Appellatives zur Problematik emanzipatorischer Kommunikation

Streifzüge 1/2000

von Franz Schandl

Bei nachfolgendem Text handelt es sich um ein Diskussionspapier des Autors, worin dieser in pointierter Form seine Position darzulegen versucht.

Wie kommuniziert man, ohne einerseits zu bevormunden, aber andererseits auch nicht den unmittelbaren Stimmungen hinterherzulaufen. Wir wissen es nicht so genau, aber wir sehen es als ein wichtiges Problem an. Nimmt man die steigenden Bestellungen – im letzten Quartal waren es fast 70 – so dürfte uns das nicht so schlecht gelingen. Zumindest besteht Bereitschaft und Interesse, sich die Streifzüge zuzulegen, und sich in ihren Bleiwüsten zu orientieren.

Noch schwieriger ist das, wenn sich das Bezugsfeld plötzlich ausweitet. Namentlich findet die eben entstandene Bewegung gegen blau-schwarz unsererseits Unterstützung und Achtung. Die Beharrlichkeit der Akteure, die Vielfalt der Aktionen, das verdient nicht nur Respekt, sondern macht durchaus Sinn und Spaß. Mitmachen ist angesagt. Die Quantität freilich ist keine Qualität an sich. Bewegungen bewegen sich nur, wenn sie nicht zu Stillstand kommen. Was Bewegungen hervorbringt, ist nicht identisch mit dem, was sie am Leben erhält. Herausforderungen verändern sich mit der Dauer.

Dabeisein ist nicht alles. Der Protest trägt vielfach auch Züge, die uns alles andere als schmecken. Dort, wo die Normalität gegen die Stinknormalität mobilisiert, dort, wo Martialität Radikalität ersetzt, dort, wo eine antike Linke gegen eine postmoderne Rechte auftritt, dort, wo der gutmenschliche Demokratismus alle eingemeinden und einschränken will, dort, wo die Phrase den Gedanken substituiert, dort, wo jene, die von Haider sprechen, von Kapital und Markt schweigen, dort ist ganz entschieden Kritik anzumelden. Niemand soll sagen können, es sei nicht gesagt worden.

Bewegungen haben meist ein schlechtes Gedächtnis, eben auch weil sie nicht unmittelbar an etwas Vorgegebenes anschließen wollen und anknüpfen können. Gerade deswegen gilt es, sich einiges in Erfahrung zu rufen. Erinnern wir nur an das traurige Schicksal der Ökologiebewegung, die 1984 in Hainburg sich rot-weiß-rot einfärbte, die Fahnen schwenkte und die Bundeshymne sang, sich den Biologisten Konrad Lorenz zur Leitfigur machte, kurzum von mystischen Schwüren bis zum hündischen Promikult alles draufhatte, was schlecht und falsch war. Schlußendlich ist sie zu einer profillosen Stoßtruppe der Kronen-Zeitung degradiert worden. Diese peinliche Rolle spielen ihre Reste noch heute. Mehr als ein Reservoire für den „ökosozialen“ Markt, die grüne Partei oder NGO-Konzerne ist dort zur Zeit nicht zu erkennen.

Die Bewegung ist einiges, aber sie ist nicht alles. Vor allem gilt es aufzupassen, Kritik und Analyse nicht durch Euphorie und Aktionismus abzulösen. Womit nicht gemeint ist, daß wir diese geringschätzen: Praxis ist uns nicht fremd, fremd ist uns nur der unentwegte Praktizismus, der davon ausgeht, daß es schon reicht, wenn sich etwas tut. Der Weg vom aufmüpfigen Demonstranten zum biederen Demokraten ist immerhin der obligate. Die Bewegten seien ausdrücklich an diese ihre mögliche Zukunft erinnert.

Den „ewigen Kreislauf“ von Repulsion und Attraktion, den alle Bewegungen seit der Aufklärung durchlaufen haben und somit sich a posteriori als bürgerliche Modernisierungsbewegungen entpuppten, den gilt es zu durchbrechen. Was auf praktischem Terrain zur Zeit völlig ausgeschlossen ist, muß als theoretischer Querschläger doch Verwirrung stiften und für Aufmerksamkeit sorgen. Alles was hingegen nach populistischem Fanclub riecht, wollen wir stören. So ungefähr könnte man unsere Vorhaben betreffend Wirkungen über den engen Kreis hinaus benennen.

