Metamorphosen der Ware oder: Die Gespensterwelten des Kapitals

von Franz Schandl

Wir leben in einem Universum der Ware. Wo das Universum die Lebensbereiche nicht formell unterwirft, tut es das materiell oder ideell. Das gilt auch für umfangreiche Haushaltstätigkeiten, für Erziehung, Sorge oder Pflege. Wir denken alle Gegenstände und Sachen, alle Abläufe, Beziehungen, Konfrontationen analog zur Ware, wenn nicht überhaupt als Ware. Auch Kunstwerken oder anderen Unikaten, die streng genommen keine Waren sind, pfropfen wir diesen Charakter geradezu selbstverständlich auf, indem wir sie bewerten und bezahlen. Was einen Preis erzielt, muss auch einen Wert haben und daher eine Ware gewesen sein, so der tautologische Schluss, der den Marktteilnehmern aber keinerlei Probleme bereitet.

Der reduzierte Alltagsverstand versteht unter Ware Ding für Geld oder Geld für Ding. Diese Auffassung genügt, um am Markt adäquat aufzutreten. Mehr braucht er nicht zu wissen, mehr braucht er nicht zu erfahren, und mehr weiß er auch nicht. Ideell sind ihm die Prozesse der Formierung eines Produkts zur Ware fremd, obwohl er sie reell zu handhaben versteht. Die Ware jedoch ist Prozess, nicht Ding. Waren werden für den Markt produziert, sie sind Handelswaren. Ihr Zweck als Gebrauchswert ist nur wichtig, weil er Träger des Tauschwerts ist. Wenn wir die Ware anschauen, sehen wir sie als tote Arbeit, nicht als lebendiges Tun, ohne die sie sich nicht etablieren könnte. Das Tote erscheint so, als sei es kein Gewordenes, es tut so, als sei es lediglich ein Gegenstand mit einem Preis.

Eins, obwohl zwei

Nicht nur der Gebrauchswert ist Träger des Tauschwerts, es ist auch der Tauschwert Träger des Gebrauchswerts. In der Ware tragen sie sich gegenseitig. Diese Balance kann nicht gestört werden, ohne dass die Ware zerstört wird. Die Ware ist jenes eigentümliche Produkt, in dem Gebrauchswert und Tauschwert zu einer Einheit mobilisiert werden, geradezu verschmelzen. Nur in der Ware wird Gebrauchswert auch Tauschwert. Aber: In der Ware findet nicht der Gebrauchswert zum Tauschwert, sondern in der Ware finden Gebrauchswert und Tauschwert zueinander. Die Ware erweitert den Gebrauchswert also nicht, sie etabliert ihn erst. Nur in der Warengesellschaft gilt ein Tisch mehr als ein Tisch. Wäre der Tisch nur Tisch, wäre er und hätte er nicht einmal Gebrauchswert, er wäre ein profanes und hilfreiches Stück, das keine gesonderten Oberbegriffe oder Kategorien benötigte. Die Frage nach einem Gebrauchswert oder einem Tauschwert stellte sich erst gar nicht.

Der Satz: „Die Ware setzt sich aus Gebrauchswert und Tauschwert zusammen“, ist daher streng genommen falsch. Der Satz: „Die Ware ist ein Gebrauchswert und hat einen Tauschwert“, ist naheliegend, aber ebenso irreführend. In der Ware, die so Marx, die „Elementarform“ (MEW 23, S. 49) bereits darstellt, sind sie eins, nicht bloß einträchtig oder gar zusammengefügt. Verschwindet der Gebrauchswert ist der Tauschwert nichtig. Verschwindet der Tauschwert, ist der Gebrauchswert überflüssig. Der Gebrauchswert bleibt also nicht übrig, in keinem Szenario würden wir von einem ledigen Gebrauchswert sprechen. Die Geschichte der Dinge ist nicht so zu interpretieren, dass hier einem ewigen Gebrauchswert ein kapitalistischer Tauschwert übergeordnet wurde, resp. dieser jenen unterworfen habe. Sie sind vielmehr ineinander als Ware entstanden und heben nur jeweils einen bestimmten Aspekt hervor. In der Ware sind beide keine eigenständigen Segmente, sondern bloß zugeordnete Inkremente.

