Hoch die Internationalen?

von Hannes Hofbauer

Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien hat verheerende Folgen auch an der Heimatfront. Die weitverbreitete Zustimmung zum Krieg gründete auf dem propagandistischen Coup, für die Durchsetzung von Menschenrechten Menschen töten und ein Land ruinieren zu müssen. Auch viele Linke standen stumm neben der größten europäischen Tragödie nach 1945. Falsch verstandene nationale Selbstbestimmung und falsch verstandener Internationalismus drohen uns ins kommende Jahrhundert zu begleiten.

"Eine atomare Bombe auf die ewige Kriegsgeburtsgrotte Balkan, daß davon nichts als ein Riesenkrater bleibt. " Diesen zeitlosen, zeitwortlosen Satz läßt Peter Handke den Dritten Internationalen in seinem neuen Theaterstück "Die Fahrt im Einbaum" sagen. Die "Drei Internationalen", sportiv und überheblich, sind in gepanzerter Montur auf Mountainbikes quer über die Bühne unterwegs. Medienvertreter mit richterlichem Gehabe, fremden Besatzern gleich, verhehlen sie nicht ihren Haß auf das Objekt der Begierde: die örtliche Bevölkerung. Die Abscheu vor den Serben, den Muslimen, den Kroaten ist ihnen ins Gesicht geschrieben. "Mein Haß auf Land und Völker hier kam folgend: …"

Handke hat recht. Es waren die Internationalen, die den verheerenden Krieg gegen Jugoslawien geführt haben: die internationalen Medien, die internationale Streitmacht, die internationale Wertegemeinschaft. 78 Tage Krieg, 1000 Jagdbomber, 30.000 Angriffe. Vom italienischen Aviano aus, vom ungarischen Tászar, vom türkischen Incirlik, vom deutschen Kalkar und Ramstein, von englischen und US-amerikanischen, von französischen und holländischen Luftwaffenbasen aus, über Slowenien, Kroatien, Tschechien, die Slowakei, Bulgarien, Rumänien, Makedonien, Albanien. Wahrhaft international. Als Kriegsgewinner dürfen sich internationale Konzerne schätzen, vor allem jene der Rüstungsindustrie.

Und der Widerstand gegen den Krieg? Er blieb im Nationalen verhaftet. Bei den täglich durch die NATO-Bomben betroffenen Serben sowieso. Aber auch an den Heimatfronten der Internationalen. Hier diente der serbische Nationalismus als Rechtfertigung für den Krieg. Zwischen links und liberal diskutierte man über das verhinderte Selbstbestimmungsrecht der albanischen Kosovaren, ohne überhaupt zu bemerken, daß diese Selbstbestimmung ausschließlich national definiert (gewesen) ist. Kosovo den Albanern, hieß die Losung der Selbstbestimmer aus dem Kosovo seit Titos Tod. Kosovo ist serbisch, lautete die ähnlich gestrickte Antwort aus Belgrad. Der durchschnittliche Kritiker an der Heimatfront nahm die albanische Position als sympathisch, die serbische als rassistisch.

Mit den schwarzbehemdeten Albanern, Opfern der serbischen Repressions- und Vertreibungspolitik, wollte in Wien dennoch kein/e Österreicher/in mitmarschieren. Die Aufschrift auf ihren T-Shirts, "NATO-air — just do it! ", hatte keinen massenmobilisierenden Effekt. Auf der anderen Seite, auf der Seite der jugoslawischen/serbischen Opfer der internationalen Wertegemeinschaft, formierte sich eine bislang ungekannte Koalition von Kriegsgegner/innen: serbische Gastarbeiter schwenkten blau-weiß-rote Fahnen, die Farben je nach Präferenz unterschiedlich in jugoslawischer oder serbischer Variante gereiht, fallweise mit rotem Stern versehen; Ikonen tragende Frauen gedachten der Bombenopfer; allerlei Symbole der serbischen Volkskultur mischten sich mit MiloØsevi“c-Postern und Fürst Lazar-Bildern. Griechische und bulgarische Banner begleiteten in orthodoxer Eintracht die serbischen Freunde. Nur zaghaft und vorsichtig getrauten sich österreichische Kriegsgegner/innen auf den Stephansplatz, die Albertina oder zum Denkmal des Erzherzog Karl am Heldenplatz: Kommunisten waren unter ihnen und manche Linksradikale, der eine oder andere Künstler protestierte gegen den Wahn des internationalen Bombenhagels, Sozialdemokraten und Grüne schlenderten fallweise auffällig unauffällig an den Demonstrationsplätzen vorüber. Die Distanz zu den Gastarbeitern war spürbar. Nur in manchen Szenen konnte sie überwunden werden.

