Die Dritten Zähne des Antikapitalismus

Teil 1: Grundsätzliches zum Konzept eines garantierten Grundeinkommens

Streifzüge 34/2005

von Ernst Lohoff

Eine vergessen geglaubte Idee ist in den letzten Jahren aus der Versenkung aufgetaucht. Wie schon Anfang der 80er Jahre so erfreut sich auch heute wieder die Forderung nach einem „garantierten Mindesteinkommen“ großer Beliebtheit. Damals priesen die Befürworter die diversen Grundeinkommensmodelle als einen Weg aus einer auf Wachstumszwang angelegten „Industriegesellschaft“ in eine neue Ordnung. Ein Vierteljahrhundert später wird die Grundeinkommensidee als Antwort auf den verschärften Arbeitszwang und auf die laufenden Verarmungsschübe propagiert. Diese Renaissance wirft zwei Fragen auf. Zum einen: Wie ist das Konzept Grundeinkommen zu bewerten? Was taugt es? Zum anderen die eigentlich interessantere: Wie ist das Aufkommen der Idee eines garantierten Grundeinkommens überhaupt historisch zu erklären und einzuordnen? Warum kam sie vor 25 Jahren hoch und wieso stößt sie gerade heute wieder auf Resonanz?

Der in dieser Streifzüge-Nummer erscheinende 1. Teil dieses Beitrags widmet sich dem anspruchsloseren der beiden Probleme, der Bewertung der Grundeinkommensforderung. Wie ist es um die Tragfähigkeit und Schlüssigkeit des Konzepts bestellt? Wie erstrebenswert ist ein garantiertes Grundeinkommen eigentlich?

Bescheidenheit ist (k)eine Zier

Es ist völlig egal, wie hoch das garantierte Grundeinkommen ausfallen soll, ob 500, 1.000 oder 1.000.000 Euro pro Nase im Monat, es handelt sich um ein extrem bescheidenes Ziel. Natürlich wurden und werden im Kampf für bessere Lebensbedingungen stets immer auch Tagesforderungen mit äußerst beschränkter Reichweite gestellt; Arbeiter haben schon für ein paar Minuten mehr Pause oder für eine minimale Lohnerhöhung gestreikt; Umweltschützer wurden schon für den Erhalt von zehn Straßenbäumen aktiv. Noch nie in 250 Jahren Kampf gegen kapitalistische Zumutungen hat sich Opposition aber konzeptionell derart genügsam gegenüber der herrschenden Ordnung gezeigt wie heute die Freunde des garantierten Mindesteinkommens.

In allen früheren Phasen kapitalistischer Entwicklung hatten Protest und Widerstand Konzepte zum Ideenhintergrund, die auf eine grundsätzliche Veränderung der Art der Reichtumsproduktion abhoben. Wie verkürzt und problematisch die Neuordnungsvorstellungen auch waren, sie erhoben stets den Anspruch, mit einem Zustand der Entmündigung Schluss zu machen und die Menschen zu befähigen, das gesellschaftliche Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Die Grundeinkommensforderung löscht diesen Problemhorizont dagegen systematisch aus. Der emanzipatorische Sichtkreis schrumpft auf die Verteidigung des Rechts auf Warenkonsum. Eine Art staatlich garantierter ansehnlicher monatlicher Lottogewinn soll für alle sichergestellt werden.

Natürlich verbinden viele seiner Befürworter mit dem Grundeinkommen weiterreichende Erwartungen. Zumindest in Restbeständen spukt wieder die 80er-Jahre-Idee durch die Köpfe, dass seine Einführung tiefergehende Veränderungen einleiten würde. Auf das Grundeinkommen gestützt, so die Hoffnung, könnten Menschen ein soziales Leben jenseits von Konsum und Arbeit entwickeln. Endlich könnten auch anderen Tätigkeiten als der Erwerbsarbeit die ihnen gebührende Anerkennung zuteil werden. Dass die Grundeinkommensbefürworter gesellschaftlichen Reichtum mit größter Selbstverständlichkeit als Geldreichtum einklagen und offenbar unterstellen, bis zum Ende aller Tage würde sich Reichtum in Geldreichtum verwandeln, macht aus diesem Anspruch indes bloßes Wunschdenken und reine Absichtserklärung. Die Zentralität von Erwerb und kapitalistischer Produktion, von der das Grundeinkommen die Einzelnen frei machen soll, ist gesamtgesellschaftlich als unhintergehbar unterstellt. Ad ultimo muss sich Reichtum erfolgreich auf Warenreichtum reduzieren, ansonsten häuft sich die monetäre Verfügungsmasse, aus der das Grundeinkommen bestritten werden soll, gar nicht an. Das mittlerweile von den Grundeinkommensbefürwortern bezeichnenderweise nur mehr gelegentlich beschworene Reich jenseits von Konsum und Erwerbsarbeit wird nie den strukturellen Hobbykeller-Status los.

