Der ehrliche Lügner

Von einem, der nichts kaschiert, aber alles faschiert

von Franz Schandl

Gibt es einen Grund, noch einen Essay über Donald Trump zu schreiben? Wäre man mit dem Gesagten halbwegs zufrieden, dann eigentlich nicht. Indes, dem ist nicht so. Warum folgen also Millionen wie gebannt seinen Auftritten und Ausritten, sind schwer begeistert oder tief bestürzt? Keine Gründe kann es nicht geben. Natürlich kann man über Trump zu Recht lachen, ihn verspotten. Doch in Relation lachen zu wenige laut mit, sodass den Spöttern immer mehr das Lachen vergeht. Er mag ja ein Lügner, Sexist, Rassist, Gewaltmensch, Idiot sein, es tangiert nicht. Das ist das eigentlich Frappierende, doch überraschen sollte es nicht. Es passt in diese Zeit und vor allem in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das in der kapitalistischen Entwicklung am weitesten fortgeschritten ist. So einer musste kommen. Nun ist er da.

Erfrischend und erschreckend

Donald Trump ist ein in die Politik transferierter Entertainer, einer, der die Lüge zur absoluten Transparenz geführt hat. Wer so lügt, lügt richtig. Da wird nichts kaschiert, da werden alle und alles faschiert. Doch lügt einer, der so offensichtlich lügt? Durch seine Lügen macht er jedenfalls kenntlich, was ist. Kenntlicher als seine Kontrahenten, die weiterhin die Verlogenheit pflegen und zu vertuschen versuchen. Trump tut das nicht. Da ist kein Maskieren mehr. Maske und Gesicht sind eins. Trump ist also ehrlicher, und zwar, weil er so offensichtlich lügt. Das ist vielen, die inzwischen seine Anhänger sind, lieber als die liberale Verlogenheit, das Gesudere, das Geeiere, die obligate Phrasendrescherei, wo eins das Gefühl hat, laufend angeschmettert zu werden. Das hat man bei Trump nicht. Damit hat er aufgeräumt und das ist, bei aller Bedrohung, durchaus erfrischend, so erschreckend die Inhalte dieses Treibens auch sind. Diese Offenheit tut gut am Maskenball der Politik. Die Performance karikiert sich selbst, ist zu einer absurden Farce geworden. Doch die Farce ist, wenn auch formal eine Reality-Show, so doch real real.

Anstatt dass der Inhalt abstößt, zieht die Form an. Es fasziniert weniger, was er sagt, sondern was er und wie er es darstellt. Dass die traditionelle Form der „Politik“ am Ende ist, spürt er und er lässt es spüren. Ob er das weiß, er dabei abgefeimt ist oder naiv, ist sekundär. Es kommt auf jeden Fall an und es wird goutiert. Kurzum, sie wählen und verehren ihn nicht, obwohl er so ist, sondern weil er so ist. Das erscheint tatsächlich als eine andere Politik. Nicht als das leere Gerede von Wechsel und Wende oder dergleichen. Was viele vor ihm versprachen und scheiterten, das setzt er in seiner verqueren Art um oder besser: er führt es samt sich auf. Sein antiaufklärerisches Agieren ist auf eigenartige Weise aufklärerischer (auch über sich!) als der liberale Doublespeak konventioneller Kommunikation. Da geht es zu Sache. Directly from my arse to you. Trump tritt als der auf, der er ist. Indes, wer andauernd den Arsch zeigt, verarscht nicht mehr.

Endlich einer, der sich gar nichts mehr scheißt – und somit auch nicht bescheißt. Das Publikum, vorab so zugerichtet, kann nur noch applaudieren. Es ist synchronisiert. Trump ist es zweifellos gelungen, den formatierten, aber demobilisierten Mob wieder zu remobilisieren. Es handelt sich keineswegs um eine betrogene Wählerschaft, die von Trump in den Hinterhalt gelockt wird. Diese ist so. Seine Anhänger haben den Trump, den sie sich verdient haben. Das ist natürlich kein Trost. Im Gegenteil. „Da die Masse betreffs des Wahren oder Falschen nicht im Zweifel ist und dabei das Bewusstsein ihrer großen Kraft hat, ist sie ebenso intolerant wie autoritätsgläubig. Sie respektiert die Kraft und lässt sich von der Güte, die für sie nur eine Art von Schwäche bedeutet, nur mäßig beeinflussen. Was sie von ihren Helden verlangt, ist Stärke, selbst Gewalttätigkeit. Sie will beherrscht und unterdrückt werden und ihren Herren fürchten.“ (Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921), Studienausgabe, Band IX, Frankfurt am Main 2000, S. 73) Nur in einem Führer kommen jene zu sich, die sich selbst fremd sind. Einen Führer brauchen jene, die sich nicht auskennen, aber genau wissen, wo es lang geht. Ignoranz und Selbstsicherheit sind eins geworden. Dummheit wird zur Kraft. Als notorische Größe ist Dummheit doch nichts anderes als das ständige Hereinfallen auf den Schein der Welt. Stimmung. Einstimmung. Übereinstimmung.

Aber aufgepasst! Trumps Wähler fallen nicht wirklich auf die Lügen hinein, die ihnen aufgetischt werden. Trumps Lügen zu durchschauen, dazu ist keine intellektuelle Potenz nötig, ein Quäntchen Intelligenz reicht. Lüge und Wahrheit sind auch nicht das Kriterium des Publikums. Es ist vielmehr die Ergriffenheit des Banalen und Groben, die anspricht. Autoritäre Persönlichkeiten funktionieren so, sie sind auf das gemeine Spiel von Fan und Führer festgelegt, festgezurrt durch eherne Projektionen. Der Identifikationsgrad der Trump-Wähler mit ihrem Idol ist größer als dieser es je gewesen ist, als sie in Vergangenheit noch für die alten Republikaner oder auch die Demokraten votierten. Die Stimmen haben also hohe Substanz, sind weniger zufällig, als gemeinhin angenommen wird. Dieses „Wir“ wählt nicht das kleinere Übel, es verleiht sich durch sein Votum ausdrücklich Ausdruck: „Wir wollen, und wie wir wollen!“

