Vom Verwesen der Arbeit

von Franz Schandl

»Fleißig, sagt man, wären diese Menschen wie Unsummen Bienen. Ergo summ. Sie würden immer, sagt man, schuften, schinden, hetzen. Vorher könnten sie nicht ruh’n. In der Arbeit liegt, sagt man summa summarum ihr Lebenszweck. Man sagt auch, daß man sagt, man sagte, daß sie werken wie besessen, nicht gemütlich wären, weil man sagt, es gäbe ständig etwas zu tun. Hesiod sagt: Arbeit schändet nicht. Und Benn sagt: Arbeit heißt Steigerung zur geistigen Form. Das Arbeiten ist meinem Gefühl nach dem Menschen so gut ein Bedürfnis als Essen und Schlafen, sagt Humboldt. Man sagt auch, daß man sagt, man sagte, daß sie werken wie besessen, nicht gemütlich wären, weil man sagt, es gäbe ständig etwas zu tun. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, sagt man. Ora et labora. Arbeit macht frei. Arbeit, sagt man, macht erst das Leben süß« — Franzobel 1995, S. 27

Alle reden von Arbeit. Aber reden alle, wovon sie wissen? Grundgelegt ist diesem Gerede ein ontologischer Arbeitsbegriff, der versucht, alles, was nur irgendwie in den Bereich einer Tätigkeit fällt, für sich zu vereinnahmen. Die Behauptung: »Arbeit ist ein Zentralbegriff des Menschseins, so wie Freiheit oder Tod oder Liebe« (Schwarz 1997, S. 19) ist naheliegend, aber falsch.

Der Terminus Arbeit versucht sich nun, nach seiner Etablierung, immer stärker räumlich, aber auch zeitlich auszudehnen. Die ausufernde Begrifflichkeit ist allerdings zum Irrläufer geworden. Einmal in die Welt gesetzt, soll die Welt mit ihr identisch werden. Der kolonialistische Überfall der Gegenwart auf die Vergangenheit und die Zukunft erscheint als natürliche Betrachtungsweise. Was dem vormodernen Menschen Gott, ist für das moderne Individuum die Arbeit. Ihm gilt es, sich zu opfern und zu überantworten.

Selbst in interessanten Publikationen, wie in dem von Ina Paul-Horn herausgegebenen Sammelband »Transformation der Arbeit«, schreibt dieselbe: »Arbeit heißt eine Tätigkeit, in der sich gegenwärtiges Handeln planvoll auf einen zukünftigen Zweck ausrichtet« (Berger/Paul-Horn 1997, S. 133). Wenn das Arbeit heißt, was kann ein erweiterter Tätigkeits- oder Werkbegriff dann noch außerhalb dieser umfassen? Wohl nichts mehr. Die Assoziation von Arbeit ist also völlig differenzlos in den Tätigkeitsbegriff gefallen. Da ist auch Radfahren Arbeit, denn das Treten der Pedale (= gegenwärtiges planvolles Handeln) erfüllt eine gewünschte Ortsveränderung (= zukünftiger Zweck). Man nennt das wohl jetzt Bewegungsarbeit. Wenn ich angeregt diskutiere (= gegenwärtiges planvolles Handeln), um einen Streit aus der Welt zu schaffen (= zukünftiger Zweck), dann ist das Arbeit, Beziehungsarbeit nennt sich das heute.

Außerdem, was sind Tätigkeiten, die nicht auf einen zukünftigen Zweck ausgerichtet sind? Heißt das dann, daß der Rest der Tätigkeit, der Nichtarbeit ist, auf zwecklose Tätigkeiten aus ist? Ferner: Was ist der Inhalt des angeführten Zweckes? Das bürgerliche Individuum sieht vor lauter Arbeit keine Differenz mehr. Ihm ist wahrlich alles gleich. Arbeit ist Arbeit ist Arbeit. Was Arbeit ist, ist damit aber keineswegs gesagt. Je mehr man überall Arbeit sieht, desto weniger kennt man sich aus.

Kabarettistisches Stelldichein

Von der Trauerarbeit bis zur Beziehungsarbeit, von der Pflegearbeit bis zur Erziehungsarbeit, alles hat Arbeit zu sein und sein zu wollen. Daß die Trauer vielleicht Trauer, die Erziehung Erziehung ist, scheint vergessen. Je prekärer es für die Arbeit wird, desto mehr treibt sie ideologische Spielchen, ja sie nistet sich in der gesamten Sprache ein und brütet einen Schwachsinn nach dem anderen aus. Wie ein Virus bewegt sie sich durch die geläufige Terminologie, und alle scheinen befallen, quargeln das Unverdauliche nach, als sei es selbstverständlich. Die aggressive Ausbreitung und die Vehemenz ihrer unterschiedlichen Propagandisten läßt aufhorchen. Je weniger die Arbeit reell trägt, desto mehr blüht sie ideell auf.

Der Kabarettist Werner Schneyder brachte das unlängst auf den Punkt. Die Persiflage wider Willen liest sich so: »Der Mensch hat nicht ein >Recht auf Arbeit<, er hat ein >Recht auf Geld<, also auf Gewinnbeteiligung, Bruttosozialproduktanteil. Das Wort >Arbeitslosenunterstützung< ist eine ideologische Frechheit. Es müßte heißen: Treizeitgestaltungshonoran. … Es gibt unzählige Möglichkeiten, durchaus auch gesellschaftlich wichtige, Freizeit als Arbeitszeit zu begreifen. Beginnen wir beim menschlichen Körper. Dessen Pflege – Frisur, Rasur, Kosmetik – ist Arbeit, Dienst an der Mitmenschheit, weil deren Ausblicke durch Anblicke verschönert werden. Gleiches gilt für Hosen bügeln, Schuhe putzen, Flecken entfernen. Pflege der Blumenbeete, des Rasens, der Hausfassade erfordert Arbeit, ist Arbeit. Lesen mit dem Ziel der Information oder Erkenntnis ist Arbeit. Das Erlernen von Musikinstrumenten, um nicht nur sich, sondern auch der Mitmenschheit Freude zu machen, ist Arbeit. Das nach Ende der Ausbildung mögliche Freudemachen mit Musik ist Arbeit. Das Gespräch, die Diskussion zur Meinungsfindung ist Arbeit« (Schneyder 1998, S. 306).