Im schlechten Sinne utopisch

Es wäre abstrus der Grundeinkommensdiskussion vorzuwerfen, dass sie monetäre Umverteilung einklagt. Solange die Warengesellschaft nicht überwunden ist, solange die Instanz des Staates noch existiert, kommen emanzipatorische Bewegungen im Kampf um den stofflichen Reichtum gar nicht umhin, Forderungen zu stellen, die auch eine monetäre Komponente enthalten. Bei der Grundeinkommensdiskussion gerät aber der gesellschaftliche Boden, den soziale Auseinandersetzungen nun einmal nicht einfach wegwünschen können, fatalerweise zum oppositionellen Bewusstseinshorizont. Das ist ihre Crux.

Der emanzipative Anspruch der Grundeinkommensdebatte ist nicht sehr weitreichend. Die meisten Vertreter räumen das auch bereitwillig ein. Bedeutet das aber, dass sie sich mit einem reichlich bemessen Grundeinkommen für alle wenigstens ein umsetzbares Ziel setzt? Nicht unbedingt. Weil die Grundeinkommensdiskussion radikalere Konsequenzen scheut, sieht sie in der Warengesellschaft Chancen und Möglichkeiten, die sie in dieser Form gar nicht bereit hält. Die Grundeinkommensdebatte hat über weite Strecken einen schlecht utopischen Charakter. Schuld daran sind nicht bloß die berühmten „gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse“. Auch scheitert das Modell eines üppigen Grundeinkommens nicht erst daran, dass es auf einen Nationalstaat angewiesen wäre, der sich höchster Gestaltungsfähigkeit erfreut, einer Voraussetzung, die von der Globalisierung eben beseitigt wird. Die Grundeinkommensdebatte hat schlecht-utopische Züge, weil sie die Basisillusionen des warengesellschaftlich konditionierten Wald- und Wiesenverstands teil. Sie entwirft auf deren Grundlage das Bild einer Zukunftsgesellschaft, die es logisch gar nicht geben kann.

Money Makes the World Go Round

Die Warengesellschaft versteht sich als Inbegriff einer reichen Gesellschaft und beansprucht den menschlichen Wohlstand zu maximieren. Auf zwei Wegen täuscht sich das herrschende Bewusstsein über das Restriktive des warengesellschaftlichen Reichtums hinweg. Zum einen halluziniert es die strukturellen Beschränkungen einfach weg; zum anderen akzeptiert es die Armseligkeit des warengesellschaftlichen Reichtums als allgemeines Merkmal von Reichtum überhaupt. Die Grundeinkommensdiskussion hebt sich vom Mainstream durch eine Veränderung des Mischungsverhältnisses beider Momente ab. Sie konzentriert sich mehr auf das Halluzinieren. Die hässliche kapitalistische Wirklichkeit könnte so viel schöner sein, würden die warengesellschaftlichen Instrumentarien nicht von blinden Politikern und kurzsichtigen Wirtschaftsführern falsch angewandt.

Es obliegt dem Medium des Geldes, die Reduktion des gesellschaftlichen Reichtums auf Warenreichtum und damit auf eine Darstellungsform von abstraktem Reichtum als Reichtum an Wert zu vermitteln. Das herrschende Bewusstsein kaschiert den repressiven Charakter des Warenreichtums, indem es sicherheitshalber die Rolle des Geldes gründlich missversteht. An diesem zentralen Punkt unterscheidet sich die den Grundeinkommenskonzepten zugrundeliegende Vorstellungswelt keinen Deut vom üblichen apologetischen Verständnis. Volksmund und Volkswirtschaftslehre preisen das Geld als den unentbehrlichen, universellen Schmierstoff, der im Großen wie im Kleinen den gesellschaftlichen Betrieb erst möglich macht und in Gang hält. Und auch der Grundeinkommensdiskussion ist es ganz selbstverständlich: „Money makes the world go round“. Bei diesem Loblied fällt unter den Tisch, dass das „Geld-Machen“ zugleich und vor allem den eigentlichen Inhalt dieser Gesellschaft bildet. Seine Gleitmittelfunktion erfüllt das Geld letztlich nur, soweit es bei der Erfüllung dieser Aufgabe seine eigene Selbstvermehrung vermitteln kann. Mit dem Geld hält dessen Besitzer keineswegs ein „neutrales“ Instrument in Händen, bei dem es nur darauf ankäme, ob es für die „richtigen“ oder für die „falschen“ Zwecke eingesetzt wird. Das Geld ist im kapitalistischen Gesamtbetrieb vielmehr Produkt aller Produkte, Rohstoff, Maschine und Schmierstoff, alles in einem. Genau auf die beliebige Verwendbarkeit des Geldes jenseits des Zwangs zur Selbstvermehrung aber setzt die Grundeinkommensdiskussion.