Bei Trump geht es nicht vorrangig um Tarnen und Täuschen, sondern um Drohen, Beleidigen, Schikanieren, Demütigen, Erpressen. Gegner werden als Feinde vorgeführt, werden verhöhnt und verbal erledigt. Da ist der Demagoge in seinem Element. Und dieses Element ist das Leid, das durch systematische Beleidigung den inkriminierten Gruppen und ihren Exponenten zugefügt wird. Leidenschaft besteht darin, dass er andere leiden lässt. Daran erbauen sich seine Fans. Meute will Beute. Das Publikum beginnt zu johlen und zu stampfen, demonstriert damit, wie es beisammen ist. Der Begriff Starmania beschreibt dieses Treiben ganz gut. Ja, es ist eine Manie und Fans neigen zu Tobsucht und Ausschreitung, wenn Herde zur Horde wird. Fans sind potenzielle Hooligans. Im absoluten Gefühl geht jedes andere Gefühl verloren. Blinde Hingabe bedingt totale Hinnahme. Ambivalenz hat keinen Platz. Spüren verliert sich im Spuren. Der elitäre Trump scheint ihnen unheimlich nahe. Wie ein außergewöhnlich gewöhnlicher großer Bruder. Er ist einer von uns. Gerade er verkörpert für sie den Abschied von der Abgehobenheit traditioneller Politik.

Zunehmend fallen beim Leiden Wirkung und Erkennung auseinander, sie müssen oft, so paradox das klingt, erst durch Erklärung zusammengefügt werden. Die schlichte Erfahrung ist alles andere als hilfreich oder gar untrüglich. Verrohte Bürger blenden eigenes wie fremdes Leiden weitgehend aus, und das ist einerseits verständlich, denn sonst wäre das Leben wohl nicht auszuhalten. Andererseits verstellt dieser mentale Missstand die Möglichkeit, Leid adäquat zu erfassen, es zu kritisieren oder gar dagegen vorzugehen. Die akklamierte Inszenierung des Populisten verweist auf die Pathologie der Gesellschaft. Trumps Massenpublikum suhlt sich in Schadenfreude und Spott. Wenn sie bei ihm sind, sind sie bei sich. Sie sind nicht nur für ihn, sie sind mit ihm. Sie gehen mit ihm, wenn nötig bis zum Putsch.

Masse gibt es der Form nach in zwei Aggregaten: als Herde und als Horde. Geht es bei der Herde ums Bravsein, so geht es bei der Horde um das Mobilisierbar sein. Ohne Massen wären solche Führer nämlich nichts. Sie schöpfen Kraft aus denen, die aus ihnen Kraft schöpfen: „Ich bin weil du bist“, ist das unselige Einmaleins von Fan und Führer. Es ist bedingungslose Gewissheit. Beiderseits. Seine Rede ist ihre Offenbarung. Es ist einmal mehr der Glaube, der diese Zwerge versetzt. Reflexion wird negiert, sistiert, ja liquidiert. Reflex ersetzt Reflexion. Das Publikum regrediert zur Glaubensgemeinschaft. Wird eins, fühlt sich erhöht und aufgehoben, ja anerkannt und verstanden. Egal, was er sagt, er sagt genau, was wir denken. Als Fan hat man zu glauben oder dran-zu-glauben, im Falle eigenbrötlerischer Anwandlungen wird man aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Das Oben und Unten dieser populistischen Einheit kennt freilich eine entscheidende Differenz. Nur das Unten identifiziert sich mit den Oben. Die Oberen erkennen die Unteren nur als Gläubige und Rekruten an. Ihre Achtung der Anhängerschaft hält sich jedoch in Grenzen.

Gläubige indes machen jede Wendung mit, sie sind nicht überzeugt, sondern zugehörig, letztlich hörig. Das Individuum ist in solchen Abläufen nicht mehr präsent. Trumps Anhänger sind im wahrsten Sinne des Wortes: gläubig, ergeben, unterwürfig. Das Religiöse ist offensichtlich. Er ist ihr TV- und Netzprediger. Sie lechzen nach ihm. Aufpassen muss er bloß, wenn es zu stark viral geht, dann läuft der Motor irgendwann einmal leer und das Lärmen ist nur noch als Heulen vernehmbar.

Repertoire und Rezeption

Von des Iraks Massenvernichtungswaffen bis hin zu Scharpings Hufeisenplan, die Lüge war immer probates Mittel der Politik, doch Donald Trump hat sie durch rücksichtslose Verwendung upgegradet. Lüge wird von einem variablen Prinzip zur obsessiven Passion. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Dramaturgie soll sie überzeugen. Das heißt nun aber nicht, dass Trump sein Repertoire auf die Lüge reduziert. Im Gegenteil, er hat dieses um bisher ungenutzte Potenzen erweitert. Neu ist die Komposition verschiedenster Elemente und die blanke Unbekümmertheit. Die Lüge entfaltet bei Trump ihre ganze dialektische Potenz. Trumps Arsenal ist diverser und direkter als das seiner Gegner. Lüge, Wahrheit, Halbwahrheit, selektive Wahrnehmung, Verdrehung, Fälschung, Missinterpretation – alles ist erlaubt, und alles hat er in seinem Fundus. Er wirkt da fitter als all diese gecoachten Performance-Fratzen, denen man ansieht und anhört, woher ihre Bausteine stammen, welche Kopie der Kopie der Kopie sie sind. Außer bei den bereits zerfallenden Regimentern der letzten Politikunverdrossenen haben sie keinen Trumpf mehr. Sie sind belästigend, Trump ist belustigend. Fünf zu Null für den Entertainer.