Wir vervollständigen: Zähne putzen ist Arbeit. Und Socken wechseln. Und Schlauchboot fahren. Warum sollte es nicht alimentiert werden? Und Besuche machen? Fragt sich jetzt nur: Zahlt der Besuchte oder der Besucher, der Nationalstaat oder die Europäische Union? Und was, wenn jene sich in einem Lokal treffen, dann teilen sie sich wohl die Bewegungsarbeit. Und warum nicht auch küssen und streicheln und bumsen? Denn das ist Vergnügungsarbeit. Oder hat da irgendwo die Arbeit aufgehört? Etwa beim Schlafen? Nein, das ist jetzt Schlafarbeit. Alles, was ist, ist Arbeit. Dasein soll Arbeit sein, so lautet das erste Universalgebot im überkonfessionellen okzidentalen Gebetbuch.

Ein Grundirrtum der Jetztzeit ist, daß wir unser Tun nur als Arbeit begreifen können. Diese Maßlosigkeit subsumiert alle Tätigkeiten unter dem Dach der Arbeit. Die Kategorie ist irre geworden, sie überfällt unschuldige Hauptwörter. Wie ein Krebsgeschwür wuchert sie vor sich hin. Vom Kanzler bis zum Künstler: alle blöken von Arbeit. Selbst viele Kritiker figurieren als die willfährigen Überträger all dieser Unsinnigkeiten.

Arbeit als Abstraktion

Was haben Brötchen backen, Straßen kehren, Gefangene beaufsichtigen, Kranke pflegen, Obst verkaufen, Kühe melken, Artikel schreiben, Geld transportieren und Bomben werfen gemeinsam? Daß sie eben als entlohnte Arbeit anerkannt sind, daß es Geld für sie gibt. Alle können in Euro ausgedrückt werden. Können sie es nicht, dann sind sie trotz aller Mühe und Anstrengung keine Arbeit gewesen, weil sie eben vom Wesen der Verwertung nicht erfaßt worden sind. Vom Wert her betrachtet, kann dieselbe Tätigkeit Arbeit sein oder eben auch nicht. Das ist abhängig davon, in welcher Konstellation sie sich gesellschaftlich entfaltet. Der spezifische Charakter der Tätigkeit ist von einer außermonetarischen Sinnlichkeit jedenfalls nicht zu erfassen. Gegen den gesunden Menschenverstand gilt es festzuhalten: Arbeit ist auf den Markt bezogene Tätigkeit zum Zwecke der Verwertung. Arbeit muß sich für den Markt qualifizieren und quantifizieren.

Die so dechiffrierte Arbeit ist keine ontologische Größe, sondern eine historisch begrenzte Notwendigkeit. Wenn hier also von Arbeit gesprochen wird, dann ist darunter Erwerbsarbeit zu verstehen. Im Deutschen ist die äußerst sinnvolle Differenzierung zwischen Arbeit(en) und Werk(en) im Laufe der letzten Jahrhunderte weitgehend verlorengegangen. Der Umgang mit der Kategorie »Arbeit« ist daher äußerst problematisch, weil es anders als zum Beispiel im Englischen keine Unterscheidung zwischen »work« und »labour« gibt.

Zu tun gibt es wahrlich genug. Was ausgeht, ist die Lohnarbeit. Warum glauben wir nun akkurat, daß sie uns erhalten bleiben soll? Die einfache Antwort darauf ist, daß unser Auskommen am Einkommen hängt. Daß somit Arbeit als existentielle Notwendigkeit auftritt. Wir uns ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen können, nein: dürfen. Alles, was heute über die Marktwirtschaft hinausdenkt, wird als Halluzination diskreditiert, da mag es den bürgerlichen Individuen noch so dreckig gehen. Ein positiv gewendeter Abschied von Arbeit, Geld und Wert erscheint als ein völlig utopisches Hirngespinst. Doch in negativer Form veranstaltet er sich mit all seinen zerstörerischen Auswirkungen gerade eben jetzt an den Betroffenen.

Zu essen ist ein unbedingtes Bedürfnis, Geld zu haben ledig lich ein sozial bestimmtes. Nichtsdestoweniger ist für die modernen Subjekte Arbeit oder Geld das, was für den mittelalterlichen Menschen Gott gewesen ist: der Überfetisch. »Arbeit existiert notwendig« könnte man gegenwärtig frei nach Spinoza sagen. Dito Geld. Doch dieses abendländische Prinzip von ora et labora ist schwer erschüttert, und zwar in all seinen Varianten, vom Protestantismus bis zum Sozialismus. Da nützen Kreuzzüge ebensowenig wie Beschäftigungsoffensiven.

Kapital liebt Arbeit

Arbeit ist kein physiologischer Terminus, sondern eine gesellschaftliche Realkategorie. Ihr Aufstieg verläuft parallel zu Aufklärung und Kapitalismus. Alles, was uns heute so vertraut ist – Demokratie, Recht, Sozialstaat, Politik, Nation, Vertrag, Ware, Markt etc. -, gehört demselben historischen Kontinuum an, kann von diesem nicht abgelöst werden, obwohl gerade das immer wieder geschieht. Deren Durchsetzungs- wie Verfallsgeschichte ist ein und dieselbe, auch wenn es Ungleichzeitigkeiten in ihren Ausformungen und Entwicklungen geben mag.

