Living in cages, tall and cold

von Andreas Exner

Still ist es geworden um Ausstiegsversuche aus der Leistungsgesellschaft. Wie steht es um alternatives Wohnen heute, im Schatten der Globalisierung? Überbleibsel linker Utopien oder Lifestyle-Projekt, Nischenexistenz für Altgrüne oder Keimformen einer neuen Gesellschaft?

Eingekapselt in Beton und Glas, abgeschottet voneinander, so lebt sich’s in der Welt des Kapitals. Zwar wandelte sich die Architektur der Warenwelt gehörig. Doch eine sterile Kälte ist ihr geblieben. Sie verweist auf eine soziale Logik, die Menschen primär als Material und Abzugskanal der Warenproduktion behandelt.

Grau ist geil. Grau in Grau, grelles Kunstlicht, spiegelglatte Flächen, ornamentale Drahtgitter: der Charme von Operationssälen und Gefängnissen beherrscht vielerorts die Wohnbauten. Das Leben darin dient der Rekonvaleszenz und Disziplin der Ware Arbeitskraft. Und das ist der Architektur auch anzusehen.

Im Gefolge der 68er-Revolten wollten viele Menschen gemeinsame Wege in eine bessere Welt finden. Die Versuchung auszubrechen war groß, und an Versuchen mangelte es nicht. Die 1970er Jahre brachten auch hierzulande eine bedeutende Bewegung hin zu alternativen Wohnformen, die in den 1980ern eine zweite Konjunktur erlebte.

Lebensträume. Die Ökosiedlung bei Gänserndorf erhält Zuwachs. 16 Jahre nach Eröffnung des ersten Teils, des so genannten Gärtnerhofs, steht nun der Teil Lebensraum kurz vor dem Bezug. Ein Lebensraum-Bewohner kommt auf den Gärtnerhof zu sprechen: „Die waren damals eher fundamentalistisch, wollten alle Nahrungsmittel selber produzieren und so. Mit der Zeit sind die Radikaleren meistens ohnehin gegangen. Hier jedenfalls geht es viel entspannter zu.“ Das Kernthema der Siedlung hat sich gewandelt, bemerkt dazu Architekt Helmut Deubner: „Stand früher die Ökologie im Zentrum, ist es heute das Soziale.“

Das Leitbild der Siedlung nennt sich Cohousing. „Das Prinzip des Cohousing besteht aus , Teilen‘: Kosten teilen, Pflichten teilen, Arbeiten teilen, an Gemeinschaft anteilnehmen“, ist der Website zu entnehmen. Der Gemeinschaftsgarten wird kollektiv bewirtschaftet, im großen Gruppenraum soll es ein allabendliches Gemeinschaftskochen geben. Das fördere Kommunikation und Selbstorganisation, daneben spare es Geld und Zeit. Dabei wird großer Wert auf Freiwilligkeit und persönlichen Rückzugsraum gelegt.

Gemeinschaft der Ich-AGs. „Die derzeitige Gesellschaft gleicht einem Urwald, dessen Kronendach dabei ist, zusammenzubrechen. Aber unten gibt es schon viele neue Ideen und Projekte, die wie Keimlinge in die Höhe schießen werden“, ist Christine Bauer-Jelinek, Mastermind des Wohnclubs, überzeugt. Ihr zentrales Anliegen ist es, „der Atomisierung der Menschen entgegenwirken“. Die Dimension des Projektes kann sich sehen lassen. Rund 1.000 Menschen sollen auf 20.000 m² Bruttowohnfläche zu einer neuen Form des Miteinanders finden können.

