Reaktionäre Politisierung

Polens Regierung forciert den autoritären Umbau von Staat, Armee und Medien

Streifzüge 69/2017

von Tomasz Konicz

 

Wie sehr rechte Politik dazu tendiert, sich selbst ins Extrem zu treiben, kann derzeit in Warschau studiert werden. Polens rechtspopulistische Regierung, die von der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) um Jarosław Kaczyński gestellt wird, ist seit ihrem überraschenden Wahlsieg im Oktober 2015 vor allem darum bemüht, möglichst viel Macht zu akkumulieren und letzte bürgerliche „checks and balances“ auszuhebeln. Nun ist das Militär an der Reihe. Anfang Februar 2017 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) über die anhaltenden Bemühungen des polnischen Verteidigungsministers, seine Machtbasis zu verbreitern – und die Streitkräfte des Landes voll auf Linie zu bringen. Polens Verteidigungsminister Antoni Macierewicz ließ zu Jahresbeginn die Schulungsakademie der polnischen Streitkräfte umbenennen, um deren Neuausrichtung auch symbolisch festzuschreiben: an der „Akademie für Kriegskunst“ soll Polens Offiziersnachwuchs künftig geschult – und indoktriniert – werden.

„Schule der Nation“

Während politisch unzuverlässige Generäle reihenweise kaltgestellt oder in den Vorruhestand genötigt werden, versucht Macierewicz zugleich, die etablierten Hierarchien zu umgehen und direkte Abhängigkeiten aufzubauen. Binnen eines Jahres hat der stramm rechte Politiker rund 21.000 Armeeangehörige der niederen Dienstgrade – zumeist Soldaten und Unteroffiziere – direkt befördert, um so die Stellung ihrer Vorgesetzten zu schwächen. Eine Anhebung des Soldes machte Macierewicz noch populärer unter den Angehörigen niedriger Dienstgrade. Zugleich kündigte er an, dass Offiziere, die „zu kommunistischen Zeiten“ ihre Ausbildung absolvierten, keine weiteren Karrierechancen hätten. Inzwischen ist gut ein Viertel der Generäle aus dem polnischen Generalstab hinausgedrängt worden. Die frei gewordenen Posten sollen mit linientreuen Bewerbern, ausgebildet in der „Akademie der Kriegskunst“, besetzt werden.

Das Misstrauen der PiS-Führung gegenüber den Streitkräften, denen Macierewicz immer wieder mangelnde Verteidigungsbereitschaft vorwirft, geht aber weiter. Inzwischen sind Polens Rechtspopulisten dazu übergegangen, eine weitere bewaffnete Formation aufzubauen, die in der Lage sein soll, unabhängig von der Armee zu agieren. Bei der „Armee zur Territorialverteidigung“ handelt es sich um eine Freiwilligenmiliz, eine „patriotisch“ geschulte paramilitärische Formation, in der neben der Landesverteidigung auch ideologische Indoktrination stattfinden soll. Die mehr oder minder rechts ausgerichteten Freizeitkrieger in diesem Milizheer, die zumeist in unzähligen Wehrsportgruppen einen Guerillakrieg gegen Russland üben, sollten ursprünglich als eine kleine paramilitärische Hilfstruppe der Armee dienen. Inzwischen will die PiS die Territorialverteidigung auf rund 53.000 Mann aufstocken, womit sie die Mannstärke der regulären, 50.000 Mann umfassenden Armee übersteigen würde.

Die Miliz erhält neuste Ausrüstung, sie wird von Berufssoldaten geführt und in den Rang einer eigenen Teilstreitkraft mitsamt eigenständigem Kommando erhoben. Künftige Offiziersanwärter sollen ihre Karriere in dieser staatlich organisierten, rechten Truppe starten, um die „gewünschte Geisteshaltung zum Vollpatrioten zu entwickeln“, wie es die FAZ formulierte. Der Sold der Freizeitkrieger beträgt übrigens genauso viel wie das Kindergeld, das die PiS zwecks Animierung zum Kinderkriegen massiv erhöhte: 120 Euro. Gebären und Dienen sind laut Polens Rechtspopulisten patriotische Pflichten. Die gesäuberte Armee soll wieder als „Schule der Nation“ dienen.