Warum sowohl Bourgeois als auch Proletarier sich mit der Arbeit identifizieren, ist vorgegeben: weil sie als die jeweiligen konstanten und variablen »Kapitalteile« (Marx 1969a, S. 223-224)(1) nichts anderes sind als dynamische Daseinsweisen der Arbeit. Sie identifizieren sich richtigerweise mit sich selbst, ihrer objektiven Bestimmung. Die Arbeit, das bin ich, bekennen die stets falsch bezeichneten, weil umgekehrt zu bezeichnenden, Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Kapital liebt Arbeit, weil es Arbeit ist. Tote Arbeit, die sich lebendige aneignet und sich somit verwertet. Ohne Arbeit kein Kapital. Das Kapitalverhältnis ist nichts anderes als die Akkumulationsmaschine der Arbeit. Kapital und Arbeit bilden also keinen antagonistischen Gegensatz, sondern sind vielmehr der Verwertungsblock der Kapitalakkumulation. Wer gegen das Kapital ist, muß gegen die Arbeit sein.

Abrichtung zur Arbeit war eines der erklärten Ziele der abendländischen Modernisierung. Selbstbestimmung und Arbeitszwang können durchaus als komplementäre Größen betrachtet werden. Auch wenn etwa bei Kant die Kategorie der Arbeit noch keineswegs zu den zentralen gehörte, sondern bloß in ihrer embryonalen Begriffsform erscheint, so war das ganze Programm der Arbeit in seinem Denken angelegt. Bezeichnenderweise im Kapitel »Vom Gefühl der Lust und Unlust« seiner Anthropologie (Kant 1977, S. 549-579) doziert er in belehrendem, ja abgefeimtem Ton: »Junger Mensch! (ich wiederhole es) gewinne die Arbeit lieb; versage dir Vergnügen, nicht um ihnen zu entsagen, sondern so viel als möglich, immer nur im Prospekt zu behalten« (ebenda, S. 559). Arbeit ist säkularisierte Religion: die Verheißung auf ein Jenseits der Arbeit sollte sich im wahrsten Sinn erst dort, im Jenseits erfüllen. Hier und heute jedoch, im Diesseits, hatte gearbeitet zu werden.

Arbeit ist demnach die nicht verwirklichte, aber stets in Aussicht gestellte Verwirklichung der Lust durch Liebe der Unlust. Disziplinierung meint, das leiden zu wollen, was einen leiden läßt. Und das ist auch, was die lebensverschwendende Arbeit versprechen sollte: Wer viel leistet, kann sich viel leisten! Es ist ein Imperativ, der den Mitgliedern der modernen Gesellschaft abverlangt wird. »Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen« so übersetzte der Volksmund den Kantschen Leitspruch in die Alltagssprache. Aus dem kategorischen Imperativ ist ein obligatorischer Indikativ geworden, der als apriorische Selbstverständlichkeit gar nicht mehr als Befehl auftreten muß.

Erwerb. Beschäftigung. Job. Stelle. Dienst. Arbeit ist die freie Knechtschaft. Daß wir etwas verdienen müssen, verheißt, daß wir zu dienen haben. In der Erwerbsarbeit sind wir die Diener der Verwertung. Ob jemand dies oder jenes verdient und vor allem wieviel jemand verdient, ist einerseits zu einer vorrangigen Frage der Alltagsgespräche geworden, andererseits aber auch zu einem gut gehüteten privaten Geschäftsgeheimnis. Das auf Gerechtigkeit getrimmte bürgerliche Subjekt fragt daher geradezu pflichtgemäß und penetrant, ob eins auch wirklich verdient, was es bekommt, auch wenn es selbst immer mehr bekommen will, als ihm laut ihm zustünde. Niemanden geht an, was alle wissen möchten. In dieser kollektiven Schizophrenie wächst und gedeiht die allseitige Verdächtigung.

Entäußerung als Entwesung

Arbeiten zu müssen ist ein Kennzeichen von Knechtung, sagte Hegel ganz unzweideutig seinen Nürnberger Gymnasiasten, und manche haben es sich bis heute gemerkt: »Der Knecht hat ein fremdes Selbst in ihm und ist dessen äußerlicher Wille; der Herr vermittelt sich durch diesen seinen äußerlichen Willen mit den Dingen. Als der fürsichseiende Wille verhält er sich gegen diese als verzehrende Begierde; der Knecht aber als nicht fürsichseiender Wille verhält sich dagegen als arbeitend und formierend« (Hegel 1986a, S. 81). Arbeit bedeutet einem Ding gleich werden, sich zu verdingen (ebenda, S. 82).

Arbeiter sein meint Enteignung seiner selbst: »Durch die Veräußerung meiner ganzen durch die Arbeit konkreten Zeit und der Totalität meiner Produktion würde ich das Substantielle derselben, meine allgemeine Tätigkeit und Wirklichkeit, meine Persönlichkeit zum Eigentum eines anderen machen« (Hegel 1986b, S. 144-145). Die Phrase vom »sein eigener Herr sein« ist so falsch nicht. Sein eigener Herr ist man demnach nur, wenn man nicht unter fremdem Kommando arbeitet. Aber auch wenn man nun eigener Herr ist, heißt das, daß man sich selbst kommandieren muß, um dem Markt zu entsprechen. In der Marktwirtschaft ist man sein eigener Herr nur, wenn man auch sein eigener Knecht ist. Herr und Knecht sind also nur bedingt brauchbare Figuren, weil sie allzu schnell die Selbstbestimmung der Bestimmer unterstellen und dabei die Bestimmung der Bestimmer vergessen.

