REICHTUM UND ARMUT

Flugblatt zur Gewerkschaftsdemonstration in Wien vom 13.5.03

Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt. Zumindest geht dies aus Stati-stiken und entsprechenden Aussendungen der Presse hervor und wird immer wieder erwähnt, damit wir uns alle anstrengen, damit es so bleibt.

Für diesen Reichtum müssen wir Opfer bringen, den Gürtel enger schnallen, die Zukunft sichern. So sagt es die Regierung, so glauben es alle anderen. Eine gerechte Pensionsreform ist unbestritten.

Es ist Zeit, mit dem gesunden Menschen-verstand aufzuhören und das alltäglich Erfahrene einmal grundsätzlich in Frage zu stellen.

Da ist zum Beispiel die Frage nach dem Reichtum selbst

Wie kann es sein, dass sich Leute in einem der reichsten Länder der Welt von der Armut bedroht fühlen? Wo ist denn dieser sagenhafte Reichtum, wer verfügt über ihn, welche Gestalt hat dieser Reichtum und wie sieht er aus?

Nun kann unserer Meinung nach von Reichtum nur gesprochen werden, wenn er allgemein und konkret ist, oder mit ein-fachen Worten: Luxus für alle. Reichtum ist das Gegenteil von Sparen. Wer reich ist, muss nicht sparen. Warum reden in einem der reichsten Länder alle vom Sparen?

Dies hängt mit dem Charakter unseres Reichtums zusammen. Es ist ein Reichtum, dessen Inhalt nicht von uns gefasst wer-den kann, der von uns nicht fassbar ist. Zuwachsraten des Nationalprodukts ma-chen sich in keiner privaten Brieftasche bemerkbar, das Jammern über den Cha-rakter des Geldes ist allgemein und gilt auch für die wenigen im Luxus Lebenden. Gemessen an den Beträgen, die sie um-wälzen, verwalten, zum Arbeiten bringen, ist ihr persönliches Salär (Schloss hin oder her) gering, und oft genug müssen sie zur Finanzierung privater Ausgaben Kredite aufnehmen.

Das führt zur Frage nach dem Wesen des Geldes.

Das Wesen des Geldes ist, knapp zu sein. In diesem Satz treffen sich die alltäglichen Erfahrungen mit dem, was Kapitalismus ausmacht. Das Geld ist kein Reichtum, sondern bloß Transportmittel des Reich-tums. So wie ein Fuhrpark, der in der Re-mise steht, kein Transportmittel ist, ist Geld in der Brieftasche kein Transport-mittel. Geld dient dazu, die Güter und Waren zu vermitteln.

Der Rubel muss rollen, er darf nicht im Hosensack vermodern. Wer viel Geld auf der hohen Kante hat, macht sich sozial verdächtig. Das Geld gehört in die Wirt-schaft, nicht in den Sparstrumpf. Wer etwas konsumieren will, hat dafür gefäl-ligst zu bezahlen, was das Zeug wert ist, und zwar so, dass ihm nicht allzu viel übrig bleibt; will dann noch was erworben und konsumiert werden, dann um den Preis, dass Geld erst wieder beschafft werden muss – durch erneute wirtschaft-liche Anstrengung, durch Arbeit. So wird die Arbeit zur Kehrseite des Gelds, und wenn von der einen zu viel auf dem Rü-cken lastet, ist vom anderen zu wenig da. Da gibt es kein Entkommen und Ausruhen – die Wirtschaft wird dadurch am Leben erhalten.

Das Problem aber bei dieser Geld-bewegung ist zweierlei: Erstens wird das Geld zwar immer mehr, immer größere Geldströme bewegen immer größere Warenströme, die ihrerseits danach ver-langen, wieder zu Geld zu werden. Damit also diese Warenmengen erfolgreich in den Konsum gebracht werden können, drängen sie danach, immer billiger zu wer-den. Und damit geht einher eine Verbil-ligung auch der Ware Arbeitskraft – ent-weder durch sinkende Löhne und Trans-ferleistungen oder durch eine Steigerung der Produktivität oder durch eine Kom-bination von beiden. Paradoxerweise kön-nen wir uns von den immer billigeren Wa-ren immer weniger leisten.