Der Ekel vor der Nationalfahne, der jugoslawischen wie der serbischen, wurde zum Argument für die Nichtbeteiligung vieler Bauchwehkrieger an den Friedensdemonstrationen. Im gleichen Atemzug sprachen sie den Kundgebungen überhaupt jede Friedensabsicht ab. "NATO — raus aus Jugoslawien! ", "Stoppt den Krieg! ", "Keine Bomben", "Menschenrechte statt Bomben! ", so und ähnlich lauteten die Parolen der Kriegsgegner an der Heimatfront. Der Ruf "Kosovo ist serbisch" genügte den stummen, distanzierten Beobachtern, um sich den Gastarbeiterdemos von der Position der Internationalen her zu nähern. "Kosovo ist serbisch" tönt freilich heute, nach 78 Tagen NATO-Krieg, wie eine historisch-nationale Remineszenz; Kosovo ist — mit Hilfe der Internationalen — albanisch geworden.

Als "nationalistischen Hexenkessel" bezeichnete Silvio L. , stellvertretend für viele Bauchwehkrieger, die Manifestationen der serbischen Gastarbeiter mit ihren wenigen österreichischen Unterstützern. In der Welt der Internationalen eine folgerichtige Einschätzung. Wer allerdings die imperiale Logik mit ihrem verwertungsorientierten und missionarischen Eifer nicht als das Maß aller Dinge nimmt, hätte erkennen können, daß sich in den Wochen und Monaten des NATO-Krieges unter einem Teil der Wiener Bevölkerung — den serbischen Gastarbeitern, ihren Kindern und Kindeskindern — eine Protestkultur entwickelt hat, die in der Zweiten Republik wohl einmalig ist. Tagtäglich gingen zwischen 500 und 3000 Menschen auf die Straße, mehrere Demonstrationen wiesen eine Beteiligung von 10.000 bis 20.000 Teilnehmer/innen auf. Der lange Atem der NATO-Gegner war bewundernswert; die politischen Diskussionen — großteils auf serbisch — heftig, kontrovers, umfassend. Die Einheit der Demonstranten blieb fraktionsgewohnten Österreichern zwar suspekt, im Angesicht der vernichtenden, brutalen und niemanden verschonenden Bombardements der NATO war sie indes selbstverständlich.

Noch nie zuvor demonstrierten in Wien so viele Menschen so ausdauernd für eine gerechte Sache, gegen den Krieg, der keine Rechtfertigung kennt, gegen den Jugoslawienkrieg, der keine Rechtfertigung kannte. Die veröffentlichte Wahrnehmung darüber war gering bis inexistent. Die öffentliche Wahrnehmung mußte, allein schon wegen der Ausdauer der Kriegsgegner/innen, breit sein. So breit, daß selbst der rechte Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider auf seiner Abschlußkundgebung zur EU-Wahl auf die Präsenz der jugoslawischen Gastarbeiter in den Straßen Wiens einging: Er, als nationaler Vertreter der Internationalen, brüstete sich am Stephansplatz vor seinen Wählern, das Zentrum von Wien wieder unter die Kontrolle der Österreicher gebracht zu haben — der nationalen Internationalen.

Menschenrecht und nationale Selbstbestimmung

Irrationale Glaubenssätze bestimmten seit Kriegsbeginn Politik und Berichterstattung. Seit 1991 hatten die Internationalen am Balkan ganze Arbeit geleistet, auch in der Propagandaschlacht. So kann als deren größter Coup gelten, in den Köpfen der Heimatfrontler eine Differenz zwischen guten und bösen Nationalisten aufgetan zu haben. Slowenien erhielt das Attribut "nicht national", Kroatien galt, muslimisch-Bosnien und Kosovo-Albanien gelten als "gute Nationale", Serbien als "böse". Seit 1991 ist Serbien — zum dritten Mal in diesem Jahrhundert — der Feind der deutschländischen Internationalen.

Da der Feind niemandem in der EU etwas Böses getan hatte, projizierte der wertegemeinschaftliche Internationale, ob nun direkter Kriegstreiber oder Bauchwehkrieger, sein Ehrgefühl in die vom Feind Verfolgten. Und weil er das als Meisterleistung einer Solidarisierung in einer völlig entsolidarisierten Welt empfand, füllte sich sein Herz mit Stolz, Kriegerstolz. Noch vor wenigen Jahren fühlte man im Westen kroatisch. Kroatien stand als Synonym für Demokratie, Menschenrecht und Unabhängigkeit. Heute machte man sich mit solchen Zuordnungen lächerlich.