»Aber diese Welt ist geistiges Wesen, sie ist an sich die Durchdringung des Seins und der Individualität; dies ihr Dasein ist das Werk des Selbstbewußtseins; aber ebenso eine unmittelbar vorhandene, ihm fremde Wirklichkeit, welche eigentümliches Sein hat und worin es sich nicht erkennt. Sie ist das äußerliche Wesen und der freie Inhalt des Rechts; aber diese äußerliche Wirklichkeit, welche der Herr der Welt des Rechts in sich befaßt, ist nicht nur dieses zufällig für das Selbst vorhandene elementarische Wesen, sondern sie ist seine, aber nicht positive Arbeit – vielmehr seine negative. Sie erhält ihr Dasein durch die eigene Entäußerung und Entwesung des Selbstbewußtseins, welche ihm in der Verwüstung, die in der Welt des Rechts herrscht, die äußerliche Gewalt der losgebundenen Elemente anzutun scheint. Diese für sich sind nur das reine Verwüsten und die Auflösung ihrer selbst; diese Auflösung aber, dies ihr negatives Wesen, ist eben das Selbst; sie ist ihr Subjekt, ihr Tun und Werden« (Hegel 1986c, S. 360). »Diese ihre Entfremdung ist das reine Bewußtsein oder das Wesen« (ebenda, S. 361).

Das Subjekt, das sich durch die Unterwerfung unter die Arbeit definiert, ist Objekt einer äußeren übermächtigen Drangsalierung. Es wird nur, weil es sich nicht positiv selbst setzen kann, sondern negativ durch die Arbeit gesetzt wird. Entäußerung der Arbeit bedeutet Entwesung des Menschen. Selbstbestimmung bedeutet Fremdbestimmung, und zwar nicht erkannte, aber anerkannte. Das Wesen des Kapitals hat die permanente Entwesung der Menschen zur Bedingung. Deren Wohlergehen, deren Gesundheit, deren freundschaftliches Miteinander ist nicht primäres Mittel oder Ziel, sondern bestenfalls erkämpfbarer Zusatz. Das bürgerliche Individuum, das ist wahrlich »ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen« (Marx 1970, S. 385).

Marxsche Ambivalenzen

Marx’ Haltung zur Arbeit war durchaus ambivalent, wenngleich zugegeben werden muß, daß er (vor allem im »Kapital«) selbst zur Ontologisierung neigte, indem er jene als überhistorische Bedingung charakterisierte. »Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber« (Marx 1969a, S. 192). Der Arbeitsprozeß gilt ihm demnach als »allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam« (ebenda, S. 198).

Den vieldeutigen Aspekten seiner Metakategorie »Arbeit« versuchte Marx dahingehend gerecht zu werden, daß er der Kategorie ziemlich oft Attribute beigibt, hervorgehoben sei die Differenzierung in konkrete und abstrakte Arbeit. Engels geht in einer Fußnote zur 4. Ausgabe des »Kapital« sogar so weit zu betonen, daß die englische Sprache den Vorzug hätte, zwischen work und labour zu unterscheiden (ebenda, S. 61-63). Zum Problem der Kategorienbildung schreibt Marx in den »Grundrissen«: »Dies Beispiel der Arbeit zeigt schlagend, wie selbst die abstraktesten Kategorien trotz ihrer Gültigkeit – eben wegen ihrer Abstraktion – für alle Epochen doch in der Bestimmtheit dieser Abstraktion selbst ebensosehr das Produkt historischer Verhältnisse sind und ihre Vollgültigkeit nur für und innerhalb dieser Verhältnisse besitzen« (Marx 1983, S. 39).

Es gibt aber auch bemerkenswerte Stellen, die jedes ontologische Verständnis ausschließen. »Es ist eins der größten Mißverständnisse, von freier, gesellschaftlicher menschlicher Arbeit, von Arbeit ohne Privateigentum zu sprechen. Die >Arbeit< ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, von Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums wird also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebung der Arbeit gefaßt wird« (Marx 1972, S. 24). Und auch in der vielzitierten »Deutschen Ideologie« schreiben Marx und Engels, daß die Proletarier, »um persönlich zur Geltung zu kommen, ihre eigne bisherige Existenzbedingung, die zugleich die der ganzen bisherigen Gesellschaft ist, die Arbeit, aufheben« (Marx/Engels 1969b S. 77), daß die »kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt und die Herrschaft aller Klassen mit den Klassen selbst aufhebt …« (ebenda, S. 69-70). Hier wird also ausdrücklich festgehalten: Jede Arbeit ist Tätigkeit, aber nicht jede Tätigkeit ist Arbeit!

Arbeiterbewegung als Arbeitsbewegung

Der Arbeiterbewegungsmarxismus ist in seiner Vorstellung von Arbeit eigentlich nie über das Engelssche Manuskript »Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen« (Engels 1969, S. 444-455) hinausgekommen. »Die Arbeit hoch«, so heißt tatsächlich der Refrain des bis heute noch gesungenen »Lied der Arbeit«. Formulierungen dieser Art waren üblich, ja es gab noch viel üblere. »Bewußte, planmäßige Organisation der sozialen Arbeit nennt sich der ersehnte Heiland der neueren Zeit« (Dietzgen 1930, S. 103), verkündete etwa Josef Dietzgen, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der bekanntesten sozialdemokratischen Propagandisten.