Donald Trump ist zweifellos eines dieser Naturtalente kapitalistischen Kommerzes, ein Conférencier gemeingefährlichen Unsinns. Die Identifikation mit dem Aggressor ist stärker als jeder Widerstand gegen die Aggression. Das gilt vor allem auch für die soziale Ebene. Es ist ziemlich ausgemacht, dass die, die seinen Kahlschlag am meisten zu fürchten haben und zu spüren bekommen, ihn trotzdem wählen oder vielleicht sogar deshalb. Nicht einmal bewusst selbstverletzendes Verhalten ist bei den autoritätsfixierten Fans ausgeschlossen. Die mögen sich selbst nicht mehr als ihre Feinde. In solch einem Szenario mentaler Leere und Gleichgültigkeit wirken Selbstherrlichkeit und Attitüde des Führers unheimlich attraktiv. Je obszöner, desto geiler. Was hat man sonst, um sich aufzubauen? „Je dichter das Netz der Vergesellschaftung geflochten und womöglich ihnen über den Kopf geworfen ist, desto weniger vermögen ihre Wünsche, Intentionen, Urteile ihm zu entschlüpfen. Gefahr ist, dass das Publikum, wenn man es animiert, seinen Willen kundzutun, womöglich noch mehr das will, was ihm ohnehin aufgezwungen wird. Damit das sich ändere, müsste erst die stillschweigende Identifikation mit dem übermächtig Verfügbaren unterbrochen, müsste das schwache Ich gekräftigt werden, das es soviel bequemer hat, wenn es sich unterwirft, und man wird vergebens nach denen suchen, die unter den gegebenen Verhältnissen das möchten und die Macht dazu hätten.“ (Theodor W. Adorno, Kann das Publikum wollen? (1963), Gesammelte Schriften 20.1, Frankfurt am Main 1997, S. 343)

Bei alledem wirkt Trump authentisch und echt. In jeder Hinsicht verhaltensoriginell. Was er sagt, geht viral. Man weiß, wie man dran ist. Nichts ist ihm peinlich, und daher kann ihm auch nichts mehr peinlich werden. Es gibt keine Schranken der Scham. Sie ist nicht bloß aus taktischen Überlegungen sistiert, sie wird rigoros negiert. Es hat sogar ein Vorzeichenwechsel stattgefunden. Aus negativ wird positiv. Das mag fragil sein und ist in der ersten Präsidentschaftsperiode auch nicht immer so aufgegangen wie in der zweiten. Da ist einer nun tatsächlich immun. Anders etwa als Frank Stronach, ein verwandter Typ, der in Österreich 2014–2016 eine ähnliche Nummer abziehen wollte, die allerdings schnell zur Lachnummer mutierte. Nicht verschwiegen werden sollte aber, dass der austrokanadische Oligarch zwischenzeitlich fast 30 Prozent in den Meinungsumfragen erzielte. Es gibt also genügend Nährstoff in den westlichen Demokratien. Diese Entwicklung ist in ihr angelegt. Das Gefühl, dass da einer sagt, was viele so denken und noch mehr spüren, sollte jedenfalls nicht verdrängt, sondern ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Das Potenzial ist vorhanden, man muss es nur richtig abrufen. Trump 2.0. ist das gelungen. Die populistischen Wahlerfolge sprechen insgesamt für sich. Sie vorrangig einer unfähigen politischen Konkurrenz anzuhängen, dem Konsortium aus Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberaldemokraten und Gründemokraten greift entschieden zu kurz. Die können gar nichts anderes als das, was sie können. Mehr können sie nicht.

Närrische Welt

Der Erkenntnis, dass es in der Politik nicht um Wahrheit und Aufrichtigkeit geht, ist das Trumpsche Universum näher als die Verlogenheit der etablierten Mitte. Trump lügt ja nicht einmal raffiniert. Wozu auch? Es sprudelt nur so aus ihm raus, und es kommt, so ungut es ist, gut an. Ob sie ihm wo drauf- oder dahinterkommen, ist völlig egal, ihn selbst schert dies ohnehin nicht. Zurückhaltung kennt er keine. Er ist ein ehrlicher Lügner, zumindest der ehrlichere. Noch dazu ist die Lüge transparent geworden, sie hat ihre Verlogenheit überwunden. Das macht sie nicht schwächer, sondern stärker.

Die arrivierte Politik wird beschämt und ist wohl auch schwer verärgert, sintemal sie – wo sie ihre Falschheiten aufbereitet – so viel Aufwand treiben muss, will sie sich doch partout nicht erwischen lassen. Und da kommt dann dieser dahergelaufene Milliardär und ist auf solche Tricks überhaupt nicht angewiesen. Ach, die Fotodokumente, die er dem südafrikanischen Präsidenten Ramaphosa unter die Nase hielt, waren ein Fake? Na und? Ist doch so. Und wenn nicht, dann trotzdem. Schwarze meucheln und malträtieren Weiße. Diese Botschaft ist angekommen, selbst Qualitätszeitungen (also Zeitungen bürgerlicher Qual), drucken Artikel Marke „Wo Trump doch recht hat“. Die gefälschten Fotos haben ihren Zweck erfüllt, keine ungefälschten hätten das je geschafft. Er verkündet derlei Übergriffe im Brustton absoluter Überzeugung und entschuldigt sich nie. Es ist die schiere Überzeugungskraft des Präpotenten. Wenn ich es sage, kann es nur stimmen. Steht auch so auf „Truth social“ und wird millionenfach geteilt, geliked, gepostet. Also. Wahrheit ist demnach das, was sich erfolgreich behauptet. Was natürlich nicht stimmt, aber es ist stimmig, weil es der Stimmung entspricht. Daher geht es durch. Der 47. Präsident der Vereinigten Staaten muss also gar nicht täuschen, er behauptet und befiehlt. Das reicht. Das trotzig stampfende Kind ist als mächtigster Mann der Welt zu sich und über uns gekommen.