Das Leben der Ware besteht in ihrer Verwertung. Für diese ist jene geschaffen. Waren werden als Waren produziert, als Waren zirkuliert und als Waren konsumiert. Die Lebenszeit der Ware umfasst alle Metamorphosen ihres gesamten Verwertungsprozesses. Auch Momente der In-Wert-Setzung oder der Bewertung gehören hier dazu. Wir sind Teil der Metamorphosen. Dieser Prozess beginnt schon vor der Produktion als Ahnung und Überlegung, als Vorhaben und Planung; und läuft aus erst mit den Nachwehen der Konsumtion (Müll, Umweltzerstörung, Krankheiten). In seiner Gesamtheit ist er nicht enden wollend. Er ist permanent und will, weil muss, wachsen.

Abstraktionen des Tuns

Arbeit, die zur Ware führt, ist stets privat, aber immer auf die Allgemeinheit bezogen. Die Ware repräsentiert allgemeine Arbeit, die in der Produktion geleistet wird, sowohl die abstrakte allgemeine als die konkrete allgemeine. Sowohl der Gebrauchswert als auch der Tauschwert sind letztlich die auf den Markt bezogene konkrete und abstrakte Sequenz der Ware. Der Charakter der Lohnarbeit ist sowohl vereinzelt als auch eingebettet, sowohl privat als auch allgemein. „Die Arbeit, die sich im Tauschwert darstellt, ist vorausgesetzt als Arbeit des vereinzelten Einzelnen. Gesellschaftlich wird sie dadurch, dass sie die Form ihres unmittelbaren Gegenteils, die Form der abstrakten Allgemeinheit annimmt.“ (MEW 13, S. 21.) Und: „Während die Tauschwert setzende Arbeit abstrakt allgemeine und gleiche Arbeit, ist die Gebrauchswert setzende Arbeit konkrete und besondere Arbeit, die sich der Form und dem Stoff nach in unendlich verschiedene Arbeitsweisen zerspaltet.“ (MEW 13, S. 23.) Während konkrete Arbeit sich ausdifferenziert, formiert abstrakte Arbeit die Integration. Erstere ist gar vieles, letztere ist nur eins. Die dahingehend dechiffrierte Arbeit im Kapitalismus schafft in den Waren Gebrauchswerte und Tauschwerte. Sie ist sowohl abstrakt als konkret, privat wie gesellschaftlich, besonders wie allgemein. So arbeitet der Arbeiter dem Tauschwert nach für sich, dem Gebrauchswert nach für die Gesellschaft.

Der Doppelcharakter der Arbeit findet so in der Ware seinen Niederschlag. Die Ware findet Erfüllung nicht in ihrer materiellen Fertigstellung, sondern in ihrer Akzeptanz am Markt als Tausch-und Handelbares, als Verkaufbares und schließlich als Verkauftes. Tauschwerte sind Konsequenz allgemeiner abstrakter Arbeit. Nur dieses abstrakt Allgemeine lässt sich vergleichen und letztlich gleichsetzen (=äquivalieren). „Als gleichgültig gegen den besondern Stoff der Gebrauchswerte ist die Tauschwert setzende Arbeit daher gleichgültig gegen die besondere Form der Arbeit selbst. Die verschiedenen Gebrauchswerte sind ferner Produkte der Tätigkeit verschiedener Individuen, also Resultat individuell verschiedener Arbeiten. Als Tauschwerte stellen sie aber gleiche, unterschiedslose Arbeit dar, d.h. Arbeit, worin die Individualität der Arbeitenden ausgelöscht ist. Tauschwert setzende Arbeit ist daher abstrakt allgemeine Arbeit.“ (MEW 13, S. 17) Und weiter: „Als Tauschwert sind alle Waren nur bestimmte Maße festgeronnener Arbeitszeit.“ (MEW 13, S. 18)

