Import und Export

von Franz Schandl

Kriminalität ist zu einem wahren Medienhit geworden. Während man jedoch über den Import dauernd redet, redet niemand über den Export. Dieser stellt freilich jenen weit in den Schatten. Raub-Touristen wie diese Banden genannt werden, gibt es in beiden Richtungen, und dreimal darf man raten, wer mehr wo abcasht.

Selten, aber doch gibt es auch solche Meldungen: „Wirtschaftskriminalität boomt“ schlagzeilte der Wiener „Standard“ am 16. Oktober: „EU-Subventions- und Anlagebetrug sowie Scheinfirmen sind die neuen Trends“: „Betrüger im Nadelstreif aus der , alten‘ EU haben die neuen Mitgliedsstaaten im Osten als lukratives Beschäftigungsfeld entdeckt. Die Schäden, die sie dort anrichten, übersteigen die Massendelikte wie Ladendiebstahl oder Handyraub, die Gauner aus dem Osten in Österreich verüben, bei weitem.“ Gesetzt wird auf große Coups, mit Lappalien gibt man sich erst gar nicht zufrieden. Meist tun sich die Westler als Vermögensberater hervor, die mit korrupten Abzockern vor Ort gemeinsame Sache machen. Der Großteil der Beute wird exportiert oder von hier aus betrachtet: importiert. Wenn man es schon in der nationalen Unsprache ausdrücken will, hieße es: Nicht wir müssen uns vor den Rumänen fürchten, sondern die Rumänen vor uns.“

Wie der Begriff schon sagt, schlucken arme Schlucker wenig. Reiche Schlucker stopfen hingegen ein gar Vielfaches in sich hinein. Drohen letztere eher zu ersticken, so erstere zu verhungern. Diese Differenz muss man sich in der Beurteilung der jeweiligen Kriminalität stets vor Augen halten. Beide werden aber von der Konkurrenz erzeugt und betrieben, wenngleich nicht mehr auf der Ebene des Vertrags. Da ist für arme Schlucker wenig zu holen, und auch für die reichen Brüder wird es immer schwieriger legale Springquellen der Profite zu entdecken.

Dass der Kapitalismus auf Raub und Erpressung beruht, nehmen manche Ost- und Südkriminelle ganz wortwörtlich. Was man ihnen vortäuscht, die Erzielung ordentlicher Gewinne durch ordentliche Arbeit, das können sie nicht verwirklichen, daher substituieren nicht wenige es brachial. Natürlich ist die wilde Aneignung der kleinen Diebe unabhängig von irgendwelcher Nationalität zumeist Regression, sie ist nicht von emanzipativem Bewusstsein getragen, sondern verliert sich im Instinkt einer Existenz, dem es selbstverständlich erscheint über Leichen anderer zu gehen.

Das Verbrechen ist eine konstitutionelle Größe der kapitalistischen Gesellschaft, nicht eine wider sie. In den aktuellen Tendenzen kommt immer deutlicher auch die Verunmöglichung der Akkumulation und somit obligater Rechtsgeschäfte zu sich. Der Mangel an Verwertungsmöglichkeiten lässt neben der Spekulation die Gewalt wachsen. Kapitalismus im fortgeschrittenen Stadium seiner Zersetzung demonstriert, dass an seinem Ende steht, was an seinem Anfang stand: marodierende Banden. Aber auch hier liegt die Zivilisation, was die Effektivität betrifft, weit vor den Barbaren, die da mit hinterwäldlerischen Methoden ihre Beutezüge und Überfälle veranstalten. Sind sie im Einzelfall zweifellos nicht nur eine Belästigung, sondern eine Bedrohung für die unmittelbar Enteigneten, so stellen sie als Summe im Vergleich nur Peanuts dar.

Wer hätte es nicht ahnen können? Die Guten sind auch beim Bösen die Besseren. Wenn die Barbarei mit der Zivilisation in den Wettstreit tritt, wo denn die größeren Barbaren sind, hat erstere gegen letztere kaum Chancen. Was ist auch ein Ladendiebstahl, ja ein Banküberfall gegen ein Joint venture?

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