Lokführer der Demokratie

von Franz Schandl

KAMPFFIBEL * In „Die Demokratie und ihre Feinde“ singt Robert Kagan ein Loblied der Expansionsmacht USA

Wer es gern primitiv hat, ist mit Robert Kagan gut bedient. Kagan zählt zu den bekanntesten US-amerikanischen Neokonservativen, er ist Mitbegründer der Denkfabrik „Project for the New American Century“ (PNAC) und schreibt eine monatliche Kolumne in der Washington Post. Der vorliegende Essay ist weder prägnant, noch pointiert, ja nicht einmal besonders schrill, aber umso mehr ein lautes Inserat. Die Aufteilung in „Gut“ und „Böse“ setzt den Maßstab und sanktioniert die Abweichung. Was übrig bleibt, ist eine kleine Kampffibel, die allen analytischen Kriterien und Ansprüchen spottet. Es ist ein Band, der sich in demokratischen Beschwörungen und freiheitlichen Stoßgebeten ergeht.

Theoretische Dürftigkeit ist freilich kein Hindernis für überzeugte Dreistigkeit. Im Gegenteil, ohne jene könnte man diese kaum aufbringen. Abgespult wird das alles in einem selbstgefälligen Plauderton: „Bei Nationen, die miteinander Handel trieben, wäre die Gefahr gering, dass sie einander bekämpften“, schreibt er allen Ernstes. Oder Henry Kissinger zitierend: „Der internationale Wettbewerb sei Bestandteil der menschlichen Natur und werde früher oder später wieder ausbrechen.“ Russen als auch Chinesen lebten in anderen Jahrhunderten. Sie sind hintennach, aber da alle Modernisierung sowieso Richtung Liberalismus laufe, ist das wohl nicht so tragisch. Die USA hingegen werden vorgestellt als „Lokomotive an der Spitze der Menschheit“. Und Robert Kagan ist als Berater der gegenwärtigen US-Regierung wohl ein Lokführer derselben.

„Indiens Diplomaten spielen die anderen Großmächte gern gegeneinander aus und erwärmen sich manchmal für Russland, manchmal für China.“ Zweifellos, geht es gegen China, ist man auch mal für Burma, geht es gegen Pakistan, ist man auch für die USA, wie die neuesten Annäherungen zeigen. Indes, machen die das nun, weil sie Inder oder weil sie Diplomaten sind? Und kommt so was in den USA gar nicht vor? Gehören solche Praktiken und Taktiken nicht zum ehernen Rüstzeug jedweder staatlichen Geopolitik? In Kagans „Konzert der Demokratien“ wird vergessen, dass diverse Schurken (Staaten wie Banden) eine durchaus positive Rolle spielen, wenn sie nur als „unsere Schurken“ verwendbar sind. Und das kann wechseln, siehe Irak, dem daher Folgendes passieren musste: „Der Irak ist vom unversöhnlichen Anti-Amerikanismus unter Saddam Hussein zur Abhängigkeit von den USA übergegangen.“ Nicht anders kann dieser Prozess von der Erwärmung bis zur Entzündung eines Landes gedeutet werden.

Aufgetischt wird einmal mehr das alte Märchen, dass der Liberalismus nicht autokratisch sei. Das geht deswegen rein, weil dessen primäre Zwänge derart in Fleisch und Blut übergegangen sind, dass sie nicht als solche, sondern als unhintergehbar erscheinen. Indes hat bloß Selbstbeherrschung personale Herrschaft als erste Vollzugsinstanz ersetzt, wobei auch letztere vorhanden ist. Die Marktgesetze reproduzieren sich in den westlichen Metropolen auf hohem Niveau durch die verinnerlichte Selbstläufigkeit menschlichen Handelns. Autokratische Systeme können dieses Niveau nicht halten und müssen es daher durch restriktive Politiken substituieren. Das ist ein Unterschied, aber er ist einer innerhalb des akkordierten Modus globaler Verwertung und Selbstverwertung.

Dass die Welt viel zu komplex ist, um sie in einem kruden Gegensatz Demokratie-Autokratie aufzulösen, dass vielleicht historische Entwicklungen, räumliche Gegebenheiten, politische, kulturelle und vor allem auch wirtschaftliche Verhältnisse als gewichtige Aspekte im Kontext zu berücksichtigen wären, derlei Gedanken will Kagan gar nicht erst zulassen. Die Welt ist für ihn sonnenklar, weil sonnenklar ist, wo er hingehört. Er ist ein schneidiger Offizier der Freiheit, ein entschlossener Propagandist der Demokratie. So legt die Position die Passion fest und jede differenzierte Beurteilung erstickt schon mal vorab im nationalen Interesse. Bevor er das Hirn einschaltet, hat er die Fahne schon geschwenkt.

Die Nation wiederum entwächst bei ihm den natürlichen Regungen, die da wären „Liebe, Hass, Ehrgeiz, Furcht, Ehre, Scham, Patriotismus, Ideologie und Glauben, lauter Dinge, für die Menschen kämpfen und um ihretwillen sie sterben, heute wie in den vergangenen Jahrtausenden.“ Und in Ewigkeit, Amen! Die Natur hat es unserem Autor überhaupt angetan. Wo es kein Argument gibt, und das gibt es selten, ist jene stets parat. In einem Artikel für Die Welt vom 28. Oktober 2006 heißt es: „Der Drang der Vereinigten Staaten zur Expansion ist weder neu, noch ein Verrat an ihren Idealen. Er ist Teil von Amerikas DNA. Seit der erste Pilger seinen Fuß auf den Kontinent setzte, war Amerika eine expansive Macht“. Und noch einmal, weil´s so schön ist: „Amerikas Expansionsdrang und sein Hang zur Dominanz sind kein Verrat an unserer wahren Natur – sie sind unsere Natur“. – Sollte da wirklich nur noch Genmanipulation helfen?

Robert Kagan Die Demokratie und ihre Feinde. Wer gestaltet die neue Weltordnung? Aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt, Siedler, München 2008, 128 S. , 16,95 EUR

für: „Freitag“, 5.9.2008

image_print