Damit aber nicht genug. Indem sie automatisch Reichtum als Geldreichtum denkt, abstrahiert die Grundeinkommensdebatte davon, dass es sich bei der Unerlässlichkeit des Geldes um eine historisch relative Unerlässlichkeit handelt. Damit abstrahiert sie jedoch zugleich von der für die Omnipräsenz des Geldes verantwortlichen gesellschaftlichen Konstellation. Allein die Auflösung der Gesellschaft in voneinander getrennte und isolierte Warenbesitzer, nicht der hohe Vergesellschaftungsgrad als solcher, macht den modernen Menschen vom Geld abhängiger als den Junkie von der Nadel. Der Schrei nach „genug Geld“ lenkt vom asozial-ungesellschaftlichen Grundcharakter der Warengesellschaft ab bzw. verharmlost ihn zu einer Frage bloßen politischen Managements.

Lasst dem Kapital, was des Kapitals ist!

Die Verwandlung in Warenreichtum macht aus der Beziehung zum gesellschaftlichen Reichtum eine extrem restriktive Beziehung. Das betrifft zunächst einmal das Verhältnis zur gesellschaftlichen Reichtumsproduktion. Gleich zwei Zugangsbarrieren schieben sich vor die Teilhabe an ihr. Zum einen muss der Mitproduzent in spe aus seinem „produktiven Vermögen“ selber eine Ware machen. Statt der freien Betätigung der eigenen kreativen Möglichkeiten zum Nutzen der Gesellschaft ist die Selbstzurichtung zum Humankapital angesagt. Und auch diese (selbst)verstümmelten produktiven Potenzen kann er zweitens nur dann tatsächlich betätigen, wenn er seine Ware anschließend auch erfolgreich an den Mann gebracht hat und sie in eine einzelbetriebswirtschaftliche Vernutzungsbewegung eingeht.

Den Vertretern der Grundeinkommensforderung ist diese Restriktion nicht ganz unbekannt. Es kommt ihnen aber nicht in den Sinn, in der Subsumtion der Reichtumsproduktion unter die einzelbetriebliche Verwertung ein grundsätzliches Problem zu erkennen. Gleichzeitig verkehrt sich der Zwang zur Selbstzurichtung zumindest implizit zum Argument für die Vorzüge einer Hobbykeller-Existenz. Frei nach dem Motto „Lasst die kapitalistische Produktion kapitalistische Produktion sein! „, wird der Verwertungsbetrieb nicht in Frage gestellt. Vielmehr soll sich durch die Reißbrettkonstruktion einer neuen sozialen Umgebung, die den Verwertungsimperativ voraussetzt und gleichzeitig ignoriert, alles automatisch zum Guten wenden. Bei einem durch und durch imperialen System wie dem herrschenden ein recht blauäugiges Unterfangen.

Der Konsum als die wahre Quelle des Werts

In der Warengesellschaft unterliegt auch der Gebrauch des gesellschaftlichen Reichtums einschneidenden Beschränkungen. So etwas wie Bedürfniserfüllung sieht die kapitalistische Logik allein dann vor, wenn sie Gelegenheit zur Realisation von Profiten bietet. Mit Bedürfnissen, die sich nicht durch Warenkonsum befriedigen lassen, weiß sie von vornherein nichts anzufangen. Zu dieser qualitativen Einschränkung kommt eine quantitative hinzu: Zahlungsfähigkeit bzw. Kreditwürdigkeit limitieren den Zugang zu dem auf Waren zusammengekürzten Reichtum. Weder die vorhandenen Bedürfnisse noch die Menge der verfügbaren Güter bestimmen den Umfang der Konsumtion, sondern ausschließlich die Höhe der Geldsumme, die Menschen zur Verfügung steht.