In der Ware kombinieren sich Produktion und Zirkulation. Einmal geht es um die Herstellung von Gebrauchsartikeln für Andere, das andere Mal geht es um den Entäußerung konkurrenzfähiger Gegenstände auf dem Markt. Indes geht es aber um beides gleichzeitig, da kommt das Eine nicht hinter dem Anderen, und das Andere folgt auch nicht aus dem Einen. Das ist ein Vorgang und das ist ein Produkt. Aber sowohl Vorgang als auch Produkt, also Werden und Resultat, kennen zwei Bestimmungen. Die abstrakte allgemeine und die konkrete allgemeine Arbeit sind ein und derselbe Ablauf, sie müssen aber von uns analytisch unterschiedlich notiert und akzentuiert werden, um den Prozess und die Prozession der Ware (Produktion, Zirkulation, Konsumtion) besser verstehen zu können. In der Tätigkeit sind sie nicht zu scheiden, wohl aber in ihren gesellschaftlichen Bezügen. Das Selbe ist also nicht unbedingt das Gleiche. Beispiel:

(A) Ich arbeite, um einen Tisch herzustellen und

(B) Ich arbeite, um meine Arbeitskraft, ein Werkstück oder eine Dienstleistung zu verkaufen

In der Beobachtung sind das zwar keine unterschiedlichen Vorgänge, aber Vorhaben, Anliegen, Ziele sind different.

Gebrauchswerte sind Folge der auf die Allgemeinheit gerichteten konkreten Arbeit (meist Lohnarbeit, aber auch Tätigkeiten, die nur indirekt einfließen): hämmern, tischlern, bauen, tragen, malen, schrauben u.v.m. Aber auch die konkrete allgemeine Arbeit ist nicht zu verwechseln mit der kruden Tätigkeit schlechthin. Noch einmal: Nur wenn ich einen Tisch für andere herstelle, die diesen über den Markt erwerben, können wir von einem Gebrauchswert sprechen. Bastle ich den Tisch für mich, für Verwandte oder Bekannte, aus rein ästhetischen Gründen oder für wohltätige Zwecke, dann ist dieser Tisch keine Ware, er hat weder Tauschwert noch Gebrauchswert. Beim konkreten Tun oder Machen ist also selbst zu unterscheiden, ob es sich um einen Akt für den Markt handelt oder nicht. Ist er frei von diesem Bezug, ist der Begriff eines Gebrauchswerts obsolet. Tun alleine schafft keinen Gebrauchswert, erst das Machen für den Markt konstituiert einen solchen wie die Ware überhaupt. Man kann den Tauschwert nicht einfach vom Gebrauchswert abziehen, ohne dass dieser mit verlustig ginge. Sie sind nur analytisch zu trennen, nicht faktisch.

Realisierung und Derealisierung

Was passiert nun am Markt? Am Markt erscheinen die Warenhüter (Besitzer oder legitimierte Vertreter) mit ihren Waren, um diese als solche zu legitimieren. Was sie anbieten, sind Waren. Am Markt tritt die Ware vorerst als Kandidatin ihrer selbst auf. Es ist nötig, den Abschluss eines Geschäfts zu tätigen oder zu vereinbaren. Anerkennung meint Tausch. Sei es Vertrag, sei es Rechnung, sei es mündliche Übereinkunft. Ein Zertifikat wird durch den Kauf explizit oder implizit ausgestellt. Die Ware hat sodann die Prüfung als Ware bestanden und ihren Zweck realisiert. Gelingt dies jedoch nicht, dann ist nicht der Gebrauchswert übrig geblieben, sondern die Ware ist Gerümpel, sie ist nichtig geworden. So müsste man daher die erste Aussage des Absatzes wohl dahingehend präzisieren und sagen: Was Warenhüter auf den Markt bringen, sind potenzielle Waren. Das Produkt wird zwar nicht erst Ware im Tausch, wenngleich, wird sie nicht gekauft, es um sie geschehen ist, sie nie zur Ware geworden und somit auch nie gewesen ist. Nie. Das Gespenstische der Ware besteht darin, dass man dem einzelnen Produkt als Gegenstand nicht ansieht, ob es Ware ist oder nicht. So kann das Produkt zwar als Ware unterwegs sein, wird es in seinem Auftritt am Markt allerdings disqualifiziert, ist es als Ware annulliert.

