Mauern, wackeln, umfallen

Kaum beschlossen, wird die Impfpflicht auch schon wieder ausgesetzt

von Franz Schandl

Schnell kann es gehen. Der Dynamik der letzten Tage kommt kein Mindsetting nach. Die seit Herbst vorbereitete und Anfang Februar im Nationalrat beschlossene Impfpflicht steht bereits wieder vor dem Aus. Zwar wurde sie nur sistiert, aber es ist kaum anzunehmen, dass sie in den nächsten Monaten wirkmächtig werden könnte. Die Absetzbewegungen sind mehr als deutlich. Sieben Landeshauptleute (fünf von der ÖVP, zwei von der SPÖ) haben sich dezidiert dagegen ausgesprochen und auch einige medizinische und komplexitätsforschende Scouts wechselten die Front. Von den im Gesetz vorgesehenen Strafen für Impfverweigerer wird man vorerst ganz absehen. Überhaupt ist aufsperren statt zusperren angesagt.

Verordnetes Impfen ist mehr als ein obligater medizinischer Eingriff, es ist ein staatlicher Übergriff. Es mag Extremfälle geben, wo dieser berechtigt ist, bei Corona ist das nicht der Fall. Außer Deutschland und Österreich haben daher alle europäischen Staaten die Finger von einer generellen Impfpflicht gelassen. Das Ziel, mit Drohungen und Sanktionen aus Ungeimpften Geimpfte zu machen, ist jedenfalls fulminant gescheitert. Die Unentschlossenen und Unwilligen wurden mehr abgestoßen als angezogen, mehr weggetrieben als überredet, geschweige denn überzeugt. Ja selbst einige Hunderttausende, die schon zweimal geimpft worden sind, verweigern das für sie vorgesehene Boostern. Seit Omikron sticht auch die Angstkarte immer weniger. Das Contact-Tracing ist zusammengebrochen und bei den Verordnungen kennt sich sowieso niemand mehr aus. Auf den Unmengen von bestelltem Impfstoff wird man sitzen bleiben. Je mehr man den Druck erhöhte, desto deutlicher zeichnete sich das Fiasko ab.

Bevor dies mit aller Drastik zu Tage tritt, hat man nun die Reißleine gezogen. Nur das Gesundheitsministerium und die Gesamtstaatliche Covid-Krisenkoordination (GECKO) mauerten, ehe sie zu wackeln begannen und schließlich umgefallen sind. Karl Nehammer, glückloser Kanzler und Chef der von unzähligen Skandalen gebeutelten ÖVP, versucht, sich als Erlöser von der Pandemie zu präsentieren. Motto: Der Kanzler schenkt uns die Freiheit. Die Volkspartei, Anfangs ganz auf Verschärfung konditioniert, empfiehlt sich jetzt als Weichspüler. Vor allem wollen sie sich aber selbst freispielen. Grüne und SPÖ – in beiden Parteien gibt es massive Widerstände gegen den rigiden Covid-Kurs der jeweiligen Führung – werden als Spielverderber übrig bleiben. Der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein konnte nie politisches Profil entwickeln, er war immer der getriebene Administrator der gerade maßgeblichen Stimmen. Als Pressesprecher diverser Beschlüsse ging er in diesen chaotischen Wochen völlig unter und dürfte bald abgelöst werden. Ein ähnliches Schicksal droht der Parteiobfrau der oppositionellen SPÖ, Pamela Rendi-Wagner.

Das alles heißt aber nicht, dass die Impfpflicht in Österreich im Herbst nicht ein Comeback feiert. Bei den engen Kriterien betreffend Inzidenz und Hospitalisierung, die man inzwischen dem allfälligen Infektionsgeschehen aufgepfropft hat, wäre es fast verwunderlich, wenn das nicht passieren würde. Übermorgen könnte dann schon wieder vorgestern sein. Nach den geltenden Richtlinien müsste fortan im Winter stets prophylaktisch zugesperrt und eingeschränkt werden. Im Frühling wäre dann die Population mit entsprechender Leine wieder in die Freiheit zu entlassen. Auf-Zu-Spiele könnten unter diesen Voraussetzungen chronisch werden.

Aktuell sind ÖVP und Grüne schwer angeschlagen und Neuwahlen würden für beide Parteien in einer schweren Niederlage enden. Das spricht eindeutig dagegen, aber ob die Koalitionspartner es miteinander aushalten und auch parteiintern durchstehen, sind andere, keineswegs zu unterschätzende Fragen. Die Nervosität ist groß und die Atmosphäre vergiftet. Die politische Landschaft steht jedenfalls vor großen und wohl auch fundamentalen Umbrüchen. Mit dem alten Koordinatensystem ist kaum noch etwas adäquat zu erfassen. Ein Land torkelt durch seine Krisen. Fünf Kanzler in fünf Jahren, das hatten wir zuletzt in der Ersten Republik. Oder ist das gar schon die neue Normalität?

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