In der Drangsalierung hängen

Beobachtungen und Notizen zu einem Arbeitslosen-Experiment im Oberen Waldviertel

von Franz Schandl

Heidenreichstein ist eine verletzte Stadt. Vor allem nach dem Zusammenbruch der Industrie Ende der Siebziger-/Anfang der Achtzigerjahre hat sich der Ort im Oberen Waldviertel nie mehr richtig erholt. Dieser Wechsel von Aufstieg und Abstieg erfolgte als schroffer Bruch, der mental nur durch Jammern oder Verdrängen bearbeitet werden konnte. Überalterung und Bevölkerungsschwund sind deutlich sichtbar. Hoch hingegen ist die Arbeitslosenrate.

Sinnvoll tätig sein

Seit April 2017 läuft hier nun das Projekt „Sinnvoll tätig sein“ (STS)*, das jenseits gängiger Disziplinierungsmuster versucht, über 40 Langzeitarbeitslosen Perspektiven zu eröffnen, die sich doch von obligaten Anforderungen und Erwartungshaltungen unterscheiden. Geleitet wird dieses Projekt (siehe: www.bsowv.at/sites/default/files/sts_folder.pdf), das offiziell als AMS-Kurs firmiert, von Karl Immervoll und der Betriebsseelsorge Oberes Waldviertel, die mit ähnlichen (wenn auch kleineren) Initiativen schon einschlägige Erfahrungen gemacht haben. Arbeitslose sollen nicht als Fälle oder gar Problemfälle wahrgenommenen werden, sondern als Menschen. Natürlich geht es auch um Arbeit und Arbeitsplatz, aber konzentriert geht es um die Personen selbst. Nicht Was sollen wir? ist die entscheidende Frage, sondern Was wollen wir? Was will ich?

In einem ersten Zwischenbericht schreibt Immervoll: „Die Befreiung von Ängsten und Druck ist ein Prozess. Trotzdem: 18 Monate von den Vorgängen rund um die Arbeitssuche befreit zu sein, Zeit zu haben, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Für manche bedeutet das, zum ersten Mal in ihrem Leben sich die Frage zu stellen: Was ist mein Weg? Generell ist das für alle eine neue Lebenssituation. Die Frage, was denn jetzt wirklich zu tun ist, verunsichert. Denn es stellt den Arbeitsbegriff auf den Kopf: Arbeit war bisher etwas, was jemand aus einem ökonomischen Interesse heraus von mir verlangt, und ich, indem ich es tue, dafür entlohnt werde. Nun heißt es: Entwickle deine Fähigkeiten und teile sie mit anderen, indem du sie in die Gesellschaft einbringst!“ Und Immervoll weiter: „Hier brauchst du dich nicht zu rechtfertigen. Es ist in Ordnung, so wie du bist. Dein Bemühen, dein Tun wird von uns keiner Wertung unterzogen. Hier bist du als Mensch geschätzt, und wir haben die Zeit zu schauen, was du brauchst, und machen uns gemeinsam auf den Weg. Wir nehmen uns Zeit und hören zu. Unser Gegenüber spürt und schätzt, dass sie/er für uns keine Nummer ist.“

So fungiert der Arbeitslosenbezug tatsächlich für eineinhalb Jahre ähnlich einem garantierten Grundeinkommen. An den finanziellen Begrenzungen für die Betroffenen ändert sich zwar nichts, was sich aber fundamental ändert, ist das restriktive Rundherum. Der Charme besteht darin, nicht ständig Angst haben zu müssen, dass die soziale Absicherung auszufallen droht. Das ist auch der Punkt, der von den Teilnehmern am meisten geschätzt wird. Verbindlich erwartet werden lediglich Tagebücher über die Zeitverwendung, die wissenschaftlich ausgewertet werden sollen.