Je absurder die Meldungen, desto größer sind ihre Chancen, publiziert und multipliziert zu werden. Das Überschreiten roter Linien ist das Programm der neuen US-Regierung. Damit wird Aufmerksamkeit hergestellt und die Medienmaschinen folgen geradezu süchtig wie blindwütig. Sie, die ihn hinrichten wollen, richten sich nach ihm. Alles Unsägliche wird sagbar. Je niederträchtiger, desto titelträchtiger. Am Programm steht die serielle Provokation als Endlosschleife und Erfolgsrezept. „Die närrische Welt will belogen sein“, lässt Grimmelshausen Simplicissimus sagen. Viele Exponate werden nicht nur getäuscht, sie wollen sich täuschen lassen. Immerzu. Die Potenz liegt in der Masse der Gläubigen und ihrer absoluten Ergriffenheit. Die Frage, ob man lieber getäuscht oder enttäuscht werden will, erledigt sich praktisch von selbst. Berauschung ist Ernüchterung vorzuziehen. Der ganze Rummel um Stars und Helden ist daher eine große Inszenierung von Selbsttäuschung, an der aber alle teilnehmen, und nicht bloß als Statisten, sondern als Sich-Selbst-Aufführende auf allen Bühnen des gesellschaftlichen Lebens, das nur noch ein riesiges Spektakel zu sein scheint. Es sind manchmal ganz komplizierte Rollen, die es zu erlernen gilt. Man verwechselt das eigene Leben mit einem großen Erlebnispark, wo es durch Verstellung Gesichter zu wahren gilt.

Bisher galt: Eine Lüge ist nur schlecht, wenn sie schlecht ist. Nunmehr gilt: Es ist die Lüge, die die ungeschminkte Wahrheit erkennen lässt. Die Lüge kann natürlich nicht sagen: Ich bin gegen die Lüge; das wäre gelogen – was aber trotzdem nicht selten der Fall ist. Doch würde sie sagen: Ich bin für die Lüge, würde sie zwar die Wahrheit sprechen, aber ihren Zweck durch diese Aufrichtigkeit desavouieren. So schweigt die Lüge über sich, will sie für voll genommen werden. Im Regelfall muss aber der Lügner die Wahrheit kennen. Eine Lüge muss also vorsätzlich sein, sonst handelt es sich lediglich um einen Irrtum oder eine Unwahrheit. So die klassische Sicht. Derweil, wenn man in einer Parallelwelt voll ideologischer Prämissen gefangen ist, und auf Basis dieser Matrix agiert, was dann? Kennt Trump also Lüge und Wahrheit? Wahrscheinlich schon, aber gelegentlich kommen Zweifel auf, zu erratisch und impulsiv ist sein Handeln, insbesondere sollte man auch die maßlose Eitelkeit des Mannes nicht unterschätzen. Trump verübt keinen Anschlag auf die Wirklichkeit, Trump ist der Anschlag der Wirklichkeit. Das muss man sich freilich erst in seiner ganzen Dimension klar machen. Die Diskrepanz zwischen Wahrheit und Lüge scheint immer mehr eingeebnet, plattgewalzt.

Aufdeckung am Ende

Trump hat aber auch einiges vor den Vorhang gezogen, was bisher nur hinter den Kulissen stattgefunden hat. Seine groben und primitiven Sager muss man weder heimlich filmen noch abhören, er liefert sie frei Haus. Der investigative Journalismus ist mit Trump an sein Ende gekommen. Es gibt nichts aufzudecken, wenn das Aufgedeckte von Mehrheiten gedeckt wird. Was soll man da noch skandalisieren, wenn es einerseits sein Publikum nicht interessiert und andererseits Trump seine Bosheiten, Drohungen, Beleidigungen ganz freiwillig absondert, ja offensiv und offenherzig verkündet und die Welt damit beglücken will. „CNN ist Abschaum, die New York Times ist Abschaum, MSNBC ist Abschaum. Das sind schlimme Leute, sie sind krank.“ (Trump am 25. 6. laut Heute vom 26.6.2025) Etc. Etc.

Es ist hier nicht der Ort, zu multiplizieren, was sowieso permanent multipliziert wird. Der im Weißen Haus gelandete Conférencier wirkt dabei wie auf Drogen, auch wenn er außer zuckerrohrgesüßter Cola wahrscheinlich keine zu sich nimmt. Da ist einer wirklich naturstoned. Frisch von der Leber kommen seine Sprüche, in etwa: „You can do anything (…) Grab’em by the pussy. You can do anything.“ Als Trump diese Epsteinerei 2016 so brühwarm absonderte, war die Empörung groß. Das maskulinistische Universum von Starmania funktioniert aber geradewegs so. Wenn er damit prahlt, so wirkt das nicht abstoßend, sondern anziehend. Obwohl permanent erwischt, wird er nicht überführt, sondern bewundert. Anklagen und Verurteilungen stören auch nicht, sie erhöhen Popularität und Immunität. Vielfach lösen sie Sympathie, ja Ehrfurcht aus, lauter oder stiller Beifall sind die Folge. Sexuelle Entgleisungen können Trump nichts anhaben. Derlei Nutzung gesteht man ihm zu. Die Stormy Daniels soll Ruhe geben, hat eh genug Schweigegeld kassiert. Millionenstrafen wegen Verleumdung steckt er weg wie nichts.

Faktenchecker scheinen bei Trump keine Wirkung entfalten zu können, ihre Checks prallen mehrfach ab, wenn sie nicht gar umgekehrt seine Narrative noch befeuern. Wenn sie Trump widerlegen, poppen sie ihn auf, steigern seine Wirkung. Es wirkt ganz anders als beabsichtigt. Kritik gerät zu Werbung wider Willen. Das ist auch der Grund, dass konventionelle Analyse ihn nur mangelhaft erfassen, da sie von falschen Voraussetzungen ausgehen. Sie unterstellen einen rationalen Konsens, den es so nicht gibt und auch nie gegeben hat, was aber erst jetzt besonders auffällig geworden ist. Doch das Gros der tonangebenden Medien ist blind wie blindwütig. Sie begreifen immer weniger und am wenigsten begreifen sie sich selbst. Anders als die Parteien glauben sie aber noch an sich.