Nun schlägt das Herz des Internationalen albanisch. Die Albaner im Kosovo kämpfen seit fast zwanzig Jahren um nationale Rechte. 1981 ertönte erstmals der Ruf nach einer "Kosovo-Republik", seit 1993 existiert die Untergrundbewegung UÇK, die Belgrad mit spektakulären Anschlägen aus der Reserve lockte. Daran war im Prinzip nichts Außergewöhnliches. Das Baskenland, Nordirland, Korsika, Palästina, Türkisch-Kurdistan, Osttimor usw. kennen ähnliche national motivierte Protagonisten für eine politische Unabhängigkeit. Und überall gehen Polizeistationen der Zentralmacht in Flammen auf, werfen sich spanische, britische, französische, israelische, türkische, indonesische Sondereinheiten in die mehr oder weniger heftig tobenden Scharmützel. Doch der Kosovo war anders. Hier traten die Großmächte USA und EU nach der erfolgreichen Teilung Bosniens 1995 auf den Plan, zeigten Verständnis für die Anschläge der UÇK auf staatliche Einrichtungen und machten den Sezessionisten Mut, unterstützten sie offen. Seit 1998 änderte man auch die Diktion: aus Terroristen wurden Freiheitskämpfer. Als Instrument zur Zerschlagung Jugoslawiens sind sie gut genug, ihr Streben nach politischer Unabhängigkeit nahm der Westen nicht wirklich ernst.

Der Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung der Kosovo-Albaner verschwand folgerichtig aus den Medien der Angriffskoalition. Hier war nur mehr von der Einrichtung eines Protektorates die Rede, allenfalls von den Problemen der Zonenaufteilung, insbesondere wegen der russischen Begehrlichkeiten am Balkan.

Derweil müht sich der eifrige Internationale auch post tragœdiae noch mit der Legitimation der NATO-Bombennächte ab. Menschenrechtsverletzung, lautet sein einzig verbliebenes Argument, nachdem die Vision von der nationalen Selbstbestimmung mit dem Protektoratsplan hinfällig geworden war. Die Verletzung von Menschenrechten für die kosovarische Bevölkerung sei flagrant, unübersehbar und bedürfe als ultima ratio des Krieges. Richtig ist, daß der Belgrader Administration seit Jahren vorzuwerfen war, ethnisch motivierte Unterdrückung im Kosovo zu betreiben. Bei den militärischen oder sonderpolizeilichen Schlägen gegen die UÇK wurden immer wieder ganze Dörfer oder Täler in Bürgerkriegszustand versetzt. Geflohene Bewohner, mal von der UÇK und mal von der jugoslawischen Armee zur Flucht gezwungen, gehörten seit bald einem Jahr zum grausamen Provinzalltag. Der Untragbarkeit dieser Situation waren sich alle Seiten bewußt. Nicht zuletzt deshalb einigten sich Belgrad und die OSZE mit Unterstützung Rußlands und der USA auf eine 1400 Mann starke internationale Beobachtertruppe für den Kosovo. Die optimistischen Lageberichte der OSZE unter ihrem Vorsitzenden, dem norwegischen Außenminister Vollebaeck, können bis Mitte Jänner 1999 in allen Zeitungen nachgelesen werden.

Die militärische Aggression gegen Jugoslawien wurde mit der Vertreibung der Kosovaren aus ihrer Heimat gerechtfertigt. Doch das war in erster Linie eine sich selbsterfüllende Prophezeiung. Belgrad hatte erst wieder massiv Militär in den Kosovo geschickt, als die Verhandlungen, die — wie wir heute wissen — keine waren, in Paris scheiterten und die NATO ihre Kriegsdrohung bekräftigte. Die systematische Vertreibung der Kosovaren setzte erst nach den Bombardierungen der NATO ein. Daraus machten auch offizielle Stellen im Westen kein Hehl, wenn sie — vom deutschen Außenamt bis zu den Asylverfahren verschiedener Gerichte, eine systematische ethnische Verfolgung im Kosovo bis zum Beginn des Bombenkrieges gegen Jugoslawien in Abrede stellten.

Vor der Faktenlage müßten die Argumente von den zu verteidigenden Menschenrechten als Kriegsgrund kapitulieren — spätestens seit dem Einmarsch der NATO in Kosova und der Errichtung eines Protektorats. Denn seit dem 24. März 1999 ist der Kosovo/das Kosova zweimal ethnisch gesäubert worden: einmal von albanischer und das zweite Mal von serbischer Bevölkerung. Die Erfolge der Internationalen lassen sich offensichtlich nicht an der Einhaltung von Menschenrechten messen.

    Hannes Hofbauer, Jahrgang 1955, ist Historiker und Journalist. Im Herbst erscheint von ihm ein Buch zur Zerstörung Jugoslawiens: "Balkankrieg", im Promedia Verlag.

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