Retrospektive als Perspektive

Der entfesselten Wirtschaft Fesseln anlegen – das möchte Rudolf Hickel

von Franz Schandl

Der Bremer Ökonom kann als einer der prononciertesten Exponenten des Neokeynesianismus gelten, als ein unermüdlicher Verfechter einer wirtschaftspolitischen Wende: „Denn wir brauchen einen Richtungswechsel, eigentlich die Rückkehr zu einem rational begründeten Zusammenspiel von Wirtschaft und Staat, das es schon einmal gegeben hat.“ Hickels Perspektive liegt in der Retrospektive. Der Autor ist ein Vertreter von Regulierung und Intervention. Wirtschaftspolitik habe nicht einfach Politik für die Wirtschaft zu sein, sondern politischer Wegweiser.

Wenn der Staat spart, rechnet sich das laut Hickel keineswegs: „Ausgabenkürzungen führen zu sich vervielfachenden Einnahmeverlusten. Die ohnehin schon schwache gesamtwirtschaftliche Nachfrage geht zurück. Die Folge sind Steuerausfälle einerseits und steigende Krisenkosten durch den Zuwachs von Arbeitslosigkeit andererseits.“ Ähnliches gilt für das Lohndumping: „Denn Löhne sind eben nicht nur Kosten, sondern die entscheidende Basis für die binnenwirtschaftliche Konsumnachfrage“, schreibt er.

Schlagworte wie „gerechte Steuerpolitik“ und „leistungsfähiger Staat“ kommen wieder zu Ehren. Manche Passagen lesen sich wie ein Aufruf, den Steuerbehörden doch mehr Befugnisse einzuräumen. Ob solch restriktive Maßnahmen tatsächlich zielführend wären, darf aber bezweifelt werden. Bei der Lektüre gewinnt man jedenfalls den Eindruck, dass die ökonomische Misere (vor allem betreffend den Arbeitsmarkt) steuertechnisch leicht zu beheben sei, folgte man den richtigen Rezepten. Dass die Krise womöglich struktureller Natur sei, wird nicht einmal in Erwägung gezogen. Der Wirtschaft gehe es gut, sie sauge nur die Leute zu sehr aus. So fehlt auch nicht ein dezidiertes „Ja“ zu Franz Münteferings Heuschrecken-Begriff. Die Konzerne sollen akkurat auf die Ebene „angemessener Gewinne“ gestutzt werden.

Rudolf Hickel ist zwar ein vehementer Gegner des Marktradikalismus, aber ein ausdrücklicher Befürworter der Marktwirtschaft. Was nämlich gern übersehen wird, ist, dass die Auseinandersetzung zwischen den Schulen eine innerhalb eines gemeinsamen Bezugssystems ist: Markt und Standort, Konkurrenz und Wachstum sind unstrittig. Die Keynesianer bezwecken nichts anderes als die Monetaristen, sie wollen es nur mit anderen Mitteln erreichen. Es geht um die Disposition innerhalb eines Feldes, das selbst nicht zur Disposition steht. Natürlich gibt es methodische Differenzen. Messen Neoliberale Wettbewerbsfähigkeit an den Lohnkosten, so Keynesianer an den Lohnstückkosten. Beide Theorien können plausible Daten präsentieren. Stets werden Ziffern gefunden, die gebraucht werden.

„Kassensturz“ ist ein Band, der den konventionellen Rahmen der Wirtschaftswissenschaften nicht verlässt. Die Streitschrift ist absolut auf Lohnarbeit fixiert, nicht einmal das Grundeinkommen wird diskutiert, von weiter gehenden Entwürfen ganz zu schweigen. Indes, wer einen Einstieg in die aktuellen Vorstellungen und Vorschläge keynesianischer Wirtschaftspolitik haben will, wird durchaus bedient. Die Kritik des Neoliberalismus hinterlässt einen besseren Eindruck als die vorgetragenen Alternativen. Die wirken gelinde gesagt gestrig.

Rudolf Hickel

Kassensturz. Sieben Gründe für eine andere Wirtschaftspolitik

256 S. , € 16,90 (Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg)

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