Das Proletariat der Äcker

Progress 4/06, S. 20, April 2006

von Andreas Exner

Die Agroindustrie hat Arbeit in weiten Bereichen rationalisiert. Zwar hat das Kapital nichts gegen Arbeit. Dass sie etwas kostet, ist ihm indes ein Problem. Deshalb setzt es Maschinen ein – oder drückt den Lohn bis auf das absolute Minimum…

Hort der Natur, Bastion der Tradition, darauf scheint sich Landwirtschaft zu reimen. Doch dieses Bild ist falsch. Tatsächlich entstand das Kapital am Land. Der englische Landadel riss sich ab dem 17. Jhdt. die Allmenden unter den Nagel. Das war der Startschuss. Dem frühen Agrarkapitalismus folgte die Ausdehnung der Arbeitsstunden auf dem Fuße. Im englischen Mittelalter dauerte der agrarische Arbeitstag noch von Sonnenaufgang bis Mittag, Muße und Pausen inbegriffen. Selbst im feudalen Russland Ende des 19. Jhdts. arbeiteten die Bauersleute nur rund 100 Tage im Jahr. Das Kapital machte damit Schluss.

Das Futter der Verwertung. Das Profitinteresse an der Landwirtschaft ist bis heute quicklebendig. Der Agrarbereich hat zudem eine strategische Bedeutung. Um Arbeitskräfte für wachsende Industrien zu gewinnen, trachtete die Wirtschaftspolitik traditionell danach, die Produktivität der Landwirtschaft zu maximieren. Nahrungsmittel wurden billiger, der „Wohlstand“ stieg, auch ohne drastische Steigerung der Löhne, und es entstanden Absatzmärkte für industrielle Konsumgüter. Es war deshalb zuerst der Staat, der mittels Agrarpolitik die Landwirtschaft rationalisierte. Grünland- und Ackerbauregionen wurden getrennt, der erdölbasierte Maschinen- und Chemieeinsatz forciert.

Die fortgesetzte Technisierung allerdings erfordert Investitionen, die sich amortisieren müssen. Die Produktivitätssteigerung erzwingt auf diese Weise Wachstum und Intensivierung der Produktion ebenso wie eine stetige Betriebsvergrößerung. Die Spezialisierung auf eine einzige Obstsorte oder wenige Feldfrüchte führt zu kurzzeitigen Arbeitsspitzen, für die eine flexible Arbeitskraft vonnöten ist. Dieser Trend wird noch durch die Konzentration der Handelsfirmen verstärkt. Denn die großen Ketten kontrollieren rund 70% des Agrarmarkts, drücken die Preise, und beschleunigen so die Rationalisierung. Was bis zur Globalisierung hauptsächlich im nationalen Rahmen stattfand, wird nun weltweit praktiziert – die Produktion fokussiert sich in den Gunstlagen des Profits: Marchfeld gegen Niederlande, Südspanien gegen Marokko. Und immer sind MigrantInnen dabei. Die entrechtete Arbeitskraft kann natürliche oder nachfragebedingte Produktionsschwankungen ausgleichen und billige Erzeugerpreise garantieren. So kommen MigrantInnen etwa bei der Obsternte zum Einsatz, wo rasch und kurzzeitig viele Arbeitskräfte nötig sind, um den Gewinn eines Jahres einzufahren. Aber auch bei der schweren Arbeit in der Gemüseproduktion, für die „inländische“ Arbeitskräfte – aller Repression von Erwerbslosen zum Trotz – weder motiviert noch entsprechend erfahren sind. In niederländischen Glashäusern etwa pflanzen Illegale bis zu 14 Stunden täglich auf einem Knie sitzend Salat – für beide Knie reicht der Platz zwischen den Pflanzreihen nicht.