Und es gab ein bolschewistisches Pendant. Kein Geringerer als Anatoli W. Lunatscharski, der spätere Kommissar für Bildungswesen, schrieb 1908, es gehe um die Schaffung einer Religion »ohne Gott«, um die Etablierung einer »Religion der Arbeit« (Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Bd. 2, S. 307). Auch Josef Stalin meinte dazumals, Aufgabe der Bolschewiki sei es, die Philosophie Marx’ und Engels’ »im Geiste von J. Dietzgen weiterzuentwickeln« (ebenda, S. 308).

Die Arbeit ist zur Religion der Arbeiterbewegung geworden. Die Arbeit, sie ist die Angebetete. »Hauptsache, du hast eine Arbeit«, ist heute noch ein geflügeltes Wort. In Zeiten wie diesen verstärkt sich das noch, für die allermeisten gilt es, irgendwo unterzukommen. Für einen sicheren Job, ja für eine Stelle überhaupt, ja selbst schon für die Taglöhnerei ist man bereit, unzählige Demütigungen hinzunehmen. Hauptsache Arbeit. Die Arbeiterbewegung wurde so zur Bewegung zum Kampf für die Arbeit. Das ist sie heute noch – zumindest was von ihr übrig geblieben ist.

Marasmus der Arbeit

Heute spricht man zu Recht von einer strukturellen Krise der Arbeit: »Das Postulat der Vollbeschäftigung wird also um so weniger erfüllbar sein, je höher der technologische Status einer Gesellschaft ist. Wenn gewisse mitteleuropäische Politiker vorgeben, den technologischen Stand ihrer Länder deshalb steigern zu wollen, weil sie dadurch Vollbeschäftigung gewährleisten können, dann sind sie entweder denkunfähig oder Volksbetrüger« (Anders 1980, S. 99). Was nicht unbedingt ein Widerspruch sein muß.

»Tatsächlich sind die >Arbeitsplätze< heißenden Produkte so wichtig, daß Politiker, die nie welche erfinden oder organisieren, ebensogut gleich ihren Hut nehmen können. Die keine versprochen haben, gibt es keine. Freilich auch keine, die auf die Dialektik von heute, die Geläufigkeit von steigender Technik und sinkendem Bedarf an Arbeitern bzw. Arbeitsplätzen eine Antwort wüßten« (Anders 1989, S. 41). Konträr zur mehrheitlichen Stimmungslage gilt es festzuhalten: Arbeiterfeindlich ist der, der die Arbeiter als Arbeiter erhalten will, nicht der, der sie aus der Knechtung der Arbeit befreien will.

Die Arbeit leidet an Marasmus. Sie frißt ihre Arbeitskräfte auf und hat die Fähigkeit der generellen Regeneration verloren. Daß nicht einmal mehr in den führenden kapitalistischen Ländern die Arbeit vor dem sozialen Absturz bewahrt, davon zeugen auch tiefliegende Löhne. Working poor ist mehr als ein Schlagwort, es ist bittere Realität für viele Arbeitsplatzbesitzer. Das Arbeitslager gleicht einem globalen Lazarett und Leichenschauhaus. Entwesung geht in Verwesung über. Der österreichische Kanzler Viktor Klima ist somit nichts anderes mehr als – frei nach Hegel oder Nestroy – der örtliche Verweser der Arbeit.

Arbeitsbefreiung als Arbeitslosigkeit

Wir haben uns auf den Märkten in Konkurrenz aufeinander zu beziehen, nicht in Unterstützung und Solidarität unsere Bedürfnisse zu regeln. Wir sind nicht füreinander da, sondern haben einander zu bekriegen. War Konkurrenz einst ein notwendiges Mittel, die Menschen ideell und materiell der Beschränktheit der Scholle zu reißen, ein dynamisches Prinzip sondergleichen, so ist sie heute zu einem Selbstleger geworden. »Die Leitnorm des herrschenden Wirtschaftssystems heißt expansive Verdrängungskonkurrenz. Sie ermöglicht es, Sinnfragen und Abwägungen einem äußerst simplen Vorteilskalkül unterzuordnen: Was sich durchsetzen läßt, ist richtig; was in der Konkurrenz den Kürzeren zieht, hat damit sich als falsch erwiesen«, schreibt Erich Kitzmüller (Kitzmüller 1997, S. 174). Mangels Ausweitungsmöglichkeiten vernichtet die Konkurrenz sich selbst. Das heißt aber auch: Je besser es in Teilbereichen (Branchen, Regionen etc.) gelingt, wirklich in der Konkurrenz zu bestehen und somit auch Arbeitsplätze zu schaffen, desto mehr werden woanders abgeschafft. Standortsicherung ist eine eliminatorische Größe.

Arbeitslos sein bedeutet, als Arbeitskraft konkurrenzunfähig zu sein. Und das ist mit sozialer Degradierung verbunden. Zweifellos, die Arbeitslosigkeit ist ein Schrecken. Aber diesen Schrecken richtet die Arbeit an, nicht die Untätigkeit. Wenn Arbeitslosigkeit Elend schafft, dann ist sofort einzuwenden, daß die Arbeitslosigkeit eine subordinierte Komponente der Arbeit selbst ist, nicht deren Gegenteil, als die sie oberflächlich erscheint. Arbeitslosigkeit meint Entwertung, und dies in einer Gesellschaft, in der der Wert das vorherrschende Gesetz ist. Psychisch erleben die ausgestoßenen Personen einen wahren Entwertungsschock. Nicht zufällig stammen Wert und Würde, wie Marx schon betonte (Marx 1969c, S. 372), vom gleichen gotischen Begriff (vairths) ab.

