Hass

Streifzüge 43/2008

von Ilse Bindseil

Ich habe ein Problem mit dem Hass. Erstens habe ich ein Problem zu hassen, bin „hassgehemmt“, und zweitens habe ich ein Problem mit der Vergegenständlichung und der Zweckbindung: Wen oder was soll ich hassen und warum? Das Letztere hängt vermutlich mit dem Ersteren zusammen. Auch zum Hass braucht man ein Talent.

Gelegentlich befällt er mich. Dann suche ich nach einem geeigneten Gegenstand und Grund wie der Heiratsvermittler nach einer Braut. Einzelne Menschen zu hassen verbietet mir meine Selbstachtung oder aber meine Hasshemmung. Soviel Macht über mich räume ich niemandem ein, dass ich mich genötigt fühlen könnte, ihn zu hassen; oder ich kann einfach nicht. Werde ich gehasst – und das kommt vor -, traue ich dem Hass auf mich nicht. Ich kann ihn nicht ernst nehmen; es wäre zu viel der Ehre. Das hat nichts mit konstruktiver Selbstkritik zu tun, eher damit, dass ich auf einer Stufe stehen geblieben bin, auf der man nicht ernst genommen, dafür lieb gehabt wird. Wenn mir Hass entgegenschlägt, bin ich weniger eingeschüchtert und gekränkt als vielmehr verwundert; ich traue meinen Augen nicht! Bin auch ein wenig geschmeichelt; der mich hasst, hält mich für erwachsen, vielleicht weiß er mehr über mich als ich! Für bare Münze nehme ich seinen Hass gleichwohl nicht; oder ihn, den Hasser, nicht für voll. Wäre ich erwachsen, denke ich, dann würde ich hassen wie ein Mann. Dass er hasst, erscheint mir dagegen wie ein Beweis, dass auch er nicht richtig erwachsen ist. Wenn ich erwachsen wäre, ich würde richtig hassen. In solchen Verrenkungen denke ich, wenn es um Hass geht.

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Sobald ich hasse, ergreift eine Malaise von mir Besitz. So dilettantisch ich mich auch anstellen mag, das Unbehagen ist real. Es ist, als hätte ich „mich verwechselt“. Das passiert mir immer, wenn ich mein Heil in der Abgrenzung suche. Hassen ist Unterscheiden und führt zu nichts. Abgrenzen bedeutet Abspalten. Es führt zu Verdruss: Das Ich zerbröselt. Schließlich erkennt man doch nur, was man wiedererkennt, und nichts anderes kann auch der fatale Satz bedeuten, der der unveräußerliche Bestandteil jeder Hasstirade ist: Ich habe ihn durchschaut. Zwar setzt die theoretische Wahrheit, derzufolge die Qualität eine und unteilbar ist, sich hinter dem Rücken der Empirie wieder durch und verschafft sich ausgerechnet in der mythologischen Überzeugung Ausdruck: Was man dem andern erfolgreich „angehängt“ habe, dessen brauche man sich selbst nicht zu verdächtigen; wenn es „dort“ sei, könne es nicht „hier“ sein (sonst wäre es ja geteilt). Andererseits, wäre nicht die Überwindung einer Schranke nötig, man müsste das große Wort vom Durchschauen nicht bemühen. Es ist die Schranke zwischen Person und Person, die die kontinuierliche, in sich zerfließende Eigenschaft teilt, so dass diese diskontinuierlich wird. Wenn man den andern „durchschaut“, dann hat man die Personschranke unterlaufen, man hat, ohne sich dessen bewusst zu sein, tief in sich selbst hineingeschaut; da gibt’s keine Schranke. Kein Wunder, dass der Befund erheblich ist, sieht man das Gehasste doch so, wie es als Eigenschaft nun einmal ist: einfach und ungeteilt.