Ziemlich unterschiedliche Typen frequentieren diesen Kurs. Die Truppe ist bunt, da tummeln sich Frauen und Männer im Alter von 20 bis 60, Personen, die einen akademischen Abschluss haben, bis hin zu solchen, die kaum lesen können. Manche haben 40 Jahre Lohnarbeit hinter sich, andere sind aus diversen Gründen zwischenzeitlich ausgestiegen. Da finden sich Jugendliche, die noch nie so richtig in einem Arbeitsverhältnis angekommen sind, oder Menschen, die aufgrund schwerer körperlicher Beeinträchtigungen (z.B. Unfällen, chronischen Erkrankungen) keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Physisch und psychisch geschwächt sind freilich die meisten.

Wichtig ist zudem die Begleitgruppe, die deshalb installiert wurde, damit die Assoziationen in der Bevölkerung von dem, was in diesem Experiment getrieben wird, nicht einer brodelnden Gerüchteküche überlassen bleiben. Vierteljährlich treffen sich potenzielle Mentoren aus der Gemeinde mit dem Betreuungsteam, um über das Projekt, seine Entwicklung und seine Hemmnisse zu sprechen. Jene sollen vor allem auf dem neuesten Stand gehalten werden, auch via Netz. Sie sind Empfänger und Sender in einem. Wer will, kann mitmachen. Hier geht es zweifellos um Hegemonie, das Projekt soll ja nicht neben oder gar gegen die ansässige Bevölkerung laufen, es möchte vielmehr Verständnis oder zumindest Toleranz wecken. Vorurteile sollen aufbereitet und auf ein erträgliches Minimum reduziert werden. Insgesamt sind das ungefähr 40 Vertrauenspersonen, also wiederum ein Prozent der kleinstädtischen Einwohnerschaft. Samt den Arbeitslosen sind also schon satte 2 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt im Experiment veranschlagt. Das Projekt ist überschaubar, bezogen auf die Gemeindegröße von 4000 Einwohnern indes alles andere als klein.

Drangsaliert und …

Im Zwischenbericht des Projekts heißt es: „Arbeitslosigkeit erzeugt Druck, am größten seitens der Gesellschaft. Die obligate Frage bei Begegnungen, was man denn jetzt beruflich mache, drängt in die Isolation. Niemand will als Versager dastehen, vor allem wenn der Zustand der Arbeitslosigkeit schon länger andauert. Dazu kommen die Termine beim AMS. Allzu oft erleben wir, dass Menschen schon Tage zuvor in ‚alle Umstände‘ verfallen, wenn sie die Notstandshilfe verlängern müssen, aber auch jeder Kontrolltermin verunsichert: Werde ich wo angewiesen, muss ich in eine Schulung …? Vorstellungsgespräche sind in der Regel mühsam, weil die meisten Betriebe niemand brauchen. Man geht halt hin, weil man muss, weil man Bewerbungen vorweisen soll.“

Ein Widerspruch ist offensichtlich. Arbeit wird eingefordert, kann aber nicht ausreichend angeboten werden. Ist man erwerbslos und auf soziale Unterstützung angewiesen, dann wird man unter Kuratel gestellt und verwaltet. Die Vormundschaft durch das AMS (Arbeitsmarktservice) ist anstrengend und demütigend, man darf dies und jenes nicht, vor allem hat man Arbeitsbereitschaft zu demonstrieren und zu vorgegebenen Zeitpunkten (Vorstellungsgespräche, AMS-Kontrolltermine) zur Verfügung zu stehen. Widrigenfalls drohen Sanktionen. Eins disponiert nicht mehr, eins wird disponiert. Man hat sich nicht mehr selbst, ist angewiesen und aufgrund der Abhängigkeit von Zahlungen (Arbeitslose, Notstand, Mindestsicherung) auch entsprechend erbötig. Das prägt.

„Gleichzeitig ist die Verweigerung von Erwerbsarbeit und langanhaltende Arbeitslosigkeit ein Ausschluss aus der Gesellschaft und damit Verweigerung von Anerkennung.“ (Immervoll) Was Anerkennung betrifft, sind Arbeitslose Mangelwesen. Arbeitslose werden ausgesondert. Sie müssen daher einer Sonderbehandlung zugeführt werden. Von den Betroffenen wird dies als Deklassierung erlebt, als Entwertung und Entwürdigung. Arbeitslose spielen beim Wettbewerb fortan in der untersten Liga. Sie gelten als abgestiegen und unbrauchbar. Das spüren sie auch, und man lässt es sie spüren. Konsequenz ist ein Prozess permanenter Drangsalierung.