Dieser zweite Teil der Verteilungsrestriktion bildet für die Grundeinkommensforderung offenbar den Dreh- und Angelpunkt. Er ist das Zentralübel des Kapitalismus, dem alle anderen Übel untergeordnet sind. Der Kapitalismus wäre gar keine so schlechte Gesellschaft, wenn alle nur genug Geld zur Verfügung hätten. Ein simples Missverständnis erlaubt es, die Vermehrung der Einkommen qua staatlicher Geldzuteilung als Königsweg hin zu diesem deutlich verbesserten Kapitalismus zu verkaufen: die Verwechslung einzelkapitalistischer Profitrealisation mit gesamtgesellschaftlicher Wertrealisation. Weil es für den einzelnen Warenproduzenten völlig egal ist, ob der potentielle Käufer sein Geld hart erarbeitet, geschenkt bekommen oder auf der Straße gefunden hat, soll das gesamtgesellschaftlich genauso gleichgültig sein. Die Realisation von Profiten verkehrt sich zur eigentlichen Profitproduktion, der Konsument zur wahren Quelle aller Profite.

In der Regel kolportiert die Grundeinkommensdiskussion lediglich die verdrehten und apologetischen Vorstellungen, die sich Volksmund und Volkswirtschaftslehre von der Warengesellschaft machen. Was das Verhältnis von Konsum und Produktion angeht, hat sie dagegen eine avantgardistische Rolle inne. So konsequent wird dieser Zusammenhang ansonsten selten auf den Kopf gestellt.

Die Realisation von Wert ist grundsätzlich dessen Produktion logisch wie funktional nachgeordnet. Die Degradierung zum Konsumautomaten ergänzt das Primäre, die Degradierung zur Arbeitsmaschine. Natürlich gibt es in allen kapitalistischen Gesellschaften soziale Gruppen, die an der Konsumtion, aber nicht an der Schaffung des Warenreichtums teilhaben. Rentner, Arbeitslosengeldempfänger und andere Bezieher von Transferleistungen kaufen, ohne gleichzeitig erfolgreich ihre Haut auf den Arbeitsmarkt zu tragen. Das kann gesamtgesellschaftlich aber immer nur die Ausnahme sein und nie die Regel. Die Produktion von Warenreichtum bleibt gegenüber dem Konsum von Warenreichtum das Übergeordnete und Übergreifende. Das betrifft wohlgemerkt nicht nur die stoffliche Seite der Waren (wie in allen Gesellschaften können auch in der kapitalistischen nur Karotten gegessen werden, die vorher gepflanzt, gepflegt und abgeerntet wurden), das gilt ebenso für die Wertseite, die den spezifischen Charakter des kapitalistischen Reichtums ausmacht. Gesamtgesellschaftlich betrachtet geht der Entwertung von Waren im Konsum allemal Wertschöpfung in der Produktion voraus.

Wertreichtum und stofflicher Reichtum,

Volksmund und Volkswirtschaft schwanken, ob sie Konsum und Produktion als gleichberechtigte Momente behandeln oder einer Seite den Primat zugestehen sollen. Die Grundeinkommensdiskussion macht offen oder unter der Hand die Konsumtion zum übergreifenden Gesichtspunkt. Eine ernsthafte Kapitalismusanalyse muss am umgekehrten Zusammenhang festhalten. Auf den ersten Blick scheint sie damit nur auf einer Banalität herumzureiten, diese Banalität hat aber durchaus weitreichende Implikationen.

In zweierlei Hinsicht hat sich die Warengesellschaft bereits als Feindin von entpuppt. Sie kennt außer Warenreichtum überhaupt keinen Reichtum und sie macht den Zugang zum Warenreichtum von der Zahlungsfähigkeit abhängig statt von den Bedürfnissen der Menschen. Dem Primat der Produktion über die Konsumtion entspringt aber noch eine dritte harsche Restriktion: Die Warengesellschaft setzt trotz ihres produktivistischen Drangs auch ihrem genuinen Reichtum eine innere Schranke. Die Wertkonsumtion hat an sich selber keine Obergrenze, die gesamtgesellschaftliche Wertproduktion dagegen sehr wohl.

