Grundsatz? Ansatz? Vorsatz?

Wahlzeiten bescheren Programme, doch wozu?

von Franz Schandl

Auf die Frage, was denn ein Parteiprogramm sei, hätte man früher ungefähr so antworten können: Unter Programmen verstehen wir über die Tagesaktualität hinausgehenden Dokumente der konzentrierten inhaltlichen Selbstdarstellung, womit weiters also das Parteiprogramm als das grundlegende Dokument einer politischen Kraft zu gelten hat. Neben den Prinzipien müssen zentrale Aussagen und Forderungen formuliert werden, deren Bedeutung nicht bloß unmittelbar ist. Kürze und Präzision sind hier gefragt. Ein Programm darf nicht lang sein, es soll nicht dumm sein, es fordert Prägnanz und Stimmigkeit und muss für alle lesbar sein. Es hat sich auf das Wesentliche zu beschränken, ohne banal und nichtssagend zu werden. Es hat den Mitgliedern und Funktionären als Handlungsanleitung und Leitvorstellung und den Außenstehenden als inhaltliches Angebot zu dienen. Die Sympathisanten sollen sich akzentuiert wiederfinden.

Ein solches Dokument wäre der entschiedene Versuch, eindeutig Position zu beziehen. Sein Modus ist der Indikativ. Fragen wie: Was ist die Welt? Wie charakterisieren wir das Wesen der Gesellschaft? Wer sind wir? Wohin wollen wir? Was ist unsere Rolle in der Geschichte? Wie gehen wir es an? Wie setzen wir es durch? werden hier beantwortet. Programm meint eine eigenartige Mischung aus Erkenntnis und Bekenntnis, aus Grundsatz, Ansatz, Vorsatz.

Aber das alles ist irgendwie Schnee von gestern. Auch das Programm ist in die Jahre gekommen. Im Gatsch des politischen Alltags ist mit ihm gar wenig anzufangen. Heute folgen Programmerstellungen eher einem Usus als der Notwendigkeit, dass Parteien wirklich noch welche brauchen. Wozu auch? Im Prozess der allseitigen Annäherungen ist es zweifellos zu einer Austauschbarkeit und Verwechselbarkeit jedweder Programmatik gekommen. Man nehme nur diverse Schriftstücke, stecke sie satz- oder absatzweise in einen Zufallsgenerator und mische sie ordentlich durch. Alsdann lege man das Puzzle dem Publikum vor. Selbst der geübte und interessierte Teil desselben hätte große Schwierigkeiten, die Versatzstücke auseinander zu halten bzw. richtig zuzuordnen. Wäre was für „Wetten, dass… “

Dort, wo die Differenz erlischt, wird die Form zum allmächtigen Kriterium. Politik ist, wenn der Sachzwang regiert und die Bekenntnisse Ringelspiel fahren. Der theoretische Gehalt aktueller Programmatik ist sowieso dürftig. Zustände werden illustriert und Abhilfe versprochen. Dafür gibt es obligate Phrasen und hitverdächtige Schlagworte. Dauerlutscher haben Saison, man denke an „Zivilgesellschaft“, „Nachhaltigkeit“ oder „Reformstau“. In Programmen wird aufgeboten, was aufzubieten ist: die üblichen Floskeln, die haltlosen Formeln, die aufgeblasenen Nullaussagen. Und unentwegt singen alle Hymnen auf die Politik und stimmen ein in den Kanon der Demokratie. Da sind sich alle einig, ebenso im Unisono der Marktwirtschaft. Gestritten wird lediglich um Adjektive.

Partei- und Wahlprogramme sind Futter für den nächsten Altpapiercontainer. Natürlich gibt es auch heute noch Programme, die wichtig sind und die man analysieren sollte: Fernsehprogramme zum Beispiel. Die zeigen wie die Gesellschaft tickt, was genötigt und somit benötigt wird, um programmierte Wesen in Serie herzustellen. Aber wer braucht ein Parteiprogramm? Ein Werbespot tut’s auch.

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