Dabei stellen die immer wieder durchgeführten Säuberungswellen, die inzwischen nahezu alle Bereiche von Staat und öffentlichem Dienst erreichten, ein Kontinuum der PiS-Regentschaft. Die polnische Rechte hat bereits kurz nach der Machtübernahme eine riesige Säuberungskampagne im Staatsapparat entfacht, bei der binnen der ersten 40 Regierungstage alle Geheimdienstchefs, die wichtigsten Spitzenbeamten und rund 50 Prozent aller Direktoren von Staatsunternehmen gegen politisch zuverlässige Leute ausgewechselt wurden. Gegen Jahresende 2015 verabschiedete die PiS ein Gesetz, das die Entlassung von allen hochrangigen Verwaltungsangestellten nach 30 Tagen vorsieht, sollten deren Arbeitsverträge nicht von der neuen Administration verlängert werden. Rund 1.600 Führungsposten innerhalb des Staatsapparates wurden hierdurch mit PiS-Anhängern besetzt. Die PiS entfachte somit eine offen reaktionäre Politisierung des polnischen Staatsapparates. Der auch im Westen wahrgenommene Skandal um die Stürmung eines Spionageabwehrzentrums der NATO in Warschau Mitte Dezember 2015 muss im Zusammenhang mit dieser rechten Säuberungswelle gesehen werden. Damals drangen Militärpolizisten mitten in der Nacht in NATO-Büros ein, um polnische Militärs zu verhaften, die sich einem Versetzungsbefehl der neuen Regierung wiedersetzten.

Polens Reaktionäre legen beim autoritären Umbau des Staates einen wahrhaft revolutionären Elan an den Tag: Noch vor Jahresende hat die PiS das polnische Verfassungsgericht entmachtet und die öffentlichen Medien an die Kandare genommen. Den öffentlichen Rundfunk in Polen, der bislang in der Rechtsform staatlicher Aktiengesellschaften organisiert war, überführte die PiS in „nationale Kulturinstitute“, deren Chefposten vom Kulturminister persönlich besetzt werden. Betroffen sind hiervon sowohl die öffentlichen Fernsehsender wie auch die Rundfunkanstalten. Politiker der PiS kritisierten – ähnlich wie Orbáns Rechtspartei in Ungarn – immer wieder die „unpatriotische“ inhaltliche Ausrichtung der polnischen Medien, die nun korrigiert werden solle.

Während der ersten Regentschaft der PiS von 2005 bis 2007, als die Kaczyński-Zwillinge eine Koalition unter anderen mit der klerikalfaschistischen „Liga der Polnischen Familien“ (LPR – Liga Polsich Rodzin) anführten, die dem polnischen Bildungswesen mit dem LPR-Führer Roman Giertych einen Bildungsminister bescherte, der die Gültigkeit der Evolutionstheorie anzweifelte, hat das polnische Verfassungsgericht mehrere Gesetzesvorstöße blockiert. Dies soll der Alleinregierung der PiS offensichtlich nicht mehr zustoßen. Mittels einer im Eilverfahren verabschiedeten und von der EU massiv kritisierten Gesetzesänderung, die von den Verfassungsrichtern als verfassungswidrig eingestuft wurde, ist das Gericht als Machtinstanz Ende Dezember 2015 de facto ausgeschaltet worden. Kurz nach ihrem Wahlsieg ließ die PiS im Schnellverfahren fünf neue Verfassungsrichter einsetzen, um hiernach die Abstimmungsmodalitäten in dem Kontrollgremium zu ändern: Künftig müssen Entscheidungen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gefällt werden, wobei zumindest 13 der 15 Verfassungsrichter anwesend sein müssen. Somit hat sich die polnische Rechte eine Sperrminorität verschafft, da bei umstrittenen Gesetzesvorhaben einfach die PiS-Leute in dem Verfassungsgericht den Abstimmungen fernbleiben müssen, um es zu blockieren.

