Die Airbag-Blase

von Ernst Lohoff

Auch wenn die Öffentlichkeit der immer neuen Hiobsbotschaften längst müde ist und von Milliardenlöchern und Auftragseinbrüchen nichts mehr hören will, geht das Stakkato der Katastrophenmeldungen unablässig weiter. Nicht nur, dass der vom letztjährigen Finanzmarktcrash ausgelöste Absturz der Realwirtschaft sich noch in seiner Anfangsphase befindet; auch das Ausmaß der großen Geldvernichtung in den „Finanzindustrien“ wird überhaupt erst nach und nach sichtbar und ist bis jetzt zum großen Teil bilanztechnisch kaschiert geblieben. Eine vom „Spiegel“ kürzlich veröffentlichte Umfrage von Bundesbank und Bankenaufsichtsbehörde BaFin unter 20 großen deutschen Kreditinstituten ergab, dass die hiesigen Großbanken und Landesbanken auf „toxischen Wertpapieren“ von 300 Milliarden Euro säßen, von denen erst ein Viertel abgeschrieben sei. Im Vergleich zu anderen kapitalistischen Kernländern, insbesondere den USA und Großbritannien, ist das aber noch harmlos. Weltweit liegen in den Bilanzkellern der Banken noch ganze Leichenberge mehr oder minder gut versteckt.

In Mitteleuropa kamen im Laufe des Januars zwei neue Fundorte hinzu. Die schweizerische Vorzeigebank USB gab bekannt, dass sie aufgrund der Abschreibung von risikoreichen Papieren aus dem US-Immobilienmarkt dieses Quartal 7,6 Mrd. Euro Verluste machen wird. Neben einem neuen Verwaltungsratspräsidenten braucht die Bank jetzt vor allem dringend neues Geld und plant daher eine Kapitalerhöhung von 9,55 Milliarden Euro. Deutsche Bank-Chef Ackermann zog zwar nicht mit seinem Rücktritt nach, aber mit der Veröffentlichung dunkelroter Zahlen. Hatte Deutschlands Branchenprimus 2007 noch einen Rekordgewinn von 6,5 Milliarden Euro ausgewiesen, so räumte er für das vierte Quartal des abgelaufenen Jahres ein Minus von 4,8 Milliarden Euro ein und kündigte für 2008 einen Nettoverlust von 3,9 Milliarden Euro an. Nachdem die Ackermann-Crew ihr Institut bis dato als grundsolide verkauft hatte, zeigten sich die Börsianer verärgert und der Kurs der Deutschen Bank brach gleich mal kräftig ein. „Es ist unglaublich, wie lange hier gute Miene zum bösen Spiel gemacht wurde“, meinte ein Vertreter der Zunft gegenüber sueddeutsche. de am 19.1. „Das Vertrauen dürfte nun gänzlich weg sein. Am Markt hat ja eigentlich schon jeder mit schlechten Zahlen gerechnet, aber zuvor immer wieder die Gemüter zu kühlen, grenzt fast an Frechheit.“ Ob die Leitung der Deutschen Bank schon mit der ganzen Wahrheit herausgerückt ist, darf indes bezweifelt werden.

Wie fast alle großen Geldinstitute dieser Welt braucht auch die Deutsche Bank als Ersatz für das verbrannte Geld dringend frisches Kapital, und das fließt der ruinierten Finanz-Branche nur noch staatsvermittelt zu. Offiziell weist Ackermann die Notwendigkeit direkter Staatshilfen für sein Institut nach wie vor weit von sich. De facto hat er den Staat indes gerade über einen kleinen Umweg schon mal vorsichtshalber ins Boot geholt. Deutschlands Branchenführer ist dabei, die Postbank zu übernehmen. Angesichts der prekären Eigenkapitallage sieht er sich freilich außer Stande, den Übernahmewert von 4,9 Milliarden Euro aufzubringen. Deshalb muss dieser Deal jetzt „kapitalschonend“ organisiert werden. Statt Geld erhält der Hauptaktionär der Postbank, die Post, 8 Prozent der Anteilsscheine der Deutschen Bank. Damit ist aber wiederum der Bund, und der ist nach wie vor der Hauptanteilseigner der Post, indirekt zum Großaktionär der Deutschen Bank geworden.

Weniger elegant und ohne Wahrung der marktwirtschaftlichen Etikette hat sich die zweitgrößte Bank Deutschlands vom Staat aus ihrer schon mit den ersten „Wertberichtungungen“ heillos gewordenen Bredouille ziehen lassen. Um sie vor der Insolvenz zu retten, hat die öffentliche Hand der Commerzbank in den letzten Wochen 18 Milliarden Euro an direkten Kapitalhilfen zukommen lassen und darüber hinaus auch Garantien für die Ausgabe von Commerzbank-Schuldverschreibungen in Höhe von 15 Milliarden Euro übernommen. Im Gegenzug gingen 25 Prozent der Commerzbankaktien an den Bund über. Nachdem der Börsenwert der Commerzbank insgesamt nur noch bei knapp 4 Milliarden Euro liegt, ist das ein ziemlich stolzer Preis. Wirtschaftsminister Glos sieht das freilich ein bisschen anders. Er meinte gegenüber der SZ noch in der zweiten Januarwoche allen Ernstes: „Der Bund kann seine Beteiligung wieder verkaufen und damit Gewinn machen“. Damit diese Schnäppchenjagd der etwas anderen Art funktioniert, müssten allerdings zwei Bedingungen zusammenkommen: Die eingegangenen Bürgschaften dürften nicht fällig werden und der Kurs der Commerzbankaktie müsste sich gegenüber dem derzeitigen Stand etwa verzwanzigfachen.

