.

Wem der Studierenden ist diese Herausforderung bewusst? Wer hat von Peak Oil gehört? Wer versteht, dass Wirtschaftswachstum und Klimawandel Hand in Hand gehen? Wer ahnt, wieviele Lebenspotenziale durch die Arbeit unter dem Kommando des Kapitals – der Geschäftsführung, dem Management, dem Markt, dem Profit – zerstört, uns täglich genommen werden? Sind wir uns bewusst genug dessen, was auf dem Spiel steht?

Die Universität ist Teil des Problems. Ihre Funktion ist die Steigerung der Produktivkraft der dem Kapital untergeordneten Arbeit – Heranbildung der Kompetenz zum Management, des Willens zum Marketing, zur verfeinerten Disziplinierung, Fortschreibung und Abstützung der entwickelten Ideologie, der Lehre von der Naturgegebenheit aller Verhältnisse, Steigerung der versachlichten Macht der fossilistischen Maschinerie. Was die Universität an Freiräumen gewährt und zulässt, dient dem unentbehrlichen Mindestmaß zur Entwicklung intelligenter Fähigkeiten, ohne die das Kapital sich heute nicht mehr reproduzieren kann. Intelligent, das sei erläutert, heißt nicht unbedingt vernünftig.

Das elevate! Festival in Graz hat gezeigt, dass die Solidarische Ökonomie spontane Inspiration sein kann dafür, etwas Neues zu versuchen: Sich nicht völlig von der Lohnarbeit und der dafür erforderlichen Ausbildung abhängig zu machen; Gemeingüter und -dienste zu entwickeln und dort, wo sie existieren, nach besten Kräften zu stärken; gegen repressive Arbeitsmarktpolitik zu opponieren; dies mit der Forderung nach einem bedingungslosen Zugang zum Lebensnotwendigen – als Grundeinkommen, als eine soziale Infrastruktur – zu verbinden. Warum nicht eine Food Coop gründen? Warum nicht einen Verband von Wohngemeinschaften bilden und zum Beispiel Einkäufe gemeinsam abwickeln? Warum nicht Gemeinschaftsgärten anlegen und erweitern? Warum nicht an den Universitäten Freiräume für die Entwicklung und Beratung Solidarischer Ökonomie erkämpfen? Warum nicht alternativ-gewerkschaftlich aktiv werden? Alles ist besser, als eine Ausfinanzierung des eigenen Studiums zu fordern, um einen “guten Job” im Dienst von Kapital und Staat zu bekommen. Alles ist besser als zu beklagen, dass die Uni zum Unternehmen werden solle, nur um flugs nach dem Studium in einem Unternehmen unterkommen zu wollen.

Forderungen können wichtig sein. Aber sie können auch unnötig einengen, die eigene Kraft limitieren, den eigenen Horizont beschränken, die Potenzialität unter Verschluss halten. Zu messen ist der Sinn einer Forderung an dem, was sie übersteigt, sie antreibt, ihr zugrundeliegt – zu messen ist sie nicht nur an dem, wovon sie weg will, sondern vor allem an dem, worauf sie hinauswill.

Wer setzt heute mehr Hoffnung in die Ausbildung der “eigenen” Fähigkeiten und Kompetenzen als in die Entwicklung eines sozialen Zusammenhangs, der tragen kann? Wer setzt mehr Herzblut in die Akkumulation von Zeugnissen als in den Aufbau einer gesellschaftlichen Alternative, die im Hier und Jetzt beginnt? Wer tut das? Ich hoffe, wir tun es alle immer weniger. Und mehr von dem, was eine ebenso vielfältige wie tragfähige Gemeinschaftlichkeit entstehen und sich ausdehnen lässt.

Diese Generation hat das Unglück, in eine Zeit geboren zu sein, die für sie als allerletzte ein Versprechen fortschleppt, das sich nicht mehr erfüllen kann. Die Zeit des Kapitals als einer historischen Epoche beginnt abzulaufen. Wird der Kapitalismus als ein Weltsystem noch 20 Jahre existieren oder 30? Oder vielleicht 40? Das kann niemand wissen. Was aber klar ist: Wer die Universität noch einmal für ein “schönes” Leben unter seinem Regime ummodeln will, ist bereits jetzt von gestern.

Ein ganz anderes Leben ist zu gewinnen.

Warum nicht auch durch Studierendenproteste…

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