Sozial- und Nationalpopulismus

Ideologisch wird diese gigantische Säuberungswelle mit dem üblichen Verfolgungswahn und irren Verschwörungstheorien legitimiert. Kaczyński sieht sich im ewigen Windmühlenkampf gegen den Układ (wörtlich übersetzt: Das Netz). Damit meint der PiS-Führer ein Machtsystem von Netzwerken in Teilen der Geheimdienste, der Politik, der organisierten Kriminalität und der Wirtschaft, das sich während der Systemtransformation etabliert haben und in dem alte kommunistische Seilschaften wirksam sein sollen. Ironischerweise beschrieb Kaczyński mit diesem politischen Slogan nur den realdemokratischen Machtalltag in den meisten Staaten der Semiperipherie – und zunehmend auch in den Zentren. Offenbar handelt es sich hier um eine verschwörungstheoretische Projektion von „zu kurz gekommenen“ rechten Wenderevolutionären, die nun daran gehen, die konkurrierenden neoliberalen Seilschaften im Namen des Antikorruptionskampfes durch eigene rechte Seilschaften zu ersetzen. Die polnische Rechte beschimpft somit erfolgreiche neoliberale Karrieristen als „Kommunisten“.

Die rechten Säuberungen in Polen fügen sich somit in das Muster rechtspopulistischer oder ordinär faschistischer „Regierungspolitik“, wie sie auch in den USA Trumps oder – hier besonders extrem – in der Türkei Erdoğans praktiziert wird. Zum einen wird so Opposition ausgeschaltet und Macht akkumuliert, zum anderen können hierdurch die eigenen Seilschaften und bewegungsinterne Rackets versorgt und befriedigt werden. Deswegen scheinen die Säuberungen auch kein Ende zu nehmen, immer neue Staatsbereiche zu erfassen, in denen es de facto keinen Widerstand gegen das Regime mehr gibt. Es geht nicht mehr um die Ausschaltung von Opposition, sondern um die Versorgung der eigenen Gefolgschaft.

Ein weiteres Charakteristikum, das Polens Populisten mit ähnlichen reaktionären Bewegungen in Europa und den USA teilen, stellt die ideologische Amalgamierung des Sozialen mit dem Nationalen dar. Die PiS hat es verstanden, soziale Demagogie mit Xenophobie zu verbinden. Insbesondere das tatsächlich eingeführte Kindergeld in Höhe von 120 Euro ab dem zweiten Kind, das vor allem verarmten kinderreichen Familien zugutekommt, hat zur Legitimierung der PiS beigetragen. Zugleich wurde die Rhetorik gegen Flüchtlinge massiv verschärft und mit dezidiert faschistischem Vokabular angereichert („Krankheitsüberbringer“ etc.) Ohne Übertreibung kann konstatiert werden, dass diese Strategie beim Sieg der PiS bei den Parlamentswahlen entscheidend war.

Zudem kann sich Kaczyński auf die konservativen Teile der polnischen Gewerkschaftsbewegung verlassen. Polens traditionsreiche Gewerkschaft NSZZ Solidarność („Solidarität“) wirkte im europäischen Vergleich schon immer wie ein Unikat, da in den Reihen ihrer Funktionäre und Mitglieder eine konservative politische Strömung dominiert. Diese konservative Grundausrichtung innerhalb der Solidarność kommt immer wieder in der kaum verhüllten Unterstützung für die PiS zum Ausdruck. Im Vorwahlkampf zu den Parlamentswahlen 2011 organisierten die Gewerkschaftler etwa eine ihrer sehr seltenen Massendemonstrationen, um von der liberalen Regierung Tusk eine Erhöhung des Mindestlohns zu fordern. Im März 2013 beteiligte sich die Solidarność auch an dem groß angelegten „Generalstreik“ in Südpolen, der ebenfalls der neoliberalen Regierung Tusk sozialpolitische Zugeständnisse abringen sollte. Während der Regierungszeit der konservativen PiS trat die Solidarność hingegen kaum mit Protesten in Erscheinung.

Der Sieg der PiS kam für die meisten Beobachter aber tatsächlich überraschend, da er auf den ersten Blick ökonomisch dysfunktional ist. Polen hat als eines der wenigen Länder Europas eine Rezession während der Weltwirtschaftskrise 2008/09 vermeiden wie auch ein gutes Wirtschaftswachstum und eine spürbare Reduzierung der Arbeitslosenquote erreichen können. Doch die offiziellen, oft auch im Westen kolportierten Zahlen, die aus Polen ein neoliberales „Erfolgsmodell“ machen, übersehen die enorme soziale Spaltung des Landes – zumal die nach dem EU-Beitritt sinkende Arbeitslosigkeit größtenteils auf die massive Arbeitsmigration aus Polen zurückzuführen ist. Der aufstrebenden urbanen Mittelklasse Polens steht eine große, sozial abgehängte Schicht verarmter Menschen gegenüber. Die PiS vermochte es gerade, mittels umfassender sozialer Versprechen, wie Forderungen nach Erhöhung des Mindestlohns und der Senkung des Renteneintrittsalters, diese verarmten Bevölkerungsschichten anzusprechen.