Höllenarbeit. Die Arbeitsbedingungen für MigrantInnen ähneln sich in ganz Europa: Die vereinbarten Hungerlöhne – ein paar Euro in der Stunde – werden mitunter nicht oder nur zum Teil ausbezahlt, Arbeitszeiten dauern nicht selten von frühmorgens bis spät in die Nacht, Überstunden werden häufig nicht entlohnt. Meist sind die Unterkünfte miserabel und die Bezahlung erfolgt nach Erntemengen, nicht nach Arbeitsstunden. Der Fall eines Intensivbetriebs im Marchfeld ist typisch – ein ehemaliger Saisonarbeiter berichtet im Buch „Bittere Ernte“ aus vier Monaten eigener Erfahrung: Der Arbeitstag habe von 5 Uhr bis 20 Uhr, manchmal auch bis 23 Uhr gedauert, sieben Tage in der Woche. Wer zu spät kam, wurde entlassen. Pro Kilo gepflückter Erdbeeren wurden 0,22 e bezahlt – egal ob bei täglichen Erntemengen von 200-250 kg wie in Spitzenzeiten oder von nur 20-50 kg am Ende der Saison. Eine Möglichkeit, sich im Schatten auszuruhen, gab es nicht.

In der Regel fehlt den MigrantInnen jede soziale Absicherung. Ein Extremfall ist Almería in Südspanien. Corinna Milborn recherchierte für ihr Buch „Gestürmte Festung Europa“ und besuchte die Provinz: „Dort haben im Gemüseanbau 50 Prozent der 85.000 ArbeiterInnen keine Papiere und somit keinerlei Möglichkeiten sich zu wehren, selbst wenn sie einfach nicht bezahlt werden. Das ist Wahnsinn“. 20 bis 30 Euro erhalten die MigrantInnen in Almería pro Tag. Sie kommen zum Großteil aus Marokko, Schwarzafrika, Lateinamerika und Osteuropa. Bei über 50 Grad malochen sie in den Plastiktreibhäusern – für Tomaten, Erdbeeren oder Paprika in den heimischen Supermarktregalen. Vielfach hausen sie in winzigen Verschlägen aus Karton- und Plastikabfällen zwischen den pestizidverseuchten Treibhäusern. Einige werden nach mehreren Jahren solcher Schinderei geisteskrank, wie ein Arbeiter berichtet. Immer wieder gibt es Vergiftungen durch fehlenden Schutz im Umgang mit den Agrochemikalien. Dazu kommt rassistische Gewalt, die 2000 in der Stadt El Ejido explodierte. Sie prägt das Leben der MigrantInnen nach wie vor.

Quer durch Europa bahnt der Staat solcher Höllenarbeit den Weg. Traditionelle Arbeitsrechte unterhöhlt er durch Ausnahmeregelungen. Ein Beispiel ist der 2001 eingeführte ErntehelferInnenstatus in Österreich. Sein Effekt: Illegale anzuheuern zahlt sich kaum mehr aus. Denn die Betriebe sind von einem Teil der Lohnnebenkosten befreit, die Anstellung der ErntehelferInnen erfolgt problemlos. Das entsprechende Arbeitsplatzkontingent ist dem Bedarf angepasst. Dafür sorgt im Marchfeld das AMS in Gänserndorf.

Realexistierende Marktwirtschaft. Die „bäuerlichen Landwirtschaft“ zu romantisieren hilft nicht weiter. Denn sofern sich diese auf den Eigenbedarf beschränkt, bietet sie keine gesamtgesellschaftliche Perspektive. Verkauft sie ihre Erzeugnisse hingegen, ist sie wenig mehr als Vor- oder Nebenform des realexistierenden Marktes. Gewerkschaftliche Kämpfe, wie sie sich in Andalusien entwickeln, sind allerdings ein erster Schritt zum Besseren, meint Dieter Behr von der Solidaritäts-Kampagne für die Basisgewerkschaft SOC (Sindicato de Obreros/as del Campo): „Die Naturgrundlagen stehen hier vor der Erschöpfung, Marokko lockt mit noch geringeren Produktionskosten. Dem andalusischen Produktionsmodell jedenfalls droht auf lange Sicht eine schwere Krise – mitsamt den entsprechenden sozialen Konflikten. Die Gewerkschaft SOC versucht in dieser Situation offensiv eine emanzipatorische Perspektive zu entwickeln: Selbstorganisation der ArbeitsmigrantInnen, kooperative Produktion und Solidarität. „

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