Die psychische Tortur ist das Ergebnis einer Struktur, nicht einer Attacke. Im Prinzip agiert das AMS-Personal hinter dem Schalter nicht mutwillig oder gar böswillig, sondern funktional. Es erfüllt seine Aufgaben. Vor dem Pult und hinter dem Pult, das ist zwar eine Situation, aber je nachdem, wo man steht, sind das zwei unterschiedliche Welten. Es ist keine Schikane im eigentlichen Sinn, auch wenn die Behandelten es dezidiert als solche empfinden können und es auch Willkür gibt. Feindseligkeit mag sich entwickeln, sie ist aber nicht Ursprung einer ungleichen Kommunikation, sondern ihrerseits Ausdruck sozialer Schräglagen. Keineswegs wird auf Augenhöhe kommuniziert. Dass Arbeitslose Kunden sind, ist eine unkundige Behauptung. Ideologie pur.

Man wird vorgeladen oder hat seinen Kopf ganz voll mit dem, was dort mit einem geschehen wird oder schon geschehen ist oder vielleicht auch bloß geschehen könnte. Jene Stunden sind auf jeden Fall besetztes Terrain, auch wenn man unmittelbar gar nichts zu tun hat. In der drangsalierten Zeit ist man indisponiert. Gedanken und Gefühle sind gefesselt. Es ist ein In-Not-Versetzen, ergibt sich als implizite Folge von Handlungen, es resultiert im Regelfall nicht explizit aus Aktionen. Es steht im Passiv, nicht im Aktiv: man wird drangsaliert. Synonyme wie quälen oder peinigen, sekkieren oder traktieren treffen nur teilweise das, was drangsalieren meint.

… lädiert

Lädiertes Leben meint, dass einen diese Zumutungen nicht bloß nerven, sondern merklich und regelmäßig beschädigen und verletzen. Nicht nur mental. Nicht einmal die Freizeit bleibt „frei“, da die Gedanken anderswo kreisen, in der Drangsalierung hängen, sich nicht von ihr lösen können. Man ist unter Druck, selbst wenn da niemand direkten Druck ausübt. Die Lage ist hochgradig amorph: gestaltlos, unbegreifbar, weil ungreifbar, unfassbar und daher irgendwie bedrohlich. Drangsalierung ist etwas, das man nicht einfach abschütteln kann, da sie sich in einem festgesetzt hat. Sie produziert Stress und Ohnmacht. Leute, die in einer Notlage sind, werden zusätzlich belastet. Vor allem Bewerbungen trainieren zumeist einen Leerlauf mit frustrierendem Ausgang.

In drangsalierten Zeiten ist Selbstbestimmung aufgrund der psychischen Konstellation sistiert. Man fühlt sich geknechtet, geplagt, gepeinigt, da muss unmittelbar gar nichts geschehen. Da reicht oft ein Blick, eine Geste, eine Handbewegung, ein Wort, eine Ladung, ein Bescheid, ein Gerücht. Drangsalierung erscheint nicht als Konfrontation oder Kampf, sondern als ein Verhältnis, wo man apathisch wird, aber nicht aussteigen kann. Drangsalierung ist eine chronische Belastung, nicht bloß eine akute Herausforderung. Stets wird am Selbstbewusstsein gekratzt.

Drangsalierte Zeit ist allerdings schwer zu messen. Fragen wie: Wie lange hast du gekocht? Wie lange hast du geschlafen? Wie lange warst du einkaufen? Wie lange hast du gelesen, getrunken, gefaulenzt?, sind halbwegs zu terminisieren. Man kann ihnen also eine bestimmte Dauer zuordnen. Wie lange wurdest du drangsaliert?, ist hingegen eine seltsame Frage. Bei Bedrängung und Beklemmung, noch dazu unterschiedlicher Intensität, da weiß man selten, wann sie begonnen und wann sie aufgehört haben. Mitunter fallen sie einem gar nicht mehr auf, da sie Alltag geworden sind.