Der warenfetischistische Schein mag das Gegenteil suggerieren und die Volkswirtschaftsmythologie stur das Gegenteil behaupten, die Fähigkeit zur Wertschöpfung ist jedoch keine dem Kapital als technischem Apparat innewohnende Eigenschaft. Weil sich in der Erzeugung von Wert spezifische gesellschaftliche Beziehungen paradoxerweise als Dingeigenschaften niederschlagen, bleibt diese Erzeugung an die für die Warengesellschaft basale Praxisform der Arbeit gebunden und findet in der zeitlich bestimmten produktiven Verausgabung von Muskel, Nerv und Hirn ihr quantitatives Maß. Der gesamtgesellschaftlich verfügbare abstrakte Reichtum bleibt von der Masse der auf dem jeweils gültigen gesellschaftlichen Produktivitätsniveau vernutzbaren lebendigen Arbeit abhängig; er wächst also keineswegs parallel zur Produktivkraftentwicklung, sondern vermindert sich auf einer bestimmten Entwicklungsstufe sogar rapide gerade aufgrund neuer Produktivitätsschübe.

In der Vergangenheit blieb die Ausdehnung der Wertproduktion beharrlich hinter dem Wachstum der stofflichen Güterberge zurück. Im Zeitalter der mikroelektronischen Revolution öffnet sich die Schere zwischen stofflicher Produktion und Wertproduktion immer weiter. Immer mehr stoffliche Produkte können ausgestoßen werden, die immer weniger Wert darstellen.

Eingeprägtes Verfallsdatum

Die Illusionen der Grundeinkommensbefürworter setzen stur die tief im warengesellschaftlichen Bewusstsein verwurzelte Verwechslung von stofflichem Reichtum und Geldreichtum fort und treiben sie auf die Spitze. Völlig zu Recht stellen die Vertreter des Grundeinkommens heraus, dass diese Gesellschaft Güter im Überfluss produzieren kann und produziert. Und schon meinen sie, den unumstößlichen Beweis in Händen zu halten: Die Warengesellschaft kann ohne weiteres den in ihr obligaten, idiotischen Umweg zu dieser Güterfülle, den Umweg über das Geld, all ihren Mitgliedern garantieren. Aus zwei unterschiedlichen Paar Stiefeln ist ein Paar Stiefel geworden.

Seine Scheinevidenz verdankt dieses Quidproquo einem historisch neuartigen, die weltwirtschaftliche Entwicklung seit den 80er Jahren prägenden Phänomen: dem jobless growth. In den letzten 25 Jahren schwollen weltweit die Geldvermögen an, ohne dass dies auf ein Wachsen der Masse produktiv vernutzter Arbeit zurückgegangen wäre. Das bereits erreichte groteske Ausmaß der Diskrepanz zwischen stofflicher Produktion und Wertproduktion blieb unsichtbar. Für dieses Mirakel ist allein die explosionsartige Zunahme fiktiver Kapitalverwertung verantwortlich. Sie hat an die Stelle realer Arbeitsvernutzung den spekulativen Vorgriff auf künftige Arbeitsvernutzung gesetzt. Das Kapital hat sich von der immer schmäler werdenden gegenwärtigen Arbeitsbasis emanzipiert, um sich in heillose Abhängigkeit von ungedeckten Vernutzungserwartungen zu begeben. Der kasinokapitalistische Boom setzt die Identität von Wertproduktion und produktiver Arbeitsvernutzung nicht außer Kraft, er streckt sie aber zeitlich.

Die Natureigenschaft von Computern und Aktien, auf die gleiche Weise Wert und Profit abzuwerfen wie Birnbäume Birnen tragen (Marx), bleibt falscher Schein. Das gesellschaftliche Verhältnis, das diesen Schein erzeugt, hat nur eine Schleife mehr bekommen. Ihre vermeintliche Wunderkraft beruht auf viel prekäreren Grundlagen als die Fähigkeiten von Dampfmaschine und Fließband in dieser Disziplin.

Ebenso unberührt bleibt die Abhängigkeit der gesellschaftlichen Gesamtkonsumtion. Solange das spekulative Vorgriffspiel trägt, ist die Abhängigkeit von der realen Wertverwertung lediglich durch die von der fiktiven Wertproduktion ersetzt. Sie muss gesamtgesellschaftlich auf das durch die reale Wertproduktion vorgegebene Niveau abstürzen, sobald sich die nur überspielte, aber nicht außer Kraft gesetzte Grenze realer Verwertung gewaltsam Geltung verschaffen. Der Idee von Wohlstand für alle auf dem Boden der Warengesellschaft durch ein reichlich bemessenes garantiertes Grundeinkommen ist daher ihr Verfallsdatum schon eingeprägt.

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