Arbeitslosigkeit tritt auf als Schande, als Schwäche, als Unfähigkeit, als Wertlosigkeit. Und genauso muß sie auch in dieser Gesellschaft gedacht werden. Die Betroffenen sind gezeichnet. Sozialfälle nennt man sie. Ohne gesellschaftliche Alternativen geraten sie leicht in die unselige Versuchung, Sündenböcke zu suchen, die sie direkt für ihre Situation verantwortlich machen. Denn in diesen Bahnen haben sie fühlen gelernt. Die soziale Perspektivlosigkeit der sozial Deklassierten birgt rassistischen Sprengstoff.

Wenn entlassene »Kräfte« nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen, dann demonstriert sich an ihnen nur, wie sehr sie dem Kult der Arbeit verfallen sind. Ihr Leben haben sie tatsächlich mit der Arbeit identifiziert; ist diese weg, scheint das Leben leer und sinnlos geworden zu sein. Der absurde Satz »Arbeit macht das Leben aus« ist nicht nur dahingehend richtig, sondern auch in seiner zweiten Bedeutung: aus im Sinne von ausmachen = auslöschen.

Arbeit meint nicht Erfüllung des Lebens, sondern Mühsal der Existenz. Arbeitszeit ist gestohlene Lebenszeit. Daß Arbeitsplätze in einer Situation, wo sie sich als überflüssig erweisen, geradezu angebetet und erfleht werden, daß man sich nicht freuen kann, wo Freude angesagt wäre, ist eine Groteske sondergleichen. Eine marktwirtschaftliche, wohlgemerkt. Da gilt es eisern zu Nestroy zu halten und dagegen zu sein: »Nein, Arbeit verlang’ ich keine mehr, denn das wär’ überflüssig, und ich darf nur das Notwendige verlangen« (Nestroy 1975, S. 189).

Nicht Fatalismus ist angesagt. Es geht nicht darum, die kapitalistischen Verwüstungen hinzunehmen oder gar als Naturnotwendigkeit zu bejahen und zu propagieren. Die Arbeitslosen haben recht, wenn sie gegen ihre Arbeitslosigkeit protestieren. Aber sie dürfen dabei nicht stehen bleiben. Wer gegen die Arbeitslosigkeit kämpft, darf nicht für die Arbeit kämpfen, also für die Verursacherin derselben. Das ist natürlich nicht einfach zu vermitteln, wo doch jeder einzelne auf Arbeit angewiesen ist, will er gesellschaftlich bestehen. Naheliegender ist so der dem gesunden Menschenverstand entspringende Gedanke, aus der Notwendigkeit des Individuums auf die Notwendigkeit der Allgemeinheit zu schließen. Dies freilich ist ein Kurzschluß, ganz ähnlich übrigens dem, daß der vernünftige Gesamtwille sich aus den Einzelinteressen ableite. Gerade in der Überwindung solcher Kurzschlüsse besteht eine immense strategische Herausforderung. Es ist nicht zu leugnen, daß heute niemand weiß, wie all das zielstrebig zu bewerkstelligen sei. Vordringlich scheint vorerst einmal die Formulierung korrekter Fragestellungen.

Selbstentwirklichung

Arbeit ist Übel. Arbeit ist Leid. Arbeit richtet die Menschen psychisch und physisch zugrunde. Einst unabdingbar für das Fortkommen, wird sie heute immer unnotwendiger und unmöglicher. Arbeit ist Selbstentwirklichung. Sie wird getan, weil sie Lohn bringt. Nach dem Sinn der Beschäftigung soll erst gar nicht mehr gefragt werden. Wichtig ist, ob sie sich rentiert, ob sie Profite, Löhne, Arbeitsplätze abwirft. Die Leute haben gefälligst zu arbeiten. Bis zum letzten Schweißtropfen gilt es, sich daran zu klammern.

Arbeit macht nicht frei, sie ist die Unfreiheit par excellence, der aufgeherrschte Zwang zur Entmenschlichung, was heißt: sich zu verdingen, zu verkaufen, zu verwerten. Nichts anderes sollen sie auch wollen. »Wir wollen arbeiten müssen«, singt der Arbeitergefangenenchor. Warum aber sollen wir wollen? Weil wir wollen müssen! Unser Wille ist Gesetz, weil er uns gesetzt ist. Wir sind so dimensioniert, wir lassen nicht von unserer Maske, die wir als Haut verstehen. Die Modalverben fallen nicht auseinander, sondern zu einem Zwang, den man gewöhnlich Freiheit nennt, zusammen. Arbeit ist der Aggressor der Moderne. Und er sitzt auch in den Individuen selbst.

Arbeit zeichnet den Menschen nicht aus, sie zeichnet ihn vielmehr. Die Fabriken, die Büros, die Verkaufshallen, die Baustellen: sie sind legale Institutionen zur Vernichtung menschlicher Substanz. Die Spuren der Arbeit, wir sehen sie täglich an den Gesichtern und an den Körpern. An nichts laborieren die Menschen mehr als an der ihnen zugemuteten und angetanen Arbeit.

Auch die verdummende Massenkulturindustrie hat ihre Bedingung nicht in sich selbst, sondern in den demotivierenden Alltagsprozessen der Menschen, vor allem in der Lohnarbeit. In deren Wesen haben geistige Beschränktheit und praktische Angepaßtheit ihre Wurzeln. Sie ist der Grund von Abgestumpftheit und Abgeklärtheit der bürgerlichen Individuen. »Der Betrieb ist der Ort, an dem der Typ des medial gewissenlosen Menschen hergestellt wird, der Geburtsort des Konformisten«, sagt Günther Anders (Anders 1956, S. 289-290). Arbeit stumpft ab. Arbeit macht dumm.