Trump will nun die Medien von der impliziten Selbstfesselung auf einen expliziten Modus der direkten Außenbestimmung umstellen. Dieses Match sollte man aber nicht als „unabhängig“ gegen „abhängig“ betrachten. Das wäre entschieden zu kurz gedacht. Eine solche Sichtweise übersieht vor lauter Varianzen und Nuancen die Grundlagen kulturindustrieller Produktion. Trumps Übergriff auf die „freie“ Presse ist ehrlicher als die Inszenierung des freien Medienmarkts als Freiheit schlechthin. Trump möchte vielmehr die Abhängigkeiten direkt verankern, Zensur soll wieder manifest werden, nicht bloß sich immanent gestalten. Es soll vorab klar sein, was Sache ist; das Personal, die Journalisten sollen sich gar nicht erst einbilden autonom agieren zu dürfen. Trump nimmt ihnen also die Chance zum Selbstbetrug, sagt ihnen klipp und klar, wozu sie taugen. Das könnte zweifelsfrei auch ein Weg zur Selbsterkenntnis sein.

Die Trumpsche Lüge entbehrt fast jeder Kunstfertigkeit. Doch als unbeholfener Lügner erscheint er deswegen gar nicht. Der Grund mag vielleicht darin liegen, dass diese Lüge aufgrund ihrer Evidenz auf Sympathie stößt, mehr als die verlogen-etablierte Schwester, die nicht so leicht zu erkennen ist wie die ehrliche Lüge. Trump gewinnt den Wettbewerb in puncto Aufrichtigkeit. Seine Anhänger fühlen sich nicht gelegt, im Gegenteil, sie fühlen sich gestützt. Sie fühlen sich in seinem Sprachgeflecht, das zweifellos ein derbes Sprechgeflecht ist, eindeutig besser aufgehoben. Er ist wie sie, meinen sie. Nicht ganz zu Unrecht.

Demenz und Antikommunismus

Die ganze Welt ist nicht nur verrückt, sondern auch dement geworden. Das Heute dementiert das Gestern, aber da stets Heute ist, ist das Gestern irrelevant. Man erinnert sich des Gestrigen, geschweige denn des Vorgestrigen kaum noch, irrt geschichtslos durch die Events der Gegenwart. Präsent ist nur das Präsens. Das Kurzzeitgedächtnis der planetarischen Insassen scheint überfordert, ja aufgezehrt zu sein. Es kann das Tempo der Zeit nicht halten und daher die Beeindruckungen kaum noch zu Eindrücken verarbeiten. Die Rasanz der Ereignisse macht das immer unmöglicher. Die kognitiven Schranken sind nicht bloß geistiger, sondern auch technischer Struktur. Wir sind und werden ständig überreizt und aufgeheizt. Was gestern aufregte, ist heute schon belanglos und morgen bereits vergessen. Apathie ist die Folge. Wir merken uns nichts mehr und wir merken auch nichts mehr. Das ist in doppelter Bedeutung zu verstehen, als merken im Sinne von Wissen abspeichern als auch als bemerken im Sinne von auffallen. Aufregung ist zur pathologischen Größe geworden, sie ist chronisch wie launisch. Nichts mehr kann richtig verdaut werden. Der Stillstand war noch nie so rasend.

Action folgt auf action, und ist diese auch nur simuliert. Trump ist zweifellos einer ihrer Hauptaktionäre. Er treibt damit seinen Kurs in schwindelnde Höhen. Für bisherige Gepflogenheiten hat er bloß Verachtung übrig. Die Demokraten provozieren einen Shutdown. Na und? Schmeissen wir halt die Staatsbediensteten hinaus. Solch Verhalten wäre früher unmöglich gewesen. Hire and fire, wohin wir auch sehen. Trump weiß so auch nicht, was er morgen schon wieder vorhaben oder anstellen wird, er weiß auch nicht mehr, was er gestern noch gesagt hat. Jeder Verweis darauf, erweist sich als hilflos, ja lächerlich. Es interessiert einfach nicht. Man denke an das Tomahawk-Spiel mit Selenskyi: Kriegt er sie oder kriegt er sie nicht? Gerade das Unkontrollierte und Unkontrollierbare erscheint als authentisch und zwar, weil es das ist. Das heißt nun aber nicht, dass die populistische Rechte strategielos wäre. Trumps Eruptionen sind, wenn auch nicht eingeplant, so doch eingebettet. Sie sind Steigerungen, nicht Unterbrechungen. Diverse Kehrtwenden sind auch so betrachtet keine, seien es Trumps Verkündigungen zur Ukraine oder auch zum Gaza-Konflikt. Flott kann das Amikale in eine Vernichtungsphantasie kippen wie umgekehrt. Die Agenda ist Teil der Propaganda, nicht umgekehrt.

So richtig echt scheint bloß sein Antikommunismus, der natürlich alles umschließt, was auch nur entfernt nach Emanzipation duftet. Da bekommt er schon mal Schaum vor dem Mund, wirkt wie eine furzende Reinkarnation von Mc-Carthy. Ein Dauerdonnerbalken. Das zeigte sich paradigmatisch beim Mord am rechten Podcaster Charlie Kirk im September 2025, den er sofort der radikalen Linken als Kollektivtäter in die Schuhe geschoben hatte. Detto die Massenproteste („No kings“) gegen ihn im Oktober. In Wahrheit sucht und erfindet er Vorwände, um gegen seine Gegner vorgehen zu können. Die neoliberale Presse assistiert eifrig. „Es könnte sein, dass mit Kirk der letzte rechte Republikaner erschossen wurde, der noch ernsthaft daran geglaubt hat, dass ein Dialog mit der radikalisierten Linken überhaupt möglich sei“, schreibt Ulf Poschardt in Die Welt vom 12. September 2025. Was nun tun mit diesen Typen, fragt der Chefredakteur der deutschen Springer-Gazette, während sein Chief Commander in Washington bereits Antworten hat.

Der Antikommunismus ist nicht nur eine Triebfeder, er ist ein gewaltiger Trieb, der rohe Instinkt der Bürgerlichkeit. Und er ist fiebrig wie die im September vorgenommene Einstufung der amerikanischen „Antifa“ als „terroristische Vereinigung“ demonstriert. Trump schließt hier nicht bloß an die Tradition der amerikanischen Rechten an, er erneuert und verschärft deren Agenda. Links, das sind inzwischen sogar die moderaten Republikaner. Auch der neue New Yorker Bürgermeister Zohran Mamdani ist natürlich ein „Kommunist“. Der Vorwurf „Kommunist“ zu sein, ist jenseits des Atlantiks immer noch die Bezichtigung par excellence, nicht nur ein beliebtes Schimpf- und Schmähwort, es ist die ultimative wie kriminalisierende Feindschaftserklärung.

