Vorsorge statt Fürsorge

von Franz Schandl

EMMERICH TÁLOS, Vom Siegeszug zum Rückzug. Sozialstaat Österreich 1945-2005. StudienVerlag, Innsbruck-Wien-Bozen 2005, 95 Seiten, 9,90 Euro

Wer sich schnell einen Überblick über die Entwicklung des österreichischen Sozialstaats seit 1945 verschaffen möchte, sollte zu diesem Band des Wiener Politikwissenschafters Emmerich Tálos greifen. Mit Siegeszug und Rückzug werden die zwei Hauptphasen der österreichischen Sozialpolitik prägnant charakterisiert. Die erste dauerte bis Mitte der Achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, seither wird zum Rückzug geblasen. Das ist freilich in Österreich nicht anders gewesen als anderswo, möglicherweise etwas schaumgebremster.

„Ein wichtiges Ergebnis des , Siegeszuges‘ des Sozialstaates besteht unstrittig darin, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – Erwerbstätige und ihre Familien gegen wesentliche soziale Risiken wie Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit und Alter, abgesichert sind, “ (S. 34) schreibt der Autor. Er spricht von einer sukzessiven Ausweitung der Leistungen, gebraucht völlig korrekt den Begriff „Expansion“. Diese war Ausdruck einer rasch wachsenden Wirtschaft, sowohl die Produktivität als auch das Einkommen betreffend. Diesem Zeitraum entspricht auch das damals prägende Normalarbeitsverhältnis, „ein vollzeitiges, kontinuierliches, arbeits- und sozialrechtlich erfasstes Beschäftigungsverhältnis“ (S. 20). In den Siebzigerjahren gab es sogar Vollbeschäftigung.

Parallel zu den Veränderungen verweist Tálos auf die rückläufigen Wachstumsziffern ebenso wie auf den Anstieg der Erwerbslosigkeit, die heute mehr als dreimal so hoch ist wie 1980. Sowohl bei der Kranken-, der Sozial- als auch der Pensionsversicherung können die Einnahmen mit den Ausgaben nicht Schritt halten. Auch der Generationenvertrag ist brüchig geworden: „Die Gesamtzahl der Pensionen ist beträchtlich stärker gestiegen als die Zahl der Beitragszahlenden.“ (S. 52) Ab 1985 hat es nur mehr partielle Erweiterungen sozialstaatlicher Leistungen gegeben, bis 1995 beobachtet der Autor noch eine gewisse „Gegenläufigkeit sozialpolitischer Regelungen“ (S. 39), die letzten zehn Jahre dominieren hingegen „einschneidende Leistungskürzungen“ (S. 14). Die Armutsgefährdungsquote ist daher im Steigen begriffen (S. 57), sie beträgt bereits über 13% der Gesamtbevölkerung. Nicht zu übersehen ist der Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik. Eins hat auf sich selber zu schauen: „Grundsätzlich muss Vorsorge Vorrang vor Fürsorge haben“, heißt es im Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ aus dem Jahr 2000. (S. 60)

Für die noch bessere Lesbarkeit des gut geschriebenen und gegliederten Bandes wäre es vorteilhaft gewesen, auf die vielen Literaturanmerkungen im Text zu verzichten. Das informative Literaturverzeichnis reicht für diese Art von Einführungsband völlig.

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