Waren werden in der Zirkulation nicht nur realisiert, sie können dort auch derealisiert werden. Sie gelten dann als gefallene Produkte, als unnütze Erzeugnisse, verwandeln sich in Halde, Müll, Überschuss, müssen gelegentlich sogar vernichtet werden, sofern sie nicht willig verrotten. Sie werden zu Leichen des Kapitals, weggeworfen, verbrannt, vergraben. In der Derealisierung wird auch die Geschichte der einzelnen Waren gleich mit abgeschafft. Es wird nunmehr so getan, als hätte es sie als Ware gar nie gegeben. Auch das ist gespenstisch. Im Verwertungsprozess, der auch den Akt der Realisierung von Waren umfasst, schlägt Realisierung in Derealisierung, also Verwertung in Entwertung um. Vereinfacht ausgedrückt: Die Ware ist unverkäuflich und was unverkäuflich ist, ist keine Ware. Am Markt kann die Ware glücken oder verunglücken. Derealisierung meint, dass dieselben Produkte, die in der Produktion unzweifelhafte Resultate gewesen sind und somit Gegenstände für den Markt waren, einmal sich als Ware positivieren und das andere Mal sich negativieren. Somit wird aber nicht nur deren Wert, sondern die Ware selbst negiert. Der Markt bestimmt dann also, ob etwas gewesen ist, unabhängig davon, ob es gewesen ist. Der Daumen wird nach oben gestreckt oder nach unten gesenkt. Der kapitalistische Markt ist das Höchstgericht der Ware. Realisieren kann sich nur etwas Reales, realisiert es sich nicht, ist es aber nicht real gewesen. Das zu begreifen, ist nicht einfach, denn das stellt jeden kruden Begriff von Realität in Frage.

Die Ware stellt die Frage nach der Realität anders, als wir es gewohnt sind. In der Ware wird das Produkt indiskret, verliert Struktur und Statur, obwohl sich an der Sache und ihren Konturen nichts geändert hat. Es ist es und es ist es nicht. Als Ware ist es nur etwas, wenn etwas gegen etwas tauschbar ist. Die Realität verliert ihren Halt, wenn der Markt nicht will, d.h. im Sinne der Wertrealisierung funktioniert. Die Ware ist ein Buch mit tausend Rätseln.

Die Bestimmung der Ware liegt im Kauf. Das ist das Ziel, auf das hingearbeitet wird. – Doch was heißt das? Wo kein Kauf, dort keine Ware? Derealisierung bedeutet: Die Ware tritt auf, um abzutreten. So entpuppt sich die Wettbewerbsfähigkeit genannte jeweilige Fälligkeit der Ware auf dem Markt des öfteren als schiere Zufälligkeit. Wo kein Zufall, dort Abfall. Die Ware verstirbt, Tauschwert und Gebrauchswert kommen um. Der Markt als Retorte spricht damit eine große wie grobe Wahrheit der Warenwirtschaft an: Man produziert, um zu verkaufen, nicht um zu befriedigen. Das ist, betrachten wir diese depressive Einsicht genauer, eine grausame Offenbarung, die in Wirklichkeit auch permanent schreckliche Folgen zeitigt. Das bürgerliche System bellt daher auch unermüdlich alle seine bekannten Phrasen von Leistung und Standort, von Arbeitsplätzen, Wachstum und Kaufkraft, die allesamt Parolen eines verrückten Zustandes sind, in die Welt. Stets gilt es anzustacheln und zu suggerieren: Nur so geht es. Nur darum geht es.

