Exklusionslogik

Die Kapitalismuskritik von Papst Franziskus ernster nehmen als der Heilige Vater selbst?

von Stefan Meretz

»Diese Wirtschaft tötet« – kann man ein vernichtenderes Urteil über den Kapitalismus fällen? In seiner ersten programmatischen Schrift hat Franziskus eine scharfe Kritik formuliert. Nun würden wir erwarten, dass einzelne Auswüchse der heiligen Marktwirtschaft mit viel moralischem Pathos angeprangert werden, doch der Papst wird grundsätzlicher. Alle folgenden Zitate stammen von den Seiten 35 bis 38 aus der »Freude des Evangeliums«.

Mit seinem »Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung« benennt Franziskus eine grundsätzliche Logik in der Marktwirtschaft. Setzen sich die Einen durch, fliegen die Anderen raus. Der Kapitalismus produziert systematisch Ausgeschlossene: »Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht.« Die Exklusionslogik ist in die DNA des Kapitalismus eingeschrieben. Die Exklusion hängt nicht vom bösen Wollen Einzelner ab, sondern ist eine Eigenschaft des Betriebssystems, ist seine Logik. Und der können wir uns nicht entziehen. Ob wir es wollen oder nicht, bereits jeder Kaufakt entscheidet darüber, unter welchen Bedingungen die gekaufte Ware am anderen Ende der Welt hergestellt wird. Und jeder unterlassene Kaufakt bedeutet vielleicht sogar, dass es für die betroffenen Menschen gar keine Chance mehr gibt, die eigene Arbeitskraft erfolgreich zu verkaufen, wenn die Fabrik dicht macht. Denn gerade für die kapitalistische Produktion gilt: »Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann«.

Das nächste Nein richtet sich gegen den »Fetischismus des Geldes«. Will der Papst in die Fußstapfen des großen Fetischkritikers Karl Marx treten? Oder führt die genaue Beobachtung der »Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel« geradezu zwangsläufig zur Kritik des Waren- und Geldfetischs? Für das, was Marx noch analytisch-allgemein als Verkehrung von sozialen und sachlichen Verhältnissen fasst, findet der Papst eine anschauliche Beschreibung: »Es entsteht eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt«. Warum hören wir das nie im Bundestag? Ist die Linke nicht viel zu sehr im traditionellen Denken befangen, wenn sie meint, mit Umverteilung die Probleme lösen zu können? Es spricht nichts gegen Umverteilung, sogar viel dafür, aber greift sie nicht zu kurz, wenn sie nicht mit päpstlicher Fundamentalkritik verbunden wird? Ist nicht wieder mehr systemische Kritik nötig? Etwa dieser Art: »In diesem System, das dazu neigt, alles aufzusaugen, … ist alles Schwache … wehrlos gegenüber den Interessen des vergötterten Marktes, die zur absoluten Regel werden«. Also eine fundamentale Waren-, Geld- und Marktkritik.

Wie sehr die Franziskus-Kritik trifft, zeigt die Verteidigung des Kapitalismus durch »ZEIT«-Herausgeber Josef Joffe. Er erklärt, dass der Kapitalismus eine tolle Sache ist, weil die Alternativen – er nennt Feudalismus und Kommunismus – historisch gescheitert seien. Auch eine Logik. So peinlich der ideologische Rettungsversuch ist, er verweist auf ein grundsätzliches Problem bei seinen KritikerInnen: Welche Alternativen haben sie zu bieten?

Nehmen wir die Papstkritik ernster als dieser das selber tut, dann kann eine Folgerung nur darin bestehen, dass wir die Alternativen nicht in einer Modifikation des Kapitalismus finden werden. Es spricht nichts gegen Verbesserungen, aber wer Emanzipation für alle will, muss die Exklusionslogik und den Geldfetisch angreifen und aufheben. Darunter ist eine wirkliche Veränderung nicht zu haben.

Die Alternative zur Logik der Exklusion ist eine Logik der Inklusion, die nur eine Inklusion aller sein kann. Die Alternative zum Geldfetisch sind demonetarisierte Beziehungen zwischen den SchöpferInnen und den NutzerInnen der Dinge, die wir zum Leben benötigen. Aber kann es so etwas überhaupt geben?

Die Antwort lautet Ja. So etwas gibt es bereits, wenn auch nur im Miniformat und mit allen Widersprüchen versehen. Die Rede ist von den Commons, den gemeinschaftlich und selbstorganisiert genutzten Ressourcen und Gütern zur Produktion der Dinge, die wir wirklich brauchen. Es geht um eine neue Produktionsweise jenseits von Markt und Staat, gewissermaßen um eine Wirtschaft, die nicht tötet und niemanden ausschließt.

Erschienen in der Kolumne »Krisenstab« im Neuen Deutschland vom 9.12.2013

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