Arbeit ist Demütigung. Etwas, das über uns hereinbricht, eine Heimsuchung, derer wir uns erwehren müssen, so gut wir können. Die Alternative dazu ist ja nicht die Untätigkeit, sondern das individuelle und kollektive Bereiten eines sinnvollen Werkens und Wirkens in den unterschiedlichsten Bereichen. Aus der Nichtarbeit folgt keine Untätigkeit oder gar Nichtsnützigkeit. Im Gegenteil: Die Überwindung der Arbeit ist die Voraussetzung der Verallgemeinerung der Kreativität. Sie wird aus ihrem Dasein als Randexistenz befreit. Kommunismus kann ja überhaupt nichts anderes sein, als sich in aller Kreativität einander zu schenken.

Es war nicht die Arbeit, die die Menschen voranbrachte, sondern das mit Geist erfüllte Tätigwerden. Es war und ist die Kreativität, die sich in den verschiedensten Formen gesellschaftlich akzentuierte, die jeweils die obligaten Kreisläufe zu durchbrechen bewerkstelligte und so etwas wie (Vor-)Geschichte, Aufstieg und Fortschritt – auch wenn man stets nach deren Qualität fragen muß – ermöglichte.

Entwertung der Werte

Während man gemeinhin davon ausgeht, daß jede Arbeit (wieder) etwas Wert werden soll, gehen wir davon aus, daß Arbeit sich fortwährend entwertet und daß das eigentlich positiv ist. Negativ wird es nur, weil die konstruktive Entwicklung an einen destruktiven Gesamtzusammenhang gebunden ist und an ihm verunglückt. So wird eben aus der Arbeitsbefreiung eine Arbeitslosigkeit. Es geht nicht um die Umwertung der Werte (womit der ganze Rattenschwanz von der Arbeit über die Demokratie bis zur Freiheit gemeint ist), sondern darum, daß die negative Entwertung positiv gewendet wird. Die Aufhebungsbewegung hat eine Entwertungsbewegung zu sein.

Der Kampf gegen die Realabstraktion Arbeit kann durchaus als Auftakt zu einer noch weitergehenden Kampagne der Entwertung der Werte interpretiert werden. Genau das steht an: das definitive »Würdelos-Machen« heiliger Begriffe und Prinzipien im öffentlichen Diskurs. Das reell Prekäre muß auch im Kopf prekär werden. Das Marode muß als marod benannt werden. Anstatt den Irrglauben zu stärken – so etwa die Propaganda-Agenturen, allen voran die Sozialdemokratie – , gilt es diesen stets zu problematisieren, zu unterlaufen und schließlich zu überwinden.

Transvolutionäre Blasphemie ist angesagt. Sie bedeutet, die Achtung der Arbeit in deren Ächtung zu überführen. Verächtlichmachen durch beharrliche Ideologiekritik ist ihr Mittel, Ächtung von Arbeit, Wert und Geld ihr Ziel. Ein Durchbruch oder gar eine Verallgemeinerung dieser Blasphemie ist jedoch nur möglich, wenn diese tatsächlich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen korrespondiert. Ansonsten mag sie zwar richtig sein (was ja auch nicht wenig wäre), aber sie stünde dann aktuell auf verlorenem Posten.

Nicht Transformation der Arbeit steht an, sondern ihre Entformierung als gesellschaftliches Formprinzip. Sie geht nicht über, sie geht unter. Aufzupassen gilt es also, daß die Leute nicht mit ihr untergehen, sondern sich gegen sie emanzipieren, sich aus ihrem Joch zu befreien verstehen.

Kampagne gegen die Arbeit

Das Heldenlied der Arbeit steht vor seinem Abgesang. Ungeachtet dessen intoniert sich jenes noch einmal als politischer Leitkanon aller Gläubigen. Ob Katholiken oder Sozialisten, Protestanten oder Faschisten, Grüne oder Liberale, Wirtschaftstreibende oder Gewerkschafter, die Arbeit eint sie zu einer einzigartigen abendländischen Prozession. Die rituellen Sprechchöre, die nach Arbeit schreien, sind ja nicht zu überhören. Auch wenn ihnen zusehends etwas Gespenstisches anhaftet.

Was ansteht, ist das Gegenteil des Aufgeführten: nicht ein Bündnis für Arbeit, sondern eine Kampagne gegen die Arbeit. Eine, die die geistigen Beschränkungen der alten Arbeiterbewegung, aber auch der neuen Arbeitsloseninitiativen zu überwinden versteht. Soziale Perspektive und sozialer Kampf sind nicht mehr prinzipiell an einer affirmativen Bezugnahme auf Arbeit und Geld auszurichten. Dieser Tabubruch ist nötig, um den Paradigmenwechsel zu ermöglichen.

Der Feierabend der Arbeit ist potentiell vielversprechend, in seinen konkreten Verwirklichungen aber barbarisch, weil die Fortschritte als Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit oder Perspektivlosigkeit über die Leute hereinbrechen. Neue Formen der Solidarität, und zwar abseits der obligaten Forderungen nach (mehr) Arbeit und Geld, sind deswegen vonnöten. Nicht das einmal Erreichte ist zu sichern oder gar zurückzuholen, sondern es geht darum, Zukunft zu entwerfen. Notwendig ist die direkte Anerkennung des Gegenübers in der Kommunikation. Das Wer bist du? hat über die Frage des Was bist du? zu obsiegen, so daß die Menschen sich als sie selbst, nicht als und über ihre bürgerliche Rolle definieren müssen. Somit sich der Charaktermaske entledigen. Arbeit ist bloß Anerkennung der Menschen auf einem Umweg gewesen.