Was gewesen ist, kann ja in der Regel nicht mehr geändert werden. Die Metamorphosen der Waren sind jedoch jenseits solch einfacher Wahrheiten. Diese desavouieren sie durch die Wirkungen auch im Nachhinein. Im Prozess einer scheiternden Verwertung wird auch die Vergangenheit korrigiert. Auch das ist gespenstisch. Der Markt entscheidet sodann nicht nur über die Gegenwart der Ware, er entscheidet auch über ihre Geschichte. Wird die Ware zwar als Ware produziert, aber nicht als Ware zirkuliert, dann wurde sie nicht als Ware produziert. Das ist paradox, aber wirklich. Ein Kuriosum sondergleichen: Es wird (und war bewusst) etwas hergestellt, das regelmäßig scheitert. Es wird nicht produziert, weil das Produzierte gebraucht wird, sondern weil das Produzierte verkauft werden könnte. Die Widersprüche sind offensichtlich, und es sind selbst gemachte Widersprüche. Der Markt hat Macht über die Vergangenheit. Er sagt, ob sie zählt oder nicht. Der Markt ist fähig, das Werden einer Ware einfach in die Verwesung zu überführen. Sofern sie seine Kriterien der Verwertung nicht erfüllt, gilt sie als liquidiert. Der Markt ist nicht nur der große Richter, er ist auch der große Hinrichter. Wer auf seinen Waren sitzen bleibt, hat verloren.

Verwertung ist oft heikel und delikat, sie beschreibt keinen obligaten Prozess, sondern einen, der auch immer an sein negatives Ende, in den Mahlstrom der Entwertung geraten kann. Der Kaufakt ist somit ein streng dezionistischer Akt. Über das Schicksal der Ware, so auch der gemeine Wille der Vertragspartner, wird eindeutig entschieden. Wird sie in den Himmel des Warenuniversums aufgenommen oder in der Hölle der Vernichtung hinabgestoßen. Das ist eine Frage ums Ganze, um Sein oder Nichtsein, eine Frage, die keine Nuancen duldet.

Man sieht dem Produkt zwar an, welch Gebrauchswert es geworden ist, man sieht ihm aber nicht an, wieviel es als Tauschwert erwirtschaften kann, geschweige denn, ob es ein solcher überhaupt werden wird. Erzielt es keinen Tauschwert, dann ist es auch seines Gebrauchswerts entledigt. Abermals sind wir im Geisterhaus. Gespenstisch meint, dass etwas da ist und eben nicht da ist, dass etwas da war, aber schon wieder fort ist. Schlussendlich kann die Produktion nur wertförmig gewesen sein, wenn sich der Wert in der Zirkulation bestätigt. Ohne Realisierung ist etwas nicht real gewesen, auch wenn es tatsächlich stattgefunden hat. „Für die Zirkulation des Warenkapitals W‘ – G‘ sind bestimmte Schranken durch die Existenzform der Waren selbst, ihr Dasein als Gebrauchswerte gezogen. Sie sind von Natur vergänglich. Gehn sie also innerhalb gewisser Frist nicht in die produktive oder individuelle Konsumtion ein, je nach ihrer Bestimmung, werden sie, in andren Worten, nicht in bestimmter Zeit verkauft, so verderben sie und verlieren mit ihrem Gebrauchswert die Eigenschaft, Träger des Tauschwerts zu sein. Der in ihnen enthaltene Kapitalwert, resp. der ihm angewachsne Mehrwert, geht verloren.“ (MEW 24, S. 130)

Die Ware muss in der Warenproduktion produziert werden. In der Zirkulation kann sie jedoch bloß verkauft werden, sie muss nicht. Auch wenn das Ziel jedes Warenbesitzers nur in der Veräußerung liegen kann, heißt das ja nicht, dass das angestrebte Ziel auch erreicht wird. Vorhaben und Ergebnis sind nicht eins. Die Herstellung der Ware ist nur eine nötige Voraussetzung der Ware, aber keine ausreichende Bedingung. Die schräge Quintessenz wäre demnach: Waren können in der Produktion sowohl hergestellt werden oder auch nicht, obwohl sie hergestellt worden sind. Verkaufte Produkte der selben Serie unterscheiden sich von unverkäuflichen der selben Serie auf den ersten Blick überhaupt nicht – wohl aber im fehlenden Absatz. Die Produktion kann nie sicher sein, ob die Zirkulation ihre Wünsche erfüllt. In der BWL fällt das dann unter die Rubrik mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Das hört sich trivialer an als es ist.

