Zornbinkel und Rohrkrepierer

Ohne Ausstiegs- und Einstiegsszenario überlebt die große Koalition einmal mehr ihr Ende

von Franz Schandl

Nicht nur die SPD steckt in einer Krise, auch der SPÖ ist es schon besser gegangen. Dass die brustschwache niederösterreichische Landespartei die Landtagswahl verliert, war zwar schon länger klar gewesen, das Minus von 8 Prozent übertraf aber die allerschlimmsten Befürchtungen. Es ist das schlechteste Ergebnis seit 1945. Dazu kommt noch, dass Kanzler und Parteichef Alfred Gusenbauer Niederösterreicher ist, ihm die Niederlage also doppelt zugerechnet wird. Niederösterreich, das Land um Wien, ist das Kerngebiet der Republik, flächenmäßig das größte und einwohnermäßig das zweitgrößte Bundesland.

Seit 1945 ist Niederösterreich fest in schwarzer Hand, doch so fest wie jetzt war das noch nie der Fall. Selbst die roten Hochburgen konnte Erwin Pröll umdrehen. Heidenreichstein etwa, wo es die letzen 50 Jahre zu keiner Bundes-, Regional- oder Kommunalwahl je etwas anderes gegeben hat als eine satte Mehrheit für die Sozialdemokraten. Stand 2003 das Match 53: 36 für die SPÖ, so steht es nun 48: 36 für die ÖVP. Waren die Sozialdemokraten vor 5 Jahren 17% vorne, so sind sie nun 12% hinten. Pröll räumte ab, was es abzuräumen gab, das Sensationsergebnis von 2003 konnte landesweit noch um einen Prozentpunkt auf 54,2 gesteigert werden.

Prölls autoritärer Stil erfreut sich großer Beliebtheit. Er erscheint nicht als konservativer Zwängler, selbst dann nicht, wenn er gleich Haider gegen den Bau „artfremder“ Moscheen in seinem Bundesland auftritt. Der Erwin Pröll, der hetzt nicht auf, der Erwin Pröll stellt fest, was Sache ist. Sogar die soziale Wärme, mit der er sich von der unsozialen Bundespolitik absetzen wollte, brachte er rüber. Damit eroberte er die roten Hochburgen im Sturm.

Der seit 1992 in St. Pölten regierende Landeshauptmann ist schon ein Sonderfall. Er dürfte sich selbst nicht ganz geheuer sein, auf jeden Fall spricht er auffällig oft von sich in dritter Person. „Der Erwin Pröll lässt sich das nicht gefallen“, „da werden sie den Erwin Pröll aber kennen lernen“, „dafür wird sich der Erwin Pröll einsetzen“. Selbst nach der Hochwasserkatastrophe im August 2002 hieß es: „Der Erwin Pröll wird euch helfen! “ Die Leidtragenden entschädigte das Land so großzügig, dass sogleich jedwede Kritik an den ungenügenden Sicherungsvorkehrungen verstummte. Freilich, man konnte es sich leisten, die Katastrophenfonds waren prall gefüllt, die finanziellen Erwartungen der Geschädigten wurden teilweise sogar übertroffen.

Aktionen, wo der „Erwinizer“ genannte Erwin Pröll hemdsärmelig einschreiten kann, sind ihm am liebsten. Und dieses Éinschreiten ist mehr als ein Auftreten. Wenn ihm was nicht passt, schreit er schon mal herum, führt sich auf wie ein Berserker und schreckt auch vor Drohungen nicht zurück. Die Geschichten, die über ihn kolportiert werden, sind nicht von der feinsten Sorte. Ein richtiger Zornbinkel soll er sein, der Erwin Pröll. Am liebsten kommuniziert er via Befehl und Botschaft. Gegen das rot-schwarze Chaos im Bund (und da bleibt die eigene Partei keineswegs ungeschoren), da helfen nur klare Verhältnisse wie sie in Niederösterreich unter ihm herrschen. Die Wähler verstanden und gehorchten.

Sein Wahlkampf war äußerst parteifern, ganz auf seine Person zugeschnitten. Zu den Landtagswahlen ist es ihm gelungen, eine Reihe von Prominenten, die normalerweise mit der christlichsozialen ÖVP nichts am Hut haben, für sich zu gewinnen. Konservative Honoratioren braucht er nicht, die wählen ihn sowieso, nein, in seinem Unterstützungskomitee fanden sich Aktionskünstler, Karikaturisten, Popsängerinnen, Schauspielerinnen oder bekannte Sexualtherapeutinnen. Der Erwin Pröll versteht es ganz ausgezeichnet, andere für sich einzuspannen. So lange sie nichts gegen ihn tun, dürfen sie alles tun.