Der rechts-linke Konsens von »Arbeit schaffen« muß negiert werden. Ganz ketzerisch ist zu fragen: Wer soll eigentlich wozu vollbeschäftigt werden? – Nicht um das »Recht auf Arbeit« ist zu kämpfen, sondern um einen selbstverständlichen »Anspruch auf Leben«. Und das meint nicht die bloße Existenz, sondern ganz profan die Teilhabe an der erzeugten Güter- und Leistungsfülle, die heute global hervorgebracht werden kann. Der Vorsatz »Wir wollen fleißig arbeiten« ist durch den Ansatz »Wir wollen gut leben« zu ersetzen. Selbstbewußtsein ist angesagt, nicht Bittstellerei. Mut statt Demut.

Dem Recht auf Arbeit ist aber kein Recht auf Faulheit entgegenzusetzen. Es gilt einen kreativen Müßiggang ins Auge zu fassen, ein produktives Tätigsein, das frei ist vom Zwang zur Verwertung. Langsamkeit und Effektivität schließen sich da nicht aus. Muße ist anstatt von Müssen zu etablieren. Das Bewußte hat das Bewußtlose abzulösen. Kreativität und Produktivität, Aktivität und Solidarität stehen im Mittelpunkt zukünftiger Praxis, ja selbst das scheinbar abgeschmackte Wort der Werktätigkeit könnte unversehens wieder zu Ehren kommen. Zweifellos: Getan werden wird. Gearbeitet werden muß deswegen noch lange nicht.

Ziel ist die Abnahme der gesellschaftlich gebundenen Zeit. Emanzipation heißt Kampf gegen den existentiellen Kampf und schließlich dessen Überwindung, zumindest was die materielle Seite anbetrifft. Es geht um den Schritt vom Überleben zum Leben. Um nichts weniger als um den Austritt aus der menschlichen Vorgeschichte: »Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion« (Marx/Engels 1969d, S. 828). Auf der Tagesordnung steht eine emanzipatorische Aneignung der Zeit. Damit die Zeitgenossen auch Zeitgenießer werden.

Literatur

Anders, Günther (1956): Die Antiquiertheit des Menschen, Band 1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München

Anders, Günther (1980): Die Antiquiertheit des Menschen, Band 11: Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, München

Anders, Günther (1989): Sprache und Endzeit [Manuskript des dritten Bandes der »Antiquiertheit«]; in: Forvm, Oktober/November 1989

Berger, Wilhelm/Paul-Horn, Ina (1997): Arbeit und Bedürfnisse. Thesen zu einem Interpretationsmodell, in: Paul-Horn, Ina (Hg.), 1997

Dietzgen, Josef (1930): Sämtliche Schriften, Bd. 1, 4- Auflage, Berlin

Engels, Friedrich (1969): Dialektik der Natur, MEW, Bd. 20, Berlin

Franzobel (1995): Die Krautflut. Erzählung, Frankfurt/Main

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1986a): Bewußtseinslehre für die Mittelklasse; in: Werke, Bd. 4, Frankfurt/Main

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (19866): Grundlinien der Philosophie des Rechts; in: Werke, Bd. 7, Frankfurt/Main

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1986c): Phänomenologie des Geistes, Werke, Bd. 3, Frankfurt/Main

Kant, Immanuel (1977): Anthropologie in pragmatischer Absicht; in: Werkausgabe Bd. XII, Frankfurt/Main

Kitzmüller, Erich (1997): Von der Arbeitsgesellschaft zur Tätigkeitsgesellschaft; in: Paul-Horn, Ina (Hg.) 1997

Lunatscharski, A. (1908): Religion und Sozialismus, Teil I, Petersburg (russ.), zit. nach: Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Bd. 2, Moskau o. J.

Marx, Karl (1969a): Das Kapital, Erster Band, MEW, Bd. 23, Berlin

Marx, Karl/Engels, Friedrich (19696): Die deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, Berlin

Marx, Karl (1969c): [Randglossen zu Adolph Wagners »Lehrbuch der politischen Ökonomie«], MEW, Bd. 19, Berlin

Marx, Karl (1969d): Das Kapital, Dritter Band, MEW, Bd. 25, Berlin

Marx, Karl (1970): Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW, Bd. 1, Berlin

Marx, Karl (1972): Über Friedrich List, Berlin

Marx, Karl (1983): Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW, Bd. 42, Berlin

Nestroy, Johann (1975): Das Notwendige und das Überflüssige. Posse mit Gesang in zwei Akten. Bearbeitet von Karl Kraus, II. Akt, 3. Szene; in: Karl Kraus, Nestroy und die Nachwelt, Frankfurt/Main

Paul-Horn, Ina (Hg.) (1997): Transformation der Arbeit. Prozeßwissenschaftliche Erforschung einer Grundkategorie, Wien

Schneyder, Werner (1998): Anmerkungen eines Solisten; in: Cap, Josef/ Fischer, Heinz (Hg.), Rote Markierungen für das 21. Jahrhundert, Wien

Schwarz, Gerhard (1997): Utopien der Arbeit; in: Paul-Horn, Ina (Hg.), 1997

Stalin, Josef o. J.: ZPA des IML, Fonds 558, Liste 1, Dok. 5262, Bl. 2, zit. nach: Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Bd. 2, Moskau o. J.

Fußnoten

(1) Die Bezeichnung Kapitalteil ist deswegen deutlicher als Kapital, weil sie die konstitutive Immanenz des Kapitalteils zum Kapitalverhältnis besser zutage fördert, es also weniger leicht ist zu behaupten, dem Arbeiter sei seine Kapitalfunktion von außen aufgedrängt, anstatt, daß sie ihn ausmacht.

aus: Robert Kurz/Ernst Lohoff/Norbert Trenkle (Hg.), Feierabend! Elf Attacken gegen die Arbeit, Hamburg 1999, S. 57-76.

image_print