Der Troll mit dem Zoll

Für den Geschäftsmann zählt in erster Linie das, was man gegenwärtig als wirtschaftlichen Erfolg bezeichnet, also die Cash-Macherei. Als marktradikaler Fundamentalist besteht er auch auf der vollständigen Kommerzialisierung des politischen Sektors. Als Pragmatiker ist er ein süchtiger Dealer. Und was jene nicht erledigt, das soll dann die Zolllotterie leisten. Er rechnet wirklich wie ein Milchmädchen: Erhöhen wir die Zölle, steigen auch unsere Gewinne. Sofern ihm kein gröberer Unfall oder ein Missgeschick passiert, wird der ehrliche Lügner als Donald, der Zollwütige, in die Geschichte eingehen.

Politik funktioniert für ihn ganz so wie der Markt, stets geht es um einen Deal. Putin ist ihm deswegen sympathisch, weil der auch viele Kanonen zum Schießen hat. Dito der nordkoreanische Diktator. Der verdient Respekt, weil er eine Atombombe hat. Sieht nicht nur der eine so wie der andere, sondern inzwischen ist die gesamte Weltpolitik wieder völlig befangen in dieser Logik, kurzum sie steckt fest im hegemonial werdenden Quatsch von Abschreckung und Aufrüstung. So viel Konsens war selten. Motto: Wenn ich dich erschlage, kannst du mich nicht erschlagen. Das ist zwar grundfalsch, aber kurzsichtig immer richtig. Dass es in der Politik um den Schrecken geht, sagt übrigens viel aus über die Politik als Formprinzip moderner Gesellschaften. Der Krieg, das wusste nicht nur Carl von Clausewitz „ist nichts anderes als die Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel“. (Vom Kriege, Auswahl (1827), Stuttgart 1980, S. 329) Die Mischmaschinen sind eingeschaltet, das Tempo ihrer Drehzahl ist hoch und die Rüstungskonzerne erzielen Profite wie nie.

Niemand sollte jedoch behaupten, dass Trump mitunter nicht auch sinnvolle Vorschläge und tragbare (nicht zu verwechseln mit tragfähigen!) Kompromisse präsentiert, die auch explizit nicht ins Standardrepertoire des Wertewesten in Zeiten der Kriegsertüchtigung passen. Den Ukraine-Krieg heizte er bisher weniger an als die NATO-Verbündeten in Europa. Die Unterbrechung der Schächterei im Nahen Osten ist zweifellos ein Fortschritt, aber er ist auch das Diktat eines Zinnsoldatenspielers, der die Betroffenen wie Figuren auf seinem globalen Schachbrett hin- und herschiebt. Ist er nun ein Mann des Friedens oder ein Mann des Krieges? Alles Mögliche und Unmögliche kann möglich werden. Hauptsache er kann verordnen und befehlen, er also der Mann ist, the man of the men!

Vergessen werden soll auch nicht, dass der US-Präsident auf obligat erpresserische Weise die Kosten der europäischen und weltweiten Aufrüstung erhöht, auch wenn da jetzt manche nur das tun, was sie sowieso schon längst gerne getan hätten. Was Menschen in den betroffenen Ländern davon halten, ist dabei irrelevant, außerdem sind sie der öffentlichen Aufrüstungs- und Frontpropaganda ziemlich wehrlos ausgeliefert. Notfalls wird man entsprechende Mehrheiten kulturindustriell züchten und die Leute verheizen. Das funktioniert noch immer und immer wieder. Wenn die Kälber benötigt werden, werden sie zur Schlachtbank laufen.

„Niemand weiß, was ich tun werde“, sagte Trump kurz bevor er im Juni des Jahres 2025 die Bomber in den Iran schickte. Und das stimmt doppelt. D.h. alle anderen wissen es nicht, aber er weiß es auch selbst nicht. Noch dazu, was soll ihn heute interessieren, was er gestern sagte? Er führt nicht bloß andere in die Irre, er irrt selbst herum. Es kommt ihm nicht mehr durcheinander als er selbst ist. Zweifellos, er ist der irre Führer. Nicht nur, aber ziemlich oft. Hat er überhaupt ein Sensorium, Lüge und Wahrheit zu unterscheiden? Nicht, dass Trump zu dumm ist, soll hier behauptet werden, aber spielt diese Frage überhaupt eine Rolle? Von Gewicht war sie bisher nicht. Seinem Publikum sind Frage wie Antwort nicht elementar. Der Präsident ist jedenfalls ein Feind der Ambivalenz, alles ist einfach und eindeutig. Seine Rhetorik entspricht ganz dem Aufnahmevermögen des Wahlvolkes. Sie passen gut zusammen, sind synchronisiert.

Politiker von der Stange überlegen etwas, bevor sie etwas sagen. Die zentrale Frage dabei ist nicht, was und warum etwas ist, sondern was wie ankommt. Trump hingegen ist schon angekommen. Er stellt nicht einmal mehr neue Fragen. Er weiß vor lauter Antworten keine Fragen mehr. Handeln kommt vor und nach dem Handeln. Gehandelt wird auf jeden Fall. Das Tempo, das der fast Achtzigjährige vorgibt, ist beeindruckend. Unablässig wiederholt und lobt er vor allem sich, damit der Eindruck entsteht, da müsse etwas dran sein. Seine amikal wirkenden Ausführungen sind mehr amüsant als interessant. Man denke bloß an seine weggetretene Rede nach der Verkündigung des Waffenstillstands in der Knesset.