Meist wiegt man sich ja in trügerischer Sicherheit, da der intellektuelle Aufwand, Hass zu empfinden, das Ich stärkt. Spürbar entfernt das Nachdenken über einen andern von der eigenen Person, und die filigrane Verbindung des Hasses mit seinem Grund, die Rechtfertigung, stärkt das Ich. Da aber die offizielle Version hoffnungslos zweideutig, verlogen und zerrüttet ist (steht ihr zufolge am Anfang des Hasses doch der Grund, während in Wirklichkeit am Anfang des Hasses der Hass steht), findet das Ich keine Möglichkeit, sich zu platzieren: auf Seiten des rationalisierenden Intellekts oder auf Seiten des sprachlosen Affekts. Angetrieben von der starken Empfindung, die es gleichzeitig rationalisieren und substanziieren muss, reibt es sich auf. Es begreift, dass „Sisyphusarbeit“ und „Pyrrhussieg“ im Grunde dasselbe sind; oder vielmehr, es bekommt es zu spüren.

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Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung, die der einsam Hassende führt, ist der clash befreiend, wenn zwei, die sich gegenseitig hassen, aufeinandertreffen; leider nur für die Beteiligten, die gewissermaßen in der Realität angekommen sind, deren Hass nicht nur durch den des jeweils andern gerechtfertigt, viel mehr noch als real ausgewiesen wird und die sich aus dem solipsistischen Zirkel „Ich hasse, also bin ich“ befreit und gleichsam eine Realitätsprüfung bestanden haben: „Er hasst mich, also bin ich (und zum Dank darf auch er sein)“. Mögen sie es als einen Kampf um Anerkennung auffassen, dessen glücklicher Ausgang bereits in der Anordnung vorgegeben ist; die Zuschauer sehen nur, was trauriger noch als der Irrsinn eines einzelnen ist: eine folie à deux, oder einen Irrsinn, zu zweit aufgeführt. Irrsinn und Einsamkeit, das stellt sich beim Zuschauen heraus – und rückt tendenziell auch noch die Zuschauer in ein schiefes Licht, eigentlich alle -, sind kein numerisches Problem, kein Problem der Einzelheit oder Minderheit, sondern immer noch eine Frage der Übereinstimmung der Realität mit sich selbst. Unter dem Gesichtspunkt dieses Kriteriums sind, ausnahmsweise, Einsamkeit und Irrsinn eines Einzelnen weniger und weniger traurig als die von zweien oder mehr. Auch hier gilt die sture Rechnungsart, nach der zwei mehr sind als einer; zwei, das bedeutet, dass noch der Ausweg versperrt ist!

Nichts ist trauriger, sagt Gottfried Keller in seiner famosen Novelle „Romeo und Julia auf dem Dorfe“, als wenn zwei Männer gesetzten Alters, statt ihre Vernunft zu gebrauchen, mit Fäusten aufeinander losgehen. Um die Traurigkeit der Szene ins rechte Licht zu rücken, lässt er die beiden auf einer kleinen Brücke gegeneinander antreten, und um das Peinliche ihres Anblicks deutlich zu machen, stellt er ihre Kinder dazu, junge Leute, die sozusagen einen verbrieften Anspruch auf die Vernunft ihrer Väter hätten. Die Szene ist todtraurig, sie ergreift, und nicht bloß wegen der ungeschickten Gewalt, mit der die Alten sich raufen, dabei mindestens ebenso ihr Alter ausstellend wie ihren Hass, sondern auch weil dies Aufeinandertreffen ein Sinnbild der verpassten, der pervertierten Gelegenheit ist. Schließlich, auf einer Brücke begegnet man sich; hier, wo sonst, muss man sich einfach verständigen!

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Nicht als ob der Hass böse wäre; das wäre er bloß gern. Böse ist der Konkurs der Vernunft, der Hoffnung, der Verständigung. Er schafft den leeren Raum um die, die „wie im Rausch“ sind, die sich aus eingebildeten Gründen ruinieren.