Lasst sie doch machen, sagt er seinem Fußvolk, das sowieso nicht widerspricht, während er die neuen Freunde fragt, was er für sie tun kann, was sie denn so alles bräuchten, der Erwin Pröll, der sorge schon dafür. Er ist, und das gibt er auch freimütig zu, ein Großmeister der politischen Patronage und Protektion. Er beherrscht das mit einer Entschiedenheit, dass Kritik wie nichts an ihm abprallt. Es ist eine Mischung aus Eros und Heros, von Güte und Autorität, die der 61jährige zu vermitteln versteht. Unter den ÖVP-Häuptlingen ist er der mächtigste Kurfürst.

Ob Land, ob Bund, die SPÖ ist also schwer angeschlagen. Vor einigen Wochen noch stellte der Kanzler der Volkspartei die Rute ins Fenster, indem er vorschlug, die geplante Steuerreform von 2010 auf 2009 vorzuziehen, ansonsten müsse man die Koalition als gescheitert betrachten. Viele dachten, das sei ein Befreiungsschlag. Er brachte zwar die ÖVP kurz in Verlegenheit, weil sie mit einem solchen Vorstoß nicht gerechnet hatte, doch mehr war nicht drinnen. Im Gegenteil, mit dem für die Sozialdemokraten desaströsen Ergebnis in Niederösterreichisch ist die Offensive auch schon wieder verpufft. Die ÖVP beharrt auf dem im Koalitionsabkommen vereinbarten Termin. Nicht einmal einen kleinen Erfolg will man Gusenbauer gönnen. Das Ultimatum des SP-Vorsitzenden und Kanzlers wird sich einmal mehr als Rohrkrepierer erweisen.

Auch wenn sie noch gemeinsam in der Regierung sitzen, ist die Koalition zwischen Sozialdemokraten und christlichsozialer Volkspartei bereits beendet. Niemand weiß mehr, wie es weiter geht. Die Politik ist zum Stillstand gekommen. Es herrscht allseitige Ratlosigkeit. Alle paar Tage beschwört man einen Neustart, doch jeder neue Vorschlag führt zu neuen Zwistigkeiten. Man hat kein Einstiegsszenario, aber man hat auch kein Ausstiegsszenario.

Alfred Gusenbauer, so scheint es, ist mit seinem Latein am Ende. Ob er noch lange so weiter machen kann, daran zweifeln auch immer mehr in seiner Partei. Die SP-Granden in den Bundesländern werden unruhig ob der miserablen Performance und der schlechten Umfrageergebnisse. Zuletzt verärgerte der Parteivorsitzende noch die Parteibasis, als er, ohne eine laufende Kamera zu bemerken, vom lästigen „Gesuder“ der Funktionäre sprach. In Neuwahlen zu flüchten ist jedenfalls ausgeschlossen, Kanzlerschaft und den Parteivorsitz zu trennen, wäre eine Möglichkeit, hat aber in Österreich keine Tradition. Als mögliche Kandidaten werden übrigens die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller oder der Infrastrukturminister Werner Faymann genannt. Vordrängen tut sich allerdings niemand.

Die Strategie der ÖVP ist einfach. Ex-Kanzler Schüssel und Vizekanzler Molterer sehen Gusenbauer nur als Intermezzo und werden auch weiterhin alles unternehmen, um ihn mürbe zu machen. „Wir haben einen roten Bundeskanzler. Dieser Fehler muss korrigiert werden“, sagt der Vizekanzler über seinen Kanzler. Freilich stellt sich die Frage, ob die Bundes-ÖVP mehr zu bieten hat, als mit einer gezielten Obstruktionspolitik den Regierungspartner in die Enge zu treiben. Ob das Minus der SPÖ sich zu einem Plus für die ÖVP verwandelt, darf ernsthaft bezweifelt werden. Auch die Volkspartei, die in Strategiepapieren bereits Neuwahlen überlegt, kann sich in keiner Weise, trotz Niederösterreich, eines Erfolgs sicher sein.

Alternativen zur Großen Koalition sind kaum in Sicht, weder rot-grün noch schwarz-grün sind mehrheitsfähig, und auch ein ÖVP-FPÖ-Bündnis dürfte keine Mehrheit erzielen. Außerdem hat FP-Obmann Strache zuletzt mehrmals seine Präferenzen für die SPÖ anklingen lassen. Übersehen werden sollte aber nicht, dass im Windschatten der großkoalitionären Streiterei die FPÖ unter ihrem neuen Parteichef Hans Christian Strache einen Wiederaufstieg erlebt. Die großen Gewinner bei Neuwahlen wären die Freiheitlichen. Sie sind die eigentlichen Profiteure.

Freitag, 21.3.2008

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