Nein zum Bildungs-Volksbegehren! Ja zur Bewegung!

von Andreas Exner

am Dienstag, 10. November 2009

Sie tritt auf wie das Amen im Gebet. Sobald sich irgendeine Bewegung mit Chancen entwickelt, denkt man in Österreich nur an eines: Volksbegehren!

Zeitungsleute denken selten oder flach. Sie sehen in den Studis entweder Chaoten oder brave Bürgerinnen des Staates. Während sich die einen daher mit Schaudern abwenden, fallen die andern ganz folgerichtig in zivilgesellschaftliche Verzückung: Wie sie nicht alle reden tun, unsere Studis, wie interessiert und diskursiv. Und putzen tun sie auch. Was will man mehr. “Audimaxismus braucht das Land”, tönt also der Falter. Nicht nur die Kurieristen wollen per studentischem Protest die österreichische Politik kurieren.

Größer kann Bornierung kaum noch sein.

Sie findet in Teilen der Studierendenbewegung durchaus ihren Anhaltspunkt. Während die kritischen Köpfe der Studis die Universität im gesellschaftlichen Kontext sehen und als Bestandteil kapitalistischer Produktionsverhältnisse, phantasieren sich die anderen irgendein kontextloses “Bildungsproblem” zusammen. Da greifen die Medien freudig zu, und die Politik übt sich in mildem Verständnis.

Kein Wunder: Man sieht schlicht und ergreifend die Konkurrenzfähigkeit des Standorts Österreich bedroht. Die Proteste der Studis nimmt man lediglich als ein Warnsignal – man muss mehr investieren, um nicht am Weltmarkt zurückzufallen. Dem Motiv der Solidarisierung mit den Studis ist also nur teilweise zu vertrauen. Vielfach tritt darin nichts weiter als die übliche Standort-, Konkurrenz- und Wachstumsscheiße hervor.

Das also ist Stand der Bewegung, aus der heraus nun ein paar staatsbürgerlich Gesinnte mit der ungemein originellen Idee einer Volksbefragung an das Licht der Öffentlichkeit treten. Schon am Montag, 9.11., sieht “Österreich” getreu seinem Titel auf S. 8 eine “Begeisterung für Volksbegehren”. Der Neoliberale van der Bellen jubelt: “Wenn die Studierenden das schaffen, wäre ein Volksbegehren ein Instrument, die Debatte am Leben zu erhalten und zu intensivieren.”

Baby baby… Ein Volksbegehren ist ein Instrument, eine Debatte abzutöten.

Da wäre einmal der Blick auf bisherige Volksbegehren zu richten. Selbst nach ihrem eigenen bornierten Maßstab waren sie zum großen Teil erfolglos. Die ausreichend Unterstützung erhielten, verschwanden nach ihrem glorreichen Sieg recht glorlos in der Versenkung. Zwentendorf war ein äußerst knappes Votum und dass die Leute gegen Atomkraft stimmten, war mehr der Kritik an Kreisky als ökologischem Bewusstsein geschuldet. Das Volksbegehren selbst hat der Ökobewegung nicht weitergeholfen. Umgekehrt: Die damalige Bewegung hat verhindert, dass das Volksbegehren ein Desaster wurde und in Zwentendorf ein Meiler steht. Kleine Scherzfrage am Rande: Kann sich noch wer an das Volksbegehren “Sozialstaat Österreich” erinnern? Oder an das gegen das Konferenzzentrum in Wien; das Frauenvolksbegehren oder das gegen die Gentechnik? Die Liste ließe sich lang fortsetzen, Details hat das Bundesministerium für Inneres hier zusammengestellt.

Doch das ist nur der eine Teil des Arguments. Man muss grundsätzlich Kritik üben an der Volksbegehrens-Schnapsidee. Schon der Begriff ist reichlich verräterisch: Das Volk begehrt. Nicht das Aufbegehren ist damit gemeint, denn das wäre ja erfreulich. Nein, ein Begehr, als wollte man den Monarchen um Erlaubnis bitten. Was soll hier eigentlich begehrt werden und wer soll dies Begehr erfüllen? Zur Erinnerung: Unsere Forderungen beinhalten auf einer allgemeinen Ebene umfassende Anti-Diskriminierung in allen Bildungseinrichtungen, Demokratisierung der Universitäten, Abschaffung der Ökonomisierung der Bildung, selbstbestimmtes Studieren und die Verankerung einer geschichtliche Aufarbeitung an der Universität.

Was bitte soll da ein Volksbegehren? Ja, ich bin für die Abschaffung des Kapitalismus – oder was? Lächerlicher geht’s nicht.

Die Volksbegehrer haben daher nur zwei Optionen: entweder sie riskieren den raschen Tod der Bewegung; oder sie häckseln die Forderungen so klein, dass die Bewegung erst recht umsonst war.

Um kein Missverständnis zu provozieren zwei Bemerkungen.

Erstens sind die Forderungen nicht grundsätzlich inkompatibel mit dem Kapitalismus als solchem – das heißt mit Lohnarbeit, Markt und Staat. Allerdings stehen sie seiner gegenwärtigen Form, die nicht revidiert werden kann, komplett entgegen und stellen ihn daher auch in Frage. Es gibt kein Zurück in die Zeit nach 1968 – die übrigens Produkt einer radikal kapitalismuskritischen Bewegung war. Der Kapitalismus ist ein dynamisches System, kein “Modell”, das man sich nach Belieben zurechtschustern kann. In der parallelen Weltkrise des menschenwürdigen Lebens und der Verwertung des Kapitals sind selbst minimale Forderungen und Ansprüche bereits systemgefährdend. Deshalb trägt die Studibewegung eine anti-kapitalistische Perspektive als eine wirkliche Möglichkeit, ja eine mögliche Wirklichkeit in sich.

Zweitens: Der Kapitalismus und das ihm entsprechende Bildungssystem gehören selbstverständlich abgeschafft, und zwar so rasch wie möglich. Das geht aber nicht per Volksbegehren. Ein gesellschaftlicher Wandel ist nicht zu dekretieren. Der Staat hat mit einem befreiten Leben nichts zu tun, genausowenig wie der Markt.

Das Bildungs-Volksbegehren ist zu kritisieren, weil es der Bewegung den Saft abziehen würde, für die Vorbereitung, Werbung und die Durchführung. Und es würde der Bewegung und ihren Potenzialen einen kalten Schlusspunkt setzen – egal ob das Begehr nun Erfolg hat oder nicht. Mit ihm hätten die Medien und die Politik die Bewegung endlich im Griff. Genau deshalb fahren sie darauf ab. Wer es ernst meint mit einer Verbesserung des Lebens zehntausender Studierender und sich für die Lösung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Probleme der Gesellschaft einsetzt, wofür eine andere Form von Bildung erfordert ist als sie derzeit existiert, kann zum Volksbegehren daher nur eines sagen: Nämlich nein.

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