Für Arbeitslose ist dieser Zustand, selbst wenn er sich nicht unmittelbar manifestiert, latent, d.h., er ist immer da, manchmal aber gut verborgen, weil verdrängt. In solchen Lagen hat man den Kopf nicht frei. Drangsalierte Zeit ist also schwer zu ermitteln, und es ist auch schwierig, derlei anderen zu vermitteln. Sie ist keine abgrenzbare Erscheinung, sondern eine übergreifende. Man kann nie genau sagen, wann und wie lange man unter welchem Druck steht. Aber es lässt sich darüber reden. In etwa: Wie oft denke ich an unangenehme Situationen die Arbeitslosigkeit betreffend? Wie oft trübt sich meine Stimmung? Häufig – gelegentlich – selten – nie? Steht dieses Denken mit Terminen und Anforderungen in unmittelbarer Verbindung? Wie sehr werden meine Zeit und mein Gefühl von solchen unangenehmen Stimmungen beschlagnahmt? Wie weit verfolgen sie mich? Träume ich davon? Wie gehe ich damit um? Und zuletzt: Wie kommen wir da raus? Dieser Zustand ist doch kein Zustand!

Hängematten für alle!

Das Wechselspiel des Ausschlusses besagt: Wer isoliert wird, isoliert sich. So gesehen leistet das Heidenreichsteiner Experiment auch Dienste an alternativer Vergemeinschaftung. Bekanntschaften werden geschlossen, Freundschaften entstehen. Sogar gemeinsame Ausflüge wurden bereits getätigt. Menschen lernen sich kennen, die sich sonst nie kennengelernt hätten. Da geht es auch um eine Rückholung in die Kommune, ohne Muster aufzuerlegen.

Eine Menge von zusätzlichen Kursangeboten steht den Arbeitslosen parallel zur Verfügung: Gesundes Essen, Erste Hilfe, Männerseminar, Schönheitsseminar, Rückenfit, Suchtprävention, Tanzen, Move your ass etc. – Die Leute sollen fitter werden. Geistig und körperlich. In erster Linie handelt es sich dabei nicht um die Erfüllung eines äußeren Anspruchs. Aktiviert werden ist zweifellos wichtig, aber es ist wichtig als Selbstzweck, nicht als Zweck. Ob es dazu führt, sich selbständig zu machen oder einen Job zu finden, ist nicht vernachlässigbar, aber sekundär. Primär geht es um Selbstermächtigung: Power to the people!

Fördern statt Fordern steht an: Statt Multiplizierung des Drucks Multiplizierung der Möglichkeiten. Was das Fordern betrifft, haben die Arbeitslosen keineswegs zu wenig abgekriegt, meist kommen zu den eigenen Anforderungen noch informelle wie formelle Erwartungshaltungen der Umgebung dazu. Gerade dieses ständige Überfordern kann in Resignation und Depression münden. Viele Betroffene sind „unvermittelbar“ und werden es wohl auch auf absehbare Zeit bleiben, da ihre Handicaps zu groß sind, um am Arbeitsmarkt absorbiert zu werden. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass selbst nach konventionellen Kriterien die „Erfolgsquote“ ansehnlich ist und es einigen gelingt, den aktuellen Status zu überwinden.

Die befreiende Potenz im STS ist auf jeden Fall größer als die Begebenheit, von der die Arbeitslosen unmittelbar befreit wurden. Schalterkonfrontationen und Vorstellungsgespräche, Zuweisungen und Abweisungen, ihnen wird entgangen. Das hat was, und jede und jeder, der je in einer solchen Situation gewesen ist, kann das nachvollziehen. Daraus folgt, dass die umliegenden Felder (Zeiten und Räume) psychisch entlastet werden. Die STS-Kursteilnehmer fühlen sich diesbezüglich alle erleichtert, und fast alle geben an, dass ihr gesundheitliches Wohlbefinden in den letzten Monaten gestiegen ist. In der Drangsalierung nicht hängenzubleiben, das wäre ein großer Schritt, wenngleich die Befreiung aktuell nur eine partielle sein kann. Schon das so zu empfinden, baut auf. Es ist jedenfalls ein Versuch, der in Ansätzen herrschaftsfreie Kommunikation durch bedingungslose Anerkennung probt.