Die soziale Demagogie der polnischen Rechtspopulisten war so erfolgreich, dass sie die neoliberal deformierte polnische Sozialdemokratie, die als „Vereinigte Linke“ an der für Parteienallianzen geltenden 8-Prozent-Hürde knapp scheiterte, um den Eintritt ins Parlament brachte. Somit reichten der PiS ihre knappen 37,5 Prozent, um die absolute Mehrheit im polnischen Parlament, dem Sejm, zu erringen. Neben der sozialen Demagogie war es auch die massiv geförderte Xenophobie, die zum Revival der polnischen Rechten beitrug. Es waren nicht nur polnische Nazis und Klerikalfaschisten, die auf Demonstrationen gegen die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen protestierten, auch die PiS-Führung hat im Wahlkampf die antiislamistische Hysterie massiv geschürt, indem prominente Parteimitglieder vor islamistischen Terroristen oder durch Flüchtlinge eingeschleppte Krankheiten warnten.

Konfrontationskurs mit Deutschland

Die PiS vollzog nach der Machtübernahme eine Art Schock-Strategie: Kaczyński agiert tatsächlich als das informelle Machtzentrum der neuen Rechtsregierung, die nach ungarischem Vorbild mit aller Macht in kürzester Zeit Fakten schaffen will, indem vermittels einer Flut von neuen Gesetzen, die in Windeseile durchs Parlament gepeitscht werden, alle möglichen bürgerlich-demokratischen „checks and balances“ weitestgehend abgebaut werden, damit die PiS eine größtmögliche Machtfülle akkumulieren kann. Genau diese Vorgehensweise hat auch die ungarische Rechtsregierung nach dem Wahlsieg Viktor Orbáns gewählt – und genauso agiert Donald Trump Anfang 2017.

Was aber die „Graue Eminenz“ Kaczyński von einem Trump unterscheidet, ist der nationalistisch-antiimperialistische Zug seiner Politik und Ideologie. Hierbei ist die außenpolitische Wirkung dieser „Entdemokratisierung“ Polens entscheidend. Es geht der polnischen Rechten auch um eine Absicherung der Machtvertikale, um eine starke Machtkonzentration, da sie sich vor entscheidenden Auseinandersetzungen sieht, bei denen gewissermaßen auf eine „Kriegslogik“ zurückgegriffen wird. Kaczyński geht auf offenen Konfrontationskurs mit Deutscheuropa – und in den kommenden Auseinandersetzungen will Warschau eine möglichst geringe Angriffsfläche bieten.

Die rechtsliberalen Regierungen der „Bürgerplattform“ (PO – Platforma Obywatelska) kooperierten ohne größere Friktionen mit Berlin, sodass Polen als einer der zuverlässigsten Verbündeten der europaweit zunehmend isolierten BRD galt. Die FAZ formulierte das folgendermaßen: „Vor allem aber war Polen in den vergangenen Jahren eine der Stützen der von einer Krise in die andere taumelnden EU – und hat deshalb nun ein umso größeres Potential, sie in Schwierigkeiten zu stürzen.“ Der polnische Verbündete, der Berlin etwa während der Griechenland-Krise den Rücken freihielt, wandelt sich nun in einen geopolitischen Gegner.

Die Financial Times brachte die Folgen dieser zunehmenden nationalstaatlichen Auseinandersetzungen in der EU – die inzwischen nur noch eine institutionelle Bühne für zunehmende zwischenstaatliche Machtkämpfe darstellt – in einem Kommentar („Germany’s Isolation Within Europe Is Growing“) auf den Punkt. In den „Merkel-Jahren“ sei Deutschland zu dem „unangefochtenen Führer der EU“ aufgestiegen, doch habe eine Krisenkaskade (Eurokrise, Migration, Terrorismus, drohender Austritt Großbritanniens) dafür gesorgt, dass Deutschland auf europäischer Ebene nun „isolierter ist als seit vielen Jahren“. Neben den Verstimmungen mit Südeuropa seien nun die Beziehungen Berlins sowohl mit Frankreich als auch mit Polen nachhaltig getrübt. Im Klartext: Der Bestand der EU in der gegenwärtigen Form steht angesichts der zunehmenden Krisendynamik offen zur Debatte – und die polnische Rechte macht hierfür mobil.