Bauer-Jelinek kommt aus dem „68er-Zustand“, wie sie es nennt. Sie erinnert sich an Arroganz und Zwangsgemeinschaft, nebst endlosen Konflikten um den Kloputz. Die Kraft des Marktes und ein Verzicht auf partizipative Planung sollen Abhilfe schaffen. „Wir sind ein angebotsseitiges Projekt, Markt- und Gemeinwirtschaft sollen dabei zusammenwirken.“ Es gelte, das Bedürfnis nach individueller Freiheit mit gemeinschaftlicher Geborgenheit zu versöhnen. Dem dient auch ein neues Architekturprinzip. Standard-Wohnmodule von je 26 m² werden nach Wunsch zu einer Wohnung zusammengestellt. Die Vorteile: Wohnungen können problemlos verkleinert oder vergrößert werden; religiöse, politische oder soziale Gruppen richten sich ihre Subcommunities ein. Durch eine Kombination aus selbstorganisiertem Ehrenamt und bezahlten Dienstleistungen sollen die Daseinsvorsorge garantiert und Arbeitsplätze geschaffen werden.

Mittelfristig soll das Konzept auch in öffentliche Hände kommen, so die Vision der Gründerin. Ein zweites rotes Wien? „Ja, durchaus! Die Stadt Wien hat daran Interesse, denn Alten- und Krankenversorgung kann die Gemeinde immer schwerer bewältigen. Auch im , roten Wien‘ wurden soziale Probleme mit innovativen Wohnbaukonzepten gelöst.“

Ausklinkende Keimblätter. Im Süden des Burgenlands schlägt gerade ein anderer Versuch kollektiver Lebensgestaltung erste Wurzeln. Das Keimblatt Ökodorf will ein Leben und Produzieren in Gemeinschaft organisieren. Dem Projektzentrum in Altenmarkt soll in den kommenden Jahren der Aufbau eines Ökodorfes mit 150 bis 300 Menschen folgen, nach dem Vorbild von Sieben Linden in Deutschland. „Unser Projekt zielt auf die radikale Veränderung unserer Lebensweise ab, ist von daher also eine sehr ernsthafte Sache“, meint Johannes Stolba aus dem Projektteam um den Initiator Ronny Wytek.

„Wir glauben, dass das Ökodorf nicht nur ein Modell für eine zukunftsfähigere Lebensweise sein kann, sondern auch eine effektive Entlastung für die Umwelt sowie eine Keimzelle des Friedens und der Menschenwürde“, erzählt Johannes. Die Welt des Profits und der Macht sei ohne Perspektive. „Daraus ergibt sich für mich der dringende Wunsch, zumindest mich selbst und alle, denen es ähnlich geht, aus diesem Kreislauf so weit als möglich auszuklinken.“

No ideology, please! Auffällig sind der undogmatische Pragmatismus und die Betonung von Individualität in den neuen Projekten. Damit einher geht eine große politische Vielfalt. Immer wird die Kooperation mit privatem Kapital und staatlicher Förderung gesucht. Das sei nichts Schlechtes, meint Franz Nahrada vom Forschungsinstitut GIVE. Er sieht darin „eine komplizierte Dialektik aus Kooperation und Antagonismus“.

Während die alternativen Projekte der 1970er im Kontext von Vollbeschäftigung und Sozialstaat standen, rücken heute immer mehr die Probleme der individuellen Reproduktion in den Vordergrund. So drängt es viele zu einer engeren Verknüpfung von Wohnen, Leben und Arbeiten. Das sieht auch Helmut Deubner so. Cohousing sei eine Reaktion auf die soziale Krise: verallgemeinertes Single-Dasein, Erosion staatlicher Sicherheiten, steigende Arbeitslosigkeit. „Es gibt eine sich doch weit durchsetzende Stimmung, die getragen ist von der Desillusionierung hinsichtlich der noch möglichen und erreichbaren , Lebenskarrieren'“, resümiert Franz Nahrada. Beispiele wie das Zürcher Kraftwerk 1, die US-amerikanische Federation of Egalitarian Communities, das Global Ecovillage Network oder die rund 200 dänischen Cohousing-Projekte zeugen hingegen von der kulturkreativen Kraft neuer Wohnformen.

Sind die heutigen Kommunen also doch der Startpunkt einer neuen Gesellschaft? Franz Nahrada: „Was heute noch wie eine kleine Nische aussieht, kann morgen schon ein breiter und großer Ausweg sein. Denn eine neue Gesellschaft erwächst aus Keimformen, die im , alten‘ System wachsen und um sich greifen, weil sie zunehmende Systemschranken ausgleichen und balancieren.“

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