Das Wunschdenken fängt freilich nicht erst bei der aberwitzigen Idee an, der Staat könne sich mit seinen Rettungsaktionen eine goldene Nase verdienen, sondern schon bei der Vorstellung, das Schlimmste wäre überstanden. Zum einen ist mit weiteren Fällen zu rechnen, zum anderen erweisen sich auch diverse Altfälle als Fass ohne Boden. Bei der Hypo Real Estate etwa, die Ende letzten Jahres schon durch Staatsbürgerschaften in Höhe von 30 Milliarden Euro vor dem Konkurs bewahrt wurde, musste der Bankenrettungsfonds des Bundes einen Monat später schon wieder Bürgschaften in Höhe von 12 Milliarden Euro nachschütten. Wie teuer die weltweite Endlagerung „toxischer Wertpapiere“ auf Staatskosten insgesamt wird, steht in den Sternen. Experten sprechen ziemlich vage von „vielen Billionen“ („Die Zeit“, 15.1.2009. ) Wie die Unsummen aufgebracht werden sollen, ist allerdings völlig klar. Das geht nur über eine explosionsartige Steigerung der Staatsverschuldung. Sämtliche Staaten, allen voran die USA, müssen in den nächsten Wochen und Monaten auf den Weltfinanzmärkten gigantische zusätzliche Anleihen platzieren. Die Zentralbanken schöpfen Geld, mit dem sie die von Austrocknung bedrohten Finanzmärkte fluten, und die Regierungen holen sich dann dieses Privatkapital, indem sie Schuldverschreibungen ausgeben. Offiziell schwadroniert die Politik gegen das hypertrophe Wachstum der Finanzmärkte und kündigt deren Reregulierung an; praktisch findet bei der Schöpfung fiktiven Kapitals lediglich eine Verschiebung statt. In der Annahme, dass der Eintritt des Staates als Ersatzschuldner die allgemeine Kreditwürdigkeit wiederherstellt, wird die Entleerung der geplatzten Immobilien- und Finanztitelblase in eine Staatskreditblase notorganisiert. Als eine Art Airbag soll diese angesichts des Crashs das Schlimmste verhindern und auch den Crash der Realökonomie bremsen.

Auch in früheren Phasen des vom Finanzmarkt getriebenen Kapitalismus kam dem Staatskredit eine zentrale Funktion zu. In der Startphase der großen Bubble-Ökonomie, in der Zeit der so genannten „Reaganomics“, stand dieser Bereich sogar schon einmal im Zentrum der Akkumulation von fiktivem Kapital. Durch das Hochtreiben der US-amerikanischen Staatsverschuldung und die Ausgabe hochverzinster Staatspapiere, die massenweise anlagesuchendes Geldkapital in die USA lockten, hat die US-Administration Anfang der 1980er Jahre das Schneeballsystem eines von der Finanzmarktdynamik getriebenen Kapitalismus überhaupt erst richtig losgetreten.

Die Airbag-Blase hat freilich nicht nur eine ganz andere Funktion als die Defizitpolitik in der Zeit Reagans: sie entsteht unter Bedingungen, die für ihr baldiges Platzen sprechen. Damals gab es nur einen großen Kreditgeldstaubsauger, die USA, heute treten alle Staaten gleichzeitig zum großen Run an und werden sich gegenseitig auskonkurrieren. Damals war die Kreditwürdigkeit des Hauptschuldners über alle Zweifel erhaben. Die Schuldverschreibungen der US-Administration waren sowohl durch die Stellung der US-Wirtschaft als stärkste Ökonomie der Welt gedeckt als auch durch das neoliberale Heilsversprechen auf die Wachstum spendende Wirkung massiver Steuersenkungen. Heute existiert überhaupt nur noch so etwas wie eine relative Deckung. Gemessen an der prekären Lage der Finanzmärkte insgesamt erscheint der Staatskredit erst einmal als vergleichsweise stabile Abteilung in der Welt des fiktiven Kapitals. Das kann sich allerdings recht schnell ändern. Erste Warnzeichen gibt es bereits. Anfang Januar versuchte der Bund Zehnjahrestitel für sechs Milliarden Euro zu verkaufen, bekam aber nur Angebote über 5,2. Milliarden Euro, das zweitschlechteste Auktionsergbenis aller Zeiten („Die Zeit“, 15.1.2009) Natürlich lassen sich die fehlende Summe und weit größere Margen beschaffen, wenn eine höhere Verzinsung angeboten wird. Damit würde die Refinanzierung aber die Ecksäule der Antikrisenpolitik unterminieren, nämlich die Absenkung des allgemeinen Zinsniveaus. Diese kleine Kalamität ist aber marginal, gemessen an dem, was im laufenden Jahr der Obama-Administration bei der Refinanzierung des US-Defizits blühen dürfte. Am Anfang der staatlichen Rettungsaktionen für den maroden Bankensektor stand das berüchtigte „too big to fail“. Die Lehre, die am Ende der Notverstaatlichung steht, dürfte „too big to get under control“ lauten.

22.1.2009

image_print