Mauern und Zäune

von Lorenz Glatz

Die deutsche Künstlergruppe „Zentrum politischer Schönheit“ wollte zu den Feiern des 25. Jahrestags des Falls der Berliner Mauer in Bulgarien den neuen Eisernen Vorhang an der EU-Außengrenze zur Türkei mit Bolzenschneidern öffnen.

Die Aktion wurde zum Exempel grenzüberschreitender politischer Zusammenarbeit der deutschen, bulgarischen und griechischen Polizei, die in gelungener Kommunikation und Abstimmung die Busse durchsuchten, eskortierten, an den Grenzen sicher übergaben und die Leute natürlich hunderte Meter vor dem Stacheldraht vor Verletzungen desselben schön bewahrten.

In Berlin und sonstwo am alten Eisernen Vorhang wollte einst das Personal der damals drüben herrschenden Systemvariante „ihre Leute“ eher erschießen als hinüber lassen, weil sie noch verwertbar schienen. Ihre Gegenstücke hier herüben haben sie aus demselben Grund gebraucht. Die Richtung der Fluchtbewegung war vor allem anderen bestimmt vom Preis der Ware Arbeitskraft und dem ganzen Drumherum. Die Fluchthelfer galten auf unserer Seite als Helden, für die Flüchtlinge standen Arbeitsmärkte und ein Stück glitzernder Konsum bereit.

Die aktuellen Zäune sperren nicht mehr ein, sie sperren aus. Fluchthelfer heißen jetzt „Schlepper“ und sind kriminell. Was die Flüchtlinge hierher auf den Markt bringen, ist nicht mehr so gefragt, sie stören, „nehmen uns die Arbeitsplätze weg“, sind ein „Sicherheitsrisiko“. Sie heißen jetzt „Schmarotzer“, sie suchen Arbeit, die es daheim nicht gibt und sich auch hier verdünnisiert. Die meisten aber laufen einfach um ihr Leben. Denn wenn der Kapitalismus sich an menschlichem Frischfleisch überfressen hat und nicht mehr weiter wachsen kann, wuchert seine „Wolf“-Moral drüben wie auch hüben aus in offene Gewalt. Ob die des Staats, ob die des Terrors. Der Selbstlauf dieser Logik lässt am Ende nichts, wohin eins fliehen könnte. Da ist nichts zu reparieren, diese Logik ist bloß zu ersetzen. Es ist möglich, denn Menschsein geht auch anders.

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