Antipolitik

Wir jedenfalls wollen die Bewegung nicht politisieren und ihr auch zu keiner Politisierung gratulieren. Im Gegenteil, die Kategorien des Politischen (Politik, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat, Freiheit) sollen nicht affirmative Größen bleiben, sondern zu kritischen Kategorien werden. Erste Erfolge sind dann errungen, wenn solche abwegige Gedanken zumindest bedenkenswert erscheinen, von einer billigen Attributisierung („andere Politik“, „wahre Demokratie“ oder gar „linker Patriotismus“) Abstand genommen wird. Die verwandten Worte sagen mehr über die Verwandtschaft aus, als die Nachsager nämlich denken. Jene sind Matrizen ideologischer Integration.

Die Politikverdrossenheit schätzen wir nicht unbedingt gering: Warum zum Teufel sollen die Leute nicht verdrossen sein? Das ist doch das Mindeste, was man sein soll. Nicht die Verdrossenheit macht uns Sorgen, sondern die Beschaffenheit derselben, und zwar weil sie ebenfalls über Aversion und Ressentiment des gemeinen Menschenverstands nicht hinauskommt, und daher allzuleicht in trübes, ja offen reaktionäres Fahrwasser gerät. Vielmehr meinen wir, daß es diese Verdrossenheit zu verinhaltlichen gilt.

Wer die Verdrossenheit durch den Glauben an die Politik ersetzen will, will – ob bewußt oder unbewußt – dorthin führen, wo sich die emanzipatorischen Möglichkeiten erschöpft haben. Den Fetischen dienen wir – schließlich können wir uns aus dem bürgerlichen Leben der Geldmonaden und Staatsbürger nicht ausschließen – nur unter Zwang, diese alltägliche Einsicht in die Notwendigkeit verkaufen wir nicht gleich Hegel als Freiheit.

Von Repolitisierung kann nur reden, wem Politik als Form nicht prekär ist. Politik erscheint gerade als der Imperativ der Selbstbestimmung, als das sich zwar wandelnde, aber doch ewige formlos-unbestimmte und mit allerlei zu füllende Wollen hin zur Freiheit. Ein Wollen, das nur bezweckt werden muß. Politik als eine ahistorische Größe wird so zu einer eigentlichen Bestimmung des Daseins. Daß Politik oder Demokratie bestimmte und bestimmbare Formen der Gesellschaftlichkeit darstellen und so möglicherweise struktive Schranken haben könnten, hat sich noch nicht herumgesprochen.

Wer die Bewegung politisieren will, will sie strangulieren, das heißt in die gegebene Ordnung zwängen, sie nützlich machen für die gemäßigt-liberalen Varianten von Staat und Standort gegen die extrem-liberalen von Rasse und Nation. Dort, wo ein taktisches Zusammengehen mit ersteren zu einem prinzipiellen Bekenntnis wird, ist Gefahr im Verzug.

Wenn wie viele andere die linksdemokratische Philosophin Chantal Mouffe im Kinderkurier zu einem „linken Patriotismus“ aufruft, dann wird uns speiübel: „Ich weiß, dass Patriotismus aus linker Perspektive normalerweise mit Skepsis betrachtet wird. Aber der Patriotismus ist eine zu mächtige Kraft, um kollektive Identitäten zu mobilisieren, als dass man ihn der Rechten überlassen sollte.“ (Falter 9/00) Der Nationalismus – Patriotismus ist nur sein Kosename! – tritt auf als quasinatürliche Größe, er kann gar nicht erst bekämpft, sondern nur noch übernommen werden. Mit der gleichen Begründung könnte man ebenso offen den Rassismus vertreten.

Anstatt es in seiner demokratischen Gemeinheit zu dechiffrieren, vollzieht Mouffe hier auf theoretischer Ebene nur nach, was sowieso geschieht. Dafür wettert sie andernorts gegen Leute, die die liberalen Ideen denunzieren, um jene ihrerseits des Totalitarismus zu verdächtigen. Wahrlich, wir sind jene, vor denen Chantal Mouffe warnt. Und wir sind auch umgekehrt jene, die ganz entschieden vor der Mouffe und der ganzen zivilgesellschaftlich domestizierten Linken warnen.