Böse ist, dass dem Hass kein Maß innewohnt. Selbst der Kategorie Maßlosigkeit gibt ihm nicht den gebührenden Halt. Maßlosigkeit zersetzt noch Maßlosigkeit. Sie laugt den Hassenden aus, ohne dem Hassobjekt Substanz zuzuführen. Mit Erfolg hassen kann man nicht.

Man rede, zum Beispiel, sich nicht ein, dass man das Fremde hasst; man möchte vielleicht, aber man kann nicht. Der Hass auf Fremdes und auf Fremde hat außer dem Selbsthass keine Ressource. Wie sollte er auch, da er Erfahrung und Kenntnis definitionsgemäß ausschließt? Wie soll er entstehen, aus welcher Quelle soll er sich erneuern? Angrenzen dagegen ist Abgrenzen, Kante ist Kante, die Nähe – oder das Eigene, wenn sich haarscharf verdoppelt zeigt, so trickreich variiert – reibt auf. Die schlecht verhehlte Ähnlichkeit macht nervös. Ähnlichkeit verkörpert eine nie beendete Aufgabe; sie muss widerlegt, das Eigene muss aus dem Kontext des andern, worein es irrtümlich geriet, befreit, es muss exorziert werden, ohne dabei als Eigenes anerkannt werden zu müssen. Es muss also vernichtet, oder der andere muss vernichtet werden.

Hass hat also kein Motiv, es sei denn, den Selbsthass in Worte zu fassen, etwas, was tabu ist, treffsicher und scharf zu bezeichnen. Bei aller Deutlichkeit ist er eine höchst nebulöse Angelegenheit, trotz aller Klarheit wirkt er verworren; man kann sagen, weil er überdeutlich ist, und das heißt überdeterminiert, und zur Frage anstachelt: was will der Hassende eigentlich sagen, und da dies ja nicht im Unklaren bleibt: wen meint er wirklich?

Gelänge es, im Hass Eigenes und Fremdes auseinander zu dividieren, sie gewissermaßen endgültig zu trennen, dann hätte der Hass nicht gesiegt, man hätte vielmehr den Hass verloren. Da Letzterer eine Säule des Selbstbewusstseins und der Selbstgewissheit ist – was wäre man ohne ihn, wie stünde man da, arm und bloß, wie man eben ist -, wäre durch die Überwindung des Hasses vor allem also das Selbst bedroht. Da dieses – sofern es noch einigermaßen bei Trost ist, also um Selbsterhaltung kämpft und noch nicht auf den Abgrund zustürzt, die Schlussapotheose der Vernichtung für nichts und wieder nichts – auch den Hass als destabiliserend und bedrohlich erlebt, als Fremdbestimmung, ja als äußere Einwirkung, als einen Störfaktor, ohne den „es so schön sein könnte“, ist es also in der Zwickmühle und hat im Grunde keine Chance; zu Recht, es ist halt nicht viel los mit ihm, wie könnte „alles paletti“ sein!

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Wie hasst man elegant? Indem man verallgemeinert; nicht zu sehr, sonst landet man beim Begriff, aber doch so weit, dass das Eigene in den schützenden Schatten gerät. Man kann umgekehrt formulieren: dass man aus dem Schatten des Privaten heraustritt und – politisch wird.

Ich werfe meine Netze aus, ziehe sie an Bord und mustere ihren Inhalt: Griechen sind hängen geblieben, Österreicher, Belgier, alles, was ähnlich und doch anders ist.

Österreicher, das begreift niemand so mühelos wie ich, sind unfähig zu trauern, kein Wunder, es fehlt ihnen an seelischer Masse. Schon das Wort „Belgier“ erinnert mich an den Hintern ihrer Pferde; kein Wunder, dass sie grobschlächtig – und vergiftet – wie ihre Fleischtomaten sind. Griechen sind arrogant, sie haben den Verlust ihrer Identität und Geschichte, man möchte schon sagen in beneidenswerter Weise weggesteckt. Ja, wären sie nicht so arrogant, man hielte sie überhaupt für andere! Anders gesagt: Man würde nicht glauben, dass es dieselben sind.

