Die „Fleißigen“ und die „Faulen“

Notizen zu einem Dauerbrenner

von Oertwin Rosner

Wer gehofft hatte, die FPÖ sei im Zuge der Ereignisse der vergangenen fünf Jahre zu einer echten Opposition gegen das System gereift — dem knallte auf ihren Plakaten für die Wiener Gemeinderatswahl der alte Stil brutal entgegen: „Fleißige belohnen statt Asylmillionen“; „Sichere Pensionen statt Asylmillionen“; „Preise senken statt Asylmillionen verschenken“. Na bumm, was man alles erreichen könnte, wenn man sich nur der Asylanten entledigte.

Gegen die sprachliche Phalanx kommt man kaum an. Wie ein Schleier legt sie sich über alles: „Nichtstuer“, „durchfüttern“, „auf unsere Kosten ein bequemes Leben“, „Geschenke für Sozialtouristen“, „Findest Du das in Ordnung, wenn jemand, ohne einen Beitrag geleistet zu haben …“, „Wie kann jemand, der illegal hier lebt …“

Zum Allererstaunlichsten gehört stets der Automatismus, mit dem diese Vokabeln nur so heraussprudeln. So diffus allein der Begriff der „Fleißigen“ ist, so unbrauchbar er darum politisch ist, so überzeugt ist man natürlich, dass man selbst zu den „Fleißigen“ dazu gehört. Dass viele, die den Slogans zujubeln, selbst ihr halbes Leben lang von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe gelebt haben, sei nur als Pointe am Rande erwähnt. Sie sind nichtsdestoweniger davon überzeugt, dass es bei ihnen selbst natürlich etwas anderes ist, sie selbst waren sicher nie „faul“.

Eine Oppositionspartei? Wohl eher nicht. Das Sprachreservoir, aus dem hier geschöpft wird, schützt das System, behütet die Reichen. Sie kommen im Netz der abfälligen Begriffe nicht vor. Man ist dem Nachbarn, dem Flüchtling, dem Arbeitslosen die Brosamen neidig. Der gut betuchte Bauunternehmer aber hat sicher etwas „geleistet“, sonst hätte er ja nicht so einen „Erfolg“. Und wenn die Schmarotzer einem nicht das Geld wegnähmen, hätte man den ja selbst auch.

Diese Zustände seien doch ungerecht, sagt man mir. Das sind sie wohl wirklich. Aber eine Grundsatzdebatte um die gerechte und sinnvolle Verteilung von Arbeit und Gütern (ganz zu schweigen von einer Infragestellung der Arbeitszwangsgesellschaft als solcher) findet hier eben nicht statt, sondern wird gerade verhindert und durch bloße Stimmungsmache gegen bestimmte Personengruppen ersetzt, noch dazu gegen solche, die, und das ist das eigentlich Perverse daran, selbst ohnehin unterprivilegiert sind, während die Superreichen und ihre Steueroasen nicht einmal erwähnt werden.

Ein uraltes Prinzip schimmert durch: Teile und herrsche. Im Ablenkungsdiskurs kommt die Klassenfrage nicht vor, nur Nebenwidersprüche — das hat übrigens dieser Diskurs mit der angeblich linken Wokeness in auffälliger Weise gemeinsam, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Die aus dem eher unteren Teil des Spektrums der Gesellschaft werden gegeneinander aufgestachelt, während Stillschweigen über das bewahrt wird, was die wirklich Mächtigen alles an sich reißen.

Eine merkwürdige Synergie der sogenannten Oppositionspartei mit den Regierenden zeichnet sich ab. Zeitgleich setzt schließlich auch die Obrigkeit ihre Schwerpunkte. Und wie auffällig das einander entspricht. „Regierung greift durch — diese neue AMS-Regel kommt“, lautete eine Schlagzeile Anfang April. Wer Teilzeit statt Vollzeit arbeite, sei „asozial“, verkündete die niederösterreichische Landeshauptfrau schon im Jänner.

Oder wie Fabian Lehr auf Facebook den hier unterschwellig stattfindenden Dialog zwischen Politik und Volk treffend wiedergibt: „‘Wir werden deine Arbeitszeit verlängern. Wir werden dich, sobald du arbeitslos wirst, in den elendsten Mindestlohnjob prügeln oder dich auf der Straße verrecken lassen, wenn deine Miete zu hoch ist. Wir werden demnächst deine Kinder einziehen, um notfalls für die Interessen des deutschen Kapitals an der Ostfront zu verrecken. Aber hey — dafür schieben wir auch deine ausländischen Nachbarn ab! Deal?‘ — Und die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sagt aktuell: ‚Ja – Deal!‘“

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