Exkurs zum Tausch

Von Tausch sprechen wir hier, wenn Geben und Nehmen als äquivalenter Stoffwechsel fungieren, wenn Reziprozität eingefordert und eingelöst wird. Wenn sie als feste Beziehung gleicher Werte in Erscheinung treten und ehern aneinandergeknüpft sind. Nicht jede gegenseitige Transaktion ist daher ein Tausch, sondern nur eine solche, bei der beide Seiten als gleichwertige und gleichgültige aufeinandertreffen und den Platz wechseln. Im Akt des Tausches wird von seinen Inhalten abstrahiert und auf ein gemeinsames Quantum geronnener Arbeit, also Wert geschlossen. Ob diese Rechnung heute noch stimmig ist und aufgehen kann, ist da schon eine andere Frage. Tatsächlich orientieren wir uns aber nach wie vor gefühlsmäßig an dieser Abstraktion. Der „Philosophie des Tauschs“ liegt ein „Wie du mir, so ich dir“ zugrunde. Tauschen koppelt das Geben an ein Nehmen, Ausgabe und Einnahme sollen sich in den Transaktionen die Waage halten. Tauschen setzt Gleichheit und Gerechtigkeit als Selbstverständlichkeiten voraus, nicht nur auf der ideellen Ebene. Das, was man gibt, soll auch zurückgegeben, also entsprechend erwidert werden. Dies ergibt allerdings nur Sinn, wenn es zwar gleich ist, nicht aber wenn es dasselbe ist, es muss also von Gegenständen und Leistungen abstrahiert werden. Schuhe werden nicht gegen Schuhe getauscht, das wäre sinnlos. Wir tauschen Unterschiedliches als Gleiches, keinesfalls dasselbe.

Der Tausch veranlasst uns, sich in ihm gleichsetzen, also zu äquivalieren. Der Tausch stellt sich als Gleichung dar: Gebrauchswerte wechseln den Träger, indem sie als Tauschwerte gleichgesetzt werden. In der rituellen Abgleichung geht es darum, im Vergleich ein Gleichnis zu erzielen und für Begleichung zu sorgen. Das klingt so kompliziert wie es ist, es erscheint aber überhaupt nicht so, weil wir durch ständige Übung des Geschäfts darauf abgerichtet sind. Die Komplexität des Vorganges ist nicht auffällig, dieser Vorgang ist vielmehr stets fällig. Das ganze Universum von Bezahlung, Schuld, aber eben auch Gerechtigkeit und Gleichheit steckt im Tausch. Die Substanz unserer Handlungen konzentriert und entfaltet sich in ihm. Dieses Modell wurde nicht entworfen, sondern es hat sich über die Praxis der gesellschaftlichen Kommunikation, insbesondere der Geschäfte durchgesetzt. Wir konstruieren es hier also retrospektiv. Wir verwandeln dessen Setzungen in Sätze oder Grundsätze, die zwar weniger gedacht, aber dafür umso entschiedener berechnet und ausgeführt werden. Wir gehorchen ohne Befehl, wir gehorchen blind.

Und es ist bei alledem nicht nur die Ökonomie gemeint, nein unser ganzes Handeln und Agieren, Denken und Fühlen folgt diesen alltäglichen Konventionen. Wir bewegen uns im Koordinatensystem des Tauschs, wir verweigern uns ihm nicht, wir schreien allesamt nach Erfüllung. Das ist der Horizont, der uns vorgegeben ist und der uns begrenzt, ein Horizont, den wir nicht überschreiten können, weil wir ihn gar nicht als Rahmen oder gar Gefängnis erkennen. Dieser Horizont markiert unser Kontinuum. Das Kontinuum gleicht einer Matrix, die uns nicht loslässt, sondern fest im Griff hat. Wir spüren diesen Griff, aber wir spüren ihn nicht als Übergriff, weil er einfach nur Synthesis ist und Automatik. Und doch liegt genau hier und nur hier, d.h. in der Negation, der Schlüssel zur Emanzipation der Menschheit. Im Auszug aus der Matrix, in der bewussten Überwindung der Form. Um nichts weniger geht es. Es geht also um alles. Noch immer und schon wieder.

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