Exponenten der Politik werden zusehends verrückter, sie bedienen weniger rationelle Interessen denn obskure Ideologien, wovon das unausweichliche Geständnis zur Marktwirtschaft der gemeinsame Nenner aller Irren ist. Steckt der westliche Mainstream in seinem verlogenen Moralismus der Wertevergötzung fest, haben Trump & Co. überhaupt jede Moral entsorgt. Da geht es nur noch um Macht, Geld und Geltung. Keine Umwege mehr. Sagen, was man will. Grönland zum Beispiel. Canada auch und morgen die ganze Welt. „Eroberungsssucht ist eine ganz natürliche und weitverbreitete Eigenschaft“, wusste schon Machiavelli. Daher mag Trump auch Putin. Der sieht es ähnlich und mag ihn umgekehrt auch.

Make America great again. MAGA steht für das Programm der Barbarei, mag man es nun Faschismus nennen oder nicht. Es ist eine Dystopie und sie entfaltet sich soeben. Da posiert einer mit seinen smarten Vancy-Boys vor laufender Kamera, aufgestellt wie eine zollwütige Gang, die wilde Drohungen ausstößt und Lösegeld erpresst. Die postende Twitter-Maschine (wobei an seinem X-Gerät zusätzliche Kommentatoren samt KI-Generatoren sitzen müssen) hat Politik von Diplomatie, dieser Mischung aus Taktik und Verlogenheit, weitgehend befreit. Fortan schickt sie ihre Kampfsätze in die ganze Welt.

I am the law“

Wenn Trump das Verteidigungsministerium in Kriegsministerium umbenennt, kann man ebenfalls nicht sagen, dass er lügt. Da hat einmal mehr eine Hyperwahrheit die Verlogenheit erschlagen. Trumps Kriegsminister Hegseth spricht auch schon davon, dass man sich auf Krieg und Sieg vorbereiten muss. Über den üblen Charakter einer Gesellschaft, die derlei hervorbringt und zulässt, sagt das alles aus. Der Troll Trump hat immerhin die meisten Waffen, die größte Armee und den Finger am roten Knopf. Vorerst probt er damit, amerikanischen Städten mit der Nationalgarde zu drohen. Es ist der Führer, der, wenn ihm danach ist, jederzeit das Militär losschicken kann. Er kann das. Meint er. Seine Laune ist durchaus ein Kriterium, sie ist nicht nur Pose, um zu erschrecken. Wenn er behauptet, der mächtigste Mann der Welt zu sein, dann lügt er ebenfalls nicht. Benjamin Netanjahu hat ihn daher schon sehr früh für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Da lässt sich nichts dagegen sagen, das lässt sich nur noch toppen, indem man auch noch den Literaturnobelpreis für seine glänzenden und viel rezipierten Postings einfordert. Was spricht bei der ungeheuren (oder heißt das ungeheuerlichen?) Leserschaft dagegen? Trump wäre dann wohl diesbezüglich der erste Doppelpreisträger, was ihm sicher ungemein schmeicheln würde.

Trump ist jedoch keiner, der einen den Dolch bei einer Umarmung in den Rücken rammt, er schreit schon mal laut „I hate my enemies“, bevor er frontal zusticht. Vor laufender Kamera führt er seine Opfer am Liebsten vor, von Selenskyi bis zu von der Leyen. „I am the law.“ Er ist nicht hinterfotzig, im Gegenteil, so vorderfotzig wie Trump war noch keiner. Das Obama-Fake-Video, wo dieser im Oval-Office vom FBI verhaftet, in Handschellen abgeführt wird und abschließend in Häftlingsmontur posiert, wird garniert mit der Message, dass niemand über dem Gesetz stehe. Welch abgefeimte Pointe! In Wahrheit verkündet er einmal mehr ganz aufrichtig die globale Drohbotschaft: „I am the law.“

Venezolanische Boote werden vor Südamerikas Küste versenkt. Sind doch Drogenschmuggler. Darf man einfach abknallen. Notfalls bombardieren wir auch Caracas. Drogenhändler und Kommunisten haben sowieso kein Lebensrecht, müssen exekutiert werden, wo immer sie gefunden werden. „I am the law.“ Brasilianische Richter werden wegen nicht genehmer Urteile gegen Ex-Präsident Bolsonaro mit Einreiseverbot belegt. Ebenso der freche kolumbianische Präsident Gustavo Pedro. Phantasien, wo es stets ums Einsperren und ums Abschieben geht, sind en vogue. Selbst Ex(?)-Intimus Elon Musk wurde mit der Ausbürgerung bedroht. Ab mit dem Schuft nach Südafrika. „I am the law.“ Trumps Wille geschehe. Mit alledem können die diplomatisierten Kontrahenten nicht umgehen, sie haben es nicht gelernt, sie finden sich auf diesem Parkett nicht zurecht, sind permanent in der Defensive. Sein Ausnahmezustand versetzt sie in den Notstand. Dafür wurden sie nicht ausgebildet und auch die Coacher, Spin-Doktoren und Message-Kontrolleure helfen nicht viel weiter.

Die Entwicklung des Performativen hat bisher dazu geführt, dass dessen Aufführungen immer gefinkelter und ausgeklügelter wurden, bis diese Tendenz sich in ihr Gegenteil verkehrte und am amerikanischen Firmament die orangeblonde Herrschaft erscheinen sollte. Da ist nichts mehr gefinkelt, alles wird grob und primitiv. Seine Lügen haben zweifellos nichts von einer elaborierten Kunstfertigkeit. Trump tritt auf als ein grobschlächtiges, populistisches Konterprogramm. Der liberale Mainstream hat einfach nicht begriffen, dass das, was gegen Trump spricht, letztlich für ihn spricht. Was nun gar zur grotesken Folge hat, dass fortan diverse europäische Hofschranzen um den amerikanischen Präsidenten scharwenzeln und (nicht nur) um Zollabkommen betteln. NATO- und EU-Granden sind hier zweifellos ein winselndes Vorbild. Als Lakaien der Struktur werden sie Dienstboten des Führers, der natürlich auch neudeutsch Leader oder King genannt werden soll. So stellt Trump sich das vor, und so stellen sie das auch an und schlüpfen in die Rolle von mäßig dekorativen Vizekönigen. Oberknechtleutnant Mark Rutte etwa, immerhin NATO-Generalsekretär, schäkert herzhaft mit dem von ihm so genannten „Daddy“, als Trump Israelis und Iraner als Kinder bezeichnete, denen laut Rutte der strenge Vater nun sage, wie es weiterzugehen hat. Ist das erschreckend oder nur noch clownesk? Wahrscheinlich beides.