Mit dem sich abzeichnenden Zerfall der EU als eines institutionellen Rahmens des europäischen Binnenmarktes wird nun auch die vorher tabuisierte wirtschaftliche Dominanz der BRD in ihrer osteuropäischen Peripherie offen thematisiert. Mittels einer „Renationalisierung“ des polnischen Medienmarktes will die PiS auch die „Dominanz des deutschen Kapitals“ in Polen zurückdrängen, wie die Süddeutsche Zeitung panisch berichtete. Der Kaczyński-Vertraute Krzysztof Czabański habe erklärt, dass „der hohe Anteil ausländischen Kapitals“ auf dem polnischen Pressemarkt „krankhafte Ausmaße“ angenommen habe: „Die Regionalpresse ist wohl schon zu hundert Prozent in fremden Händen.“ Auch die Regierungssprecherin Kruk thematisierte die „Dominanz deutschen Kapitals in den Medien“, die nun mittels einer „Repolonisierung polnischer Medien“ gemindert werde. Damit dürften schwere Zeiten auf den Verlag der Passauer Neuen Presse zukommen, der nahezu alle polnischen Regionalzeitungen aufgekauft hat. Auch bei Bauer, Burda und vor allem beim Springer-Verlag dürften die Alarmglocken läuten, da Letzterer in Polen mit dem BILD-Klon Fakt das auflagenstärkste Boulevardblatt herausgibt und mit Newsweek Polska ein besonders regierungskritisches Wochenblatt im Angebot hat. Diese drohende „Repolonisierung polnischer Medien“ dürfte den materiellen Kern der inbrünstigen Sorge der deutschen Journaille um Presse- und Meinungsfreiheit in Polen bilden.

Dabei war es nicht zuletzt die rücksichtslose Durchsetzung nationaler Interessen durch die BRD im Sommer 2015, als an Griechenland ein abschreckendes Exempel statuiert wurde, um künftigen Widerstand gegen die deutsche Dominanz in Europa im Keim zu ersticken, die dieses Aufschäumen des Nationalismus in Polen und anderen Ländern Europas befeuerte. Polens Nationalisten machen gegen die nationalistische Europapolitik Berlins mobil. Die Flüchtlingskrise bot der polnischen Rechten nur den willkommenen Vorwand, um Xenophobie und die Angst vor der zunehmenden Dominanz Berlins ideologisch zu verschmelzen. Wie erwähnt, hat die PiS-Führung im Wahlkampf die antiislamistische Hysterie massiv geschürt, wobei führende Parteimitglieder auch gegen die einsame – wohl aus Publicitygründen nach der Griechenlandkrise getroffene – Entscheidung Merkels wettern, die Grenzen kurzfristig zu öffnen. Die antiislamische Xenophobie verschmilzt in dieser „polnischen Ideologie“ mit dem antideutschen Element. Und selbstverständlich scheint die antiislamische Hysterie gegen Migranten in Polen einfach irre angesichts der Tatsache, dass das Land den europaweit niedrigsten Ausländeranteil mit knapp 0,5 Prozent aufweist und Millionen von Polen das Land als Arbeitsmigranten verlassen mussten. Aber hier zeigt sich auch die Logik der eskalierenden Krisenkonkurrenz: Die Migranten aus dem arabischen Raum werden unbewusst als Konkurrenten wahrgenommen, die die Preise der Ware Arbeitskraft in Europa drücken werden.

Im Umfeld der PiS wird die deutsche Dominanz ausführlich auf ebendieser verzerrten nationalistisch-xenophoben Ebene thematisiert, sodass es scheint, als ob diesmal die polnische Rechte nicht in Moskau, sondern in Berlin ihren Hauptfeind erblickt. Eine kaum übersehbare Fülle von Beiträgen beschäftigt sich mit Deutschlands drittem hegemonialen Anlauf. Das konservative Nachrichtenmagazin Wprost fragte kurz nach dem deutschen Diktat gegenüber Hellas, ob man sich „vor dem 4. Reich“ fürchten müsse, da die „eiserne Kanzlerin“ mit Europa das anstelle, was „die Wehrmacht vor 70 Jahren machte“. In dem konservativen Wochenblatt wSieci lamentierte man über die „Sonderwege“ der Deutschen, die sich als „die Lehrmeister Europas“ aufführten. Die „deutsche Hegemonie“ sei das „neue Problem Europas“, hieß es auch Ende Oktober auf der größten polnischen Internetplattform wp.pl. Nach dem Wahlsieg fordern PiS-Leute – unter Verweis auf die offene Vernichtung der staatlichen Souveränität Griechenlands durch Berlin – offen eine „Begrenzung der Rolle Deutschlands“ in der EU, wie es etwa der PiS-Politiker Zdzisław Krasnodębski formulierte.

