Wissen contra Verwertung

von Franz Schandl

André Gorz ist ein sehr kurzweilig zu lesender Autor. So auch in seinem neuesten Büchlein, das wohl als Zusammenfassung aber auch Modifizierung schon bisher entwickelter und vorgetragener Thesen angesehen werden muss. Sein Denken und Schreiben zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er sich was traut und dass er was vorschlägt. Ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als der analytische Aspekt ist für Gorz stets die handlungsorientierte Komponente gewesen. Jedenfalls gibt sich der Autor keinen partiellen Lösungen hin. Das unterscheidet ihn von vielen Zeitgenossen, auch oder gerade weil es heute antiquiert wirkt.

Was die klassische Kritische Theorie an Pessimismus pflegte, pflegt Gorz an Optimismus. Was ihn vorantrieb, war eine Art optimistischer Überschuss, ganz programmatisch hieß eines seiner Bücher „Wege ins Paradies“ (1984). Gorz war immer Medizin gegen die Verbitterung, den Zynismus und die Illusionslosigkeit der Linken, allerdings kann eingewendet werden, dass er gelegentlich etwas voreilig Rezepte (z. B. die „Dualwirtschaft“) präsentierte. Des öfteren wird man auch den Eindruck nicht los, als käme der Kommunismus hinterrücks und unzweifelhaft.

Eine seiner grundlegenden Überlegungen ist die, dass Wissen zur Hauptproduktivkraft der Gesellschaft geworden ist. Dieses ,, kann im Unterschied zur allgemeinen gesellschaftlichen Arbeit nicht in einfache, abstrakte Einheiten übersetzt und nach solchen bemessen werden. Es ist nicht auf eine Quantität abstrakter Arbeit reduzierbar, deren Ergebnis, Produkt oder Äquivalent es wäre. Es umfasst und bezeichnet eine große Vielfalt von verschiedenartigen Fähigkeiten, also von Fähigkeiten ohne gemeinsamen Massstab.“

Wissen sperrt sich gegen die Verwertung, es muss zwangsweise in das Korsett von Wert und Preis gepresst werden: „Wissen eignet sich grundsätzlich nicht dazu, als Ware behandelt zu werden. Seine Gestehungskosten sind oft unbestimmbar, sein Warenwert lässt sich nicht mit der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit messen, die für seine Schöpfung verausgabt wurde. Niemand kann bestimmen, wo die erfinderische Wissensarbeit im gesellschaftlichen Zusammenhang anfängt und wo sie aufhört.“ „Da die Grenzkosten der Software äußerst gering sind, kann sie sehr viel mehr Arbeit einsparen, als sie kostet und das in gigantischen, noch vor kurzem unvorstellbaren Ausmaßen. Das bedeutet, dass das formale Wissen unermesslich viel mehr , Wert‘ zerstört, als es zu schöpfen erlaubt. Anders gesagt, es erspart Unmengen von bezahlter gesellschaftlicher Arbeit und verkleinert folglich den (monetären) Tauschwert einer wachsenden Anzahl von Produkten und Dienstleistungen.“ Kapital, das Lohnarbeit abschaffen will, entziehe sich letztlich die eigene Basis.

„Wie kann die Warengesellschaft weiterbestehen, wenn die Produktion von Waren immer weniger Arbeit verwertet und immer weniger Zahlungsmittel in Umlauf setzt? „, fragt Gorz. „Alles formalisierbare Wissen kann von seinen stofflichen und menschlichen Trägern abgetrennt, als Software praktisch kostenlos vervielfältigt werden und in Universalmaschinen unbeschränkt genützt werden. Je weiter es sich verbreitet, umso größer sein gesellschaftlicher Nutzen. Sein Warenwert hingegen schwindet mit seiner Verbreitung und tendiert gegen Null: Er wird zu allgemein zugänglichem Gemeingut. Eine authentische Wissensökonomie wäre ein Wissenskommunismus, in dem sich Tausch- und Geldbeziehungen erübrigen.“ So das Ziel. Und doch ist es zweifelhaft zu behaupten: „Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, in der verschiedene Produktionsweisen gleichzeitig existieren.“ Viel Umbruch lässt sich beim Zusammenbruch nicht bemerken.

Als aktuelles Etappenziel fordert er nach wie vor die Durchsetzung eines bedingungslos garantierten Existenzgeldes, dieses sei eine direkte „Attacke auf das Wertgesetz“. Die Variante, die er nunmehr vertritt, ist eine, die sich unabhängig von „Transferleistungen durch die Besteuerung von Löhnen und Mehrwert“ finanziert.

Wie jedoch soll eine Parallelität unterschiedlicher Geldsorten, einer wertmässigen und einer wertlosen, als gleichgesetztes Zahlungsmittel funktionieren? Wie sollen sie am Markt als Gleiches gelten? Zwar sieht keiner einem Geldschein an, ob er erarbeitet oder bloss gedruckt und verteilt wurde, aber doch herrscht eine gesellschaftliche Übereinkunft dahingehend, dass der Schein einen bestimmten Wert habe, für ein bestimmtes Maß an abstrakt verausgabter Arbeit stehe. Ein Nebeneinander von Geld und reinem Zählgeld ist fragwürdig. So ganz will der emanzipatorische Gehalt des Zwischenschritts nicht einleuchten, nicht zuletzt auch deswegen, weil ihn die meisten Verfechter eines Grundeinkommens nicht gleich Gorz als solchen sehen, sondern überhaupt als das Patentrezept gesellschaftlicher Regulierung.

André Gorz, Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie. Rotpunktverlag. Zürich 2004, 133 Seiten, Euro 15,50.

P. S. : Eine längere Fassung findet sich in der nächsten Ausgabe der Streifzüge, der Nummer 32 (November 2004)

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