Wenn man es richtig anstellt, kann Hassen Spaß machen. Wenn man nur nicht ermüdete! Man muss am Ball bleiben. Ein Gedanke gibt den nächsten. Wenn man nur einen Augenblick innehält, verblassen die Hassobjekte bereits, werden flach wie Scherenschnitte, unendlich die Mühe, ihnen erneut Leben einzuhauchen, das heißt sich auf Touren zu bringen, den Elan wiederzufinden. Es ist, als gälte es: sie oder ich! Wenn das kein vampiristisches Verhältnis ist!

Je mehr ich an meinem Hass arbeite, desto schlechter bin ich dran oder sind meine Aussichten. Kein Wunder, wenn ich mich schlecht fühle. Wenn ich diesem Gefühl nachspüre, dann ergibt sich der Eindruck tiefer Fruchtlosigkeit: Ich arbeite und arbeite, und irgendetwas klappt nicht. An den Formulierungen und Facetten liegt es nicht; dem Witz sind keine Grenzen gesetzt, Grobes passt auf Feines. Aber irgendetwas funktioniert nicht, wie es soll. Es ist die absurde Hoffnung auf einen Transfer von den Gedanken auf das Werkstück, die sich nicht erfüllt, die Hoffnung auf eine Materialisierung. Die Intelligenz ist vorhanden, die Vorstellungen sind da. Nicht bloß, dass es Vorstellungen sind und es als solche leichter haben zu existieren. Es sind meine Vorstellungen, sie gehören zu mir, explizieren mich. Das vermeintliche Werkstück aber, das mir gegenüberliegt, existiert nicht. Kein Wunder, wenn der Transfer nicht klappt. Je mehr ich hasse, desto mehr bin ich unfreiwillig bei mir und desto weniger existiert das Hassobjekt!

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Nicht Zufall ist es also, wenn der Hass kein reales Objekt hat, sondern Methode. Da wir unsere Zwecke ohnehin nie erreichen, lese ich in der Zeitung oder in einem Roman, sollten wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf eine achtsame Wahl unserer Mittel wenden; denn, so der Hintergedanke, mit denen müssten wir schließlich leben.

Wenn es so einfach wäre! Hass wäre zweifellos ein Mittel, wenn seine absolute Zwecklosigkeit ihn nicht dazu verurteilen würde, selbst Zweck zu sein. Um ihn als Mittel verwenden – und meinetwegen auch der Achtsamkeitsprüfung unterziehen – zu können, müsste man erst einmal in der Lage sein, für ihn einen Zweck anzugeben. Man müsste in jenem umfänglichen moralischen Rahmen dazu in der Lage sein, der erkenntnistheoretische Ehrlichkeit mit moralischer Schonungslosigkeit verbindet. Das heißt, man müsste sich als Zweck des Hasses anzugeben in der Lage sein.

Aus der Perspektive des Hasses, der letztlich dies zu verhindern sucht und darin sozusagen seinen Zweck hat, erscheint die Aufgabe höllisch unangenehm. Dann schon lieber hassen! Dabei winkt ja nicht nur ungebetene Selbsterkenntnis, auch Erleichterung winkt; nicht bloß die kompliziert als Aufwandsersparnis gefasste Erleichterung, die die Ersparnis von gleichermaßen Gefühls- und Begriffs-, also Affekt- und Rationalisierungsaufwand meint, sondern auch die ganz konkrete, man mag sagen kindliche Erleichterung darüber, dass dem schrecklichen Hass kein wahrhaft schrecklicher, eher ein mickriger, lächerlicher oder rührender, jedenfalls kein wahrhaft gefährlicher Gegenstand entspricht, und das ist, wenn man es denn einmal vorurteilslos betrachtet, alle Erleichterung wert.

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