Volk und Dummheit

Gefährlich für die Entwicklung des Charakters der Bewegung sind weniger ÖVP und FPÖ – die „dienen“ sogar als negativer Motor -, sondern jene linksdemokratischen Kräfte in Politik, Medium und Kultur, kurzum die oppositionellen und/oder alternativen Integrationsmaschinen des Staates. SPÖ, Grüne, SOS-Mitmensch und „Demokratische Offensive“ (der Name sagt alles, er könnte direkt von Haider stammen! ) mobilisieren für das, was Haider hervorgebracht hat: Staat und Demokratie, Markt und Zivilgesellschaft. Vergessen wir weiters nicht, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bewegungsmentoren im letzten Frühjahr freudig Jugoslawien bombardierte oder zumindest schwieg. Das ist zwar unsachlich und alles andere als ein konstruktiver Einwand, muß aber genau deswegen gesagt werden.

„Die Dummen werden von der Politik angezogen, weil diese einen Machtgenuß verspricht, deren Verlockung uns unverständlich bleibt“, sagt Günther Anders. Wir bekämpfen aber nicht vorrangig die Dummen, sondern die Dummheit. Das trifft auch auf die sogenannten Gutmenschen zu. Nicht ihr Gutsein stört, sondern wie sie es wollen, was sie anstellen, und vor allem wie wenig sie sich dabei denken. Das schließt Freundlichkeit nicht aus, geht es doch darum, die Überträger dieser Fehlbotschaften nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern in ebendiesen etwas reinzubringen. Dort, wo die bürgerlichen Werte gegen die bürgerliche Realität mobilisieren, sind wir jedenfalls nicht dabei, sondern dagegen. Unsere Radikalität erschöpft sich nicht im Einfordern staatsbürgerlicher Tugenden. Es gilt also etwas anderes als Politik, Nation, Staat, Recht, Demokratie, Markt etc. zu wollen. Das erschreckt? Uns erschreckt vielmehr die Realisierung all dieser Formprinzipien, die allgemeine Destruktivität des Kapitals und all seiner Werte. Neuerdings bezeichnet das sich selbst als Wertegemeinschaft und verrät damit mehr als erkannt wird: Jawohl, es ist die Gemeinschaft des Werts, die hier mobil macht, koste es was es wolle. Zuwiderhandlung soll sanktioniert werden.

Wir stehen nicht für eine andere Politik, sondern für etwas anderes als Politik. Wir lassen uns nicht in die allgemeine Pflicht nehmen, mag es auch totaler Konsens sein, an Markt und Politik zu glauben. Wir sind nicht die linksradikale Flanke der Demokratie. Die Desillusionierung alternativer Politikkonzepte kann nicht weit genug getrieben werden. Selbstbestimmung kann es erst dort geben, wo die Desillusionierung gegriffen hat. Das ist der Moment, wo die Monade das erste Fenster öffnet. Wir sind die Vertreter der frischen Luft.

Unerträglich sind ekelhafte Parolen wie „Wir sind das Volk“ oder auch „Wir sind Europa“. Wer für die Menschen ist, sollte gegen das Volk sein. Im Alpen- wie im Schengenland. Weil wir die Menschen mögen wollen, tun wir uns schwer mit jenen, die sich in gemeiner Manier als Inländer vor- und ausweisen, um die Ausländer zurück- und auszuweisen. Derweil würde die Abschaffung des Inländers das sogenannte Ausländerproblem gleich miterledigen. Gibt es jene nicht, sind auch diese nicht mehr. Wer für Markt und Demokratie ist, ist für Rassismus. Wir sind nicht nur antirassistisch, sondern gerade deswegen antiliberal. Auch wenn wir nicht alle Nationalismen gleichsetzen wollen, sind wir doch entschiedene Gegner jedes Patriotismus. Gerade hier, wo seine übelste Sorte gezüchtet worden ist. Wir sind daher auch nicht das andere Österreich, wir sind (für) etwas anderes als Österreich!

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