Showmaster auf Ruinen

Trump ist aktuell der beste Synthesizer der kapitalistischen Konvention. Trump ist ein Abziehbild, das konformste, das wir je hatten. Ein gesamtideeller Moderator gesellschaftlicher Gemeinheiten, die das bürgerliche System so hervorbringt. Die bisher bekannte Politik hat diese temperiert, Trump hingegen heizt sie noch an. So auf Linie des Kapitals war noch keiner. Es kommt in ihm unzensiert an die Oberfläche. Er ist der Adäquate. Die beste Besetzung. In Worten, Werken, Werten. Er entspricht am meisten den Gebräuchen der entwickelten Marktgesellschaft, ihrer ungezügelten Konkurrenz, der Drangsalierung und Ausbeutung durch Arbeit, dem autoritären Regime in Fabriken, Büros und Geschäften, dem ungleichen Zugang zur Rechtsprechung, den ideologischen Vorgaben des medialen Sektors, der Zerstörung des Ökosystems, der Nichtung von Mensch und Umwelt durch Ware und Geld. Dazu kommt noch der Albtraum von einer Reindustrialisierung in Zeiten globaler Umweltkatastrophen. Diese sind Trump aber sowieso völlig egal, höchstens man kann mit ihnen neue Profite lukrieren. Anders als die EU-Kommission heuchelt er gar kein ökologisches Credo. Auch da ist er aufrichtiger als viele andere. Wird nicht richtig gewählt, dann droht er gleich mit dem Entzug oder will Förderungen nicht auszahlen resp. streichen. Sei es in Argentinien, sei es in New York. Freie Wahlen werden damit ganz offenherzig dementiert. So ehrlich war noch keiner beim democracy-building.

Aktuell erleben wir eine Phase zunehmender Oligarchisierung. Die direkte Geldherrschaft dringt immer deutlicher an die Oberfläche. Sie kauft alles und räumt die letzten Ruinen der Politik. Das gemeinsame Interesse drückt sich freilich in geopolitischer Konkurrenz aus. Sie wollen alle das Gleiche, aber mehr als die andern. Dafür ist Trump voll zu haben, während viele seiner Gegner immer noch bestreiten, solch ein Programm überhaupt nur zu vertreten. Hinterfotzig, das sind diese hinterhältigen Schwätzer von gestern. Vorderfotzig geht anders. Statt dass der Wahnsinn abgestritten wird, wird er affimiert. Donald Trump, er mag ein Verhängnis sein, aber er hintergeht niemanden.

Es ist das Spektakel, das Trump groß gemacht hat, nicht seines, sondern jenes, das in der Gesellschaft tobt, insbesondere in der Unterhaltungsindustrie, in den sattsam bekannten Sendungen und Botschaften mit all den Helden und Stars, den Rächern, den Rambos und Rockys, den Dominatoren und Terminatoren, den Reality- und Talk-Shows der gesamten kommerziellen Verblödungsmaschinen des westlichen Universums. Derjenige ist einer ihrer besten Showmaster. Donald Trump ist nicht bizarrer als die Welt, in der wir leben.

Dieses System, hüben wie drüben, muss sich selbst wie andere immer mehr täuschen, um nicht zu enttäuschen. Täuscher und Getäuschte sind zwar in ihrer Position, aber nicht in ihrer Konstitution zu scheiden. Das Trumpsche Format folgt keinem Konzept, es ist Selbstläufer, d.h. auslaufendes Sekret, das aus allen Poren der bürgerlichen Gesellschaft trieft und immanent nicht gestoppt werden kann. Insofern ist der Aufstieg des Typus Trump unaufhaltbar. Was wir brauchen, ist auch kein Zurück zu früheren Verhältnissen, sondern eine entschiedener Aufstand gegen alles, was Menschen zu unwürdigen und unterwürfigen Exponaten degradiert, gegen die populistischen als auch die liberalen Varianten des Kapitalismus, die allesamt in die Barbarei zu kippen drohen. Nicht zu machen? Ja, wenn das nicht zu machen ist, ist tatsächlich nichts zu machen. Dann stehen wir wirklich am Beginn einer dunklen Periode.

Die Mechanismen gesellschaftlicher Steuerung haben sich geändert, zweifellos, und es gibt auch keine allmächtigen Strippenzieher, aber die Herrschaft des Objektiven ist alles andere als frei von Gängelung und Formatierung durch bestimmte und bestimmende Subjekte. Kurzum: Die Eliten dieser Welt sind zum Kotzen. Klassenmäßig steht Trump für die Multimilliardäre der westlichen Hemisphäre, die große Gemeinschaft der Oligarchen, für die Finanzhaie der übelsten Sorte. Und diese setzen ihre Macht auch ein. Man werfe einen Blick auf Trumps Kabinett der Milliardäre. Diese Herrschaft und ihre Herrschaften müssen entsorgt werden.

Die gemeine These, dass die Welt seit der Aufklärung immer vernünftiger und zivilisierter geworden ist, ist nicht erst seit dem Nationalsozialismus zu hinterfragen, sie war immer schon falsch. Aufschlussreicher und interessanter wäre es, die jeweils aktuellen Verzauberungen, die Wahnsinnigkeiten, die Fetischismen einer immer irrer werdenden Epoche einer hellen Analyse und scharfen Kritik zu unterziehen. Nicht nur von den Medien, auch von der Wissenschaft, diesem staats- und kapitalfinanzierten Apparat, ist das nicht zu erwarten. Unsere Gesellschaften sind primitive Konglomerate, doch technisch sind sie hochentwickelte und perfide Aggregate. Selbst die radikale Opposition plappert im Jargon der Herrschaft und huldigt deren Werten. Befangenheit, wohin wir auch blicken. Immer noch leben wir in der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Wenn uns das jemand klar vor Augen führt, dann Donald Trump.

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