Am Tropf der Kapitalverwertung

Ist die Rohstoffspekulation für hohe Nahrungsmittelpreise verantwortlich?

von Tomasz Konicz

Einer gelungenen Spekulation liegt letztendlich immer eine adäquate Prognose zugrunde. Der Spekulant wettet mit seinem Geldeinsatz auf ein bestimmtes Ereignis oder auf eine bestimmte Entwicklung, um bei deren Eintreten seinen Profit realisieren zu können. Spekulationsblasen entstehen, wenn diese Wetten auf eine bestimmte Zukunftskonstellation (wie etwa steigende Immobilienpreise) immer stärker anschwellen und im irrationalen Überschwang ein Eigenleben annehmen. Eine solche massive Spekulationsbewegung gleicht dann einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, bei der die Preise der Spekulationsobjekte ansteigen, solange diesem Pyramidenspiel frisches Geld zugeführt wird – bis zum großen Krach.

Folglich bildet die perverseste Form der Spekulationstätigkeit – die Spekulation mit Lebensmitteln – einen wichtigen Faktor bei dem gegenwärtigen Anstieg der Lebensmittelpreise. Diese spekulative Eigenbewegung wird ja durch die expansive Geldpolitik der Notenbanken zusätzlich angeheizt, die mittels der sogenannten Quantitativen Lockerung den Finanzmärkten zusätzliche Liquidität zuführen und mit ihrer Nullzinspolitik anlagesüchtiges Kapital geradezu in die Finanz- und Warenterminmärkte drängen.

Und dennoch hat die gegenwärtige Spekulationsbewegung einen realen Kern, sie baut auf einer korrekten Prognose auf. Die Spekulation verschlimmert und beschleunigt den Preisauftrieb bei Lebensmitteln, der aber aufgrund der zunehmenden Diskrepanz zwischen dem stagnierenden globalen Angebot an Nahrungsmitteln und der anschwellenden Nachfrage ohnehin eintreten muss.

Selbstverständlich ist es nicht das – ohnehin erlahmende – globale Bevölkerungswachstum, das diese Nahrungskrise auslöst. Jean Ziegler, der ehemalige UN-Sonderberichterstater für das Recht auf Nahrung, hat wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass die Weltlandwirtschaft mühelos an die zwölf Milliarden Menschen ernähren könnte. Der Preisauftrieb ist hingegen ein Symptom für die äußere, ökologische Schranke, an die das Kapital in seinem beständigen Wachstumszwang stößt: Zum einen führt der bereits voll einsetzende Klimawandel immer häufiger zu Missernten, wie etwa dieses Jahr in den Vereinigten Staaten, Russland oder der Ukraine. Andererseits steigt global die Nachfrage nach Agrarrohstoffen, mit denen die Agonie des fossilen kapitalistischen Zeitalters verlängert werden soll. Immer mehr Agrarflächen werden weltweit dazu missbraucht, um »Energiepflanzen« für »Biokraftstoffe« anzubauen, die dann in den Benzintanks unserer Autos verfeuert werden.

Tatsächlich müssen im Kapitalismus trotz des nun voll einsetzenden Klimawandels weiterhin beispielsweise immer mehr Autos gebaut werden, da nur durch diesen ökologischen Wahnsinn die ökonomische Lebensgrundlage der Lohnabhängigen gesichert werden kann. Unsere gesamte Gesellschaft hängt ja in dem absurden kapitalistischen Fetischsystem am Tropf der Kapitalverwertung. Ohne diese uferlose Produktion um der Produktion willen, die dem Selbstzweck der uferlosen Geldvermehrung dient, zerbricht die kapitalistische Arbeitsgesellschaft an sich selbst. Ökologie und Ökonomie schließen sich im Kapitalismus tatsächlich aus – dieses System gleicht einer Weltvernichtungsmaschine, die Rohstoffe und Naturressourcen der Erde buchstäblich verheizen muss.

Somit verweist die derzeitige Nahrungskrise auch auf eine umfassende Ressourcenkrise, die aus dem uferlosen Prozess der Kapitalakkumulation entspringt. Die Kapitalverwertung ist letztendlich an eine materielle Grundlage gekettet, bei der immer größere Mengen an Rohstoffen und Energie vermittels Lohnarbeit in Waren transformiert werden – die im Idealfall kurz nach Ablauf der Garantiezeit unbrauchbar sein sollten. Dabei müssen diese Warenmengen (wie die zu ihrer Produktion notwendigen Ressourcen) aus zwei Gründen permanent anschwellen: Erstens um als stofflicher Träger der bei jedem Verwertungskreislauf immer weiter anschwellenden Kapitalmasse zu fungieren. Zweitens aufgrund der permanent ansteigenden Produktivität, die den in einer einzelnen Ware verdinglichten Wert immer stärker abschmelzen lässt.

Der Kapitalismus stellt somit ein System effizientester Ressourcenverschwendung dar, das letztendlich dazu tendiert, für den irren Selbstzweck uferloser Geldvermehrung der Menschheit die ökologischen Lebensgrundlagen zu entziehen. Die Überwindung des in einer autodestruktiven Eigendynamik prozessierenden Kapitalverhältnisses stellt somit für die Menschheit eine akute Überlebensnotwendigkeit dar.

aus: Neues Deutschland, 10. November 2012

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