Das führt zum zweiten Teil des Problems: Unser Konsum ist privat. Zwar können wir uns mehr leisten, mehr jedenfalls als un-sere Eltern und Großeltern, aber dieser Konsum bleibt private Angelegenheit. Reichtum, der unmittelbar und gesell-schaftlich ist, der gemeinsamen Verzehr für alle gleichermaßen bedeutet, ist das nicht. Im Gegenteil geht dieser private Konsum darin auf, dass die Mitglieder der Gesellschaft die Tuchfühlung unterein-ander verlieren. Wir erleben eine Verar-mung an Gemeinschaft und Leben.

Der Reichtum bleibt nur eine statistische Größe in den Berechnungen der Betriebs- und Volkswirtschaft, uns bleibt der täg-liche Kampf um ausreichende Lebens-mittel, ausreichende Gesundheit, ausrei-chende Freizeit, von sozialen Beziehungen kann da keine Rede mehr sein. Dieser private Konsum verschweigt und verbirgt, dass wir gesellschaftliche Wesen sind, die für einander da sind. Dieser private Kon-sum täuscht darüber hinweg, dass er nur einen Bruchteil dessen uns zubilligt, was an materiellen Gütern bewegt wird. Das beginnt mit Lebens- und Überlebens-mitteln (Essen, Bildung, Medizin, Kultur, etcet. ) und führt dazu, dass diese schmale Zuteilung immer geringer wird, weil die Wirtschaft danach verlangt, dass jene, die etwas wollen, dafür auch zahlen sollen. Besser, etwas oder jemand verdirbt, als dass etwas nicht verkauft sondern einfach gegeben wird.

Was hat damit unsere Bundesregierung zu tun?

Im Prinzip gar nichts. Sie glaubt nur das alles, was wir oben beschrieben haben, so wie wir alle das glauben – oder wenigstens damit leben müssen, weil die meisten es glauben.

So glaubt auch der Bundeskanzler, uns etwas Gutes zu tun, wenn er uns dazu zwingen oder überreden will, mehr zu ar-beiten und mehr zu bezahlen, mehr für uns selbst und nicht für andere und alle gemeinschaftlich zu sorgen. Er glaubt wirklich, wenn der Wirtschaft Genüge ge-tan wird, geht es uns allen besser. Das Problem ist nur, dass eine Opposition, egal welche Farben sie im Wappen führt, dasselbe glaubt.

So muss sich unser Kampf gegen die Zu-mutungen von Arbeit (die gleichzeitig von uns verlangt und uns gleichzeitig genom-men wird) und Geld (das wir gleichzeitig für später sparen sollen und heute mög-lichst großzügig ausgeben müssen) richten. Wir müssen aufhören, uns selbst als Arbeit und Geld Suchende zu verstehen; wir müssen einsehen, dass die Anhäufung von Arbeit und Geld jenseits von uns geschieht, auch wenn sie durch uns geschieht, und für uns nichts bereit hält, keinen Reichtum und schon gar nicht Gutes Leben.

Was ist also zu tun?

Das Wichtigste ist, dass wir uns ein Be-wusstsein davon erwerben, dass Reichtum etwas sein wird, das in uns und für uns da ist und nicht für ein System, das sich selbst erhält, aber uns nicht ernährt und uns mit dem uneingelösten Versprechen abspeist, wir wären unseres Glückes Schmied. Herkömmliche Politik, diese nicht und keine andre, wird uns dieses Bewusst-sein ermöglichen. Das wird nur gehen, wenn wir für eine Welt jenseits von Sorge, Geld und Arbeit kämpfen.

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