Unaufgeschreckt und uneitel

Elke Kahr als politisch agierende Antipolitikerin

von Franz Schandl

Performance ist da wenig, Authentizität gar viel. Ihre Stärke liegt im persönlichen Gespräch, nicht im öffentlichen Auftritt. Insbesondere auch in ihren Sprechstunden. Auf jeden Fall redet sie mit den Leuten auf Augenhöhe, von Mensch zu Mensch. Mit ihnen spricht sie, nicht zu ihnen. Elke Kahr erscheint nicht als Gönnerin, von Besserwissertum keine Spur. Sie ist auch nicht unbedingt schlagfertig, der Schlag als Instrument des Kampfes scheint ihr durchaus fremd zu sein, selbst wenn sie von Klassenkampf redet, klingt das nicht nach Konfrontation. Sie habe „keine Genugtuung und keine Häme“ gegenüber den Wahlverlierern, sagt sie. Auf die Frage, ob sie denn „eine Art politisch agierende Antipolitikerin sei?“, antwortete sie unlängst dem Magazin News: „So könnte man das sagen.“

Elke Kahr wurde 1961 geboren und ist in einem Grazer Arbeiterviertel aufgewachsen. Das hat sie durchaus geprägt. Seit 1983 ist die ehemalige Bankangestellte Mitglied der KPÖ, seit 1993 sitzt sie für die Partei im Gemeinderat. Sie ist Partnerin des ehemaligen KPÖ-Landesparteivorsitzenden Franz Stephan Parteder, einem der maßgeblichen Protagonisten und Gestalter des Aufstiegs der steirischen Kommunisten. So ist nach einer langen Phase der Absenz 2005 auch die Rückkehr in den Landtag gelungen.

Gefragt, ob sie denn eine Demokratin sei, antwortet Kahr: „Ich bin in erster Linie immer Mensch gewesen.“ Selbst an herkömmlichen Kriterien gemessen, haben Elke Kahr und die Kommunisten wohl mehr zur Demokratisierung ihrer Kommune beigetragen als ihre Konkurrenten. Und das haben sie auch weiter vor, die ersten Ankündigungen zu Arbeitsweise und Stil der neuen Grazer Stadtregierung demonstrieren das. Das, was die Leute bisher von ihr erfahren und mit ihr erlebt haben, hat mit den obligaten Anschüttungen der antikommunistisch aufmunitionierten Medien nichts zu tun. Auch der Populismus-Vorwurf verdeutlicht, wie beliebig, ja kaputt diese Kategorie inzwischen ist. Einst zur Kennzeichnung einer postfaschistischen Rechten erfunden, ist er heute zu einem Kampfbegriff gegen eine unliebsame Linke geworden.

Gar seltsam war auch die Doppelconference zwischen Elke Kahr und dem bekannten ORF-Journalisten Armin Wolf in der ZIB2 am Montag nach dem Wahlsieg. Sie wirkte auf den ersten Blick etwas unbeholfen, aber auf den zweiten Blick wirkte er völlig hilflos, etwas Essenzielles zu fragen, absolut überfordert dem Gegenstand auch nur annähernd gerecht zu werden. Billige Schablonen und historische Versatzstücke ersetzen jedwedes Begreifen der aktuellen Vorgänge. Das Aneinander-Vorbeireden war offensichtlich. Kahrs Verwunderung war nicht verwunderlich. „Also ich habe noch keinen gesehen, der sich vor uns fürchtet“, sagte sie dem aus der Parallelwelt eines gesamtideellen Liberalismus Zugeschalteten. Das Match „Wer versteht weniger von wem?“, das hat Wolf aber bravourös gewonnen. Sollten die Börsenkurse in den nächsten Monaten abstürzen oder der Standort zurückfallen, dann war das sicher die Grazer KPÖ. Denn der Markt ist ein scheues Reh. Die Industrieellenvereinigung zittert schon. – Was erwartet man? Bekenntnisse, Kniefälle, Abbitten, Gebete? Wahrscheinlich. Es ist die alte Leier, aber sie wirkt zusehends ausgeleiert.

Elke Kahr ist kein Produkt der Talkshows, kein Fabrikat der kulturindustriellen Verwertungsmaschine, sie ist kaum von dieser abhängig und beeinflussbar, somit auch nicht einfach von ihr zu gängeln, zu mobben oder gar zu canceln. „Dass vor der Wahl so viele für die KPÖ gelaufen sind“, ist das, was sie in den letzten Wochen am meisten gefreut hat. Dieser Aufbruch ist in Graz zu spüren. Der Wahlausgang in der zweitgrößten Stadt Österreichs ist wirklich eine kontrafaktische Setzung zu dem, was einem normalerweise vorgesetzt wird.

Eine steirische Evita ist die Elke (so wird sie von vielen genannt) deswegen aber nicht. Sie ist frei von allen Starallüren, vor allem unaufgeschreckt und uneitel. Bescheiden sowieso, vielleicht sogar zu bescheiden. Ihr ging es jedenfalls nie um eine Karriere Marke „Ich will da rein!“ Das Amt war nicht das Ziel, aber das Amt, so sie Bürgermeisterin wird, bietet Chancen. Auch der Vergleich mit Sahra Wagenknecht hinkt, nicht nur was den Auftritt betrifft, auch auf Ebene der Programmatik. Kahr ist kein Prototyp, kein Modell. Sie ist eine Möglichkeit, die sich wahrgenommen hat und mittlerweile auf breite Unterstützung zählen kann. Das ist schon viel. Auch wenn die Kommunisten dezidiert keine Szenepolitik gemacht haben, wirken sie in diverse Szenen rein, ohne allerdings den linksliberalen Moden nachzulaufen. Statt im postmodernen Rinnsal bewegen sie sich lieber im traditionellen Fahrwasser. Sie polarisieren wenig. Elke Kahr ist ebenso wie ihr Vorgänger Ernest Kaltenegger (der erste kommunistische Stadtrat in Graz) personifizierter Ausdruck dieser Haltung. Auch in Zukunft werden Kahr und die KP-Stadträte einen Großteil ihres Gehaltes für soziale Zwecke spenden.

Tun, was sonst niemand tut, das ist mitunter des Rätsels einfache Lösung. Vielleicht lässt sich der Kommunismus von Frau Kahr so umschreiben: Der Kommunismus hat nichts anderes vor, als dass die Menschen gut zueinander sind, weil sie es können und weil sie es wollen. Er hat nichts zu verwirklichen, er will nichts vorschreiben, er hat keine letzten Ziele, keine hehren Ideale und keinen tieferen Sinn. Freude will er ermöglichen und Freundschaft unter Menschen. Er möchte, dass sie ihr Leben genießen. Materiell setzt der Kommunismus auf Zukömmlichkeit. Und emotionell auf Bekömmlichkeit. Er ist das Einfache, das schwer zu machen ist.

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