Der eingangs erwähnte polnische Verteidigungsminister Antoni Macierewicz personifiziert diesen Kurswechsel perfekt, der einer Rückkehr zur früheren außenpolitischen Konfrontationspolitik der PiS gleichkommt. Macierewicz propagiert wirre Verschwörungstheorien, wonach der Absturz der polnischen Präsidentenmaschine 2010 in Smolensk, bei dem neben 94 polnischen Staatsvertretern auch der damalige Präsident Lech Kaczyński zu Tode kam, eigentlich ein russischer Mordanschlag gewesen sei. Die erste Kaczyński-Koalition hat sich bemüht, mittels der damals in Polen und Tschechien geplanten US-Raketenabwehr einen Keil zwischen Deutschland und Moskau zu treiben, nachdem Berlin und Moskau den Bau der ersten Nordseepipeline beschlossen hatten – Macierewicz bemühte sich hingegen nach dem beschlossenen Ausbau derselben, die USA und die NATO dazu zu bringen, Atomwaffen, die derzeit in Südwestdeutschland lagern, auf dem Territorium Polens zu stationieren. Auch die von Warschau durchgesetzte Verlegung von US-Truppen auf polnisches Gebiet muss im Kontext dieser Strategie gesehen werden: Die Einheiten der US-Army sollen als Sicherheitsgaranten dienen.

Nichts wäre dabei verkehrter, als in schlechter „antiimperialistischer“ Tradition dem antideutschen polnischen Nationalismus eine objektiv progressive Tendenz anzudichten. Der Wahlsieg der PiS – die ähnlich der CSU über eine weit offene Flanke gegenüber faschistischen Strömungen verfügt – ist eingebettet in einen stürmischen Aufschwung der extremistischen polnischen Rechten, der zu einer krisenbedingten Renaissance des Antisemitismus führt. Während die PiS die Europafahnen aus polnischen Staatseinrichtungen entfernen ließ, haben polnische Neonazis in Wrocłlaw den Nationalfeiertag damit begangen, dass sie neben EU-Fahnen auch Juden-Puppen verbrannten – von den reichlich vertretenen Polizeikräften absolut unbehelligt. Polens Antisemiten haben das innovative Kunststück vollbracht, den neuen europäischen Antiislamismus mit dem alten europäischen Antisemitismus zu vereinigen, indem sie „den Juden“ für die gegenwärtige Flüchtlingskrise verantwortlich machten.

„Europäisierte“ Rechte

Auf den alljährlichen Manifestationen der polnischen Rechten am 11. November wird das ganze Ausmaß des Aufstiegs der extremen polnischen Rechten sichtbar, die einen Prozess der Ausdifferenzierung durchlief und nicht mehr durch die klerikale Rechte dominiert ist. Von Monarchisten, führergeilen Nazis, altpolnischen Klerikalfaschisten, ordinären Rassisten bis hin zu bürgerlich auftretenden Rechtspopulisten war dort alles zu finden, was sich auch auf einer gewöhnlichen Pegida-Demo in Deutschland herumtreibt. Wobei die allgemeine Wahrnehmung Polens als einer wirtschaftlich „deutschen Kolonie“ die einzige, verzerrte Spur von Realität in deren absurden und brandgefährlichen Fantasiegebilden darstellt.

An diesen Märschen, an denen landesweit zu bis 50.000 „Patrioten“ aller Schattierungen teilnehmen, wird somit der Wandel der polnischen Rechten in den vergangenen Jahren evident, die seit dem Eintritt Polens in die EU einen Prozess der „Europäisierung“ durchlief, bei dem sich die rechte Szene Polens denjenigen in Westeuropa anglich.