Die Arbeitslosen sind natürlich nicht aus der Kritik ausgenommen. Feststellbar ist einerseits der Hang zu Abschottung und Distanz, zum Abtauchen, zum Noch-kleiner-Machen, zur Schicksalsergebenheit. Auffällig sind andererseits aber auch notorisch positives Denken oder explizit esoterische Muster, allesamt dazu da, persönliche und gesellschaftliche Krisen umzudeuten, ihnen Sinn zu verordnen, anstatt Kritik angedeihen zu lassen. Gelegentlich hindern einige Mehrredner die Schweigsamen an der Artikulation. Nicht vorsätzlich, aber doch effektiv. Der Politik insgesamt begegnet man mit Misstrauen, Abwehr und Verdruss. Traditionelle Institutionen (Parteien, Gewerkschaften, Kammern, Kirchen) erscheinen kaum als Partner, geschweige denn als Unterstützer eigener Anliegen. Da erwartet man wenig. Unterschiedliche intellektuelle Niveaus sind hingegen kaum ein Problem. Persönliche Konflikte in der zusammengewürfelten Gruppe sind bisher selten aufgetreten, im Gegenteil, man lernt sich kennen und schätzen. Neue soziale Kontakte entwickeln sich. Durch die Laufzeit des Projekts sind die Chancen groß, dass sie sich auch festigen.

Niemand hegt den Wunsch, Langzeitarbeitsloser zu sein oder zu werden. Dass Arbeitslose Schmarotzer sind und es sich auf unsere Kosten gut gehen lassen, was weiters bedeutet, dass es allen Arbeitslosen gefälligst schlecht zu gehen habe, sind als gemeine Volksvorurteile schlicht eine Zumutung. Die Abgehängten hängen weniger in den Hängematten als in den Seilen. Nicht nur vor diesem Hintergrund stellt sich heute tatsächlich die Frage, ob es nicht gesamtgesellschaftlich sinnvoller wäre, statt dem illusorischen „Arbeit für alle!“ das machbare „Hängematten für alle!“ zu fordern. Etwas mehr abhängen würde den Leuten sowieso nicht schaden, kämen sie doch dann auf Gedanken, die ihnen in ihrem Alltagstrott nie einfielen. Mehr Muße würde allen guttun. Den am Markt Erfolgreichen wie den Erfolglosen, wobei die Scheidung oft eine ganz zufällige ist. Eine Sichtung der Klischees und eine Erweiterung des Horizonts wären von Vorteil.

Von Arbeitslosen soll gesprochen werden, nicht über sie. Arbeitslosigkeit ist als gesellschaftliches Problem zu denken, nicht als individuelles Manko. Sorge und Hilfe und Verständnis prägen jedenfalls das Heidenreichsteiner Experiment, es ist somit keine Variante eines alternativen Zucht- und Ordnungsprogramms. Auch nicht durch die Hintertür, selbst wenn man sich möglicherweise nur zwischenzeitlich in eine Nische gerettet hat. Druck soll genommen, nicht entfacht werden. Insofern gebührt auch der Leitung des AMS Niederösterreich Respekt und Anerkennung, da es wider seine engen Daseinsverpflichtungen dieses Projekt ermöglichte. Arbeitskritik, bisher ein Feld von Theoretikern und sonstigen Phantasten, gewinnt an Statur und Terrain. Kreativität setzt Zwang nicht voraus. Der Schritt vom Müssen zum Können wäre ein großer emanzipatorischer Schritt. Und es gibt keinen Ort, an dem nicht begonnen werden könnte.

* Franz Schandl ist Teil des wissenschaftlichen Begleitprogramms von „Sinnvoll tätig sein“ (STS). Von 1985–1995 war er zudem Gemeinderat der Alternativen Liste in Heidenreichstein.

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