Die spezifisch polnischen rechtskatholischen Gruppierungen sind in der Defensive, obwohl sie immer noch – vor allem in der Peripherie – einen Machtfaktor darstellen können. Eine zentrale Figur ist hier der Redemptorist Tadeusz Rydzyk, der ein regelrechtes katholisches Medienimperium aufbaute. Dieser katholische Medienkonzern umfasst unter anderen den Fernsehsender Trwam („Ich harre aus“), den wegen seiner antisemitischen Inhalte berüchtigten Radiosender Radio Maryja und eine Medienakademie, in der nationalkatholisch indoktrinierter Journalistennachwuchs ausgebildet wird. Verfolgt wird eine nationalkatholische, oftmals mit antisemitischen Projektionen und wilden Verschwörungstheorien einhergehende Politik.

Im Aufwind befinden sich in Polen hingegen rechtsextreme Kräfte, die in ihrer ideologischen Ausrichtung den faschistischen Gruppierungen anderer westeuropäischer Länder ähneln. Die wichtigste politische Partei stellt innerhalb dieses Spektrums die Nationale Wiedergeburt Polens (NOP – Narodowe Odrodzenie Polski) dar, die teilweise an die klassische nationalsozialistische Ideologie anknüpft, ohne sich jedoch gänzlich vom Katholizismus zu trennen, da dieser auch von der NOP als integraler Bestandteil des polnischen Nationalbewusstseins aufgefasst wird. Des Weiteren gibt es eine starke, gut vernetzte rechtsextreme Hooliganszene wie auch viele lose vernetzte und regional agierende Skinheadgruppen. Aus ebendiesem Spektrum rekrutiert sich ein Teil der in die staatlich organisierte Territorialverteidigung drängenden Milizionäre.

Daneben hat sich mit der Modepartei Kukiz’15 eine typische „postmoderne“ rechte Kraft im Parteienspektrum etabliert, die durchaus mit den rechtspopulistischen Parteien Westeuropas – mit FPÖ, SVP oder AfD – verglichen werden kann. Die „Führerpartei“ konnte bei den letzten Parlamentswahlen aus dem Stand 9 Prozent der Stimmen holen, wobei sie keine eindeutige ideologische Festlegung vornimmt und sich selber als Heimat unterschiedlicher politisch rechter, „patriotischer“ Strömungen versteht. Gegründet wurde die auf glatte, gewissermaßen „warenkonforme“ Ästhetik setzende Partei vom ehemaligen Rockmusiker Paweł Kukiz, der einen autoritären politischen Kurs verfolgt: inklusive der Propagierung einer starken Führung, Forderungen nach dem Mehrheitswahlrecht sowie antieuropäischer, antiliberaler und antideutscher Positionen. Kukiz war ursprünglich rechtsliberal ausgerichtet, er hat sogar mit der Bürgerplattform PO des Donald Tusk zwischen 2005 und 2007 zusammengearbeitet. Sein großer Rechtsschwenk erfolgte 2010 im Zuge der Auseinandersetzungen mit Erika Steinbach und dem deutschen Revanchismus. Die gewissermaßen zivile Fassade der Bewegung täuscht aber über die mitunter rechtsextremistischen Kräfte hinweg, die in der Sammelpartei eine politische Heimat fanden. Während des Wahlkampfes arbeitete Kukiz’15 auch mit den Nazis des militanten Ruch Narodowy (Volksbewegung) zusammen, die im Gegenzug für ihre Wahlkampfhilfe etliche aussichtsreiche Listenplätze zugesprochen bekamen – und nun fünf der 42 Parlamentsplätze von Kukiz’15 im polnischen Sejm besetzen.

Die Verflechtung zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist charakteristisch für die polnische Rechte, die derzeit bemüht ist, Polen in eine Postdemokratie zu transformieren: Die Institutionen der bürgerlichen Demokratie sind noch vorhanden, aber sie stellen bloße Attrappen dar, hinter denen gnadenlose Machtpolitik, autoritäre Tendenzen und Konkurrenzkämpfe von Rackets und Seilschaften toben. Insbesondere der eingangs erwähnte Aufbau der – von rechten Kräften durchsetzten – Territorialverteidigung hat das Potenzial, in Wechselwirkung mit der Krisendynamik der Faschisierung Polens Vorschub zu leisten. Es ist gut möglich, dass beim nächsten Krisenschub die rechte Miliz nicht zur Abwehr äußerer Bedrohungen, sondern zur Niederschlagung innerer Oppositionskräfte eingesetzt wird.

 

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